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Sid

Zauberspiel - KatzengeschichtenSid
 
Hi, mein Name ist Sid.

So ruft mich zumindest diese dämliche alte Schnepfe, mit der ich mir meine Wohnung teilen muss. Was für ein Name...

Sid.
 
Sid.

Sid.

Das ist doch kein Name für einen echten Kater! Wie kann man nur so blöde sein und ein so außergewöhnliches Lebewesen wie mich „Sid“ nennen?!? Manchmal frage ich mich echt, wie Menschen darauf kommen, die Krone der Schöpfung zu sein, so bescheuert, wie sie sich verhalten... Ich meine... Sid! Klingt doch wirklich erbärmlich, oder?

Na ja, ist immer noch besser als „Muschi“ oder „Pussi“. Ich weiß, man kann es kaum glauben, aber es ist tatsächlich wahr: Manche Menschen rufen uns Katzen und Kater mit Namen, die sie auch ihren Geschlechtsteilen geben!

Mal unter uns: Ganz auf der Höhe können diese Typen doch echt nicht mehr sein, oder?
Aber was soll's. Es bringt nichts, sich über derartige Kleinigkeiten aufzuregen. Menschen sind einfach nicht in der Lage, unsere wirklichen Namen auszusprechen. Ihnen fehlen dazu die entsprechend gebauten Organe. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass dieses Handicap mit einer Fehlfunktion in ihrem Gehirn zusammenhängt. Der Durchschnittskerl von der Straße nutzt angeblich nur zehn Prozent seiner grauen Zellen oder so, und der Teil, der es ihnen ermöglichen würde, uns Katzen zu verstehen, gehört offensichtlich nicht dazu.

Ob das stimmt? Keine Ahnung. Aber wer auch nur eine Minute im gleichen Raum verbringt wie ein Mensch, der glaubt das sofort.

Wie dem auch sei. Der Grund, aus dem ich mich heute zu Wort melde, ist ein anderer. Mir ist da was aufgefallen, das lässt mir einfach keine Ruhe mehr. Und wenn ich nicht bald jemandem davon erzähle, platzt mir der Kragen und ich geh' durch die Decke.

So bedeppert Menschen auch sein mögen – ihre Sprichworte und Metaphern sind teilweise gar nicht so übel...

Aber zurück zum Thema. Ihr kennt Ulrike, oder? Wenn nicht: Ulrike ist die dämliche, alte Schnepfe von eben, also die Pute, mit der ich zusammenlebe. Klein, dick, watschelt beim gehen und findet es ja sooo süß, wenn sie mich mit ihrer furchtbaren, viel zu hohen Stimme alle fünf Minuten aus dem Schlaf wecken kann. Der Albtraum eines jeden ausgewachsenen Katers also.

Jedenfalls: Ulrike hat ein neues Hobby. Seit einigen Wochen ließt sie diese merkwürdigen Bücher über eine Katze, die den Menschen beisteht und ihnen dabei hilft, Verbrechen aufzuklären. Kennt ihr bestimmt, oder? Wenn nicht, informiert euch gefälligst im Internet, wozu habt ihr das World Wide Web denn, bitteschön?

Ich persönlich bin ja nun nicht gerade ein echter Fan dieser Romane. Zugegeben, die Dinger sind ganz gut geschrieben, aber handlungstechnisch lassen sie einiges zu wünschen übrig. Man merkt, dass sie von einem Menschen und nicht von einer Katze verfasst wurden. Die Hauptfigur verhält sich genau so, wie es die Zweibeiner von einem Vertreter unserer Art erwarten, und nicht etwa so, wie es in Wirklichkeit der Fall ist. Es ist zum Haare raufen...

Doch ich schweife schon wieder ab. Vor ein paar Tagen hat Ulrike Besuch bekommen. Irgend so ein anderer Zweibeiner, eine alte Freundin oder Arbeitskollegin ist zum Kaffee vorbeigekommen (ich hätte nicht gedacht, dass zwei kleine dicke Frauen in so kurzer Zeit so viel Kuchen verputzen können, meine Fresse!). Ich weiß nicht, wie oder warum es passiert ist – so interessant, dass ich die ganze Zeit lausche, sind Ulrike und ihre Bekannten nun wahrlich nicht –, aber irgendwann ist das Gespräch auf die Bücher gekommen, die meine Mitbewohnerin momentan ließt.

Und jetzt haltet euch fest: Diese fette, grenzdebile Tonne auf zwei Beinen (nicht Ulrike, sondern die andere) hat gelacht und behauptet, dass diese Romane doch eigentlich totaler Unsinn wären. Katzen seien zwar ganz possierliche Tierchen (possierlich! POSSIERLICH! Wie kommt am nur auf den Gedanken, Katzen seien possierlich?!?), aber Verbrechen aufklären, das könnten sie nicht.

Dass die Frau das Haus lebend verlassen hat, liegt einzig und alleine daran, dass ich in diesem Moment einen Schock erlitt und von der Rückenlehne des Sofas fiel, auf der ich es mir gerade gemütlich gemacht hatte. Hätte ich nicht fast eine Stunde lang völlig apathisch dagelegen, dann...
Oh, diese eingebildete Tussi. Diese dämlich, strohdoofe... Diese... Diese...

Ganz ruhig, alter Junge, ganz ruhig. Jetzt nur nicht ausfallend werden, sonst wird das hier noch zensiert...
...
...
(einen Moment)
...
...
Gut, geht wieder, ich habe mich wieder gefangen. Wo war ich gerade? Ach ja, die Behauptung dieser... Person.

Katzen können keine Verbrechen aufklären – wie kann man nur so unwissend, so ignorant sein??? Wir Katzen und Kater sind so viel aufmerksamer und intelligenter als die Menschen. Würden eine Katze und ein menschlicher Polizist das gleiche Verbrechen untersuchen, dann hätte die Katze den Gauner schon längst hinter Schloss und Riegel gebracht, während der Mensch noch dabei ist, den Tatort auf dem Stadtplan zu suchen.

Für alle Katzen unter den Lesern: Ihr wisst, wovon ich rede.
 
Und für alle Nicht-Katzen: Ihr glaubt mir nicht, oder? Das dachte ich mir.

Na gut, dann muss ich es euch wohl beweisen. Bitte, hier habt ihr eine kleine Kostprobe vom Können eines echten Katers.

(Für alle Nicht-Katzen unter euch, die einem einfachen Gedankensprung kaum folgen können: Nun folgt ein Aufzählung einiger Vorfälle, die sich in letzter Zeit in meiner Nachbarschaft abgespielt haben.)

Herr Müller von gegenüber? Er betrügt seine Frau mit dieser pummeligen Blonden aus dem Mietshaus einen halben Block weiter und glaubt, seine Angetraute wüsste davon nichts. Dumm von ihm, sonst käme er vielleicht auf die Idee, dass die Bauchschmerzen, die er in letzter Zeit immer häufiger spürt, von dem Gift her stammen, dass ihm seit einiger Zeit täglich mit viel Liebe ins Mittagessen gemischt wird. Man sollte eine betrogene Ehefrau halt niemals unterschätzen...

Der Sohn der Obermaiers aus 12a? Der baut hinter dem Gartenhäuschen seiner Oma Drogen an. Na ja, immerhin nimmt er das Zeug im Gegensatz zu seiner Schwester nicht selbst, sondern verkauft es nur. Etwa an Pfarrer Marx, der zu Eriks besten Kunden zählt. So high, wie der jeden Sonntagmorgen ist, ist es kein Wunder, dass seine Predigten des öfteren  keinen Sinn ergeben.

Der Einbruch letzte Woche bei Familie Class? Der ist vom gleichen Kerl begangen worden, der in letzter Zeit schon ein halbes Dutzend solcher Dinger überall verteilt im ganzen Stadtgebiet gedreht hat. Nur die die Sache mit der Goldmünzensammlung und dem Schmuck von Frau Class stimmt nicht; der Typ hat zwar so einiges mitgehen gelassen, diese Dinge allerdings nicht. Die sind sicher im Safe in der Garage verwahrt. Da will wohl jemand die Versicherung betrügen...

Hans von nebenan hat zur Zeit Hausarrest, weil er angeblich das Auto von seinem Mathelehrer zerkratzt hat. Ist aber Blödsinn. Das war sein Freund Cornelius, genannt Conny. Hans hat  lediglich die Reifen am Wagen seiner Deutschlehrerin zerstochen. Das weiß die aber nicht und gibt stattdessen ihrem Vermieter die Schuld, einem pockennarbigen Lustmolch, der ihr seit langer Zeit an die Wäsche will und bislang immer abgeblitzt ist.

Und was den Hund der Carstens betrifft, der angeblich weggelaufen ist: Opa Carsten hat das Vieh versehentlich überfahren und die Leiche dann heimlich nachts im Garten vergraben. Nicht, dass mich das besonders stören würde; die Töle hatte eh den Intellekt einer überreifen Tomate.

Na, reicht auch das als Beweis? Wenn nicht, dann lasst euch eines gesagt sein: Das hier ist nur der Anfang. Ich könnte euch Storys erzählen, da würden euch die Haare zu Berge stehen!

Die Menschen glauben immer, sie wäre die Größten. Andauernd meinen sie, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Dabei wissen sie nicht einmal, was in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft abgeht. Wir Katzen dagegen...

Nun höre ich schon, wie die ersten Stimmen laut werden. Ihr fragt euch sicher: „Hey, Sid. Du bist doch so intelligent und so aufmerksam, du bekommst doch alles mit, was hier in der Gegend passiert. Du bist viel schlauer als diese erfundene Katze aus dem Roman. Warum machst du es dann nicht wie die und hilfst den Menschen bei der Aufklärung all dieser Vorkommnisse?“

Gute Frage, Leute. Die Antwort ist ganz einfach. Erstens mal: Die Menschen verstehen uns Katzen nicht. Wie ich schon gesagt habe: Sie sind einfach nicht hoch genug entwickelt, um unsere Sprache zu beherrschen.

Und zum Zweiten: Warum sollte ich ihnen helfen?!? Ist das etwa mein Problem, dass die Menschen sich gegenseitig das Leben schwer machen oder sich selbst zugrunde richten? Solange sie mich dabei in Ruhe lassen, ist mir das Recht.

Und überhaupt: Was in der Realität so abgeht, ist besser als alles, was sich diverse Schriftsteller – Menschen und Katzen gleichermaßen – auch nur im Entferntesten auszudenken vermögen. Das ist wie eine Rund-um-die-Uhr Comedysendung, nur viel besser und ohne Lacher vom Band.

Und das will ich mir um keinen Preis der Welt entgehen lassen.
 
Und wo wir schon dabei sind: Gerade sehe ich, wie Hans (der Typ mit dem Hausarrest) aus seinem Fenster klettert und heimlich verschwinden möchte. Was für mich bedeutet, das ich Schluss machen muss. Ich will schließlich nicht verpassen, in was für einen Schlamassel der Junge diesmal gerät.

Also bis zum nächsten Mal. Und an alle Nicht-Katzen unter den Lesern: Leute, ihr tut mir echt Leid. Ihr wisst gar nicht, was für eine einzigartige Existenz ihr verpasst...

ENDE

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