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Das Tal des Wurms (2/3)

StoryDas Tal des Wurms
(Teil 2 von 3)

Was bisher geschah:
Im ersten Teil der Erzählung blickt der im Sterben liegende Erzähler James Allison auf seine zahlreichen Inkarnationen seit Anbeginn der Zeit zurück. Besonders über jene als nordländischer Krieger Njörd berichtet er. Diesen verschlägt es auf den Völkerwanderungen seines Stammes bis weit in die hügeligen Dschungel des Südens, wo Njörds blonde, hünenhafte Asen auf einen Stamm der barbarischen Pikten stoßen. Er erzählt über die blutige Schlacht zwischen den beiden Stämmen und speziell über einen Pikten namens Grom, welchen er aus einer Laune heraus in der Schlacht verschont hat. Grom bleibt bis zu seiner Genesung freiwilliger Gefangener der Asen, wird vertraut mit der Kultur und den Gepflogenheiten Njörds Nordmänner, bis er schließlich als selbsterklärter Friedensvermittler zu seinem Stamm zurückkehrt ...

 

Grom ging sodann zurück zu seinen Leuten, und wir vergaßen ihn schnell, außer dass ich bei der Jagd fortan etwas vorsichtiger zu Werke ging, halb erwartend er läge nahbei auf der Lauer, mir einen Pfeil in den Rücken zu jagen. Dann hörten wir eines Tages den Krawall von Trommeln, und Grom tauchte am Rande des Dschungels auf, das Gesicht von seinem typischen Gorillalächeln gespalten, im Schlepptau die zeremoniell bemalten, Tierhäute tragenden und mit Federwerk geschmückten Häuptlinge seines Clans. Unsere Wildheit hatte sie in Ehrfurcht versetzt, dass wir Grom verschont hatten darüber hinaus beeindruckt. Sie konnten Nachsichtigkeit nicht begreifen; es schien ihnen, wir schätzten ihresgleichen offenbar so gering, dass es uns nicht einmal interessierte, sie zu töten, wenn wir einen von ihnen in unserer Hand hatten.     

Also schlossen wir unter viel Tamtam Frieden, legten einen Eid darauf ab, durch vielerlei Rituale und Schwüre, die wir ausschließlich auf Ymir schworen, die kein Ase je brechen würde. Sie hingegen schworen auf die Elemente, und auf das Götzenbild, welches in ihrer Trophäenhütte stand, in welcher immerzu Feuer brannten, und ein verrunzeltes Weib schlug darin die ganze Nacht hindurch auf eine lederbespannte kleine Trommel. Auch noch auf eine weitere Wesenheit schworen sie, zu schrecklich hier genannt zu werden.

Dann setzten wir uns gemeinsam um die Lagerfeuer, nagten Knochen ab, tranken ein feuriges Gesöff, das sie aus wildem Korn brauten, und es nimmt wahrlich Wunder, dass jenes Fest nicht in allgemeinem Massaker endete, weil jener Likör hatte es in sich und ließ Maden sich in unseren Hirnen winden. Doch unser Besäufnis verlief ohne Zwischenfälle, und danach lebten wir in Eintracht neben unseren barbarischen Nachbarn. Sie lehrten uns viele Dinge und erlernten mehr noch von uns. Auch den Umgang mit Eisen zeigten sie uns, den zu erlernen sie der Kupfermangel in jenen Hügeln gezwungen hatte, und sehr bald schon übertrafen wir sie darin.  

Wir bewegten uns ungehindert in ihren Dörfern – Ansammlungen lehmwändiger Hütten, errichtet in Lichtungen auf Hügelkuppen, unter den Schatten der Baumriesen ringsum – und wir erlaubten ihnen, nach Belieben in unsere Lager zu kommen – lose Reihen von Tierhautzelten auf jenem Plateau, das unsere Schlacht gesehen hatte. Unsere jungen Männer hatten für ihre untersetzten, knopfäugigen Frauen nichts übrig, und unsere großgewachsenen, wohlgeformten Mädchen mit ihren blonden Zöpfen zog es nicht hin zu jenen brustbehaarten Wilden. Vertrautheit über einen längeren Zeitraum hinweg hätte wohl die beiderseitige Abscheu gelindert, bis die zwei Rassen zusammengeflossen wären und ein Hybridvolk gebildet hätten; jedoch lange bevor das geschehen konnte, erhoben sich die Asen und zogen ab, verschwanden in den geheimnisvollen Nebeln des heimgesuchten Südens. Aber noch vor diesem Exodus trugen sich jene schrecklichen Ereignisse um den Wurm zu.   

Ich war mit Grom auf der Jagd, und er führte mich in düstere, unbewohnte Täler und Hügel hinan, auf denen die Stille drückend lastete, die noch kein Mensch vor uns je betreten hatte. Ein bestimmtes Tal gab es aber, weit im labyrinthisch unübersichtlichen Südwesten, welches er standhaft mied. Stümpfe zerborstener Säulen, Relikte einer vergessenen Zivilisation standen dort zwischen den Bäumen in der Talsohle. Grom zeigte sie mir, als wir einmal an den Klippen rasteten, die das geheimnisvolle Tal flankierten, doch dort hinabsteigen wollte er nicht, und er redete mir aus, dorthin alleine zu gehen. Nie sprach er offen von der Gefahr, die dort lauerte, doch sei sie größer als Schlangen oder Tiger, größer selbst als jene der trompetenden Elefanten, deren vernichtende Herden gelegentlich aus dem Süden gewandert kamen.

Von allen Tieren und Bestien, erzählte mir Grom in seiner gutturalen Sprache, fürchteten die Pikten wahrhaft nur Satha, die Riesengiftschlange, und sie mieden den Dschungel, wo diese lebte. Doch da war noch ein weiteres Ding, das sie fürchteten, und es stand irgendwie in Zusammenhang mit dem Steinbrockental, wie die Pikten jenes Gebiet der verfallenden Säulen nannten. Vor langer Zeit, als Groms Ahnen zum ersten Mal in dieses Land hier gekommen waren, hatten sie jenes grauenvolle Tal zu betreten gewagt, und ein ganzer ihrer Clans hatte einen plötzlichen, schrecklichen, unerklärlichen Tod gefunden. In Details erging sich Grom glücklicherweise nicht. Der Schrecken war damals irgendwie aus der Tiefe der Erde hervorgekommen, und es war nicht ratsam, davon zu erzählen, da man glaubte, dass es durch das Reden über Es herbeigerufen werden mochte. Was auch immer Es war. 

Überall sonst war Grom aber bereit, mit mir zu jagen; denn er war der geschickteste Jäger unter den Pikten, und unsere Jagderlebnisse waren zahlreich und abenteuerlich. Einmal tötete ich, mit einem Eisenschwert, welches ich mit eigenen Händen geschmiedet hatte, das entsetzlichste aller Raubtiere: den Säbelzahn, den heutige Menschen Tiger nennen, weil er mehr Tiger war als sonst irgendein Biest. In Wirklichkeit war aber fast ebenso viel Bär in seinem Körperbau, bis auf seinen unverkennbar raubkatzenartigen Kopf. Säbelzahn war massiv gebaut, mit einem tiefhängenden, großen und schweren Körper, und seine Art verschwand nur deshalb aus der Welt, weil er einfach ein zu fürchterlicher Kämpfer war, selbst für jenes dunkle Zeitalter. Je weiter sich seine Muskeln und Wildheit fortentwickelten, desto mehr entwickelte sich sein Gehirn zurück, bis schließlich sogar der Instinkt zur Selbsterhaltung verschwand. Die Natur, die immer schon für ihr ganz eigenes Gleichgewicht in solchen Belangen sorgte, ließ ihn aussterben, denn wären seine Macht und Kraft mit einem intelligentem Hirn einher gegangen, er hätte wohl alle anderen Arten des Lebens verschlungen. Er war eine evolutionäre Fehlgeburt, dessen organische Entwicklung durchgedreht war und sich in Reißzähnen und Krallen austobte, in Schlachtung und Zerstörung.  

Ich tötete Säbelzahn in einem Kampf, der für sich allein schon eine Heldensage wert wäre, und noch Monate später lag ich wie im Delirium, mit Wunden so schrecklich, dass selbst die zähesten Krieger nur mit den Köpfen schüttelten. Die Pikten erzählten, dass nie zuvor ein einzelner Mann einen Säbelzahn erschlagen hatte. Ich jedoch erholte mich zur Verwunderung aller.

Während ich an der Schwelle zum Tode lag, gab es eine Abspaltung vom Stamm. Eine friedliche Abspaltung, wie sie regelmäßig vorkamen und zur weiteren Bevölkerung der Welt durch güldenhaarige Stämme beitrugen. 45 junge Männer wählten sich gleichzeitig Bräute und wanderten weiter, ihren eigenen Clan zu gründen. Es gab dabei keinen Aufstand; es war Tradition unserer Rasse, die in allen späteren Zeitaltern Früchte trug, wenn Stämme der gleichen Abstammung sich wieder über den Weg liefen, nach Jahrhunderten der Trennung, und mit fröhlicher Unbekümmertheit einander Hälse abschnitten. Die Tendenz der Arier und Prä-Arier ging immer schon zur Uneinigkeit, zu Clans, die sich vom Hauptstamm abspalteten und verstreuten.

So nahmen diese jungen Männer also, angeführt von meinem Waffenbruder Bragi, deren Weiber und machten sich auf in den Südwesten, wo sie sich im Steinbrockental niederließen. Die Pikten protestierten, machten vage Andeutungen über ein ungeheuerliches Schicksal, das über dem Tale hinge, doch die Asen lachten nur. Wir hatten unsere eigenen Dämonen und bösen Geister in den blauen Eisöden des hohen Nordens hinter uns zurück gelassen, und die Teufel anderer Rassen beeindruckten uns nicht sehr.

Sobald meine vollen Kräfte zu mir zurückgekehrt und von den schrecklichen Wunden nichts mehr als Narben geblieben waren, schnallte ich meine Waffen um und schritt über das Plateau, Bragis Clan zu besuchen. Grom begleitetet mich dabei nicht. Er war schon seit einigen Tagen nicht mehr im Asenlager gewesen, aber ich kannte ja den Weg. Noch gut erinnerte ich mich jenes Tales, von dessen Klippen ich hinabgeschaut und den See an dessen oberem Ende, sowie eine Ansammlung von Bäumen, die sich gen unterem Ende hin zu einem Wald verdichteten, gesehen hatte. Die Seiten des Tales bildeten hohe, steile Klippen, und breite Felsgrate an jedem Ende trennten es vom umliegenden Land ab. Es war nahe des unteren, südwestlichen Endes, wo der Waldboden mit jenen Ruinen übersät war, manche der Säulen turmhoch wie die Bäume umher, andere umgestürzt zu Trümmerhaufen flechtenüberzogener Steinriesen. Einst erbaut von einer Rasse, deren Identität niemand mehr kannte. Aber Grom hatte verängstigende Andeutungen gemacht, über eine behaarte, affenartige Ausgeburt, die unter vollem Monde zu den dämonischen Klängen furchteinflößender, wahnbringender Melodei widerwärtige Tänze aufführte.   

Ich überquerte also das Plateau, auf welchem wir unser Lager aufgeschlagen hatten, stieg den Abhang hinab, durchquerte ein flaches, von Vegetation erdrücktes Tal, stieg die jenseitige Böschung hinan und machte mich auf in die Hügel. Ein halber Tag gemächlicher Reise brachte mich an den Felsgrat, zu dessem Fuße sich das Steinbrockental auftat. Seit vielen Meilen schon hatte ich keinerlei Spur menschlichen Lebens mehr gesehen. Die Siedlungen der Pikten lagen alle beträchtlich weiter östlich. Bis ganz an den Rand der Klippen trat ich und schaute hinab in das unwirkliche Tal mit seinem still ruhenden, blauen See und den zerborstenen Säulen, die durch das Blätterdach der Bäume stießen. Ich hielt Ausschau nach Rauchfahnen der erwarteten Lagerfeuer, sah aber keine. Was ich sah, waren Geier, die am Himmel über einer Ansammlung Zelte am Seeufer ihre Kreise zogen. 

Vorsichtig machte ich mich an den Abstieg und näherte mich dem totenstillen Lager. Dort hielt ich inne, erstarrt vor Grauen. Ich war nicht nahe am Wasser gebaut. Ich hatte den Tod geschaut, hatte an entsetzlich roten Massakern teilgenommen und diese überlebt, wo Blut wie Wasser geflossen war und sich die Leichen am Boden türmten. Doch hier wurde ich konfrontiert mit organischer Vernichtung eines so abstoßenden Ausmaßes, wie es gereichte selbst mich ins Wanken zu bringen. Von Bragis jungem Clan hatte niemand überlebt, und kein einziger Leichnam war ganz geblieben. Ein paar Zelte standen noch, die meisten anderen lagen flach auf der Erde zertrümmert, als ob ein riesiges Gewicht sie zerquetscht hätte, sodass ich zuerst vermutete, eine Herde Elefanten wäre über das Lager gestampft. Aber selbst Elefanten verursachten nicht solche Zerstörung, wie ich sie am blutgetränkten Boden um mich herum verstreut fand. Das Lager glich einer Schlachtbank, überall lagen Brocken von Menschenfleisch und Körperteile – Hände, Füße, Köpfe, menschliche Bruchstücke. Waffen lagen verstreut herum, so manche davon befleckt mit grünlichem Schleim, erinnernd an das, was aus einer Raupe quoll, wenn man diese zwischen den Fingern zerquetschte. 

Kein menschlicher Feind konnte so eine schreckliche Gräueltat verübt haben. Ich blickte auf den See hinaus, fragte mich, ob unbenennbare amphibische Ungeheuer aus jenen ruhigen, tiefblauen Wassern unbekannter Tiefe an Land gekrochen waren. Dann erblickte ich einen Abdruck, den der Zerstörer hinterlassen hatte. Es war eine Fährte, wie sie ein gigantischer Wurm hinterlassen musste, mehrere Meter breit, sich durchs ganze Tal zurück windend. Das Gras war flachgedrückt, wo die Spur verlief, Sträucher und kleinere Bäume waren umgeknickt und in die Erde gepresst, und alles war verschmiert mit Blut und grünlichem Schleim.

Mit Berserkerwut in meiner Seele zog ich mein Schwert und begann der Fährte zu folgen, als ich einen Ruf vernahm. Ich drehte mich um und sah eine stämmige Gestalt von den Klippen auf mich zukommen. Es war Grom der Pikte, und wenn ich der Courage gedenke, die ihm das Überkommen der ihm anerzogenen Instinkte abverlangt haben musste, all die Lehren seines Volkes, deren Überlieferungen und seine persönlich gemachten Erfahrungen zu überwinden, erkenne ich erst das volle Ausmaß seiner Freundschaft zu mir.

Am Seeufer hockend, Speer fest in Händen, erzählte Grom mir vom Schrecken, der im Mondlicht über Bragis Clan gekommen war, während seine schwarzen Augen stetig in ängstlicher Bewegung blieben und die Waldränder im Tal absuchten. Doch zuvor erzählte er mir noch, was seine Vorfahren ihm vom Schrecken des Steinbrockentals überliefert hatten.    

Vor langer Zeit hatte es die Pikten von weit aus dem Nordwesten hierher verweht; nach langer, langer Wanderung erreichten sie diese dschungelüberwucherten Hügel, wo sie sich, des Weiterwanderns müde, aufgrund des hiesigen Reichtums an Früchten und Beutetieren und der Abwesenheit feindlicher Stämme dazu entschieden, hier ihre Lehmhüttendörfer zu gründen.

Einige aus ihren Reihen, ein ganzer Clan jenes zahlreichen Stammes, siedelte sich im Steinbrockental an. Sie fanden die Säulen, weiter drin im Wald entdeckten sie auch einen verfallenen großen Tempel, und in jenem Tempel gab es weder Schrein noch Altar, sondern den Mund eines Schachts, der tief in die dunkle Erde hinab führte, welcher keinerlei Stufen aufwies, wie Menschen sie zur Benutzung des Schachts erbaut und verwendet hätten. Sie gründeten also ein Dorf, hier in diesem Tale, doch im Mondlicht der Nacht kam das Grauen über sie und hinterließ nichts als zertrümmerte Mauern und schleimverschmierte Brocken Menschenfleisches.   

In jenen Tagen fürchteten die Pikten nichts und niemanden. Die Krieger ihrer anderen Clans versammelten sich, sangen Kriegslieder, tanzten Kriegstänze und folgten der breiten Spur von Blut und Schleim hin bis zum Munde des Schachts im Tempel. Herausfordernd brüllten sie hinab, rollten Felsbrocken hinein, deren Aufprallen am unteren Ende nie erklang. Dann begann eine dünne, dämonische Melodie, und hervor aus dem Loch stolzierte eine hässliche, anthropomorphe Gestalt, die zu den seltsamen Klängen tanzte, die aus der Pfeife drangen, welche sie in ihren monströsen Händen hielt. Der schreckliche Anblick jener Gestalt ließ die kämpferischen Pikten verwundert innehalten, und knapp hinter ihr schob und hob sich eine riesige weiße Masse aus der unterirdischen Dunkelheit empor. Heraus aus jenem Schacht kroch ein sabbernden Wahn bringender Nachtmahr, in welchen sich flugs Pfeile bohrten, ohne Wirkung zu zeigen, welchen Piktenschwerter zu ritzen aber nicht zu erschlagen vermochten. Geifernd wälzte er sich über die Pikten, zerquetschte sie zu purpurnem Brei, riss sie in Stücke, wie es ein Oktopus mit kleinen Fischen machen würde, saugte ihr Blut aus den verstümmelten Körpern, verschlang sie noch während sie schrien und sich zu wehren versuchten. Die Überlebenden flüchteten, wurden verfolgt hin bis zu ebenjenen Klippen am Rande des Steinbrockentals, welche empor das Monster seine bebende Riesenmasse offenbar nicht hieven konnte.     

Nach diesem Vorkommnis getrauten sie sich nie wieder in jenes stille Tal. Doch die Geister der Toten kamen zu ihren Schamanen, besuchten alte Männer in deren Träumen und erzählten ihnen seltsame und schreckliche Geheimnisse. Sie sprachen von einer uralten Rasse Halbmenschen, die einst jenes Tal bewohnten und jene Säulen errichteten, aus ihren ganz eigenen, unerklärlichen Beweggründen. Das weiße Monster in der Tiefe war ihr Gott, herbeigerufen aus den von ewiger Nacht umfassten Abgründen der mittleren Erdschichten, unzählbar viele Klafter weit unter dem Waldboden. Jenes dicht behaarte, menschenähnliche Wesen hingegen war geschaffen als dessen Diener zu wirken, und war ein eigentlich formloser Elementargeist, den sie aus tiefsten Tiefen herauf beschworen und mit Fleisch umhüllten – organisch zwar, aber sich dennoch dem Verständnis eines Menschen entziehend. Die ALTEN waren längst wieder in dem Limbo verschwunden, aus welchem sie in den schwarzen Anfängen des Universums gekrochen waren, doch ihre bestialische Gottheit und deren unmenschlicher Sklave lebten immer noch. Und doch waren sie beide aus Fleisch und Blut, in gewisser Weise, und also verwundbar, wenngleich keines Menschen Waffe sich bisher als mächtig genug erwiesen hätte, sie zu erschlagen. 

Bragi und sein Clan hatten schon wochenlang in dem Tal gesiedelt, bevor der Schrecken zuschlug. Erst in der vergangenen Nacht war Grom, der über den Klippen auf der Pirsch gewesen war, was an sich schon Mut erfordert hatte, wie gelähmt gewesen, als er schrilles, dämonisches Flötenspiel und danach wildes Gezeter und menschliche Entsetzensschreie vernommen hatte. Bäuchlings flach ausgestreckt, seinen Kopf in einem Grasbüschel verbergend, hatte er sich lange nicht zu rühren gewagt, selbst als das Gekreische erstarb und unterging in widerwärtig sabbernden Geräuschen eines scheußlichen Mahls. Mit Anbruch der Morgendämmerung war er zitternd zu den Klippen gekrochen, hinab in das Tal zu schauen, und der Anblick der Verwüstung, selbst aus solcher Ferne betrachtet, hatte ihn jammernd weit in die Hügel zurück fliehen lassen. Aber schlussendlich kam es ihm in den Sinn, dass er den Rest des Stammes warnen musste, und auf seinem Rückweg hin zum Lager auf dem Plateu hatte er mich entdeckt, als ich gerade das Tal betrat. 

All dies erzählte Grom, während ich dasaß und in düsteres Grübeln verfiel, mein Kinn auf meiner mächtigen Faust. Ich vermag nicht, das Zusammengehörigkeitsgefühl im Clan, welches in jenen Tagen lebendiger und lebensnotwendiger Teil jedes Mannes und jedes Weibes war, in moderne Worte zu fassen. In einer Welt, wo alles Klaue und Reißzahn gegen einen erhob, und alle die Hand gegen einen erhoben, außer er gehörte zum Clan, war dieser Stammesinstinkt der Zusammengehörigkeit noch so viel mehr als die leere Worthülse, die er heute ist. Er war genauso Teil eines Mannes wie sein Herz oder seine rechte Hand. Dies war notwendig, denn nur derart verschworen in unzertrennbare Gruppen war es den Menschen möglich gewesen, unter den schrecklichen Gegebenheiten einer primitiven Welt überhaupt zu überleben. Folglich ging nun meine persönliche Trauer für Bragi und die anderen strammen jungen Männer und die lachenden, hellhäutigen jungen Frauen unter in einem bodenlosen Meer der Trauer und Wut, die von kosmischer Tiefe und Intensität waren. Ergrimmt saß ich da, während der Pikte unruhig neben mir hockte, und sein Blick wanderte von mir zu den drohenden Tiefen des Tales, wo die verfluchten Säulen unter dem windbewegten Blätterdach aufragten wie verfaulte Zähne im Munde einer alten Vettel.

Ich, Njörd, war keiner, der seinen Verstand übermäßig strapazierte. Ich lebte in einer körperlichen Welt, und dann gab es ja noch die Alten meines Stammes, die das Denken für mich übernehmen konnten. Doch war ich nun mal einer Rasse angehörig, welcher es bestimmt war, nicht nur körperlich sondern auch geistig zu dominieren, und selbst ich war weit mehr als bloß muskulöses Tier. Wie ich also dasaß, überkam mich zuerst nebelhaft, schnell klarer werdend, ein gewagter Plan, der meinen Lippen einen kurzen, harten Lacher entriss.

Ich stand auf, bat Grom mir behilflich zu sein, und wir errichteten am Seeufer einen Scheiterhaufen aus getrocknetem Holz, den Stangen zerstörter Zelte und zerbrochenen Speeren. Hernach trugen wir die grausigen Fragmente zusammen, die einst zu Bragis Gruppe gehörten, legten sie auf den Scheiterhaufen und bemühten Feuerstein und Stahl, sie zu entzünden.

Der dichte, traurige Rauch wand sich in den Himmel wie eine Schlange, und irgendwann wandte ich mich zu Grom um, ihn ersuchend, er möge mich zu dem Gebiet führen, wo jener andere, geschuppte Schrecken hauste, den er Satha die Riesengiftschlange nannte. Grom gaffte mich an; selbst die talentiertesten Jäger der Pikten machten einen großen Bogen um die Mächtige Kriechende. Doch mein Wille war wie ein Sturm, der ihn vor mir her wehte, und schließlich zeigte er mir den Weg. Wir verließen das Tal über dessen oberes Ende, überquerten den Bergrücken, umgingen die hohen Klippen und tauchten ein in den Dschungeltrutz des Südens, wo nur Bestien lebten, keine Menschen. Tief in den Dschungel hinein gingen wir, bis wir eine tiefgelegene Gegend erreichten, feucht und dunkel unter den rankenüberwucherten Bäumen, wo unsere Füße tief im schwammigen Schlick versanken, auf dem ein Teppich verrottender Vegetation lag, unter welchem Schleim hervor quoll, wenn man darauf trat. Dies, so sagte mir Grom, sei das Reich, über welches die Riesengiftschlange Satha gebot.

Lasst mich über Satha sprechen. Weder gibt es mit ihr Vergleichbares in unserer heutigen Welt, noch hat es solches seit zahllosen Zeitaltern gegeben. Gleich dem fleischfressenden Dinosaurier, gleich dem alten Säbelzahn, war sie schlicht zu fürchterlich, existieren zu können. Selbst in jener Zeit war sie Überbleibsel eines grimmigeren Zeitalters, als das Leben und dessen Formen noch grobschlächtiger und widerlicher waren. Damals gab es nur mehr wenige ihrer Art, obwohl sie im stinkenden Schlamm der Dschungelsümpfe noch weiter südlich in etwas größerer Zahl existiert haben mochten. Satha war größer als jeder Python unserer heutigen Zeit es ist, und ihre Zähne trieften Gift tausendmal tödlicher als jenes der Königskobra.   

Sie war niemals von den Pikten reiner Rasse angebetet worden, aber die Schwarzen, die später hierher kamen, vergötterten sie, und diese Verehrung hielt sich auch in der Hybridrasse, die aus den Negern und deren weißen Eroberern hervor ging. Anderen Völkern jedoch wurde sie zum Inbegriff des schrecklich Bösen, und Geschichten über Satha verdrehten sich in Dämonologie; folglich wurde aus ihr in späteren Zeitaltern der wahre Teufel der weißen Rassen, wie etwa die Stygier sie zuerst anbeteten, um sie dann, als jene zu Ägyptern wurden, unter dem Namen Seth zu verabscheuen, wohingegen sie für die Semiten zu Leviathan und schließlich Satan wurde. Sie verbreitete genug Schrecken, um wahrhaft eine Gottheit zu sein, denn sie war der kriechende Tod selbst. Einst hatte ich einen Elefantenbullen aus dem Stand tot umfallen sehen, nur durch Sathas Biss. Ja, ich hatte sie schon einmal erspäht, wie sie sich kriechend ihren Weg des Schreckens durch den dichten Dschungel gebrochen hatte, wie sie Beute gerissen hatte, doch nie hatte ich auf sie Jagd gemacht. Zu grauenvoll war sie gewesen, selbst für den Erleger des alten Säbelzahn. 

Aber nun machte ich Jagd auf sie, bahnte mir meinen Weg weiter und weiter in ihren Dschungel hinein, sogar dann noch, als selbst alle Freundschaft Groms zu mir ihn nicht weiter mitkommen ließ. Er drängte mich dazu, Kriegsbemalung aufzutragen und mein Totenlied anzustimmen, bevor ich weiterschritt, doch ich strebte voran ohne darauf Rücksicht zu nehmen.

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