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Das Problem der Visualisierung von Terry Pratchetts Scheibenwelt

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... Terry Pratchetts Scheibenwelt

Im Anfang war das Wort. Und das Wort ward Bild. Und es wohnte unter uns und wir nahmen es nicht auf … also jedenfalls sind die Bilder, die aktuell von »The Watch« im Netz kursieren sehr, sehr heiß umstritten. Bei Terry-Pratchett-Fans jedenfalls. Vermutlich werden die Anderen, die nicht so sehr in der Scheibenwelt versunken sind sich allenfalls sagen, es sei halt so eine Steampunk-Serie. Also voraussichtlich. Genaues weiß man ja noch nicht …

Wenn allerdings schon die Erbin von Terry Pratchett selbst sich auf Twitter deutlich von dem Serienprojekt distanziert, dann hat das schon Einiges zu sagen. Nämlich, dass die Erwartungen nicht erfüllt worden sind. Und man braucht dann auch nicht weiter in die üblichen Sozialen Kanäle zu schauen, denn es ist schon klar, dass die Fans sich überwiegend negativ äußern werden. Anhand von einigen Vorschaubildern wohlgemerkt.

Aber welche Erwartungen werden da eigentlich gebrochen? Denn die Scheibenwelt an sich ist eine Fantasy-Welt. Sicherlich beginnt sie als etwas ungehobelte Parodie auf all die Klischees des Genres - die ersten drei Bücher sind das definitiv. Aber dann entwicklen sich die Charaktere vom Klischee weg zu gerundeten Charakteren. Ebenso aber auch entwickelt sich die Welt. Vom eher mittelalterlichem Bild hin zu einer - ja - zu was für einer Welt eigentlich?

Vielleicht können wir das Ganze eher betrachten, wenn wir uns die Filme anschauen, die bisher produziert worden sind. Dazu muss man auch die Zeichentrick-Serien dazu zählen. Die deutsche Wikipedia zählt diese als Filme, aber es sind ja eher Serien mit den fünfundzwanzig Minuten pro Folge. Und diese sind auch die ersten Versuche, Pratchetts Scheibenwelt auf die Leinwand zu bringen. Da Christopher Lee hier TOD verkörpert, lohnen sich »Soul Music« und »Wyrd Sisters« durchaus. Den Stil an sich muss man allerdings mögen. Die Figuren sind grob gezeichnet, die Hintergründe ebenfalls - da sind die ersten Simpsons-Folgen Gold gegen.

Dennoch sind die beiden Zeichentrick-›Filme‹ interessant, weil sie das erste Mal eine Vorstellung davon liefern, wie man die Scheibenwelt sehen kann. Natürlich gibts es die Buch-Umschläge, die Stadtpläne, die Kalender und so weiter. Doch die Zeichentrickfilme zeigen erstmal eine Scheibenwelt, die so sein könnte. Und diese ist dann doch überwiegend von dem geprägt, was man sich als mittelalterliche Umgebung vorstellen kann.

Nun spielt »Wyrd Sisters« bekanntlich überwiegend auf einem Schloss, ab und an noch in einem Wald und in Lancre selbst - und alles sieht hier halt sehr nach Mittelalter aus. Das könnte aber auch daran liegen, dass Lancre selbst im Hinterland der Scheibenwelt liegt. Der Fortschritt aus Ankh-Morpork wird nicht in Windesschnelle über Lancre kommen. Vor allem auch nicht, weil Lancre sich als erstaunlich resistent gegenüber dem Fortschritt erweist. König Verence versucht ja das Land als demokratischer König zu regieren, was von den Bewohnern aber immer als ein Versuch mit negativem Resultat akzeptiert wird. Wenn daher im Trickfilm Lancre äußerst rückständig und mittelalterlich wirkt, dann kann man das durchaus begründen.

»Soul Music« allerdings ist da schon anders: Ein Hauptteil der Handlung spielt in der Metropole Ankh-Morpork. Ein Schmelztiegel. Der Fortschritt findet hier statt, schließlich wird hier mal die Druckerpresse erfunden. Vor allem behandelt <Soul Music> ja auch den Rock and Roll - oder die Musik mit Steinen drin - und der kommt normalerweise mit Strom und Gitarren daher. Strom gibts allerdings noch nicht, daher gibts nur akustische Gitarren. Allerdings ist auch Ankh-Morpork eher ein mittelalterliches Städtchen. Von der Vermischung von Stilen und Technik, die in den Büchern zu spüren ist, ist hier kaum etwas zu sehen. Fantasy, dein Bild ist Mittelalter.

Und das bleibt auch bei »The Colour of Magic« - der Zweiteiler umfasst die ersten beiden Bände - so. In der Realverfilmung sticht nur Zweiblum etwas heraus, weil der als Tourist sich halt nicht so kleidet wie ein mittelalterlicher Bewohner der Stadt. Selbst, wenn man einen kleinen Ruck in Richtung Renaissance nicht verleugnen kann, man sehe sich Vetinaris Gewand an, das eher nach Florenz unter den Medici passt als ins Mittelalter; selbst dann ist doch überwiegend ein mittelalterliches Bild vorhanden. Was in »Going Postal« auch kaum korrigiert wird.

»Hogfather« allerdings rückt von diesen Bildern komplett weg und zaubert eine viktorianisch anmutende Gesellschaft vor unsere Augen. Susan Sto Heilt, die Schule, die Mädchen in ihren Uniformen, das Fest selbst mit der Inszenierung im Kaufhaus - nur die Wachen tragen da noch ihre eher mittelalterlichen Uniformen. Bekanntlich mag Sam Vimes ja das ganze Großgetue der Großkopferten nicht …

Es ist nun so, dass Pratchett selbst sich kaum damit aufhält, ausführlich irgendwelche Innenräume zu beschreiben. Wir wissen nicht, wie das Haus von Lady Sibylle aussieht. Wir wissen: Es gibt ein Nebengebäude, dessen Dach sich in eine Rutsche verwandelt und es gibt eine Fallgrube für Attentäter, die vielleicht über dieses Nebengebäude eindringen wollen. Die ersten Szenen von »Nightwatch« schildern das ja. Und ab und an gibt es mal einen Satz, der sich auf Tapeten bezieht - ein Muster mit Tieren, die in Kostümen stecken etwa. Es gibt weiches Spielzeug und auch Holzklötze in der Scheibenwelt. Das wissen wir von dem jungen Sam und dem Abt des Ordens der Mönche, die es gar nicht gibt. Bekanntlich wirft der Abt ja einen Stoffelefanten nach seiner rechten Hand in »Thief of Time«. Bisweilen werden Möbel erwähnt und wir als Leser wissen, wie Angus Zimmer ausgestattet ist … aber ob der Tisch nun Holzbeine hat, ob der überhaupt aus Holz ist … Das lässt Pratchett offen.

Daher muss man als Leser die Lücken füllen. Da die Entwicklung der Scheibenwelt rasant vom Mittelalter über die Renaissance bis hin zur Industrialisierung verläuft - in »Shepherds Crown« zeigen sich die Folgen von »Raising Steam« unmittelbar, daher kann die Erfindung der Eisenbahn nicht lange her sein - müsste eine Verfilmung eigentlich alle diese Elemente in sich vereinen. Wie das eine Stadt in unserer Gegenwart auch tut. Da stehen Hause aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts im Schatten eine Wolkenkratzers des Brutalismus. Auf der einen Seite dominiert Glas und Stahl, dann allerdings stehen auch noch Fachwerkhäuser daneben. Wer den Versuch unternimmt Ankh-Morpork im Film zu zeigen, der müsste diese Gegensätze auch deutlich machen.

Natürlich sind die Erwartungen der Fans auch von den späteren Buchcover geprägt. Oder den Illustrationen in den Kalendern und hier überwiegt tatsächlich eher der viktorianische Eindruck: Räuber tragen gestreifte Pullover und Masken a la Panzerknacker. Lord Downey trägt Frack. Finanzbeamte tragen Bowler. Alles in allem: Geht es nach den Illustrationen an diesen Stellen, müssten wir eine Art von viktorianischer Gesellschaft mit leichten Einschlägen der Renaissance vor uns haben, die das Mittelalter schon mal komplett hinter sich gelassen hat.

Wenn dann daher eher modernere Bilder zu sehen sind, die eher an Steampunk erinnern, dann ist das halt nicht das, was die Fans gewöhnt sind. Vor allem, weil ausgerechnet bei der Wache Pratchett ziemlich genau Ausrüstung und Uniform beschreibt: Kettenhemd, Brustpanzer, Sandalen oder im Winter Stiefel … Und das ist auf den Bildern von der kommenden Serie so nicht zu sehen. Also kein Wunder, dass alle etwas enttäuscht sind. Jedoch: Noch haben wir nicht eine einzige Szene gesehen. Von daher sollte man also erstmal abwarten und schauen - es kann ja sein, dass wir hier Bilder einer alternativen Zeitlinie vor uns haben. Schließlich wird Carcer aus <Nightwatch> als Charakter ja erwähnt in der Besetzung … Hmmm …

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