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Hexerei im Zweistromland

Hexerei im ZweistromlandHexerei im Zweistromland

Für die Bewohner Mesopotamiens – die Sumerer,  nach ihnen die Akkader und die Assyrer, auf die die Babylonier folgten – war die Welt voll von Dämonen. Dämonen waren verantwortlich für jede Krankheit und jedes Unglück, das Mensch und Tier befallen konnte. Und jedes Jahr gehörte es zu den Pflichten eines Herrschers, den Beistand der Götter zu erbitten und mit ihrer Hilfe schädliche Zauber von seiner Stadt und seinem Reich zu nehmen. Wie er das anzustellen hatte, darüber gibt die Ritualserie „Maqlu“ Auskunft, die zusammen mit vielem anderem Material in der Bibliothek von König Ashurbanipal erhalten blieb.


Geringere Menschen als der König konnten in magisch bedingten (und damit in so ziemlich allen) Notlagen einen professionellen Exorzisten zu Hilfe rufen.

Der Exorzist (ashipu) war der Gegenspieler der Hexen. Hexen konnten Männer (kashshapu) oder Frauen (kashshaptu) sein, aber ein Exorzismus war reine Männersache. Der ashipu war Fachmann darin, anhand der Symptome den Dämon zu identifizieren, der das Opfer heimsuchte, und die angemessenen Gegenmaßnahmen zu treffen.

Dazu muss allerdings gesagt werden, dass jeder Bewohner des Zweistromlandes in einer solchen Notlage – wenn sich das Glück offensichtlich von ihm abgewandt hatte – angehalten war, zunächst sich selbst zu prüfen. Denn jede Familie hatte ihren persönlichen Schutzgott, der normalerweise dafür sorgte, dass die übelmeinenden Dämonen nicht zum Zuge kamen. Falls nun allerdings ein Familienmitglied den persönlichen Schutzgott verärgerte, zog dieser seine schützende Hand zurück und überließ den Sünder seinem Schicksal.
Wenn der Unglückliche jedoch ganz sicher war, dass er sich nichts zuschulden kommen lassen hatte, dann musste einfach Hexerei im Spiel sein! Integraler Bestandteil eines Exorzismus war es daher auch, die Götter zu überzeugen, dass die Hexe ihr Opfer zu Unrecht beschuldigt hatte.

Dämon Pazuzu, der Pest, Fieber und Kälte bringtMan weiß anhand des Maqlu-Rituals recht gut Bescheid darüber, mit welchen Methoden eine Hexe  in Mesopotamien ihrem Opfer Schaden zufügte. Hexen stahlen Gegenstände aus dem Besitz ihres Opfers, die für den Zauber dessen Stelle einnehmen sollten; sie fertigten Figuren nach seinem Bild und taten dann diesen Figuren an, was das Opfer erleiden sollte. Gelegentlich mauerten sie die Figuren auch ein oder begruben sie in einer Straße, und manchmal öffneten sie sogar Gräber und legten die Figuren zu den Leichen. Wichtig war es in jedem Fall, den Fluch an die Zielperson zu binden, wofür das personalisierte Abbild den bequemsten Weg darstellte. In einigen Fällen hielt man es sogar für ausreichend, den Namen der Zielperson auf die fertige Puppe zu schreiben.
Es gab jedoch noch eine andere Möglichkeit, das Ziel zu erreichen. Hierbei band man den Fluch an ein Objekt (gerne in Form eines Knotens oder sogar mehrerer Knoten in einer Schnur!) und brachte dieses Objekt dann in der Nähe der Zielperson unter. Idries Shah berichtet in seinem Buch „Magie des Ostens“ von einer Legende über den Propheten Mohammed, der von einem jüdischen Zauberer verhext worden sein soll:
„Neun Knoten wurden in eine Schnur geknüpft, wovon jeder eine Verwünschung band. Diese Schnur wurde dann in einer Quelle versteckt. Nur die rechtzeitige Warnung des Erzengels Gabriel soll das Versteck dieses Todeszaubers enthüllt haben. Solche Verzauberungen entkräftet man, indem man die Knoten nacheinander löst; aber in diesem Fall berichten die Chronisten, dass sich die Knoten auf Geheiß des Propheten selbst lösten.“
Die Hexe sandte dem Opfer auch Zeichen und Omen, um es wissen zu lassen, was ihm bevorstand. Diese Form der Hexerei trug den Namen zikurrudâ. Das Opfer sah überall die Vorzeichen seines Verderbens, erkannte das Werk der Hexe, wurde krank und starb. Tatsächlich hat Walter B. Cannon 1942 in seiner Untersuchung „Voodoo Death“ diesen Mechanismus dargestellt, wenn auch nicht am Beispiel der zikurrudâ-Magie.

Wie konnte man eine Behexung brechen?
Wenn der ashipu es nicht gerade mit einem Knotenzauber zu tun  hatte, musste er dem Dämon ein Angebot machen. Manchmal reichte schon ein Stück Ziegenfell, wie ein Exorzismus der Shurpu-Beschwörungssammlung schildert:
„Wie dieses Ziegenfell zerzupft und ins Feuer geworfen wird, die lodernde Flamme es verzehrt, wie es auf seine Ziege nicht zurückkehrt, zur Ausschmückung nicht mehr taugt, so werde der Fluch, der Bann, die Pein, die Qual, die Krankheit, der Schmerz, die Sünde, die Missetat, der Frevel, das Vergehen, die Krankheit, die in meinem Leibe, meinem Fleische, meinen Gliedern sitzt, wie dieses Ziegenfell zerzupft! Heutigen Tages verzehre sie die lodernde Flamme, der Bann weiche, ich aber möge Licht schauen!“ (nach Zimmern)
In schwereren Fällen musste ein Tier herhalten, das dem Dämon als Ersatzopfer diente:
„Ein Ferkel nimm und leg es an den Kopf des Kranken! Reiß sein Herz heraus und leg es an die Herzgrube des Kranken. Mit dem Ferkelblut bestreiche die Seiten des Krankenbettes! Das Ferkel zerlege in seine Glieder und breite sie über den Kranken hin! Selbigen Menschen reinige und säubere mit geweihtem Wasser des Ozeans. Lass Räucherbecken und Fackel zu ihm bringen! Aschenbrote, zweimal sieben, leg an dem Haupttor nieder und gib das Ferkel als des Kranken Ersatz. Fleisch  (des Ferkels) anstatt seines (des Kranken) Fleisches, Blut anstatt seines Blutes, gib und sie (die Dämonen) mögen es nehmen. Das Herz (des Ferkels), das du auf seine (des Kranken) Herzgrube gelegt hast, gib an Stelle seines (des Kranken) Herzens hin und sie (die Dämonen) mögen es nehmen!“ (nach Meissner)"
Und als Jesus von Nazareth im Markusevangelium den Bessessenen heilte, indem er seine Dämonen in eine Herde Schweine bannte, die sich dann in den Tod stürzten, folgte er diesem alten Verfahren der ashipu:
„Jesus hatte nämlich zu ihm gesagt: „Verlass diesen Mann, du unreiner Geist!“
Jesus fragte ihn: „Wie heißt du?“ Er antwortete: „Mein Name ist Legion, denn wir sind viele.“
Und er flehte Jesus an, sie nicht aus dieser Gegend zu verbannen.
Nun weidete dort an einem Berghang gerade eine große Schweineherde.
Da baten ihn die Dämonen: „Lass uns doch in diese Schweine hineinfahren!“
Jesus erlaubte es ihnen. Darauf verließen die unreinen Geister den Menschen und fuhren in die Schweine und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See. Es waren etwa zweitausend Tiere und alle ertranken.“ 

(Markus 5, 8-13)
 
Der ashipu konnte natürlich auch versuchen, den Fluch auf die Hexe zurück zu werfen. Zu diesem Zweck fertigte man zwei Figuren an – eine weibliche und eine männliche, um ganz sicher zu sein, markierte sie als Hexe und Hexer und bemühte sich, den Fluch in die Figuren abzuleiten. Anschließend wurden die Figuren verbrannt; es kam dabei nicht darauf an, sie physisch zu zerstören, weswegen auch Ton oder Teig bei der Figurenherstellung zum Einsatz kommen konnten. Hauptsache, der Symbolik war Genüge getan!

Natürlich konnte der Behexte auch mit Hilfe des ashipu seinen Fall dem Sonnengott Shamash darlegen und damit gleichsam in Revision gehen. Die Hexe hatte ihn vor den Göttern verleumdet und sie dazu bewogen, ihm ihren Schutz zu entziehen; Shamash als höchste Instanz war in der Lage, das Opfer zu rehabilitieren und das zugefügte Unheil der Hexe als Strafe zuzuteilen.

Tod durch Verbrennen
Wenn eine Hexe ermittelt und überführt worden war, wurde sie verbrannt. Ursprünglich sollte mit dieser Zerstörung des Körpers sichergestellt werden, dass ihr Geist weder in dieser noch in der nächsten Welt einen Platz finden konnte. Später besann man sich anders; zwar wurde der Körper immer noch verbrannt, aber der Geist der Hexe sollte in die Nachwelt überstellt werden, damit die ashipu sie mit ihren bewährten Methoden unter Kontrolle halten konnten.

Literaturverzeichnis:
Abusch, Tzvi: Mesopotamian Witchcraft : toward a history and understanding of babylonian witchcraft beliefs and literature. - Leiden [u.a.] : Brill/Styx, 2002. - (Ancient Magic and Divination; 5)

Cannon, Walter: „Voodoo Death.“ - American Anthropologist 44.1942, S. 169 - 181

Meissner, Bruno.: Babylonien und Assyrien ( Bd. 2.) - Heidelberg : Winter, 1925

Schwemer, Daniel: Abwehrzauber und Behexung : Studien zum Schadenzauberglauben im alten Mesopotamien. - Wiesbaden : Harrassowitz, 2007

Shah, Idries: Magie des Ostens : die geheime Überlieferung des Orients und Asiens. - München : Piper, 1994

Studies in Ancient Near Eastern World View and Society. - Bethesda, MD : CDL Press, 2008

Zimmern, Heinrich: Beiträge zur Kenntnis der babylonischen Religion : die Beschwörungstafeln Shurpu, Ritualtafeln für den Wahrsager, Beschwörer und Sänger, Leipzig : Hinrichs, 1901

 
Die Abbildung zeigt eine Statue des Dämons Pazuzu, der seinen Opfern die Pest, Fieber und Kälte bringt, und wurde den Wikimedia Commons entnommen.

Kommentare  

#1 Mikail_the_Bard 2010-11-19 11:00
Kommt da noch mehr? War interessant
#2 Larandil 2010-11-30 10:05
Hmm. Eigentlich habe ich jetzt nur noch ein bißchen Abwehrzauber aus Kleinasien zum Abrunden. Ich hatte eher vor, als nächstes mal ein paar Schlaglichter auf die nordischen Runenzauber zu setzen.
Wenn's interessiert.

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