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Wenn Wortspiele Spaß machen: Ein Hoch auf Xanth!

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneWenn Wortspiele Spaß machen:
Ein Hoch auf Xanth!

1977 betrat eine Figur die Fantasybühne, die als Heldin einer Quest in einem Land auf die Reise ging, das noch weitaus ungewöhnlicher war als alles, was man bis dahin kannte. "Chamäleon-Zauber" heißt der Roman auf deutsch, der englische Name ist "A Spell for Chameleon", der Autor Piers Anthony.

Das Land: Xanth.

Xanth ist auf den ersten Blick gesehen das typische Fantasy-Land, das man kennt. Drachen, Orks, Goblins - alles vorhanden. Dass Xanth von seinen Umrissen her ungefähr Florida entspricht ist schon eher weniger typisch. Fantasy-Autoren versuchen ja stets sehr weiträumige und weitläufige Länder und Welten zu erfinden. Tolkiens Landschaftsschilderungen könnte man ohne weiteres aus dem "Herrn der Ringe" zu einem Reiseführer für Touristen durch Mittelerde zusammenpacken. Abgesehen davon sind Fantasy-Autoren meistens bemüht, möglichst alle Klima-Lagen der Erde in ihre Welten zu packen: Den eisigen Norden, den heißen Süden - also Wikinger-Barbaren dort und dann noch zeitgleich unten die südländischen Händler. Wikinger kommen bei Piers Anthony nicht vor.

Stattdessen entdeckt man, wenn man die Romane liest, ein Land, das auf Wortspielen aufgebaut ist. Es existieren Night Mares, Nachtmähren, Kredithaie sind durchaus wörtliche Haie, die für einen Kredit einem schon mal einen Arm abbeißen, Bullen und Bären auf dem Parkett der Börse sind in Xanth auch in Tierform vorhanden und ein Steamroller könnte durchaus eine gefährliche Drachenart sein. (Bislang ist das zwar nicht in Xanth-Romanen in der Form aufgetaucht, aber Steamer sind tatsächlich eine Drachenart, Stanley, der Spaltendrache, gehört zu ihnen.) Die Vielfalt von Spezies, Dingen und Lebensmitteln, die auf Wortspielen beruhen sind etwas, was den Spaß beim Lesen der Romane ausmacht. Leider allerdings ist da auch der Grund, warum seit 2001 kein weiterer Roman von Piers Anthony auf deutsch erscheinen ist, laut Aussage des Autors in einem Interview mit dem Fantasyguide  habe der Verlag erklärt, die Wortspiele würden sich nicht gut ins Deutsche übersetzen lassen. Das wäre durchaus ein Grund, allerdings gab es bei den Bastei-Ausgaben auch einen Wechsel des Übersetzers - und damit wich nicht nur der Charme der Romane, sondern es gab auch Änderungen bei einzelnen Begriffen. Und das hat etliche Leser davon abgehalten, weiter Xanth-Romane zu kaufen.

Neben den Wortspielen ist Xanth allerdings ein sehr durchdachtes und durchaus in sich logisch aufgebautes Universum mit eigenen Regeln. Man erfährt, dass die Quelle der Magie von dem Dämonen XA/N)th ist, neben ihm gibt es noch andere Dämonen, so tatsächlich auch einen für die nichtmagische Erde, dass es zwischen Xanth und unserer Welt den Isthmus gibt. Man kann Xanth zwar von uns, von Mundanien, aus betreten und auch wieder zurückkommen, allerdings ist es nicht immer sicher, dass man wieder in seiner eigenen Zeit landet. Überhaupt gibt es in etlichen Xanth-Romanen - wie "Esrever Doom" - Helden, die unfreiwillig in Xanth aus unserer Erde stranden. Mittlerweile gibt es sogar diplomatische Beziehungen zwischen Xanth und Mundania und etliche Romane springen munter zwischen beiden Welten hin und her. Eroberungswellen aus Mundania haben in Xanth für die reichhaltige Fauna gesorgt - und magische Quellen sorgen dafür, dass sich Rassen untereinander paaren können. Eine Erklärung dafür, warum es Zentauren ebenso gibt wie die klassischen Hyppogreife neben anderen neuen Rassen. Dass Xanth ein Königreich ist, das entspricht dann wieder etwas mehr dem Klischee. Natürlich gehört dazu auch ein Schloss.

Während Piers Anthony die Reihe eigentlich nur als Trilogie - wieder was, was Fantasy-Romanautoren machen, die machen es ja nie unter einer Trilogie - geplant hatte, wuchs sich Xanth zu einem größeren Werk aus, das bisher an die 41 Romane zählt. Diese sind im Prinzip immer gleich aufgebaut: Es ist die klassische Heldenreise, die klassische Suche nach Etwas, was den Helden weiterbringt. Eine Reise, auf der der Held dann mehr über sich herausfindet und manchmal entdeckt, dass er das, was er gesucht hat, eigentlich schon längst vor der eigenen Nase hatte. Das übliche Formelschema bei den Xanth-Romanen könnte den Leser nach einigen Romanen langweilen. Dank der Wortspiele und der durchaus kniffligen Abenteuer für die Helden ist das nicht der Fall. Zudem sind die Romane zwar in sich abgeschlossen, referenzieren aber wie in einer Chronik durchaus auf vergangene Ereignisse. Und als Leser ist man immer erfreut, wenn man dem einen oder anderen Charakter - oder dessen Sohn, Tochter, Enkel - beim Lesen eines neuen Abenteuer wieder entdeckt. So sind etwa für die Charaktere in "Board Stiff" (Roman 38) Königin Dor und Königin Irene nur noch entfernte Erinnerungen, während der Leser vielleicht gerade noch diese Charaktere etwa in "Dragon on a Pedestal" (Roman 7) erlebt hat.

Wenn auch die übliche Quest-Geschichte - die Figuren sind sich übrigen auch immer bewußt, dass es diese Questen gibt - in einem Roman vielleicht nicht immer funktioniert, "Board Stiff" etwa hat seine Schwächen, ebenso wie "Five Portraits": Piers Anthony schafft es mit seiner überwältigenden Kreativität und Fantasie eine Langeweile des Lesers zu vermeiden. Zudem sind seine Charaktere sympathisch und liebenswert. Selbst der Grundy, der Golem - nein, keine Kreatur aus Lehm, Grundy ist/war eine Puppe - der eine sehr fluchreiche Sprache hat ist alles andere als ein übler Kerl.
Zudem: Wenn jemand eine Erwachsenenverschwörung erfindet, Nachtmähren, die als Hufabzeichen die Meere des Mondes tragen und a apropos Mond, die Rückseite von dem ist in Xanth der Honig-Mond... Wer so kreativ ist und fantasievoll, der kann durchaus seine Leser fesseln. Auch, wenn der Plot 08/15-Fantasy-Standard ist. Okay, die Erwachsenenverschwörung muss ich erklären: Es gibt gewisse Dinge, die Kinder nicht wissen sollen. So zum Beispiel die Farbe der Unterhosen von Frauen oder anderes, was mit dem Herbeirufen des Storches zu tun hat. Daher: Die Erwachsenenverschwörung, die alles von Kindern fernhält, was mit Sexualität zu tun hätte - solange, bis die halt im passenden Alter sind und die Monster unter den Betten sich wieder auflösen. Ja, natürlich gibts richtige Monster unter dem Bett in Xanth. Und natürlich bringt der Storch die Kinder, der kann sich auch weigern, wenn er glaubt, die Mutter wäre erst 13 Jahre alt. Das führt dann zur Handlung in "Air Apparent". (Wer hier "Heir Apparent" als Begriff vermutet, vermutet richtig. Es ist halt Xanth...)

Nun hat Xanth den Ruf flache Unterhaltungsware sein. (Vielleicht auch wegen der vielen Wortspiele, witzige Fantasy kann ja nicht lehrreich sein, nicht wahr, Mr. Pratch... Ups.) Durchaus kann man in den frühen Romanen auch das Bild von Frauen kritisieren. Chamäleon etwa ist nicht unbedingt emanzipiert, überhaupt ist es in Xanth nicht üblich, dass Frauen das Land regieren - es gibt allerdings eine durchaus logische Erklärung dafür, warum später die regierenden Königinnen des Landes dann in ihrer Funktion den Titel "König" tragen, ich hab sie allerdings gerade vergessen. Dennoch: Es gibt auch starke Frauenfiguren, ebenso wie es menschliche Oger gibt. Sicherlich ist Xanth Unterhaltung. Piers Anthony steckt jedoch auch mehr als nur diese in seine Romane. Wer auf die Dialoge hört, auf die Unsicherheiten der Heldenfigur blickt, der bekommt so manches Mal was auf den Schädel gehauen - etwa, dass Toleranz das Leben enorm einfacher macht, dass Missverständnisse mit ein paar Worten ausgeräumt werde können und dass neben all dem wilden, überschäumenden Abenteuern mit den ungezählten - teilweise recht altklugen und pfiffigen - Charakteren durchaus etliche moralische Lehren enthalten sind. Man muss halt nur etwas genauer hinsehen, aber das muss man bei Pratchett bisweilen auch.

Und: Piers Anthony fügt jedem Roman ein Nachwort bei. Man erfährt nicht nur, wer von seinen Lesern welches Wortspiel ihm zugeschickt hat, Piers schreibt auch stets über seine persönliche Situation. Das mag heutzutage in den Zeiten von Social Media normal sein, aber in früheren Jahren vor der Erfindung des Internets etwa - diese traurigen, grauen Urzeiten halt - was das etwas Einmaliges. Der Autor öffnete sich gegenüber seinem Publikum und trat mit diesem in den Dialog und erzählte schon mal von schweren Operationen, die er überstanden hatte.

Im nächsten Jahr wird Piers Anthony 84 Jahre alt, der letzte Xanth-Roman ist in diesem Jahr erschienen und im April 2017 gab es eine Meldung von Variety, dass an einem Xanth-Film und einer Xanth-Serie gearbeitet werden würde. 2005 gabs allerdings schon mal Bestrebungen, Xanth fürs Kino aufzubereiten, Wolfgang Petersen war damals im Gespräch. Daraus ist nichts geworden. Es mag sein, dass wir demnächst Xanth auf den Bildschirmen unserer Gerät zu Hause oder auf der großen Leinwand erleben werden. Angesichts der fortgeschrittenen CGI-Effekte sind Zentauren, Greifen, lebende Wolken und Spalten-Drachen nun kein Problem mehr. Es hilft natürlich auch, dass die Romane in sich abgeschlossen sind - ebenso, dass es immer auch Referenzen auf Vergangenes gibt. Schauen wir mal, ob es Xanth auf die große Leinwand schafft. Vielleicht schaffen es dann auch die bisherigen deutschen Romane wieder und den Buchhandel - selbst als eBooks gibts die nicht. Ebensowenig übrigens wie die großartigen "Inkarnationen der Unsterblichkeit" und die "Manta-Trilogie" hätte ich auch ebenso gerne wie die "Tarot"-Reihe... Aber es bringt anscheinend ja kein Geld ein. Bestimmt würde die Dinger auch sonst niemand kaufen. Be-stimmt.

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