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... Carola Ottenburg über die IG Wolf, historische Küche und "ein cluoge spise" ...

Carola Ottenburg... Carola Ottenburg ...
... über die IG Wolf, historische Küche und »ein cluoge spise«

Wenn Carola Ottenburg und ich aufeinander treffen, landen wir unweigerlich bei Geschichte, historischer Küche und Schreiben. Das sind auch schon die drei Gründe, warum ich Carola um ein Interview gebeten habe: Ihr Engagement zum Thema historisch-museale lebendige Darstellung, historische Küche und Schreiben. 

Als Autorin ist Carola sehr vielseitig, sie schreibt Romane, Kurzgeschichten, Mord(s)geschichten ... und vielleicht auch ein historisches Kochbuch. So kam es auch zu dem Interview. Wir waren gemeinsam am Stand von Neumann-Neudamm im Gespräch mit Heiko Schwartz, und ihr Sachverstand zum Thema war beeindruckend.

 

Eine festliche Tafel Zauberspiegel: Hallo Carola ... Wir haben uns auf der Buchmesse persönlich kennen gelernt. Davor kannten wir uns eher davon, uns über historische Rezepte auszutauschen und uns gegenseitig zu erzählen, welche Beeren wir gefunden haben - oder eben nicht. Warum intererssierst du dich für historische Rezepte?
C. Ottenburg: Hallo Bettina, erstmal interessiere ich mich ganz allgemein für Rezepte. Ich esse gerne gut, koche gerne und probiere gerne Neues. Für historische Rezepte interessiere ich mich aber deshalb besonders, weil ich Mitglied eines Mittelaltervereins bin, der IG Wolf. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Zeit des ausgehenden 12. Jahrhunderts so authentisch und lebendig wie möglich zu vermitteln. Dazu gehört natürlich auch die Küche, bzw. das Kochen.

Zauberspiegel: Erzähl uns ein wenig mehr ... wer seid Ihr? Darin unterscheidet ihr euch ja von einer ganzen Reihe an anderen Gruppen, die darin nicht so akribisch sind. Warum ist es für euch von so besonderer Bedeutung, historisch möglichst authentisch zu sein?
C. Ottenburg: Weil es – so seltsam es vielleicht erstmal klingt – Spaß macht! Im Internet ein „Mittelalterkleid“ zu bestellen, hat keinen Zauber. Aber Statuen oder die zuzubereiten – das hat etwas magisches. Natürlich gibt es Fehlschläge und Misserfolge, aber es macht ungemein stolz, wenn es gelingt.
 
Zauberspiegel: Wenn ich mir das Mittelalter vorstelle,dann weiß ich, dass man nicht den Fehler begehen darf, es sich als eine einzelne Epoche vorzustellen. Sie unterscheidet sich von Land zu Land, evtl auch auf Regionen bezogen. Und sie unterscheidet sich im Verlauf. Wie kommt es, dass du dich gerade für diese Phase des Mittelalters interessierst?
C. Ottenburg: Oh, das ist Zufall. *lacht* Ursprünglich habe ich mich für Archäologie, Kunstgeschichte und Handarbeiten interessiert, aber unabhängig voneinander, vollkommen unsystematisch und ohne jede zeitliche Bindung. Das war einfach Abenteuerlust, verborgene Schätze und Puzzlekram, Spaß an Malerei und am Selber machen. Über die Handarbeiten bin ich auf dem Frankfurter Museumsuferfest auf die IG Wolf gestoßen, die dort einen Stand hatten und etwas vorführten, wovon ich zwar gelesen, aber was ich noch gesehen hatte: Brettchenweben. Also habe ich zugeguckt, kam mit jemandem ins Gespräch, der mir sympathisch war und dann kam eins zum anderen und kurz darauf bin ich beigetreten.
 
Zauberspiegel: Ich weiß aus dem, was du erzählt hast, dass es aus dieser Zeit noch keine wirklichen Aufzeichnungen über Kochrezepte gibt. Erzähl doch bitte mal etwas über die ersten Kochbücher. Aus welcher Zeit stammten die ersten? Wo hat man sie entdeckt? Gibt es etwas aus diesen ersten Kochbüchern, das für dich besonders interessant war?
C. Ottenburg: Das sind ganz schön viele Fragen auf einmal. Ich fange mal anders rum an: Wie du ja weißt, gab es die ersten Kochbücher schon in der Antike. Danach verlor man offensichtlich das Interesse – oder man sah einfach keine Notwendigkeit darin, kostbares Pergament für so etwas profanes zu verschwenden. Trotzdem wurde das eine oder andere Rezept aufgezeichnet – aber unter medizinischen Aspekten. Zum Beispiel empfiehlt Hildegard von Bingen Muskatnussplätzchen gegen „die Bitterkeit des Herzens und deines Sinnes.“
Im 13. Jahrhundert scheint dann plötzlich populär zu werden, Rezepte aufzuschreiben. So ist aus Frankreich z.B das „Enseignements qui enseingnent a apareillier toutes manieres de viandes“ bekannt, aus England zwei anglo-normannische Rezeptsammlungen und aus Andalusien zwei Kochbücher mit arabischen Rezepten. Auch das „Liber de coquina“ entstand vermutlich um diese Zeit, auch wenn die älteste erhaltene Abschrift aus dem 14. Jahrhundert stammt. Die meisten Schriften wurden lange kopiert und viele Rezepte findet man in späteren Sammlungen wieder.
Das erste, mir aus Deutschland bekannte Kochbuch ist „Daz buoch von guoter spise“ das nach seinem Entstehungsort auch „Würzburger Kochbuch genannt wird und 1350 entstand.
Besonders interessant finde ich, wie aufwändig in dieser Zeit gekocht wurde, jedenfalls in adeligen und gutbürgerlichen Kreisen. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil sich die Kochutensilien oft erheblich von unseren unterschieden und viele der heute selbstverständlichen Hilfsmittel damals nicht zur Verfügung standen. Um mal ein Beispiel zu nennen: Damals kochte man überwiegend in tönernen Kugeltöpfen, also runden Gefäßen, die in die Glut gestellt wurden. Da stellt sich schon die die ganz praktische Frage, wie man das nachher aus dem Feuer und das Essen aus dem Topf bekommt.
 
Stimmungsbild Zauberspiegel: Die Erkenntnisse über die Lebensmittel und Zubereitungsformen in der Phase des Mittelalters, mit der du dich besonders beschäftigst, können ja, wie sich zwangsläufig aus dem ergibt, was du sagstest, nicht aus Büchern stammen. Vielfach sind es historische Funde in Kloaken, Grabungen an alten Siedlungsstätten, Grabbeigaben etc. Gibt es besonders wichtige Funde? Gibt es ein oder zwei relevante Bücher, Zeitschriften oder Webseiten zu dem Thema?
C. Ottenburg: Eine der wesentlichen Fundstätten sind tatsächlich Kloaken und Abfallgruben, Wüstungen und die Hänge unterhalb von Höhenburgen und Klöstern. Grabbeigaben fallen in unserer Zeit dagegen nicht so ins Gewicht, weil der Brauch, den Toten Essen ins Grab zu legen mit der Christianisierung Europas verschwand. Besonders wichtige Funde, wüsste ich jetzt aus dem Kopf nicht. Das läuft auf Erbsenzählerei, oder vielleicht besser gesagt Paradieskornzählerei raus. Die Probleme solcher Grabungen schildert die nachstehend verlinkte Dissertation von Karin J. Sczech über Archäologische Befunde zur Entsorgung im Mittelalter (Universität Freiburg, 1993) (PDF-Dokument). Aber denjenigen, die sich einen Überblick verschaffen wollen, kann ich die Publikationen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der frühen Neuzeit (DGAMN) empfehlen. Diese hier (PDF-Dokument) beschäftigt sich z.B. schwerpunktmäßig mit Küche und Kochen  – allerdings nicht nur im Mittelalter.
 
Zauberspiegel: Wenn ich dich richtig verstehe, geht es dir also um mehr als die reine Freude am Kochen. Was bedeutet es für dich, authentische Küche im wahrsten Sinne des Wortes zu "versuchen"?
C. Ottenburg: Es bedeutet vor allem, selber zu forschen. Viele Begriffe sind uns nicht (mehr) vertraut. In einem Kochbuch aus dem späten 15. Jahrhundert taucht z.B. immer wieder ein als „Troy“ bezeichneter roter Farbstoff auf. Was damit gemeint sein könnte, haben wir immer noch nicht rausbekommen. Dagegen bin ich inzwischen davon überzeugt, dass im „buoch von guter spise“ in mindestens einem Fall der Begriff „rösten“ nichts mit „ohne Wasser erhitzen“ zu tun hat, sondern in dem Sinn gebraucht wird, den er bei der Flachsgewinnung hat, nämlich „rotten“ oder „matschen“. Da geht es nämlich darum, Fleisch mit Ei und ein paar anderen Zutaten zu „rösten“ und anschließend um Holzstäbe zu wickeln. Wie das in trockenem Zustand möglich sein soll, ist mir schleierhaft.
Andererseits bedeutet es auch, auszuprobieren: Wie schmeckt Mandelmilch? Welche Möglichkeiten hätte ein Bauer gehabt, aus seinen bescheidenen Ressourcen etwas halbwegs schmackhaftes zuzubereiten?
 
Zauberspiegel: Welche Bedeutung hat Kochen, Ernährung, Essen als Teil der Geschichtserforschung und des Geschichtsverständnisses?
C. Ottenburg: Für mich oder allgemein? Für mich ist es ein Teil des Versuchs, ein besseres Verständnis des Alltags im Mittelalter zu gewinnen.
 
Zauberspiegel: Was habe ich heute davon, wenn ich mich für die historische Küche interessiere?
C. Ottenburg: Eine Anregung, andere Rezepte auszuprobieren. Äpfel mit Knoblauch, Huhn in Mandelmilch, Hollunderblütenkonfekt … Vielleicht eröffnet es auch neue Möglichkeiten, mehr mit regionalen Produkten anzufangen. Auf jeden Fall erweitert es den Horizont durch neue Geschmackseindrücke.
 
Zauberspiegel: Du hast erzählt, dass es in eurem Verein eine Art Erlebseminar gibt, in dem es auch um Küche und Essen geht. Wie läuft sowas ab, und wie kann man mehr darüber erfahren, wenn man sich dafür interessiert? Was ist der Unterschied zu den "Ritteressen" oder "Mittelalterdinner"?
C. Ottenburg: Nein, da muss ich mich falsch ausgedrückt haben. Ein Erlebnisseminar in dem Sinne haben wir nicht. Wir machen Vorführungen und halten Vorträge. So haben wir z.B. im letzten Jahr das erste Mal ein kommentiertes Bankett aufgeführt. Natürlich erfolgt die Vorführung im Zeitraffer, denn es soll ja nicht darum gehen, dem Publikum etwas vorzuessen. Aber den Zuschauern wird trotzdem der Mund wässrig, wenn ihnen die duftenden Speisen direkt an der Nase vorbeigetragen werden. Dazu erklärt eine Spielfrau, die schon oft bei Hofe aufgespielt hat, was bei Tische vor sich geht und sorgt für musikalische Untermalung. Und in unserem Vortrag „Messer, Mörser, Mandelmilch“ schildern eine Adelige und eine Magd die verschiedenen Aspekte eines solchen Mahls, das von einer Nonne noch einmal aus ihrer ganz eigenen Sicht (Mäßigung!) kommentiert wird.
 
Zauberspiegel: So ... und um uns den Mund nochmal richtig wässrig zu machen ... Verrate uns doch ein Rezept aus der Zeit, das in die Jahreszeit passt.
C. Ottenburg: Wir haben November, also Schlachtzeit. Da ist der Tisch reichlich gedeckt. Andererseits mag ich Äpfel und deshalb empfehle ich heute Apfelkrapfen. Die werden aus einem Pfannkuchenteig gemacht, der mit Semmelbröseln angedickt wird. Man kann sie entweder süß, also mit Zucker (sehr luxuriös) oder Honig (immer noch teuer) essen oder als Beilage reichen. Das Rezept stammt zwar aus dem "buoch von guoter spise", aber die Zutaten waren auch zu unserer Zeit erhältlich. Und jetzt endlich das Rezept.

Ein cluoge spise.

Wilt du ein kluege spise machen, slahe einnen duennen teic von eyern vnd von schoenem melwe,
mach daz dicke mit schoenem brote vnd ribe daz, schele sur epfele, scharbe sie groeber denne
|spec vf huenre, die menge dar zvo, nim einen leufel
vnd fuelle den teyc vnd teilez
vnd brat den in smaltze oder in butern, ab ez niht fleischtac ist, vnd gibz hin.

Soweit das Originalrezept. Hier meine Übersetzung:

Eine kluge Speise (Apfelkrapfen)

Willst du eine kluge Speise machen,
schlage einen dünnen Teig aus Eiern
und weißem (schönen) Mehl.
Dicke ihn mit geriebenem Weißbrot an.
Schäle saure Äpfel und schabe sie gröber
als Speck auf Hühner und mische sie darunter.
Nimm einen Löffel und fülle den Teig und teile es
(ich lese daraus: stich mit einem Löffel Nocken ab)
und brate den in Schmalz oder Butter,
wenn es kein Fleischtag ist, und trage es auf.





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