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Das Alp-Traumhaus (Rats in the Belfry) - Teil 1

StoryDas Alp-Traumhaus
(Rats in the Belfry) Teil 1 von David Wright O'Brien

Damals, Anfang '43, stürmte ein gewisser Stoddard in mein Büro. Dieser Typ war einer der schwierigsten Kunden, mit denen ich je zu tun hatte. Auf den ersten Blick würdest du sagen: typischer sanfter Vorort-Hausbesitzer, der sich sechs Tage in der Woche abrackert und am siebenten seinen Rasen wässert. Physisch jedenfalls war er die Inkarnation des durchschnittlichen amerikanischen Spießers. Glatze, Mitvierziger, Brille auf, kleiner Vorbau.

Kurz, denk ihn dir wie die meisten meisten Bürohengste in seinem Alter, und du hast ein wunderbares Prachtstück von Beamten, die Sorte, die du in jeder Witzzeichnung mit Thema „Vorstadt“ sehen kannst.

Bloß, worauf ich hinaus will, ist: dieses ganze Stoddard-Äußere war ziemlich täuschend. Er war die Sorte Kunde, die wir in unserer Bauunternehmer-Branche als eine Kombination aus Klugscheißer und Exzentriker bezeichnen.

Als er und seine Frau mit ihren Plänen für ihr Haus kamen, das sie in Mayfairs zweitem Viertel gebaut haben wollten, waren sie voller Ideen. Präziser Ideen. Genaugenommen wußten sie exakt, was sie haben wollten.

Dieser Stoddard – sein voller Name war George B. Stoddard – hatte penibel auf über zwanzig Blättern Zeichenpapier seine Visionen aufgepinselt. Die durchgeknalltesten Visionen, die du je gesehen hast.

„Diese Entwürfe sind jetzt nicht grade auf den Millimeter genau, Mr. Kermit“, hatte dieser Stoddard eingeräumt. „Ich behaupte ja auch nicht, ein Top-Architekturzeichner zu sein. Aber meine Frau und ich haben schon seit Jahren einige...Ideen, und diese Zeichnungen sind das stolze Ergebnis jahrelanger Tüftelei.“

Ich schaute bißchen angefressen auf diese „Pläne“. Das Haus, das sie da haben wollten, war die Kombination aus so ziemlich allen architektonischen Alpträumen, die der Menschheit bekannt sind. Es war die Sorte von Behausung, die sich ein respektabler Bauunternehmer ausmalen würde – wenn er am Malariafieber starb.    

Ich konnte ihre Blicke spüren, als ich ihre Traumhausentwürfe durchging. Sie beobachteten mich auf das erste Zeichen von Mißfallen, Amüsement oder Abscheu hin. Sie lagen auf der Lauer, um sich ihre „Pläne“ zu schnappen und aus meinem Büro zu stolzieren, sollte ich derartige Symptome zeigen.

„Hmmmmm...Ummmmm...“ murmelte ich unverbindlich.

„Was halten Sie davon, Kermit?“ wollte Stoddard wissen.

Ich hatte so eine Ahnung, dass sie zuvor bei andren Bauunternehmern vorbeigeschaut hatten. Bauunternehmern, die taktlos genug waren, sie unverschämterweise zu bitten, ihr Glück woanders zu versuchen.

„Sie, äh, haben da etwas...entschieden...Unübliches im Sinn, Mr. Stoddard“, antwortete ich ausweichend.

„Genau.“ nickte er. „ Das ist unser Traumschloß.“

Ich schauderte bei dieser Formulierung. Wenn Du Eiscreme, saure Gurken, Hering und Bier verquirlst und dich nach dem Genuß ein Stündchen aufs Ohr haust – könnte so ein Traumschloß bei rauskommen.

„Das, ähm, würde...ein etwas andrer Auftrag sein als sonst“, krächze ich. „Das ist nicht grade üblich, was Sie sie hier...entworfen haben.“

„Weiß ich“ bekannte Stoddard stolz. „Und ich bin durchaus bereit, die spezielle Zusatzarbeit gut zu bezahlen, die zweifellos beim Bau erforderlich sein wird.“

Das war natürlich was anderes. Und möbelte mich etwas auf.

„Ich müßte diese Pläne von meinen eigenen Zeichnern überprüfen lassen, bevor ich endgültig eine Einschätzung abgeben kann, ob das Projekt umsetzbar ist “, sagte ich ihm.

George B. Stoddard wandte sich zu seiner Frau um.

„Ich habs dir gesagt, Laura,“ dröhnte er, „früher oder später werden wir einen Unternehmer finden – einen Mann mit Geist und Vorstellungskraft!“

II
Dann folgte zweimonatiges Feilschen zwischen Stoddard und meinen Zeichnern, bevor wir damit anfangen konnten, die Horrorvision in die Realität umzusetzen, den mein Kunde sein „Traumschloß“ nannte. Zwei Monate Feilschen mit dem Versuch, Stoddard dazu zu bringen, auf wenigstens ein paar von seinen bizarren Ideen zu verzichten. Doch er gab keinen Zoll nach, und zu der Zeit, als wir das Fundament für seinen Traumschuppen legten, war auch jede einzelne Original-Schrulle aus seinen „Plänen“ fest in unsren Arbeitsablauf einzementiert.

Ich wurde von verdächtig vielen anderen Bauunternehmern der Gegend böse aufgezogen, nachdem sie spitzbekamen, dass ich Stoddards Haus baute. Wie es schien, war er vorher bei jedem einzelnen von ihnen gewesen.

Doch das Gespött machte mir nicht viel aus – damals jedenfalls noch nicht. Denn auch wenn Stoddard uns alle damit nervte, dass er den ganzen Tag wie ein paranoider Bussard auf der Baustelle herumflatterte, um zu kontrollieren, dass auch alle seine „Ideen“ eins zu eins in die Tat umgesetzt wurden, stellte er doch hübsch brav einen großen Scheck nach dem andern aus.

Er hatte ja gesagt, dass er sich nicht lumpen lassen würde, sollten im Kielwasser seiner bekloppten Konstruktionsvisionen irgendwelche Probleme auftauchen, und ich muß sagen, er mag ein Faß voller Fehler gewesen sein, doch geizig war ein nicht. Der Zaster floß in Strömen.

Also finanziell ging's mir jedenfalls blendend, danke der Nachfrage. Aber mental...naja, es gab Zeiten, da hätte ich die Grundrisse lieber mit Dracula diskutiert.

Um es offen auszusprechen – der Typ hatte keinen blassen Schimmer von Architektur oder Konstruktionsgesetzen. Natürlich nicht. Er wußte einfach nur, was er haben wollte. Bei Gott, wußte er, was er haben wollte!

„Das Layout vom Keller-Heizkessel ist nicht so wie auf meinen Plänen!“ knurrte er mich einmal wütend am Telefon an.

„Aber es weicht nicht groß vom Original ab“, flehte ich. „Ganz nebenbei, so wie er jetzt ist, entspricht er auch den Bauvorschriften.“

„Es muß doch menschenmöglich sein, eine Sache so zu machen, wie ich sie geplant habe!“

„Ähm...Ja. Aber aus Sicherhei...“

„Dann machen Sie es so wie geplant!“ schnaubte er und legte auf. Und natürlich haben wir es dann so gemacht, wie es geplant war.

Die Bauarbeiter waren ein weiteres Problem. Sie begannen bald die Schnauze voll davon zu haben, dass Stoddard ihnen ständig zwischen den Beinen rumlief und Anweisungen trompetete, die im Gegensatz zu jeder geistig gesunden Urteilsfähigkeit und zum guten Geschmack standen.

Doch trotz allem machte die Monstrosität Fortschritte.

Stell dir vor: Ein gigantisches Iglu, vorn verziert mit römischen Säulen, wie man sie vor vielen alten Südstaaten-Anwesen findet, gekrönt von Giebeln in der Mode des 18. Jahrhunderts. Ergänze noch zwei Flügel in einer Kombination aus früher mexikanischer Bauweise und arabischen Moscheen-Stil, und du hast eine grobe Vorstellung, wie das Ding aussah. Die Leute kamen von meilenweit her, um sich das Haus auszusehen, nachdem die Arbeiter gegangen waren.

Aber die Stoddards waren begeistert. Sie waren begeistert von dieser Scheußlichkeit wie ein paar Kinder, die ein Tarzan-Baumhaus zusammengehämmert hatten. Und die Bonus-Gelder für die „zusätzlichen Probleme“ taten mir auch nicht weh.

Ich werde nie den Tag vergessen, als wir den Glockenturm vollendeten, der den Moloch krönte. Ja, du hast richtig gehört. Ein Glockenturm. Die Sorte, die du auf kleinen ländlichen Kirchen und Schulgebäuden sehen kannst. Aber dieser hier war natürlich auch ein bißchen – anders.

Die Stoddards waren rausgekommen, um dem feierlichen Moment der Vollendung ihres Traumhauses beizuwohnen.

Ich war fast genauso glücklich wie sie, denn dieser Augenblick war ein Symbol für das Ende fast aller meiner Sorgen.

Als wir da so zusammen rumstanden und zuschauten, kam mein Vorarbeiter zu uns rüber.

„Wolln' Sie eine Glocke in ihren Glockenturm?“ fragte er.

George Stoddard sah ihn an, als wäre er nicht ganz dicht.

„Wozu denn?“ fragte er zurück.

„Na, damit man den Gockenturm benutzen kann!“

„Machen Sie sich nicht lächerlich!“ schnaubte Stoddard. „Es ist völlig ausreichend für uns, ihn anzugucken!“     

Als der Vorarbeiter kopfschüttelnd abmarschiert war, wandte ich mich zu den Stoddards.

„Tja, jetzt ist es gleich soweit“ meinte ich. „Zufrieden?“

Stoddard strahlte. „Sie haben keine Ahnung, Mr. Kermit“, sagte er feierlich, „was für ein überwältigender Moment das ist – für meine Frau und mich.“

Ich schaute zur dröge lächelnden Laura Stoddard. Nach dem Glanz in ihren Augen zu urteilen, schien Stoddard zu meinen, was er sagte. Dann blickte ich nach dem Glockenturm und schauderte.

Wie ich schon angedeutet habe, suchte auch dieser Glockenturm seinesgleichen und war von einer Sorte, die noch keines Menschen Auge bisher erschaut hatte. Er schraubte sich auf sonderbare Weise in einem Labyrinth geometrischen Wahnsinns in die Höhe, ein berechneter Fiebertraum, der zwar Methode hatte, aber keine Vernunft.  

Wenn ich mir das Ganze so ansah, so machte die Spitze dieses Irren-Hauses den Eindruck eines grotesk aufgeklatschten Kirsch-Toppings, sie wirkte wie die Schlagsahne auf einem Fruchteis des Grauens, zusammengerührt von einer neurotischen Eismaschine. Ein hübscher Gesamteindruck.

Stoddards Stimme durchbrach meine ziemlich flauen Gedankengänge.

„Wann können wir einziehen?“ fragte er gespannt.

„In der zweiten Hälfte der nächsten Woche“, versicherte ich ihm. „Wir sollten bis dahin mit allem durch sein.“

„Gut!“ dröhnte Stoddard. „Wundervoll!“ Er legte seinen Arm um seine Frau, und die beiden begafften starren Auges ihr neues Heim. Irgendwie ließ mir dieser Anblick einen Kloß in die Kehle steigen, wie sie da so standen, glückselig und umschlungen. Der Kloß rutschte hastig die Kehle wieder hinunter, als mir klar wurde, worauf sie starrten.

„Ach, übrigens“, sagte ich nonchalant im Glauben, nun wäre ein guter Moment, um sie an eine bestimmte Idee zu gewöhnen, „die äh... etwas ungewöhnliche Konstruktion des Hauses wird es nötig machen, von Zeit zu Zeit ein paar Dinge zu kontrollieren und nachzubessern. Sie erinnern sich hoffentlich, dass ich das schon am Anfang der Planung gesagt habe?

Stoddard nickte und tat die Bemerkung gelassen als Bagatelle ab.

„Klar erinnere ich mich, dass Sie irgendwas in dieser Richtung erwähnt haben. Ich werde Sie nicht für ein paar kleine Reparaturen verantwortlich machen, die dieses einzigartiges Bauwerk vielleicht später benötigt.

„Danke“, gab ich trocken zurück. „Ich wollte nur sichergehen.“

III
Die Stoddards zogen in dem Moment ein, als der letzte Handschlag an ihrem Traummonster getan war. Ich bezahlte meine Leute, schaufelte einen hübschen Profit auf mein Konto und ging zurück an die Arbeit, um wirkliche Häuser zu bauen. Ich dachte, meine Probleme mit den Stoddards wären Vergangenheit.

Aber – natürlich! - lag ich falsch.

Er war ein voller Monat, nachdem die Stoddards in ihr Irrenhaus eingezogen waren, als ich den ersten empörten Telefonanruf von George B. Stoddard erhielt.

„Mr. Kermit“, schnauzte die wütende Stimme am anderen Ende, hier ist George B. Stoddard!“

Ich zuckte beim Namen und der nur allzu vertrauten Stimme zusammen, doch ich zwang mich zu einem freundlichen Jubelruf.

„Wie schön, Mr. Stoddard“ drötete ich, „Wie geht’s ihnen und der Gemahlin denn so in Ihrem Traumschloß?“

„Genau deshalb“, knirschte George B. Stoddard, „rufe ich an. Wir haben ziemlich große Schwierigkeiten mit einigen Aspekten der Bauweise, für die Sie verantwortlich sind!“

„He, Moment mal!“ setzte ich an, „Ich dachte, wir hätten uns drauf geeinigt, dass...“

„Wir hatten uns darauf geeinigt, dass man von Zeit zu Zeit mit kleineren Reparaturen rechnen muss, die den Bauplänen geschuldet sind“, unterbrach mich Stoddard harsch. „Weiß ich.“

„Wo liegt dann das Problem?“

„Das Haus ist rattenverseucht!“ heulte Stoddard dramatisch in den Hörer.

„Ratten?“ echote ich.

„Genau die.“

„Aber das ist unmöglich“, protestierte ich. „Das ist ein nagelneues Haus, und Ratten pflegen nicht in...“

Stoddard unterbrach mich erneut. „Mir egal, was Ratten pflegen. Wir haben welche da, und das ist ganz allein Ihre Schuld!“

„Wieso soll das meine Schuld sein?“ Ich wurde jetzt auch ein klitzekleines bißchen säuerlich.

„Weil es nicht meine Schuld ist. Die von meiner Frau auch nicht. Und das Haus ist, wie Sie selbst grade so schön bemerkten, nagelneu.“

„Also jetzt hören...“ fing ich an.

„Ich verlange, dass Sie sofort hier rauskommen und sich das ansehen!“ tobte Stoddard.

„Ansehen? Haben Sie eine gefangen?“

„Ähm, nein.“ gab Stoddard zu. Aber...

Diesmal war ich dran mit Dazwischengrätschen.

„Woher wissen Sie dann, dass es Ratten sind?“ fragte ich triumphierend.

„Weil“, - Stoddard schrie jetzt fast -, „weil ich sie hören kann! Und meine Frau hört sie auch!“

Daran hatte ich nicht gedacht.

„Oh!“ sagte ich. „Okay.“ Ich legte auf und suchte meinen Hut. Diese Visite würde kein Zuckerschlecken werden, das wußte ich. Aber zum Teufel, ich mußte zugeben: Wenn Stoddard und seine Frau Geräusche hörten, die wie Ratten klangen, war das ein berechtigter Grund zur Klage. Denn ich hatte die Bauleitung gehabt, und kein noch so durchgeknalltes Design des Gebäudes konnte das Vorhandensein von Ungeziefer erklären.

Beide Stoddards empfingen mich an der Tür, als ich zum Mayfair-Bezirk rausfuhr, in der ihr Monstrum stand. Als sie mich in ihr Wohnzimmer führten, bekam ich eine hübsche Vorstellung davon, wie ihre Inneneinrichtungs-Visionen beschaffen waren. Sie wichen nicht groß von den andern ab. Natürlich nicht. Das Ganze war eine wilde Mischung von Gerümpel aus allen Teilen der Welt, das sie überall im Haus möglichst unvorteilhaft verteilt hatten.   

Sie führten mich vorbei an einem frühen amerikanischen Bibliothekstisch hin zu einem niedrigen marokkanischen Sofa. Beide zogen sich Stühle mit französischem und holländischem Design heran.

Mich so umzingelt fühlend von einem kleinen Kreis empörter Kunden, begann ich meinen Hut in den Händen zu drehen, und starrte unbehaglich auf meine Umgebung.

„Hübsch haben Sie's hier“, bemerkte ich.

„Wissen wir“, erklärte Stoddard und übersprang die Banalitäten. „Kommen wir doch sofort zur Sache.“

„Zu den Ratten?“

„Zu den Ratten.“ wiederholte Stoddard. Seine Frau nickte empathisch.

Stille. Einige Minuten verstrichen wohl so. Ich räusperte mich.

„Ähem. Ich dachte, Sie...“

„Schschsch!“ zischte Stoddard. „Ich will, dass Sie da sitzen und die Geräusche hören, so wie wir sie gehört haben. Dann können Sie Ihre eigenen Schlüsse ziehen. Ruhe, bitte.“

Also sagte ich kein Wort mehr. Und meine Gastgeber auch nicht. Wir saßen da wie Delegierte eines Stummen-Kongresses, die zu müde waren, ihre Hände zu benutzen. Diesmal wirkte die Stille sogar noch unheilvoller.

Mehrere Minuten mußten verstrichen sein, bevor ich sie hören konnte – die Geräusche. Ich nahm sie erst spät bewußt wahr, weil ich das typische Kratzen von Rattenfüßen erwartet hatte und nicht vorbereitet war auf das, was ich dann wirklich zu hören bekam.

Mr. und Mrs. Stoddard hatten ihren Kopf seitwärts geneigt, und sie starrten mich intensiv an, auf ein Zeichen wartend, dass ich die Geräusche identifizierte.

Zunächst schien das Rumoren ganz fern zu sein...verschwommen sozusagen, wie ein fast unhörbares Knattern von Radio-Statik. Dann, als ich meine Ohren darauf konzentrierte, begann ich leise Quieker wahrzunehmen und kurze, scharfe Sprotzer, etwa wie das entfernte Ploppen von kleinem Tischfeuerwerk.

Ich schaute zu den Stoddards.

„Okay“, gab ich zu. „Ich höre die Geräusche. Scheinen von irgendwo hinter den Wänden zu kommen“.

„Hab ichs Ihnen nicht gesagt?“ Stoddard sah selbstzufrieden und triumphierend drein.

„Aber das sind keine Ratten,“ setzte ich nach. „Ich kenne die Geräusche, die Ratten machen. Und das hier sind keine Ratten-Geräusche.“

Stoddard setzte sich kerzengrade auf. „Was?“ fauchte er aufgebracht, „Sie sitzen da herum und wollen mir ernsthaft einreden...“

„Will ich“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Haben Sie jemals Ratten-Geräusche gehört?“

Stoddard blickte seine Frau an. Beide warfen ihre Stirnen in Falten. Und blickten zu mir zurück.

„Naja...nein...“ gab er zögernd zu. „Jedenfalls nicht, bevor wir diese Ratten hier bekommen haben. Davor hatten wir noch nie welche.“

„Und so haben Sie sich eben mal schnell überlegt, tja, das klingt wie Ratten,“ bohrte ich nach, „ohne auch nur im entferntesten zu wissen, wie sich eine Ratte anhört?“

Stoddard stand aprupt auf. „Aber verdammt noch mal“, explodierte er, „wenn es keine Ratten sind – was ist es dann?“

Ich zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung“, gab ich zu. „Es klingt, als würde es durch irgendwelche Röhren verstärkt. Vielleicht sollten wir das Haus absuchen, vom Keller zum Dachboden, wie man so schön sagt, was?“

Stoddard überlegte eine Minute. Dann nickte er. „Klingt vernünftig“, räumte er ein.

Ich folgte dem Amateur-Desinger und Besitzer eines stolzen Irrenhauses in den Keller. Dort begannen wir die ausführliche Suche nach der Quelle der Geräusche. Er schnippte den Lichtschalter an, und ich blickte mich um. Der Kessel und alles andere waren noch ganz richtig da, wo ich es in Erinnerung hatte – an der falschen Stelle.

Da stand eine Anzahl von versiegelten 20-Liter-Kanistern herum, schön aufgereiht unter dem Kessel. Ich tippte auf einen von ihren und fragte, was das für Zeug sei.

„Benzin“, erklärte er.

„Verdammt ungünstiger Ort dafür.“

Ein mir vertrautes Glimmen erschien in Stoddards Augen.

„Die Dinger stehen genau da, wo ich sie haben will“, knurrte er.

„Schönschön. beschwichtigte ich. „Lassen Sie es bloß nicht einen von diesen Versicherungsfritzen sehen.“

Wir stocherten noch eine Weile im Keller herum, doch schließlich, als wir nichts fanden, was auf die Quelle der Geräusche hindeutete, kehrten wir zurück ins Erdgeschoß.

Unsere Untersuchung der Rohrleitungen und anderer potentieller Sound-Verstärker verlief dort ebenso im Sande, obwohl da die Geräusche ein bißchen stärker zu vernehmen waren als im Keller.

Ich blickte etwas hilflos zu Stoddard hinüber. „Wir versuchens besser im 2. Stock“, sagte ich.

Ich folgte ihm die Treppen rauf zur nächsten Etage. Abgesehen vom bizarren Glockenturm direkt über dem Dachboden war es das oberste Stockwerk dieses bizarr konstruierten Domizils.

Die Geräusche waren hier deutlich besser zu hören, besonders im zentral gelegenen Schlafzimmer.

Wir kontrollierten die erste Etage zweimal gründlich und gelangten dann wieder in dieses Schlafzimmer, bis ich bemerkte, dass wir hier direkt unter dem Dachboden standen.

Ich sagte es Stoddard.

„Dann könnten wir eigentlich auch gleich nachschauen“, meinte er.

Diesmal machte ich die Vorhut, als als wir durch die Luke kletterten.

„Haben Sie jemals hier oben nach ihren... sogenannten 'Ratten' gesucht?“ fragte ich über meine Schulter hinweg.

Stoddard gesellte sich zu mir, knipste eine Taschenlampe an und ließ den Strahl über die Dachsparren schweifen. „Nee.“ schnaufte er. „Natürlich nicht.“

Ich hatte gerade den Mund geöffnet um zu antworten, als mir plötzlich bewußt wurde, dass die Geräusche hier definitiv lauter waren. Immer noch in einer gewissen Distanz, doch nicht mehr verschwommen klingend. Geräusche, die eigentlich gar keine Geräusche waren, sondern – Stimmen! Ich umklammerte Stoddards Arm.

„Hören Sie!“

Wir standen da, ganz still, für vielleicht eine Minute. Ja, da gab es gar keinen Zweifel. Diese Geräusche waren menschliche Stimmen.

„Großer Gott!“ krächzte Stoddard.

„Ratten, he?“ fragte ich sarkastisch.

„Aber...Aber...“ begann er. Er war offensichtlich völlig durcheinander

„Es gibt da drüben in den Wänden eine Art Zetralröhre und einen Haufen Kabel. Nicht dass sie da langlaufen sollten, aber wir waren gezwungen, sie so zu verlegen – dank Ihrer Pläne. Diese Stimmen werden durch die Röhre und die Kabelkanäle verstärkt, so dass wir sie überall im Haus hören können. Sagen Sie mir einfach, wo Ihr Radio steht, und wir konnen das Problem beheben.“

Stoddard sah mich eine lange Zeit stumm an.

„Wir haben kein Radio,“ verkündete er mit Grabesstimme.

Ich muß zugeben, ich war ziemlich platt.

„Sind Sie ganz sicher?“

„Woll'n Sie mich veräppeln?“ schnaubte er.

Ich stand da, kratzte mir meinen Kopf und fühlte mich blöd. Dann kam mir eine andre Idee.

„Waren Sie je in diesem, äh, ornamentalen Glockenturm, seit Sie eingezogen sind?“

„Natürlich nicht. Er ist zum Angucken da, nicht zum Rausgucken.“

„Ich habe so eine Ahnung, dass die Geräusche da oben besonders deutlich sind“, deutete ich behutsam an.

„Wieso das denn?“

„Nur so eine Ahnung.“ Ich kratze wieder meinen Kopf.

„Also das ist eine ziemlich bescheuerte Ahnung“, meinte Stoddard. Dann drehte er sich brüsk um und schickte sich an, den Dachboden zu verlassen. Ich folgte ihm.

„Sie müssen zugeben – es sind keine Ratten“ rief ich.

Stoddard murmelte irgendwas, das ich nicht verstehen konnte. Als wir das Erdgeschoss erreichten, erwartete Mrs. Stoddard uns schon berstend vor Neugier.

„Haben Sie rausgefunden, wo die Ratten stecken“?

Stoddard warf mir einen Blick zu. „Sind keine Ratten“, meinte er nach spürbarem Zögern. „Diese Geräusche – die klingen wie ferne Stimmen... wie Menschen, die herumlaufen. Hast du irgendwas gesagt, als wir oben waren, Laura?

Mrs. Stoddard schaute ihren Mann überrascht an. „Mit wem hätte ich denn reden sollen?“ fragte sie sehr logisch.

Ich hatte jetzt genug. Ich war verdammt müde, diese seltsam entworfenen Flure von Stoddards Alptraumhaus entlangzulatschen und überdurchschnittlich begabte Ratten zu jagen, die mit menschlichen Stimmen sprachen.

„Wenn hier ein unerklärliches Echo auftaucht“, dozierte ich streng,“ dann ist das der Konstruktion geschuldet. Vergessen Sie nicht, Sie wollten den Kasten genauso haben wie er ist. Nun, da wir zu Ihrer Zufriedenheit nachgewiesen haben, dass es sich nicht um Ratten handelt, kann ich ja gehen. Schönen Tag noch.“

Ich griff nach meinem Hut, und weder Stoddard noch seine Frau brachten ein Wort heraus. Ihr anmaßendes Verhalten war verschwunden; sie schienen sogar ein wenig eingeschüchtert zu sein.

Es war zwei Uhr, als sich sie verließ. Ich hatte mehr als eine Stunde Lebenszeit damit verschwendet, für sie menschliche Ratten zu suchen, eine weitere halbe Stunde ging für die  Fahrerei drauf. Folgerichtig war ich ziemlich geladen, als ich ins Büro zurückkam.

Du kannst dir deshalb meinen emotionalen Zustand sicher lebhaft vorstellen, als, fünfundzwanzig Minuten nach meiner Ankunft im Büro, Stoddard erneut anklingelte.         

„Mr. Kermit“, brabbelte er aufgeregt, hier ist nochmal George B. Stoddard...Mr. Kermit!“

„Was ist jetzt schon wieder?“ schrie ich. „Und sagen Sie nicht, sie haben Termiten!“

„Mr. Kermit“, krächzte Stoddard, Sie müssen sofort wieder herkommen, Mr. Kermit!“

„Den Teufel werd ich“ sagte ich ihm ungeniert und hängte auf.

Das Telefon klingelte erneut nach einer halben Minute. Es war Stoddard. Natürlich war ers.

„Mr. Kermit, biiiittttteee, hören Sie mir zu! Ich flehe Sie an, kommen Sie sofort her! Es ist wahnsinnig wichtig!“

Diesmal sagte ich nichts. Ich hängte einfach auf.

Nach einer halben Minute bimmelte es erneut. Ich war auf hundertachtzig, als ich diesmal ranging.

„Hören Sie“, brüllte ich, „Es ist mir wurscht, was für Geräusche Sie diesmal hören...“

Stoddard schnitt mit das verzweifelt Wort ab, mich aus Leibeskräften überbrüllend.

„Ich höre nicht nur die Geräusche! Ich sehe die... Leute, die sie machen!

Das haute mich aus den Pantoffeln.

„Hä?“  machte ich.

„Der Glockenturm“, schrie er, „ich bin hoch in den Glockenturm, und da...da kann man sie sehen...die...Leute, deren Stimmen wir gehört haben!“ Es gab eine Pause, in der er versuchte, zu Atem zu kommen, dann schrie er erneut. „Sie müssen rüberkommen! Sie sind der einzige Mensch, dem ich das zeigen kann!“

Stoddard war ein Exzentriker, klar doch, allerdings nur, was seinen Architektur-Geschmack betraf. Das mußte ich mir ehrlichkeitshalber eingestehen, als ich so dasaß und benommen den Telefonhörer in meiner Hand anstarrte.

„Okay“, sagte ich, aus keinem Grund, der irgendeiner logischen Analyse standgehalten hätte, „okay, legen Sie auf. Ich bin in zwanzig Minuten da.“

Fortsetzung folgt in 14 Tagen (04.02.2019)

Anmerkungen: Amazing Pulps – Pulp Treasures 10 - David Wright O'Brien - Rats in the Belfry (Amazing Stories 1943/1)

Kommentare  

#1 Hermes 2019-01-23 00:29
Wirklich schöne Geschichte!

Ich bin mir nicht sicher, glaube aber einen kleinen Fehler in der Übersetzung gefunden zu haben. Die Leute gehen vom Keller in den ersten Stock. Vermutlich muss es aber Erdgeschoss heißen. Im amerikanischen Englischen wird das Erdgeschoss nämlich auch First Floor genannt.
#2 Matzekaether 2019-01-24 18:19
Danke, Hermes.
Ich werde den Text in den nächsten Tagen noch mal
anpassen.
#3 R. Windeler 2019-01-24 20:29
Wenn wir schon penibel sind; ich zitiere:
„Ich folgte ihm die Treppen rauf zur nächsten Etage. Abgesehen vom bizarren Glockenturm direkt über dem Dachboden war es das oberste Stockwerk dieses bizarr konstruierten Domizils.
Die Geräusche waren hier deutlich besser zu hören, besonders im zentral gelegenen Schlafzimmer.
Wir kontrollierten die erste Etage zweimal gründlich und gelangten dann wieder in dieses Schlafzimmer, bis ich bemerkte, dass wir hier direkt über dem Dachboden standen.“
ÜBER dem Dachboden? Das wäre dann ja im Glockenturm, oder?
#4 Matzekaether 2019-01-26 18:53
Danke! Geändert.

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