Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Hanako-san oder: Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht - Eine Geisterjäger John Sinclair-Story

FanfictionHanako-san oder:
Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht
Eine Geisterjäger John Sinclair-Story

Falscher Ort, falsche Zeit, würde Burt Reynolds wahrscheinlich sagen. Oder war´s Lee Van Cleef? Clint Eastwood?

Egal.

Fakt ist: Ich saß gerade auf dem Stillen Örtchen, als es passierte.

Ausgerechnet.

In der Beziehung war auf meinen Metabolismus zu hundert Pro Verlass. Morgens einmal am Kaffee genippt - schon zog´s mich unweigerlich dorthin, wo nicht nur Männer gern allein sind.

Früher hatte diesbezüglich die erste Zigarette am Morgen sozusagen den Auslöser gedrückt; aber das Rauchen hatte ich schon vor Jahren drangegeben. Heute tat´s, wie gesagt, schon ein erstes, jungfräuliches Schlückchen vom koffeinhaltigen schwarzen Muntermacher, und der Stein kam zuverlässig ins Rollen.

Mit der Morgensession war das Thema dann aber auch für den Rest des Tages erledigt. Was angesichts meines Berufs sicherlich kein Nachteil war. Schließlich konnte ich im Nahkampf gegen ein Rudel Vampire oder Zombies nicht mal eben eine Toilettenpause einlegen. Vampire und Zombies mussten schließlich auch nicht.

(Werwölfe schon. Die scherte es allerdings kein Deut, wann und wo sie ihre XXL-Tretminen platzierten. Nicht mal mitten im Nahkampf. Ich weiß, wovon ich spreche.)

Und bei meinen diversen Ausflügen nach Aibon, Atlantis oder in andere, noch viel exotischere Dimensionen war mir selten mal eine funktionale Nasszelle begegnet. Ich hatte allerdings auch nie gezielt danach suchen müssen.

Eben weil ich diese Angelegenheit immer schon morgens zeitig vor Dienstantritt verlässlich abzuhaken pflegte.

Ich saß also gerade da, die Hosen zwischen den Knöcheln, studierte die Sportseite der London Times vom Vortag und staunte, dass der Fußballkommentator und ich zwei Abende zuvor offenbar zwei völlig unterschiedliche Spiele gesehen hatten - da passierte es.

Plötzlich blubberte es vernehmlich unter mir. Heidewitzka, dachte ich. Ich hatte am Abend zuvor auf Shaos Einladung hin mit ihr und ihrem (privat) und meinem (dienstlich) Dauerpartner Suko zu Abend gegessen. Shao hatte ein höllisch scharfes indonesisches Reisgericht fabriziert, das uns allen den Schweiß auf die Stirn gezaubert hatte.

Tja, dachte ich angesichts der sumpfartigen Geräuschkulisse unter mir. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Aber besser jetzt als nachher, wenn ich wieder die Cavallo oder weiß der Teufel wen am Hals hab´.

Dann hörte ich das Lachen. Ein hohes, klingendes Kinderlachen. Unmöglich zu sagen, ob Junge oder Mädchen. Es klang irgendwie blubbernd und gluckernd. Als lache das Kind unter Wasser.

Und dann war schon wieder mal die Hölle los.

Morgens um kurz nach sieben, wohlgemerkt.

Ich spürte etwas nasses, kaltes, glitschiges, das mich an der Hinterbacke packte. Freunde, ihr glaubt´s nicht, wie schnell ich wieder auf den Beinen war. Vor lauter Schreck hatte ich die Spülung gedrückt. Das Wasser rauschte.

Als das Rauschen verebbt war, blickte ich hinab in die Schüssel.

Und wollte meinen Augen nicht trauen.

In der Wasseroberfläche zeichnete sich ein Gesicht ab.

Es war das Gesicht eines vielleicht sechs, sieben Jahre alten Mädchens mit asiatischen  Gesichtszügen. Ich tippte auf Japan. Dank Suko, Shao und einigen ihrer asiatischen Freunde, die ich ebenfalls kannte, konnte ich asiatische Gesichter recht gut national einordnen.

Das japanische Mädchen lächelte; dann lachte es wieder schallend. Starrte mich aus großen Augen an, beinah wie eine Cartoon-Figur aus einem Manga.

Und flüsterte.

"Hai!"

Hai hieß auf japanisch ja.

Ja?

Ich verstand nur Bahnhof.

Nach wie vor stand ich da, die Hosen auf den Knöcheln, halb über die Schüssel gebeugt. Im selben Moment schoss eine kleine weiße Hand mit langen, schwarzen, gekrümmten und spitz zugefeilten Nägeln aus dem Wasser, packte mich mit eisernem Griff am Hals - und zog.

Und zuckte im selben Moment zurück und tauchte zurück in die Schüssel.

Wieder einmal bekam ich die Bestätigung, dass ich gut daran tat, das silberne Kreuz, das den vier Erzengeln geweiht war und das ich an einer Kette um den Hals trug, nur zum Duschen abzulegen. Sowie in gewissen Situationen, in denen Frauen mit im Spiel waren.

Der Kontakt hatte nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert, aber die Zeit hatte ausgereicht, dass ich erkennen konnte, dass die Hand, die mich attackiert hatte, von Blut troff.

Troff? Triefte?

Egal.

Als sie wieder in der Schüssel abtauchte, zog sie einen scharlachroten Strudel mit hinab in die Tiefe. In den blutigen Schlieren erschien wieder das japanische Manga-Schulmädchengesicht, diesmal jedoch verzerrt zu einer wahrhaft grauenerregenden Fratze.

Aus den schwarzen Augen liefen blutige Tränen.

Es fletschte die langen, nadelspitzen Zähne.

Ich bin wahrlich, nach allem, was mir auf meiner Laufbahn als Geisterjäger begegnet ist, nicht mehr leicht aus der Fassung zu bringen. Behaupte ich mal.

Rückwärts stolperte ich aus meinem Badezimmer.

Fiel auf den Hintern.

Und kroch auf allen Vieren weiter.

Mir standen alle Haare zu Berge.

***

Nach dem zweiten Klingeln wurde die Tür geöffnet.

Suko.

Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Hey, John." Er blickte auf seine Armbanduhr. "Willst du etwa schon los? Wir haben noch mindestens ..."

Hinter Suko erschien Shaos Gesicht. "Hey, John! Was geht? Brauchst du was für´s Frühstück?"
Dann verging beiden das Lächeln und sie runzelten die Stirn. Unisono fragten beide: "Is´ was?"

Ich ließ meinen Blick kinoreif vom einen zur anderen wandern. "Eine blutige Hand hat gerade versucht, mich in der Kloschüssel zu ertränken. In meinem eigenen Badezimmer ..."

Shaos Augen wurden groß. Sie schlug die Hand vor den Mund.

Suko biss sich auf die Unterlippe.

"Wir haben nur Spaß gemacht. Ehrlich."

"Spaß?!" Meine Entrüstung war nicht mal gespielt. Nicht nach der Fratze, die mich aus meiner eigenen Kloschüssel angestarrt hatte. "Ich hätte mir fast in die Hosen geschissen. Wenn ich welche angehabt hätte. Und vorher nicht schon ... Egal."

"Tut uns leid."

Shao und Suko sahen ernsthaft zerknirscht aus, wie sie da nebeneinander auf der Couch saßen, auf der wir am Abend zuvor noch zusammen heißen Sake geschlürft hatten.

Ich verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. "Also gut. Ich höre."

"Toire no hanako-san", flüsterte Shao.

"Shitsurei?"

"Hanako, der Klogeist", übersetzte Suko kleinlaut ins Englische.

Godzilla.

Fugu, frisch zubereitet.

Tamagotchi.

Hentai.

Die japanische Kultur war fürwahr voller Merkwürdigkeiten. Eine weitere davon war Hanako.
Der Geist eines Schulmädchens, der bevorzugt Schultoiletten und deren Benutzerinnen und Benutzer heimsuchte.

Schultoiletten?

"In Japan hat zumindest jede Mädchenschule eine eigene Hanako. Der Spuk lauert in der Toilettenschüssel und soll nicht ohne sein", wusste Shao kundig zu berichten.

Davon konnte ich jetzt auch ein Liedchen singen.

Damit der Geist überhaupt erschien, musste man ihn allerdings erst rufen.

Genau das hatten Shao und Suko getan.

Sie hatten herumgealbert, und einem (oder einer) von beiden war eingefallen, dreimal hintereinander gegen die Wand zu klopfen, die unsere Apartments voneinander trennte. Und bei jedem Klopfen "Hanako-san asobimasho!" zu rufen.

"Hanako, lass´ uns spielen gehen!"

Mit durchschlagendem Erfolg.

"Glückwunsch", gratulierte ich. "Hat ja hervorragend funktioniert."

***

"Und nun?" Suko rieb sich das frisch rasierte Kinn.

"Hanako muss noch immer irgendwo im Rohrleitungssystem stecken. Wir dürfen auf keinen Fall riskieren, dass sie in einer der Nachbarwohnungen auftaucht."

Shao winkte ab. "Keine Bange. Solange sie nicht aktiv gerufen wird, tritt Hanako auch nicht in Erscheinung."

Ich schüttelte energisch den Kopf. "Das Risiko gehe ich nicht ein. Wir werden sie vernichten. Hier und jetzt. Sicher ist sicher."

Suko sah mich an und blinzelte. "Du hast einen Plan."
"Sicher." Ich deutete auf die Wand in Sukos und Shaos Badezimmer. "Hier hat also einer - oder eine - von euch geklopft. Und daraufhin ist der Geist auf der anderen Seite der Wand, in meinem Apartment, erschienen."

Shao und Suko nickten stumm, aber unisono. Shao erklärte: "Wenn man Hanako beschwört, soll sie ja nicht bei einem selbst aus der Schüssel steigen, sondern im Idealfall beim Nebenmann, eine Schulklo-Kabine weiter gewissermaßen."

"Hm." Ich verließ das Bad.

"Dann müsste ich beziehungsweise einer - oder eine - von euch also hier an die Wohnzimmerwand klopfen, damit Hanako eine Tür weiter eurem Lokus entsteigt."
Shao und Suko sahen einander mit großen Augen an. Dann nickten sie wieder. Aber zögerlich, sehr zögerlich.

"Also gut", sagte ich. "Dann ist das jetzt der Plan." Ich wies Richtung Bad. "Shao wird durch Klopfen an die Wohnzimmerwand und Aufsagen des Spruchs ..."

"Hanako-san asobi ..."

"Noch nicht jetzt, um Himmelswillen! - Also, Shao wird durch Klopfen an die Wohnzimmerwand und Aufsagen des Spruchs den Geist herbeirufen. Können wir davon ausgehen, dass er beziehungsweise sie mit deiner Dämonenpeitsche vernichtet werden kann?"

Suko zuckte die Achseln. "Sicher, warum nicht? Wenn sie auf dein Kreuz reagiert hat ..."

"Gut. Dann ruft Shao jetzt Hanako. Suko stellt sich vor die Schüssel. Sobald das Gesicht erscheint und die Krallen ausstreckt, gibst du ihr Saures mit der dreischwänzigen Katze. Ich halte mich als stille Reserve im Hintergrund. Falls die Peitsche aus irgendeinem Grund versagen sollte, grill´ ich die Kleine mit der geballten Kraft des Kreuzes." Ich blickte von einer zum anderen. "Fragen? Anmerkungen? Einwände?"

"Da gibt´s allerdings ein kleines Problem", wandte Shao kleinlaut ein. Ich lüpfte fragend die Augenbrauen.

"Also, damit Hanako erscheint, äh, muss jemand auf der Brille sitzen."

Jetzt wanderten aller Blicke von Gegenüber zu Gegenüber.

Ich lächelte fein und winkte mit dem gestreckten Zeigefinger ab. "Oh nein, vergesst es, kommt nicht in Frage. Die Gruselgöre hat mir für heute schon genug am Allerwertesten rumgefingert."

Shao schüttelte ebenfalls den Kopf. Dann nickte sie ihrem Lebensabschnittsgefährten zu.
"Wie sagte doch schon der gute, alte Friedrich Nietzsche so schön? Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht."

Suko zog einen Flunsch. "Ich geh´ sie ja schon holen."

Suko verschwand im Wohnungsflur.

"Wie kommt Hanako eigentlich von Japan nach London?", fragte ich Shao währenddessen.

Sie zuckte die Achseln. "Durchs Meer? Die Kanalisation? Woher soll ich das wissen?"

"Na ja, du kommst schließlich auch aus Japan", gab ich zu bedenken.

"Stimmt", bestätigte sie. "Ich bin allerdings geflogen. Im Bauch eines gewaltigen, stählernen Vogels ..."

Suko kam zurück, den Griff der Peitsche in der Hand. Eine routinierte Bewegung aus dem Handgelenk, und die drei aus der Haut des Dämons Nyrana gezogenen Riemen glitten heraus.

Ich machte eine Faust und reckte den ausgestreckten Daumen hoch.

"Dann kann´s ja losgehen."

Shao nahm ihren Platz vor der Wand im Wohnzimmer ein. Ich platzierte mich in der Verbindungstür zwischen Wohn- und Badezimmer. Suko blieb vor der Schüssel stehen. Dann setzte er sich vorsichtig auf den geschlossenen Deckel.

Shao linste um die Ecke zu ihrem Herzblatt und schüttelte entschieden den Kopf.

"Ich fürchte, so wird das nichts, Schatz."

Suko blickte an sich hinunter. "Was meinst du?"

"Ich meine den geschlossenen Deckel. Hanako kommt nur, wenn der Deckel oben ist und jemand auf der Brille sitzt."

Suko schnaubte. "Toll, wie du dich auskennst." Er stand auf, klappte vorsichtig den Deckel hoch, schielte hinab in die Schüssel und setzte sich wieder.

Shao rollte die Augen und schüttelte wieder den Kopf.

"Wenn du mit Hose draufsitzt, wittert Hanako doch gleich, dass das hier eine Falle ist." Sie sah von Suko zu mir.

"Zumal sie schon unangenehme Bekanntschaft gemacht hat mit Johns Kreuz."

Da hatte sie recht. Suko sah mich ebenfalls an. Ich zuckte die Achseln. Mein Partner warf mir einen vernichtenden Blick zu, blies die Backen auf und ließ die Hosen runter.

"Du bist doch die Reinkarnation eurer Sonnengöttin", maulte er in Richtung Shao. "Japanische Dämonen zu bekämpfen ist eigentlich deine Sache."

"Die Sonnengöttin Amaterasu gibt sich nicht mit Toilettengespenstern ab", entgegnete sie kurz und - wie ich fand - recht schnippisch. Sie sah von Suko zu mir. "Bereit?" Ich nickte.

Sah, wie Sukos Hand den Griff der Dämonenpeitsche umspannte, dass die Knöchel blass hervortraten.

Shao atmete tief ein.

Suko und ich ebenfalls.

Shao hob die Faust zur Wand.

Klopf, klopf, klopf.

Einmal.

"Hanako-san asobimasho!" Shaos Stimme klang hell und singend. Irgendwie - lockend.

Ich achtete auf Suko. Da saß er, mit dem blanken Hintern über der Schüssel, aus der wir den Spuk hervorködern und abfischen wollten. Wie ich vor einer halben Stunde. Nur dass Suko wusste, was kam.

Wie mir hing ihm die Hose zwischen den Knöcheln. Vielleicht hätte er sie besser ganz ausziehen sollen, dachte ich noch.

Klopf, klopf, klopf.

Zweimal.

"Hanako-san asobimasho!"

Klopf, klopf -

Ich sah, wie Sukos Waden sich anspannten. Wie ein Bergpuma, bereit zum Sprung, dachte ich.

Klopf.

Dreimal.

"Hanako-san asobimasho!"

***
 
Shaos Stimme verklang. Unbewusst hielt ich die Luft an. Die anderen wohl auch. Die Sekunden tröpfelten dahin.

Im Bad, in der ganzen Wohnung war es mucksmäuschenstill. Dafür hörten wir die Geräusche aus den Wohnungen über, unter, um uns herum.

Gedämpfte Musik. Sehr norwegisch klingender Black Metal. Wohnte ich da etwa mit Satanisten unter einem Dach? Womöglich schlimmerem?

Dann fielen Schüsse. Großkalibrige Waffe. Ich tippte auf eine 45er Magnum. Jemand sah offenbar um diese Uhrzeit schon fern.

Über uns rauschte eine Toilettenspülung.

Dann gellte der Schrei. Hoch, schrill, voller Panik und Angst.

Dann gleich der nächste. "Lenore!"

Der erste war aus der Wohnung nebenan gekommen. Der zweite von Shao. Bevor ich recht geschaltet hatte, war sie schon an mir vorbei und an der Wohnungstür. Suko sprang wie eine Feder von seinem Thron, machte einen Schritt vorwärts und stolperte über seine runtergelassenen Hosen. Ich hievte meinen Kumpel hoch, er seine Hosen, und zu zweit sprinteten wir aus der Wohnung, Shao nach.

Als wir auf den Flur hinaustraten, ging nebenan gerade die Wohnungstür auf. Vor der Tür stand Shao. Im Türrahmen stand eine Frau um die dreißig in einem weißen Frottee-Bademantel. Sie war kreidebleich im Gesicht und schnappte nach Atem.

"Shao! Scheiße! Da ist ´ne Frau in meinem Bad! Mit Zähnen wie ein Alligator!" Ihr Blick fiel auf Suko und mich. Ihre Augen waren groß wie Untertassen.  

Shao drängte sich an der Frau - mutmaßlich Lenore - vorbei und winkte Suko und mir dabei hektisch, ihr zu folgen. Zu dritt stürmten wir den Flur. Die Tür zum Bad stand sperrangelweit offen. Ein geweihtes Kreuz, eine Dämonenpeitsche und das Amulett der Göttin der Sonne Amaterasu in den Händen, traten wir ein.

Der WC-Deckel war hochgeklappt. Ich spürte, wie mein Kreuz sich erwärmte und nickte Suko zu. Der ließ zum zweiten Mal an diesem Morgen mit einer kreisenden Drehung aus dem Handgelenk die Riemen aus dem Griff der Peitsche gleiten. Shao hob die Hand mit dem Amulett der Sonnengöttin.

Hinter uns hörten wir Lenore.

"Nicht da! Sie ist im ..."

"Pscht!!!", machte Shao. Nebeneinander, Schritt für Schritt, näherten wir uns der Pforte, durch die Hasako, der Toilettengeist, offenbar nicht nur im heimischen Japan die Welt der Menschen zu betreten pflegte ...

Ein tiefes, kehliges Fauchen ließ uns auf der Stelle synchron herumfahren.

"... Wäschekorb", flüsterte Lenore und deutete auf einen runden, geflochtenen Korb aus Bast, der neben dem Waschbecken stand.

Der ebenfalls geflochtene Deckel flog plötzlich Richtung Decke wie eine Rakete, prallte darunter und sauste neben dem Korb zu Boden.

"Hanako-san asobimasho!"

Shaos beschwörendes Flüstern blieb nicht unbeantwortet.

"Hai!", flüsterte es aus dem Korb zurück.

Zwei kleine Mädchenhände erschienen aus dem Korb und ergriffen den Rand. Die Fingernägel waren unverhältnismäßig lang und schwarz lackiert.

Dann erschien die obere Kopfhälfte, langes, glattes, in der Mitte akkurat gescheiteltes Haar. Und dann erschien eine der fiesesten Fratzen - ich glaube, ich habe es schon erwähnt - die mir in meiner ganzen beruflichen Laufbahn untergekommen sind. Und mir sind so einige untergekommen. Genau genommen hatten so ziemlich alle, zumindest die große Mehrheit meiner Gegner mehr oder weniger ungemütliche Visagen. Zumindest die Herren. Angefangen bei Satanos und Doktor Tod, über die Mordliga (ausgenommen Lady X) bis zu Rasputin, Shandor und wie sie alle hießen und heißen. Der Einzige, der äußerlich etwas hermachte, war der übergeschnappte notorische Gliederverdreher Matthias. Das machte ihn allerdings kein Deut sympathischer.

Bei meinen weiblichen Gegnern sah die Bilanz da schon besser aus. Justine Cavallo war sine dubio ein heißer Schlitten, in Morgana Layton war ich - lange ist´s her - sogar mal ernsthaft verschossen gewesen. Und sowohl die Damen vom "Shocking Palace" als auch so manche Wald- und Wiesenhexe wie die verfluchte Rabisana waren zumindest rein äußerlich nicht bar jeden Reizes gewesen.

Man merkt, ich bin ein ladies´ man. Leonard Cohen hat ein Lied über mich gesungen.

Ne, Spaß. Aber im Angesicht des Grauens hilft manchmal ein bisschen Blödeln, um nicht die Nerven zu verlieren. Ich weiß, wovon ich rede.

Was mir indes mehr als sauer aufstieß, war die Vorstellung, dass unschuldige japanische Schulmädchen und -jungen in der Unterrichtspause von dieser Fratze terrorisiert wurden, während sie dem Ruf der Natur folgten.

Shao und Suko jedenfalls hörte ich neben mir vor Entsetzen nach Luft schnappen.

Lenore, die immer noch im Bademantel durch die Tür lugte, schlug die Hand vor den Mund und begann, leise zu wimmern.

Suko schlug ohne Vorwarnung zu. Die grünlich-braunen Riemen schnappten durch die Luft und schnalzten auf den Dämon nieder. Doch der war schnell. Zu schnell für aller Augen, zu schnell, als dass wir überhaupt reagieren konnten.

Der Geist schnellte aus dem Korb, schoss durch die Luft, umkreiste uns Geisterjäger-Trio ein paar Mal und tauchte mit einem leisen Glucksen in die Toilettenschüssel.

Der Deckel kippte nach vorn und fiel krachend auf die Brille.

Zu dritt eilten wir zur Schüssel, klappten den Deckel hoch und starrten hinein.

Ein leichtes Kräuseln wellte noch kurz die Wasseroberfläche. Dann war sie wieder still und glatt.

"Verflixt", fluchte Shao leise.
"Abgetaucht", diagnostizierte Suko trocken. "Will wer hinterher?"

***

"Mist! Daneben gehauen. Ziel verfehlt." Suko kratzte sich am Kopf und ließ die Peitschenriemen hängen. "Das ist mir auch noch nicht häufig passiert."

"Schieb´s auf die Tageszeit", schlug ich nach einem Blick auf die Uhr vor.

"Du hast recht, John. Genau genommen sind wir noch gar nicht im Dienst."

"Falsch, Kollege", wies ich den - genau genommen - einen Dienstrang unter mir stehenden Inspektor freundschaftlich zurecht. "Genau genommen sind wir immer im Dienst."

Suko grinste. "Na, aber sicher doch."

"Und wir werden mal wieder zu spät kommen, wenn wir uns nicht zügigst auf die Socken machen."

"Schon klar."

Wir verabschiedeten uns von Lenore, der ihre Nachbarin und Freundin Shao noch so einiges zu erklären hatte.

Was Hanako anging, konnten wir nur hoffen, dass sie nach ihren Erlebnissen in London an diesem Morgen von England die Nase gestrichen voll hatte und den selben Weg zurück nach Japan nahm, den sie gekommen war.

Um die vermeintlichen Black Metal-Satanisten im vierten Stock würde ich mich in den kommenden Tagen kümmern.

Suko zog seine Jacke über und schob die Beretta ins Schulterhalfter.

"Bereit, Inspektor?"

"Jawohl, Herr Oberinspektor."

"Dann mal los. Gehn wir´n paar Geister jagen ..."

Ende

Kommentare  

#1 Cartwing 2020-04-03 06:44
Die Verdauung des Geisterjägers interessiert mich ehrlich gesagt überhaupt nicht.
Ich erinnere mich noch gut an eine ältere Artikelserie von Horst (Es ist doch alles so einfach) in der es da hieß: Helden scheißen nie... ;-)
Aber okay, das soll wohl eher ne Parodie oder Persiflage sein...
Als solche ganz witzig...
#2 Mainstream 2020-04-03 07:58
-
In ganz jungen Jahren sah ich einen Western mit John Wayne, der zu einer Zeit spielte, wo im-Haus-Toiletten wohl das Neuste waren. Und der Held fragte danach und besuchte dann bewundernd das stille Örtchen.
Ich war stark irritiert.
#3 Laurin 2020-04-03 12:20
Irgendwie erinnerte mich die Szene am Anfang an Sheldon Cooper und seiner festgelegten Toilettenzeit am Morgen. :D
Ansonsten war das der beste Sinclair den ich seit Jahren gelesen habe. :P
#4 Cartwing 2020-04-03 18:26
Zitat:
Sehr norwegisch klingender Black Metal
Erkennt man das? :lol:

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.