Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Abraham Lincoln?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Abraham Lincoln?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Vor mehr als 157 Jahren, am 6. November 1860, wurde Abraham Lincoln zum 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Diese Wahl sollte nicht nur Nordamerika, sondern die Welt verändern.

Die erst 1854 gegründete Republikanische Partei war vier Jahre zuvor bei ihrem ersten Versuch, das Weiße Haus zu erobern, gescheitert. Der berühmte „Pfadfinder“ John C. Fremont war nach einer beispiellosen Schmutzkampagne seinem Gegenkandidaten James Buchanan unterlegen.

Mit Abraham Lincoln wurde ein Kompromisskandidat aufgestellt. Die erste Wahl der Republikaner waren die erfahrenen Senatoren William H. Seward und Salmon P. Chase. Beide aber galten als zu „radikal“, vor allem in der Frage der Abschaffung der Sklavenhaltung.

Die Parteitagsdelegierten dürften zu diesem Zeitpunkt kaum die intellektuellen Qualitäten Lincolns erkannt haben, obwohl er sich in einer historischen Serie von Rededuellen mit dem bedeutenden Senator Stephen A. Douglas als Visionär großen Formats erwiesen hatte. Wichtiger bei der Kandidatenauswahl war – er galt als „moderat“, und er kam aus dem Westen. Der Staat Illinois gehörte in jenen Tagen noch zum westlichen Hinterwald. Genau dort hatten die Republikaner eine schwache Basis. Mit Abraham Lincoln hofften sie, diese Region für sich zu gewinnen. Es war in starkem Maße Lincolns Biographie, die ihn an die Spitze brachte, seine Herkunft aus einer armen Farmerfamilie, sein unermüdliches Streben nach Bildung, seine Erfahrungen mit harter manueller Arbeit ebenso, wie sein ambitionierter Aufstieg aus einer kleinen Blockhütte in der Wildnis bis zum angesehensten Anwalt von Illinois.

Die entscheidenden Stimmen erhielt Lincoln von den Deutsch-Amerikanern, die unter Führung von Carl Schurz frühzeitig für ihn eintraten und am 9. und 10. Mai 1860 auf dem Republikanischen Parteitag für die nötige Mehrheit seiner Nominierung sorgten. Schurz und andere prominente Sprecher der Deutsch-Amerikaner engagierten sich danach vehement im Wahlkampf für Lincoln.

Lincoln war zwar ein ausgesprochener Gegner der Sklavenwirtschaft, aber er zeigte sich offen für Kompromisse. Sein Credo war immer, die Einheit der amerikanischen Staatengemeinschaft um jeden Preis zu erhalten; es wird heute oft übersehen, dass er dafür im Notfall auch die Sklaverei für weitere Jahre akzeptiert hätte. Trotz seiner Kompromissbereitschaft brachte er seine moralische Haltung in einer seiner Reden klar zum Ausdruck: „Die Verfasser der Unabhängigkeitserklärung hatten niemals die Absicht zu sagen, dass wir alle in Farbe, Größe, Intelligenz, moralischer Entwicklung und sozialen Fähigkeiten gleich sind. Aber sie sahen in der Tat alle Menschen als gleich geschaffen an – gleich in bestimmten unveräußerlichen Rechten, zu denen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören.“

Damit wurde er in den Augen südstaatlicher Plantagenbesitzer zum Todfeind.

Zu jener Zeit war es nicht üblich, dass Kandidaten für das Präsidentenamt selbst Wahlkampf betrieben. Sie traten zwar gelegentlich öffentlich auf, aber die Kampfreden wurden von anderen gehalten. Es galt als unpassend für Kandidaten, sich selbst persönlich anzupreisen.

Lincoln hielt daher während der Kampagne nur wenige Reden, aber er war durchaus weithin bekannt. Er hatte 8 Jahre als Abgeordneter im Parlament von Illinois und ab 1846 für eine Wahlperiode im US-Repräsentantenhaus gesessen. Mit Gründung der Republikanischen Partei 1854 trat er erneut in die politische Arena. Daneben hatte er sich als der erfolgreichste Rechtsanwalt des Staates Illinois profiliert, der das amerikanische Rechtssystem perfekt beherrschte. Zusammen mit verschiedenen Partnern betrieb er in Springfield eine Kanzlei, die den Ruf hatte, ihre Fälle in der Regel zu gewinnen; somit vertrat er zahlreiche wohlhabende Klienten und größere Wirtschaftsunternehmen.

Lincolns Glück war, dass er 1860 gleich zwei polarisierende Gegenkandidaten hatte. Die Demokratische Partei spaltete sich; ein Teil stellte den Südstaaten-Demokraten John C. Breckinridge als Kandidaten auf, der andere Teil den Nordstaaten-Demokraten Douglas. Ferner kandidierte für die Partei der Constitutional Union John Bell.

Diese Zersplitterung brachte Lincoln eine Mehrheit der Stimmen – obwohl er in 9 Südstaaten nicht einmal auf den Wahlzetteln stand. Er erhielt im Süden lediglich Stimmen in 2 von 996 Wahldistrikten. Aber in allen anderen Staaten (bis auf 2) gewann er am 6. November 1860 die Mehrheit.

Wenn die Führung der Republikanischen Partei geglaubt haben sollte, mit Lincoln einen unerfahrenen, schwachen Kandidaten ins Amt gebracht zu haben, den die Parteioberen lenken konnten, sollten sie sich getäuscht haben. Lincoln erwies sich von Anfang an als führungsstark und – bei aller Leutseligkeit, die ihn im Umgang mit Menschen auszeichnete – entschieden und eigenwillig. Als erstes ernannte er seine größten Parteirivalen zu wichtigen Ministern in seiner Regierung: William Seward wurde Außenminister, Salmon Chase Finanzminister, Edward Bates Justizminister. Damit band er sie nicht nur in die Verantwortung ein, er hatte sie gewissermaßen auch „unter Kontrolle“. Und sie erwiesen sich als ausgezeichnete Besetzungen auf ihren Posten.

Als Lincoln im März 1861 als Präsident vereidigt wurde, war die Union bereits zerfallen. 7 Südstaaten hatten die USA verlassen und die „Konföderierten Staaten von Amerika“ gebildet. 4 weitere Staaten sollten folgen. Der Angriff auf Fort Sumter stand kurz bevor: Am 12. April 1861 feuerte South Carolina den ersten Schuss des Bürgerkrieges ab, der die USA in einen blutigen Strudel reißen sollte.

Was angesichts dieses verheerenden Krieges und den Auseinandersetzungen um die Abschaffung der Sklaverei häufig unterging, sind die zahlreichen maßgebliche Entscheidungen der Regierung Lincoln, die die Vereinigten Staaten nachhaltig – zum Teil bis heute – prägten:

  • 1863 trat das Bundesheimstättengesetz in Kraft, das die systematische Besiedelung des mittleren Westens einleitete, bis ca. 1990 in Kraft und das erfolgreichste Gesetz dieser Art auf der Welt war. Nach diesem Gesetz besiedelten 1,6 Millionen Amerikaner rund 110 Millionen Hektar Land.
  • 1863 begann der Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahnlinie durch die „Union Pacific“ und die „Central Pacific“, die 1869 abgeschlossen wurde. Es war die verkehrsmäßige Vereinigung der USA, entscheidend für den Zusammenhalt der Ost- und der Westküste.
  • Im Juni 1864 schuf er mit dem „Yosemite Grant“ in Kalifornien das erste Naturschutzgebiet der USA. (Das Wort „Nationalpark“ gab es zu jener Zeit noch nicht. Erster Nationalpark der Welt wurde das Yellowstone-Gebiet 1872.)
  • Mit dem Morrill Land-Grant Colleges Act führte er ein Gesetz zur Schaffung landwirtschaftlicher Hochschulen ein. Ferner schuf er das US-Landwirtschaftsministerium.
  • Er führte eine noch heute als fortschrittlich angesehene Steuerreform durch und kreierte ein nationales Bankengesetz.

Viele dieser Maßnahmen waren durch den Bürgerkrieg beeinflusst. Lincoln setzte klare Gegengewichte zu den Feudalstrukturen der Plantagenwirtschaft im Süden. Sein Ziel war ein moderner Staat, der auf breitgestreutem Landbesitz, Kleinbauerntum und Industrie mit einer starken Zentralregierung basierte. Seine infrastrukturellen Maßnahmen waren bedingt durch die Transportprobleme in den weiten westlichen Gebieten und die mangelnde Anbindung der Westküste an den amerikanischen Osten – entscheidend für die Finanzierung des Bürgerkrieges und die ökonomische Entwicklung der USA.

Meine Fotos zeigen Abraham Lincoln, eine zeitgenössische Darstellung der Republikanischen Konvention, auf der Lincoln zum Kandidaten gekürt wurde, ein Foto seiner zweiten Amtseinführung und das Bett im Wills-Haus von Gettysburg, in dem er schlief, bevor er seine berühmte Rede zur Einweihung des Friedhofes auf dem Schlachtfeld von Gettysburg hielt. Ferner der Sattel, auf dem er zum Schlachtfeld ritt, sowie eine Lebend- und eine Totenmaske und das Lincoln Memorial in Washington D.C.. Zur Ergänzung durch den Zauberspiegel habe ich noch das einzige Foto hinzugefügt, das Lincoln während seiner Rede in Gettysburg zeigt.

Anmerkung: Passend und ergänzend zu diesem Artikel bringen wir Lincolns wohl berühmteste Rede, die in aller Kürze das zusammenfasst was jedes Staatswesen aus machen sollte. Es ist die sogenannte »Gettysburg Adress«. Die Rede wurde am 19. November 1863 anlässlich der Einweihung des Soldatenfriedhofs auf dem Schlachtfeld von Gettysburg gehalten. In dieser Version liest der Schauspieler Jeff Daniels Lincolns Worte. - Die Herausgeber

 

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Dezember 2017
Die aktuelle Ausgabe

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.