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Ringo´s Plattenkiste - Jon Lord - Sarabande

Ringo´s Plattenkiste Jon Lord - Sarabande

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteIn den sechziger Jahren entwickelte sich die klassische Rockmusik, die ihrerseits aus dem Rock n´Roll der Fünfziger hervorging, rasant und vielfältig weiter. Nach und nach nahmen auch Einflüsse aus Good old England erheblich zu. Hervorzuheben sind hier die Beatles, die Rolling Stones, die Kinks und auch die Yardbirds.

Britische Rockmusik beanspruchte zunehmend die vorderen Plätze der US-Charts, und man begann gar von einer British Invasion zu sprechen. Das Aussehen und Auftreten der Musiker änderte sich: die Haare wurden länger, die Klamotten bunter, während die bisher üblichen, braven  Anzüge und Krawatten abgelegt wurden. Die Musik selbst wurde komplexer, abwechslungsreicher und anspruchsvoller. „Die“ Rockmusik gab es bald schon nicht mehr, sie splittete sich in eine Vielzahl von Stilen auf: Psychedelic, Bluesrock, Folkrock, Faltenrock, usw. Zahlreiche Subkulturen entstanden, von denen die Hippie-Bewegung die wohl bedeutendste und nachhaltigste war. Typisch für die Weiterentwicklung der inhärent eher simplen Rockmusik war die Kombination von eigentlich verschiedenen und unvereinbaren Musikstilen. Fusionen von Folk und Blues mit Rock wurden schon erwähnt, es gab aber auch etliche mehr oder weniger gelungene Versuche, Rockmusik (im weitesten Sinne: zeitgenössische Musik) mit der bislang eher als fad und altmodisch geschmähten Klassik zu kombinieren, galt diese damals ja als Synonym für all das, was die Rockmusik nicht sein wollte. Die zarten Anfänge und die ersten Gehversuche machten (natürlich)die Beatles, aber auch die Beach Boys und die Byrds untermalten Songs mit schmusetauglichen und ohrenschmeichelnden klassischen Streichern. Bekannte Bands wie The Nice und  Ekseption führten und entwickelten diesen Trend weiter, ebenso wie heutzutage vergessene Gruppen wie Beggars Opera. Bei diesen zuletzt genannten Bands steckte der Klassik-Ansatz nicht allein in simpler Streicher-Untermalung, sondern in der Musik selbst. Herausragend dürfte wohl die zuletzt genannte Band sein, die neben Adaptionen klassischer Musik auch tatsächlich eigenes „klassisches“ Material produzierten. Neben Interpretationen von klassischen Werken, z.B. von Suppe, sind ihre Eigenkompositionen „Raymonds Road“ und „Sarabande“ hervorzuheben. Auch Bands wie The Move und die  aus ihr hervorgegangene Gruppe Electric Light Orchestra (Ringo berichtete) verschmolzen beide Stilrichtungen mehr oder weniger ausgiebig. Erwähnenswert – obwohl es sich nicht um Rockmusik handelte – dürfte wohl Walter Carlos`Album „Switched on Bach“ aus dem Jahre 1968 sein. Carlos – der sich 4 Jahre später einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog und anschließend Wendy nannte – interpretierte auf diesem Album Bachkompositionen auf einem Synthesizer, genauer gesagt auf einem Moog.

Die  umtriebigsten Wilderer in klassischen Gefilden dürften aber wohl Emerson, Lake & Palmer sein, die während ihrer Laufbahn immer wieder ausgedehnte Ausflüge in Richtung Klassik unternahmen. Bereits auf ihrem 1970 veröffentlichten Debut-Album arrangierten sie Kompositionen Bartoks und Bachs neu und verpassten ihnen ein zeitgemäßes Rockarrangement. Ein früher Höhepunkt dürfte ihr live aufgenommenes Album „Pictures at an Exhibition“ sein, das eine Rockadaption der gleichnamigen Komposition des Russen Modest Mussorgsky darstellte. Ein ambitioniertes und bahnbrechendes Projekt, das sowohl den hartgesottenen Klassik-Fan, als den eingefleischten Rock-Enthusiasten aber eher abschreckte. Klassik war das nicht, und richtiger Rock schon gar nicht. Es war halt wieder mal Emerson, Lake & Palmer, die vor nichts zurück schreckten, und alles fusionierten, was ihnen in den Weg kam.

All diesen Versuchen war, mit Ausnahmen, überwiegend eins gemeinsam: die Musiker amalgamisierten zwar Klassik mit Rock, brachten aber überwiegend wenig Eigenes mit ein; sie spielten klassisches Material mit zeitgenössischen Instrumenten nach, bzw. verpassten ihnen ein hörertaugliches Rock-Arrangement.

Eigenständige Wege beschritt unter anderem die britische Band Renaissance, die sich nach Anfangsschwierigkeiten und grundlegenden Umbesetzungen tatsächlich zu einer richtigen Klassikrockband mauserte. Bereits auf ihrem dritten Album „Prologue“ brillierten sie als eigenständige und versierte Klassikrocker, die in Folge ihren Höhepunkt mit den Alben „Turn of the Cards“ (Ringo berichtete) und „Scheherazade“ erreichten. Klassik-Rock war in.

Nach und nach reisten nun auch gestandene und etablierte Bands wie Procol Harum auf dem sich immer schneller bewegenden Klassik-Rock-Zug mit. Mit ihrem 1972 erschienen und im Vorjahr aufgenommenen Live-Album  In Concert with the Edmonton Symphony Orchestra gelang ihnen ein ganz großer kommerzieller Wurf, der sich auch auf das weitere Schaffen dieser grandiosen Band auswirken sollte (Ringo wird berichten, jaja). Fusion von Klassik mit Rock ist ein Fass ohne Boden, wie es scheint. Und ein erfolgversprechendes obendrein. Ich könnte seitenlang darüber schwafeln, tue es aber ausnahmsweise mal nicht, sondern kehre zum heutigen Thema zurück: Zu einem der wahren Pioniere des Ba-Rock, dem barttragenden Engländer Jon Lord. Den kennen wir ja schon aus einem früheren Artikel und ich brauche ihn eigentlich nicht mehr groß vorzustellen, ist man ein wenig in der Rockwelt der Siebziger bewandert, bzw. ist man ein treuer Leser der Plattenkiste (siehe den Artikel zu Paice, Ashton, Lord). Deshalb gehe ich hier nicht weiter auf seinen Werdegang ein. Auf seinen Werdegang. Ein.

Jon Lord von Deep Purple zu trennen wäre wie Pompeji vom Vesuv oder die Toad aus dem Hole zu holen. Kleiner kulinarischer Scherz, haha. Toad in the Hole ist nicht nur ein Song aus der Feder des ebenso britischen Musikers Ian Anderson, sondern auch der Name eines – falls gekonnt zubereitet – typisch britischen Bratwurstauflaufs. Man nehme also… oder lieber doch nicht. Schließlich heißt diese witzige und äusserst informative Reihe ja Ringos Plattenkiste und nicht Ringos Plattenküche. Raus aus der Küche und schleunigst zurück in die Kiste.

Lord war also Gründungsmitglied dieser epochalen und äusserst vielseitigen Combo (diesem Barockosaurus des Musikozoikums) und ist auf alle Zeiten untrennbar mit dieser verbunden. Diese weltberühmte Band machte ihn groß und Jon Lord machte im Gegenzug Deep Purple zu dem was sie waren: eine Hardrockband, die auf spielerische Art und Weise Rock mit Klassik verknüpften. Jaja, so war das damals. Als noch Dinosaurier über die Erde wandelten und synkopische Brunftschreie von sich gaben.

Bereits auf ihrem 1968er Album „The Book of Taliesyn“, also einige Zeit vor ELP, Renaissance und ELO, machte dieser Lord schon  Ba-Rock, indem er auf 2 Stücken klassisches Material von Richard Strauss, Ludwig van Beethoven und Peter Iljitsch Tschaikowski zitierte und in der Eigenkomposition „Anthem“ ein klassisches Orchester sowie im Mittelteil gar lupenreinen Barock präsentiert. Gewagt, für die damalige Zeit. Der gar nicht so kleine Lord ging aber noch ein Stück weiter. Einen Siebenmeilenstein in seinem Schaffen stellt der Longtrack April vom folgenden Album dar. April ist eine dreiteilige, überwiegend instrumentale Suite, die im ersten Teil frappant an Ennio Morricone erinnert, sich dann aber plötzlich und überraschend in einen Ba-Rock kleidet und sich mit Kammerorchester parfümiert. Erst im dritten und finalen  Teil setzt dann die fast schon eingeschlafene Rockband ein, etwas abrupt („Stone the crows“ würde der Australier überrascht ausrufen), wie ich meine, und Sänger Rod Evans singt über den grausamen und garstigen Monat April. Zu diesem Track gibt es übrigens ein recht obskures Video-Dokument, in dem die Band, begleitet von einem klassischen Orchester in einem Kieswerk spielt, in welchem Lastwagen unaufhörlich Material aufladen und abtransportieren. Dazwischen sind – unpassenderweise – Aufnahmen von kraftstrotzenden und nur mit schwarzen Badehosen bekleideten Ariern geschnitten, die freudestrahlend und höchst motiviert – durch was  auch immer – die bereitstehenden Truppentransporter erstürmen um darauf mitzufahren. Wohin auch immer. Egal, der Song ist und bleibt gut. Und remains the same, jawoll!

Ringo´s PlattenkisteIm selben Jahr setzte Lord mit seinem überladenen „Concerto for Group and Orchestra“ dann noch eins drauf. Aufgenommen in der Royal Albert Hall mit dem Royal Philharmonic Orchestra und der kompletten Mannschaft von Deep Purple ist es der bis dahin bedeutendste und ambitionierteste Versuch, Klassik und Rock zu kombinieren.

Band und Orchester agieren als überwiegend eigenständige Einheiten und spielen leider allzu oft aneinander vorbei; nur gelegentlich harmonisieren Hardrockband und Klassisches Orchester, die per se aufgrund ihrer musikalischen Herkunft grundverschieden sind. Das auf Platte erschienene Concerto kam bei den Kritikern gut an und war zumindest für Lord eine Art Prestigeobjekt. Deep-Purple-Gitarrist Blackmore hingegen war davon nicht sehr amused. Er konnte mit Klassik nichts anfangen und machte wohl nur Lord und dem Management zuliebe mit. Seinem Missfallen machte er wohl auch Luft mit einem scheinbar endlosen und zu lauten Gitarrensolo. Auch die Herren vom Orchester standen den Rockern eher ablehnend gegenüber, wie die steinernen Mienen der gesetzten Herren zeigen. Lediglich einigen der jüngeren Streicher scheint das Experiment zu gefallen. Gelegentlich wird mit dem Fuß zum Takt der Rockmusik gewippt, bzw., der Streicherbogen geschwungen.

1978 fanden Auszüge aus diesem Concerto übrigens Verwendung im Tatort-Krimi „Der Feinkosthändler“ mit Hansjörg Felmy als Kommissar Haferkamp. Weiter.

Nach diesem Concerto-Album war für Lords Kollegen, vor allem für Blackmore dann Schluß mit Klassik. Blackmore wollte rocken und Soli spielen, die Haare durch die Luft schwingen und die Augen verzückt geschlossen halten - für klassische Partituren war da kein Platz. Deep Purple kehrten also zum Hardrock zurück. Damit ja keine Missverständnisse aufkamen (man wollte die Fans nicht mit noch einem Klassik-Album verschrecken) war der Titel des nächsten Albums bezeichnenderweise „Deep Purple in Rock“.  Deep Purple entwickelten also ihren Hardrockstil weiter, bauten progressive Elemente ein und konnten letztlich sogar als eine Art Proto-Heavy-Metal-Band bezeichnet werden. Kein schlechtes Album.

Zwischendurch und ohne Deep Purple widmete sich My sweet Lord aber weiterhin seiner Liebe zur Klassik und veröffentlichte 1971 sein erstes Soloalbum „Gemini Suite“, das musikalisch durchaus als eine Art Fortsetzung zum Concerto gesehen werden kann. Eingespielt wurde die Suite in der Royal Festival Hall mit dem London Symphonic Orchestra. Musikalisch ist diese Fusion kompakter und homogener als das Concerto. 1974 folgte ein weiterer Streich mit Windows, Lords erster Zusammenarbeit mit dem deutschen Dirigenten Eberhard Schoener. Windows ist experimenteller und spielfreudiger als seine Vorgänger, was wohl nicht zuletzt an Eberhard Schoener lag. Ähnlich wie Lord war dieser stets um eine Kombination von Klassik und zeitgenössischer Musik bemüht. Auch auf dem Gebiet der elektronischen Musik war Schoner ein Vorreiter. Bereits Ende der sechziger Jahre experimentierte er – ähnlich wie Walter Carlos - mit einem Moog-Synthesizer. Sein 1971er Album Destruction of Harmony klingt teilweise wie ein Vorläufer zu Vangelis` Beaubourg (Ringo berichtete).

Ringo´s PlattenkisteZurück aber zu Lord und Deep Purple. Nach diversen internen Querelen war 1975 dann Schluß mit der Band. Man trennte sich und ein jeder ging seines Weges.

Der Workaholic Jon Lord blieb aber nicht untätig, denn kurz nach den Aufnahmen zu Purples vorläufig letztem Album Come, taste the Band, ging er nackt und alleine ins Studio und nahm ein weiteres Soloalbum auf. Voran gegangen waren bereits, wie erwähnt, Gemini Suite, Windows und First of the Big Bands. Letzteres in Zusammenarbeit mit Tony Ashton. Dieses Album war eine Art Vorstufe zu PAL. Kein Hardrock, schon gar kein Klassik, im Gegensatz zu den beiden anderen. Die Verschmelzung von Rock und Klassik ließ Lord Extra aber nie ganz los und offensichtlich hatte er noch einige, bisher unveröffentlichte Kompositionen in der Schublade, die hauptsächlich zwischen Januar und August 1975 entstanden. Kein Wunder also, dass er Pläne für ein neues Klassik-Rock-Album hatte, das sein bisheriges Schaffen krönen sollte.

Lords ambitionierter Grundgedanke für das geplante Album war eine Art Suite, eine Folge von in sich geschlossenen Kompositionen, die sich an barocken Tänzen orientierte. Kombiniert und garniert mit feinen Rock-Schokostückchen ohne ausufernde Gitarrensoli.

Zusammen mit seinen Partituren und Eberhard Schoener-Wohnen ging Lord nach Deutschland, um vom 3.-6. September 1975 in der Stadthalle Oer-Erkenschwick seine Kompositionen aufzunehmen. Mit Orchester, versteht sich. Die Rockbesetzung sah aus wie folgt:

Jon Lord: Hammond organ, piano, clavinet, synthesizers
Andy Summers: Guitar
Paul Karass: Bass
Pete York: Drums
Mark Nauseef: Percussion
Eberhard Schoener dirigierte das Orchester Philharmonia Hungarica, das nicht, wie der Name vermuten lässt, in Ungarn ansässig war. Vielmehr wurde es in den Fünfzigern von geflohenen ungarischen Musikern in der Nähe von Wien gegründet und übersiedelte später  nach Deutschland.

Andy Summers – auf der LP fälschlich als Andy Sommers angegeben – spielte früher bei Zoot Money, Soft Machine, Eric Burdon & The Animals und vielen anderen. Er studierte Musik an der kalifornischen UCLA. Später wurde er berühmt und schrieb ein Stück Musikgeschichte.

Paul Karass war früher bei der Progband Rare Bird als Bassist zu hören.

Pete York trommelte bei der Spencer Davis Group und dem sehr erfolgreichen Duo Hardin & York. York hatte auch eine eigene Band, die Pete York Percussion Band, die mit drei Schlagzeugern auftrat.

Der US-amerikanische Jazzer Mark Nauseef war zuvor unter anderem  bei ELF und Velvet Underground als Perkussionist tätig.

Produzent war Martin Birch, der bereits zuvor schon für Deep Purple gearbeitet hatte.

Ringo´s PlattenkisteDas fertige Album erschien 1976 unter dem Titel Sarabande mit einem schmucken Die-Cut-Cover, das – je nachdem wie man das bedruckte Inlay einlegte – entweder einen zur Stille gemahnenden Jon Lord oder eine Galaxis zeigte. Eingerahmt wurde der Foto-Ausschnitt von einem drachenähnlichen Ouroboros, auf dem 3 unbekleidete Damen rittlings sitzen. Offenbar ließ sich der Künstler Chris Achilleos 3 Jahre später zu seiner Arbeit für das Cover zu Whitesnakes Lovehunter inspirieren. Das Coverdesign selbst stammte von John Kosh, einem sehr bekannten Grafikdesigner der Siebziger.

Ringo´s PlattenkisteKosh entwarf unter anderem das legendäre Abbey-Road-Cover der Beatles. Die  sehr fantasylastige Zeichnung des Ouroboros (eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beisst und sich gewissermaßen selbst auffrisst) stammt von einem gewissen Mike Bryan, über den mir nichts weiter bekannt ist. Mag sein, dass er sich an einem Stück Bratwurst aus einem Toad-in-the-hole verschluckt hat und von uns gegangen ist, aber das ist zumindest für diesen Artikel unbedeutend und im übertragenen Sinne auch Wurst.
Hier die Tracklist des Albums:
Seite 1:
•    Fantasia
•    Sarabande
•    Aria
•    Gigue

Seite 2:
•    Bourée
•    Pavane"
•    Caprice
•    Finale

Hören wir uns die 8 Tracks – wie üblich – ein wenig genauer an.

Das Album wird mit einer Fantasia eröffnet, einem musikalisch freien Musikstück, das von  Lords großem Vorbild Bach gerne als Eröffnungssequenz in der Art eines Präludiums (Vorspiel) verwendet wurde. Genau diesen Zweck erfüllt es bei diesem Album auch. Bei Lord ist diese Eröffnung rein klassisch instrumentiert. Seine typische Orgel und das später noch folgende Rockinstrumentarium fehlen. Allein, es spielt das Orchester. Insgesamt ist das Arrangement ein wenig bombastisch und wirkt ein wenig zu „gewollt“ klassisch. Prätentiös, würde der Klugscheißer sagen.

Ringo´s PlattenkisteDer nächste Track, Sarabande, ist der Namensgeber des Albums. Die Sarabande ist ein langsamer höfischer Tanz, der seit dem 17. Jahrhundert bekannt ist und im Barock ein fester und unverzichtbarer Teil der Suite war. Woher der Name stammt, bzw. was er bedeutet, ist umstritten. Bei Lord beginnt die Komposition mit einem dezenten und swingenden Drumpart, begleitet vom Piano, das aber nicht wie üblich die Melodie vorgibt, sondern einfach dem Rhythmus folgt, ähnlich wie bei Dave Brubecks Take Five, dem die Komposition auch ein wenig nacheifert. Lordi wurde zu dieser Komposition aber nicht nur von Brubeck und Bach inspiriert, sondern auch von Vaughan Williams’ Fantasia on a Theme of Thomas Tallis. Lords Sarabande ähnelt in seinem Aufbau und seiner Eskalation auch stark Ravels Bolero. Die Melodie wird von Gitarre gespielt, nach und nach setzen die Streicher ein und das Stück wird deutlicher, kräftiger und auch druckvoller. Eine Ähnlichkeit zur eigentlichen Sarabande ist indes eher kaum vorhanden. Es ist ein typischer Klassik-Rocksong, ein beschwingter und abwechslungsreicher Longtrack, der gekonnt Klassische Instrumentierung mit modernen Instrumenten kombiniert. Bemerkenswert ist vor allem die Harmonie, mit der sich Schlagzeug, Gitarre und Synthesizer in das barocke Arrangement einfügen.

Aria, das nächste Stück ist ein langsames und elegisches Klavierstück, das auch sehr gut zum Soundtrack von „Picnic at hanging Rock“ passen würde. Eine Aria ist eine einfache und liedhafte Komposition mit einer tragenden Melodie. Jons Vorbild Bach verwendete die Aria gerne in seinen Suiten. Bei Lord ist das musikalische Vorbild ganz klar die Bach-Komposition Air on the G String. Bachs Original wurde der D-Dur-Orchestersuite BWV 1068 entnommen und Ende des 19. Jahrhunderts in C-Dur transponiert, wo es nur auf der G-Seite gespielt wurde. Daher der Name.

Ringo´s PlattenkisteDer nächste Track, Gigue,  wird von einer Harfe eingeläutet, der eine sehr schöne Pianomelodie folgt, zu der sich langsam die anderen Instrumente gesellen. Die Gigue – aus der sich später der britische Jig entwickelte – gehört zu den 4 Grundtänzen der barocken Suite. Bei Lord wird daraus abermals ein lebhaftes Stück, das nun schon deutlichere Element der Rockmusik aufweist. Tonangebend ist Andy Summers E-Gitarre im Mittelteil, in dem das Orchester pausiert und das Rockensemble das Ruder übernimmt. Jon Lord gönnt sich hier zur Abwechslung mal ein wildes Hammondorgel-Solo in diesem grandiosen Track, bei dem einzig das fast schon prollige Schlagzeugsolo zum Schluß ein wenig nervt und die ansonsten tolle Nummer einerseits unnötig in die Länge zieht und andererseits nachteilig auf die Atmosphäre wirkt. Mit der eigentlichen Gigue hat die Nummer bei Lord nur den Namen gemein, ansonsten ist es eine Melange aus verschiedenen Barockstilen, bzw. dem, was Jon Lord darunter versteht. Er bedient sich hier deutlich bei Johann Sebastian Bachs Englischer Suite No 4, wie in der zweiten Hälfte ab ca. Minute 6:25.leicht zu erkennen ist. Der Klavierpart ist fast exakt identisch mit der Bachkomposition.

Pate zu diesem Track stand neben Bach aber wohl auch Paul Dukas Orchesterwerk „Der Zauberlehrling“. Rhythmik, Aufbau und Melodie dieser Komposition schimmern immer wieder mal dezent hindurch. Fast meint man die Heerschar der nicht zu bändigen Besen vor sich zu sehen, die unablässig Eimer um Weimer Wasser heranschleppen und in den Zuber schütten. Seite 1 schließt mit diesem Stück.

Ringo´s PlattenkisteSeite 2 beginnt mit dem Longtrack Bouree, der aber – wie bei Lord schon Programm - alles andere als eine solche ist. Eine Bouree ist eigentlich ein barocker Hoftanz mit einer heiteren Note. Bei Lord aber wird daraus ein sich stetig steigerndes Bolero-ähnliches Musikstück mit stark orientalischem Einschlag. Das Stück beginnt mit originellen Flexatoneffekten, treibenden Drums und Percussions, die den Rhythmus einer imaginären Karawane nachahmen, zu dem sich bald Piano und Pizzicato gesellen, die dezent im Hintergrund von Summers E-Gitarre begleitet werden. Die Karawane zieht unaufhörlich weiter, Summers übernimmt die Führung mit einem sägenden Gitarrenpart, der sich aber harmonisch in das Stück und seine Atmosphäre einfügt. Lords Klavier scheint das Stück scheinbar zu beenden, aber die Karawane zieht weiter, diesmal von Bläsern verstärkt. Rhythmus und Melodie bleiben während des ganzen Stücks gleich, lediglich Instrumentierung und Lautstärke variieren. Gegen Ende setzen die Streicher wieder ein und tragen das Hauptmotiv vor. Rhythmusinstrumente werden kraftvoller und wilder, auch die Bläser setzen wieder ein, und dann ist Schluß. Ein wundervolles Stück, das auch (allerdings stark gekürzt) als Single veröffentlicht wurde und einen festen Platz im Live-Repertoire Jon Lords hatte. Lord spielt auf dieser Aufnahme ein äusserst gelungenes und gefühlvolles Orgelsolo.

Ringo´s PlattenkisteDas ruhige und getragene Pavane greift das zentrale Thema  der Fantasia wieder auf und interpretiert es neu, allerdings nun deutlich von Faure`s Pavane Op. 50 inspiriert. Den Faure kennen wir ja schon von Jethro Tull`s  Christmas Album (Ringo berichtete). Nach einem gefühlvollen Streicherintro erklingt eine hervorragend gespielte Akustikgitarre, begleitet vom Piano. Was wie Klassik begann, wird bald zu einem jazzigen Pianostück mit ganz dezenter Streicherbegleitung und melancholischer Atmosphäre. Eins der gelungensten Stücke des Albums. Die eigentliche Pavane ist ein Schreittanz, der im Barock eigentlich schon aus der Mode gekommen  war.

Capriccio ist ein eher albernes und glücklicherweise kurzes Stück das ein wenig an ELP und Keith Emersons Piano-Honky-Tonk-Ausrutscher erinnert und ob seines Splapstick-Charakters ausgezeichnet als Soundtrack zu einem Zeichentrickfilm passen würde. Der Name Capriccio ist dann auch Programm: die Capriccio ist ein freies, zwangloses Stück, das spielerisch und lustig daherkommt. Platsch, Sahnetorte ins Gesicht! Haha! Hehe!!

Der letzte Track trägt bezeichnenderweise den Titel Finale und ist nichts anderes als ein wilder Zusammenschnitt von Sequenzen aller Tracks, der klingt, als würde man zwischen verschiedenen Radiosendern, die allesamt klassische Musik spielen hin- und herswitchen.
Und dann ist Schluß. Fin. Konetz. Der Vorhang fällt und alle verneigen sich brav.

Ringo´s PlattenkisteSarabande verkaufte sich durchaus solide und konnte sich immerhin bis Platz 32 der Albumcharts hochkämpfen, wobei sich die Käuferschicht höchstwahrscheinlich aus Purple-Fans rekrutierte. Ein Album von Deep Purple`s Jon Lord? Muss ich haben!

Ringo wurde auf die Platte damals durch den obligaten GOVI-Katalog aufmerksam und bestellte sie natürlich unverzüglich. Kurioserweise handelte es sich bei seinem Exemplar um die deutsche Pressung, die von Hörzu herausgegeben wurde. Hörzu war damals eine beliebte Fernsehzeitschrift, die TV-Programm und Klatschillustrierte kombinierte. Klar, dass ich davon nicht angetan war. Vor allem schreckte mich das unsägliche Logo der Illustrierten auf der Rückseite des Covers ab. Fast war ich versucht zu beschließen, dass mir die Platte bereits vor dem Anhören nicht gefiel. Aber weit gefehlt. Sarabande war damals Stammgast auf dem Plattenteller des Weissen Wilson und avancierte schnell zu einer meiner Lieblingsplatten. Die Scheibe war eine wohltuende Abwechslung zu Jethro Tull, Van der Graaf Generator, Frank Zappa und anderen sowie der für mich gelungenste Versuch, Klassik und zeitgenössische Musik zu verschmelzen. Die Rock-Elemente wirken nicht aufgesetzt und harmonieren perfekt mit dem Orchester. Die Kompositionen sind überwiegend von hoher Qualität, obwohl sich  Lord – wie bereits erwähnt – als musikalischer Welscher erwies und sich hemmungslos bei den Noten seiner Vorbilder bediente. Aber dies sei ihm verziehen, tat er es ja nicht aus Geltungsbedürfnis, sondern eher aus Respekt vor den ehrwürdigen Eminenzen längst vergangener Tage. Für Lord war nach Sarabande übrigens  Schluß mit Klassik, sieht man von zwei Ausnahmen mal ab. Auf Before i forget von 1982 finden sich zwei weitere Adaptionen ernster Musik. 1984 erschien dann der Soundtrack zur TV-Serie  The Country Diary Of An Edwardian Lady, der aber überwiegend aus der Feder von Alfred Ralston stammte. Typische TV-Musik, oberflächlich und kitschig. Die Melodien tröpfeln und plätschern nur so dahin. Sarabande wurde übrigens nie live aufgeführt, das änderte sich erst zwei Jahre vor Lords Tod.

Ringo´s PlattenkisteAm 18. September 2010 präsentierte Lord das komplette Album zusammen mit dem Györ Philharmonic Orchestra begleitet von der ungarischen Deep-Purple-Tribute-Band Cry Free in der ehrwürdigen Bela Bartok National Concert Hall. Was interessant klingt, ist es aber leider nur bedingt. Gerade die Rockbegleitung wirkt arg einstudiert und lässt viel vom Groove der Original-Aufnahmen vermissen, kommt gelegentlich sogar mal aus dem Takt. Aber das ist wohl Geschmacksache.

Was wurde aus den Beteiligten?
Ringo´s PlattenkisteJon Lord wurde 1978 Mitglied bei Whitesnake, bevor er die Band 1984 verließ, um sich an der Reunion von Deep Purple zu beteiligen. Lord blieb bis 2002 und widmete sich dann erneut seinen Soloprojekten. Lord verstarb im Juli 2012.

Andy Sommers ersetzte 1977, nach einigen Kollaborationen mit Eberhard Schoener, den Gitarristen Henry Padovani bei der aufstrebenden Band The Police und schrieb ein Stück nachhaltiger Musikgeschichte.

Paul Karas war nach Sarabande leider wenig erfolgreich und gab diverse Gastspiele in unbekannten und kurzlebigen Formationen wie z.B. Jet White, Charlie Fawn und Stonebridge McGuinness, gegründet von Ex-Paladin Lou Stonebridge und Ex-Manfred Mann Tom McGuinness. Der große Erfolg blieb ihm leider versagt.

Pete York spielte für Dr. John, Charlie Watts und auch Konstantin Wecker. Bekannt wurde er durch seine Performances für Super Drumming. Gelegentlich begleitet York auch die singende Herrentorte Helge Schneider auf seinen Konzerten.

Mark Nauseef trommelte für so unterschiedliche Künstler wie Ian Gillan, Eddie Hardin, Jack Bruce und auch Phil Lynott. Nauseef lebt inzwischen in Deutschland.

Eberhard Schoener komponierte fleissig weiter und schrieb Opern und Filmmusiken, z.B. für Derrick, Der Alte, das Erbe der Guldenburgs, etc. Schoener war auch Hauptfigur der Klassik-Rock-Nacht, die in den Achtzigern fünfmal stattfand und mit so bekannten und auch aussergewöhnlichen Künstlern wie Klaus Nomi, Nina Hagen, Ian Anderson, Mike Batt, Gary Brooker und vielen anderen aufwartete. Die Klassik-Rock-Nacht war in den Achtzigern das Highlight für den etwas anspruchsvolleren Rock-Fan.

Das Philharmonia Hungarica existierte noch bis 2001 und wurde dann aufgrund finanzieller Schwierigkeiten (man hat ihnen die Fördergelder gestrichen) aufgelöst.

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Kommentare  

#1 Cartwing 2021-03-22 17:23
Wieder sehr interessant!
Ich wiederhole mich, aber es ist doch immer wieder erstaunlich, was du so ausgräbst.
Man denkt, man kennt so einiges, auch aus dem Prog - Bereich, aber letztlich wohl doch nur einen Bruchteil...

Habe es mir gerade auf youtube angehört.
Erinnert stellenweise an Renaissance (Titeltrack)
aber die klassischen Einflüsse sind hier auf jeden Fall angenehmer bzw. erträglicher als bei ELP...

Auf jeden Fall zugänglicher, als das letzte von dir besprochene Album (Vangelis) Das war schon sehr schräg...
#2 Ringo Hienstorfer 2021-03-23 09:19
So ein kleines bisschen Schräg zwischendurch kann ich mir einfach nicht verkneifen :lol:
Ich gebe Dir auf jeden Fall Recht, dass die Klassik-Elemente bei Sarabande wesentlich besser sind als bei ELP. Die waren einfach zu bombastisch und pompös. Für mich ist Sarabande die gelungenste Klassik-Rock-Fusion.
Zappa war ja auch viel in klassischen Gefilden unterwegs, aber seine Experimente waren noch deutlich schräger als Vangelis`Beaubourg. Unhörbar, könnte man sagen.

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