Wir pfeifen auf den Gurkenkönig - Ungebetener Untermieter
Wir pfeifen auf den Gurkenkönig
Ungebetener Untermieter
Dass ausgerechnet der Autorenfilmer Hark Bohm, einer der Mitstreiter des Neuen Deutschen Films in den 1970er Jahren, die Regie bei der Kinderbuch-Adaption „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ übernahm, mag auf den ersten Blick etwas seltsam anmuten. Drei Jahre zuvor war Bohm mit seinem Debütfilm „Tschetan, der Indianerjunge“ bundesweit bekannt geworden. Der „Gurkenkönig“ sollte sein zweiter großer Film werden, kam aber zunächst nicht in die Kinos, sondern wurde als Zweiteiler im Fernsehen ausgewertet. Als Koproduktion der ARD-Regionalsender SR, SDR und WDR nahm die Produktion somit eine Vorreiterstellung ein, die künftig unter dem Label „Neuer Deutscher Kinderfilm“ bekannt werden und das öffentlich-rechtliche Kinder- und Jugendprogramm revolutionieren sollte. Denn in den 1970er Jahren hielten immer mehr gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen Einzug ins deutsche Kinderfernsehen. So geht es beispielsweise auch im „Gurkenkönig“ um die Emanzipation der Frau, um antiautoritäre Erziehungsmethoden, um das Infragestellen patriarchaler Familienstrukturen oder um den Generationenkonflikt im Allgemeinen. Christine Nöstlinger und auch Hark Bohm bei seiner Filmadaption haben diese aktuellen Debatten auf spielerische Weise in eine Fantasygeschichte eingearbeitet, die dabei als Katalysator dient und die Konfliktsituationen innerhalb der Familie eskalieren lässt. Wie bei seinem im gleichen Jahr entstandenen Meisterwerk „Nordsee ist Mordsee“ hat Hark Bohm auch hier schon den Jugendalltag in den 1970er Jahren plastisch und überzeugend eingefangen und mit sympathischen Laiendarstellern gut vermittelt.
In der Familie Hogelmann gibt es einige Baustellen und Reibereien, die sich längst in den Alltag eingeschlichen haben. Vater Erwin (Karl Michael Vogler) arbeitet ununterbrochen und hat kaum Zeit für seine drei Sprösslinge. Insbesondere der 12jährige Wolfi (Thomas Blass) leidet darunter, weil er in der Schule immer schlechter wird und befürchten muss, dass ihm sein Vater sein geliebtes Schwimmtraining verbietet. Wolfis ältere Schwester Martina (Bettina Bernhard) muss sich Standpauken des Vaters anhören, dass sie zu gewagte Badeanzüge trägt. Auch ihre Freizeitaktivitäten benötigen der Zustimmung durch das Familienoberhaupt. Mutter Ruth (Sonja Sutter) möchte nun, da der jüngste Sohn Nik (Hendrik Stehen Huck) bereits in die Grundschule geht, wieder einen Job übernehmen, damit man sich auch mal zusätzliche Anschaffungen leisten kann. Eines Morgens entdeckt Ruth in der Küche eine rund ein Meter große Gurke mit Augen, Nase, Mund, Händen und Beinen. Sie trägt eine Krone auf dem Kopf und stellt sich als Gurkenkönig Kumi-Ori das Zweit (Galli, mit der Stimme von Cornelia Froboess) vor, der von seinen Untertanen aus dem Keller des Hauses vertrieben wurde. Vater Erwin ist gleich auf derselben Wellenlänge mit dem Despoten und gewährt diesem in seinem Zimmer Asyl. Der Rest der Familie braucht hingegen nicht lange, um zu erkennen, dass König Kumi-Ori ein Lügner und Dieb ist. Gemeinsam zetteln sie nun auch eine Revolte gegen den Vater an.
Der rund fünfzig Jahre alte Fernseh-Zweiteiler kann auch heute noch durch seine präzise und gelungene Alltagsschilderung, insbesondere aus der Perspektive der heranwachsenden Kinder, überzeugen. Diese nimmt in Hark Bohms Inszenierung zunächst einen großen Stellenwert ein, bevor die Geschichte um ihre fantastische Komponente ergänzt wird. Der Gurkenkönig ist natürlich leicht als Mensch im Puppenkostüm erkennbar – darunter steckte die 1944 als Anna-Gabriele Müller geborene Künstlerin Galli. Das ist hier aber gar nicht weiter störend, weil es Kindern den Zugang zum Geschehen eher erleichtern dürfte und Erwachsene schnell den soziologischen Tiefgang der Ereignisse schätzen werden. Auch die eher selten in Filmen zu sehenden Saarbrücker Locations wecken heute zusätzliches Interesse an der zeitlosen Geschichte, die gleichwohl sehr typisch und bezeichnend für ihre Entstehungszeit ist. Die DVD-Erstveröffentlichung bietet ein ganz gutes Bild (im Vollbildformat 1,33:1) und einen weitgehend gut verständlichen deutschen Originalton (in Dolby Digital 2.0 Mono). Lediglich die Kinder-Laiendarsteller sind mitunter aufgrund der Umgebungsgeräusche und ihrer unsauberen und mit Dialekteinschlägen versehenen Aussprache etwas schwerer zu verstehen. Als Extras gibt es einen eigens erstellten DVD-Trailer sowie ein online abrufbares digitales Booklet, das auf 24 Seiten etliche Fotos sowie einen Text von Oliver Bayan enthält.