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Sklaventreiber, Rheingold, Hüte und Wurst

Teestunde mit Rolf...Moin Rolf, und nichts wird aus der zweiwöchigen Pause der Teestunde. Rolf hat geschrieben. Diejenigen, die auf islamische Geschichte oder Reiseberichte warten, müssen wir vertrösten. Aber lest selbst. Der Tee ist serviert ...

Sklaventreiber, Rheingold, Hüte und Wurst

Hermann ist ein Sklaventreiber, der statt der Peitsche Argumente benutzt. Und so hat er mir vorgerechnet, dass ich noch Zeit genug hätte, zweimal Tee zu machen, und das zu einer Zeit zu servieren, wenn ich im Umzugs-Chaos versinke und die Woche drauf mein ›Justinian‹ vermutlich noch nicht online ist. 

 

Also sitze ich hier am ersten Tag des neuen Jahres, kämpfe mit den Wirkungen des letzte Nacht genossenen Bieres, weil ich ja nichts mit in die neue Residenz nehmen wollte und übe mich in der olympischen Ostfriesen-Disziplin des Teebeutel-Weitwurfs ...

Treppenlaufen, Sänftetrage und Blumenstafette – warum habe ich eigentlich diese Sachen hier erzählt? Immerhin haben sie ja mit den Romanen nichts zu tun – und auch von Werner Kurt Giesa, von dem ich ja erzählen wollte, war kaum die Rede. Sicher, weil W.K. (sprich ›Weh-Kah‹, denn so haben wir ihn gelegentlich gerufen, immerhin gab es ja auch ›Dschey Aar‹ aus Dallas, wo die beiden Anfangsbuchstaben des Namens reichten) damals bei öffentlichen Auftritten vor seinem Tick mit der Western-Kleidung immer den weißen Anzug trug. Und damit haben wir eine schöne Überleitung zum eigentlichen Grund der Erzählung – nämlich Werner Kurt Giesas markante Outfits in der ersten Hälfte der 80er Jahre.

Bei diesen Aktionen war es, wie immer wieder betont, Werners weißer Anzug mit Zylinder, Handschuhen und Spazierstock, der ihn auffallen ließ. Auch als wir nach der Blumen-Stafette dann im Zissel-Festzug mit liefen, war Werner in seiner Rolle als ›Zirkus-Direktor‹ mit dabei.

Das ganze Läufer-Team in den roten Trikots, Hans und ich mit Gitarre und Banjo und diversen einfachen Griffen »Rocking all over the world« und ähnliche Songs spielend und dahinter, zwischen den Sportlern und dem Wagen mit dem Vereins-Präsidium der ›weiße Riese‹, sprich W.K. Giesa. Ein Bild für die Götter – und von den Zuschauern wusste keiner was mit ihm anzufangen. Es stand ihm ja auch nicht auf der Stirn geschrieben, dass er für den Bastei-Verlag sehr erfolgreich Romane schrieb. Der Zug zog durch die ganze Kasseler Innenstadt bis zum Rathaus und alle paar Meter zog Werner den Zylinder und machte den Leuten rechts und links eine Verbeugung wie der selige Phineas Taylor Barnum, der als ›Großmeister des Humbugs‹ in die Geschichte eingegangene Circus-König Amerikas.

Ja, der weiße Anzug war Werners Markenzeichen bis zu dem Tag, an dem er feststellte, dass Kassel einen Laden mit Western-Kleidung hatte. Ich hatte mir schon längere Zeit vorher dort mal ein Bolo-Tie gekauft. Bolo-Tie, so nennt man diesen amerikanischen Schnürsenkel-Schlips.

Werner interessierte das und so sind wir mal hingefahren und haben geguckt. Die Preise kamen mir damals gepfeffert vor – und das waren sie auch und sind sie auch. Aber wenn ich mich nicht irre, ist Werner damals mit seinem ersten echten Stetson aus dem Laden gegangen. Und damit kam langfristig gesehen der weiße Anzug aufs Altenteil. Allerdings auf den letzten Bildern, die ich von ihm kenne, trägt Werner wieder einen weißen Anzug mit einem Hut, der zu seinen Ältesten zählen muss. Vermutlich war es sogar sein Allererster. Und davon trennt man sich einfach nicht. Dazu trägt Werner auf den neueren Bildern ein T-Shirt, wo er früher zum weißen Anzug orange oder rote Rüschenhemden mit Fliege trug.  

Ich vermute, Werner hat mit den Western-Kleidungsstücken genau das gemacht, was ich auch gemacht habe. Sie weggegeben – denn immerhin sind wir dann zwar nicht von der inneren Einstellung, aber vom Körpervolumen aus diesen Sachen rausgewachsen. Meine Western-Sachen habe ich alle an Freude beim Circus weiter gegeben, die so eine Western-Show mit Kunstreiten, Peitschenschlagen, Lassodrehen und Messerwerfen einstudieren konnten.

Apropos Western-Show. Da muss ich etwas vorgreifen in die Zeit, wo wir alle schon so gut mit Western-Kleidung ausgerüstet waren, dass wir notfalls als Komparsen bei den Karl-May-Festspielen hätten mitmache können. Werner hatte fast alle von uns mit seiner Marotte für Cowboy-Kleidung angesteckt. Irgendwie hatte jeder von uns einen Hut und wo es nicht für ein besticktes Rodeo-Hemd für hundert Mark und darüber langte, trug man eben ein Jeans-Hemd oder so ein kariertes Holzfällerhemd und eine biedere deutsche Weste wurde mit Conchas aufgemotzt. Conchas, das sind diese Silberscheiben zur Verzierung.

Selbst der Herausgeber des Zauberspiegels hatte damals einen Lederhut organisiert und einen Mantel aus Fell, mit dem er aussah wie ein entsprungener (Italo-Western-)Outlaw auf der Flucht. Und bei dem, was ich hier erzähle, war er nämlich mit dabei und hatte sogar einen sehr gefährlichen Job, der sogar auf Fotos festgehalten wurde.

Ja, was war das, was ich hier so andeute. Nun, ganz einfach – ein Western-Fest im Jugendzentrum von Lippstadt. Wir erinnern uns daran, dass Werner Kurt Giesa in der Lippstädter Zeit im dortigen Jugend-Zentrum aktiv war. Das kam aus der Zeit, als er dort seinen Zivildienst ableistete.

Werner hat zwar das, was ich ›Wehrdienst‹ und er ›Kriegsdienst‹ nannte verweigert – aber sich dennoch nicht gedrückt und seinen Ersatzdienst durchgezogen. Dass der im Jugendzentrum seiner Heimatstadt war, kam ihm entgegen – und den Behörden auch, weil sie für ihn da keine Unterbringung brauchten.

Und auch nach seiner Zeit als Zivildienstleistender ist Werner dem Jugendzentrum immer verbunden gewesen. Der Grund – nun, ich nannte ihn schon mal ... cherche fa femme ... die Girlys sahen da wirklich hübsch aus. Ich war mit W.K. einige Male dort, wenn gute Bands spielten, und genoss neben der Musik für das Ohr auch einen herzerwärmenden Anblick auf der Tanzfläche, wo sich Teenies in engen Jeans und knappen T-Shirts so richtig austobten. Dass einige von ihnen mit veränderten Namen Werner die Inspiration für diverse weibliche Zamorra-Figuren, speziell die Peters-Zwillinge, gegeben haben, wurde schon an anderer Stelle erwähnt. Leider kann ich mich nur noch schwach an die beiden Zwillinge dort im Club erinnern, welche die Schablone gaben. Wer Mary-Kate und Ashley Olsen in ihren früheren Filmen gesehen hat, der weiß jetzt, wie die Girls aussahen, die Werner geistig als Vorbild für die Peters-Zwillinge dienten.

Es war die Zeit, nachdem Hans Klipp und ich im Auftrag der Stadtverwaltung Kassel bei einem Marketing-Programm für Kassel-Werbung mitmachten. Eine Woche lang fuhren wir auf dem damals verkehrenden ›Rheingold-Express‹ jeden Tag von Köln nach Mannheim und wieder zurück. Während eine Frau unseres damaligen Verkehrsamtes (nein, das hat nichts mit Prostitution zu tun – gemeint ist Fremdenverkehr ... wobei man das ja auch wieder zweideutig auslegen kann) – also diese Frau verteilte an die Gäste im Salon-Wagen alte Wurst (in Kassel und überhaupt in Nordhessen reden wir nur von ›aahler Wurschd‹) und Kassler Bier in Plastikbechern, während Hans Klipp und ich Country-Musik machten.

Allerdings hatte ich nicht das sonst übliche Banjo dabei. Damals kamen die ersten elektronischen Keyboards raus. Es war die Zeit, wo auf den Bühnen noch die großen Elektrik-Orgeln von Farfisa, Hammond und anderen Marken dominierten. Die Japaner brachten mit Yamaha da was völlig Neues auf den Markt. Und weil ich zu Hause bereits eine transportable Orgel hatte und mit den Tasten vielseitiger war als mit dem Banjo, machte ich einen Tausender locker, und danach war eins dieser neumodischen Keyboards mein – einschließlich Tragetasche. Ein passendes Gestell dafür gab es noch nicht – so was habe ich aus zwei Beckenständern vom Schlagzeug gebastelt.

Da sich das Keyboard auch mit Batterien betreiben ließ, waren wir vom Strom unabhängig und ich konnte mit Hans dann überall stehen und ›Mucke machen‹. Für die Fahrt im ›Rheingold-Express‹ war das Teil bestens geeignet – auch wenn natürlich das ›Schlagzeug‹ vom Begleitautomaten von der Gitarre übertönt wurde.

Wie Hans und ich überhaupt an die Sache gekommen sind? Nun, wir hatten in Kassel mal eine Touristik-Messe und der engagierte Alleinunterhalter sagte ganz kurzfristig ab. Nun war ich ja im Kasseler Rathaus bekannt wie der berühmte ›bunte Hund‹, zumal meine damalige Band »Le Copains« für Betriebsfeste der städtischen Ämter Sonderpreise machte. Da verzichtete ich dann auf die Gage. Bei Auftritten bei der SPD bekam der Organist nichts und der Gitarrist war in der CDU, was uns diesen ›Markt erschloss‹. Also, man kannte mich eben – und deshalb klingelte bei mir samstagmorgens das Telefon zu sehr unchristlicher Zeit.

Damals hatte ich mein Appartement im ›Turm des Schreckens‹ und hörte das Klingeln sofort. Am Telefon war ein sehr aufgeregter Kollege. Ich wäre seine einzige Hoffnung und Rettung. Ja, nur war Sommer – Harry, der Organist war früh am Morgen irgendwohin zum Angeln gefahren und Alfred, der Gitarrist, mit seiner Familie in den sonnigen Süden, es waren ja Ferien. 

Wollte ich hier helfen, gab es nur eine Lösung – und die wohnte damals in der Wohnung über mir. Natürlich – der ›Chef‹. Erst mal erklärte er mich für komplett verrückt – machte aber in jenen Tage auch jede Verrücktheit mit. So packten wir also Gitarre und Banjo ein und führen in die Messehalle. Die Leute müssen alle taub gewesen sein, dass sie uns mit unseren paar Griffen, die wir drauf hatten (ich auf dem Banjo noch weniger als Hans) nicht höflich, aber bestimmt, hinaus komplimentierten.

Aber nein, statt eines sicherlich gerechtfertigten Rauswurfs hatten wir anschließend die Aktion ›Rheingold‹ in der Tasche. Es gab zwar kein Geld – aber alle Spesen wurden ersetzt und wir waren in einem Eisenbahner-Wohnheim untergebracht, wo Lokführer und sonstiges Zugpersonal übernachteten, wenn die Arbeitszeit dort abgelaufen war.

Ja, so fuhren Hans und ich jeden Tag – ›Rocking all over the world‹ – den Rhein entlang bis Mannheim und zurück. Und weil so viele Touristen aus Japan mit dabei waren, hatte ich aus einem Sprachführer für Touristen mir eine ganze Reihe japanischer Höflichkeits-Formulierungen rausgeschrieben, die bei den Leuten aus dem Land der aufgehenden Sonne sehr gut ankamen.

Natürlich wurde weder die ganze ›Ahle Wurschd‹ verteilt noch das Bier ausgegeben. Aber an jedem Tag kam eine neue Lieferung und so bleiben pro Tag zwischen 8 bis 10 Würste übrig – und kleine Bierflaschen in Pappkästen waren auch immer so drei oder vier übrig. So was wirft man natürlich nicht weg – und am Schluss der Aktion war der Kofferraum meines damaligen Daimlers randvoll mit nordhessischen Spezialitäten, die wir wieder mit zurück nahmen. Die ›Glarelion‹ war ein Mercedes der 70er Jahre, ein echtes ›Schlachtschiff‹, gegen das die heutigen ›Sterne‹ wie Kleinwagen aussehen. Und in diesem Kofferraum hätten notfalls zwei Särge Platz gehabt. Das nur mal, um zu sagen, dass unsere ›Beute‹ sehr reichhaltig ausgefallen war.

Natürlich haben Hans und ich diese ›Beute‹ dann auch wie die alten ›Likedeeler‹ Störtebeckers halbe-halbe geteilt. Aber dennoch waren eine ganze Reihe Pappkisten mit Bier da – und der ganze ›Galgen‹ eines Mikrofonständers hing voll ›Ahler Würschde‹. Ich war ernsthaft am Überlegen, ob ich das alles essen könnte.

Doch die Rettung nahte in zwei guten Freunden, die hier öfter erwähnt wurden. Der eine ist – natürlich, ich wollte ja überwiegend von Werner erzählen - und der zweite wird, wenn er das vor euch liest, wissend lächeln [das tut er, wirklich, das tut er, hhva]. Der zweite ›Retter‹ war nämlich unser ›Küsten-Baron‹ und ›Deichgraf‹, der heute seinen Wohnsitz dorthin verlegt hat, wo vermutlich die Küste ist, wenn das Eis der Polarkappen völlig geschmolzen ist. Denn dann hat Hamburg die Rolle von Atlantis übernommen und Kassel wird dann das neue ›Tor zur Welt‹. Also, um es kurz zu sagen, es handelt sich hier um den damaligen und heutigen Herausgeber des Zauberspiegels.

Kurz gesagt, ich hatte einige Zeit vorher meinen Wohnsitz von Kassel nach Ahnatal verlegt – vom ›Turm des Schreckens‹ in die ›Raben-Burg‹ und Werner wollte mit Hermann einen Zelt-Con vorbereiten. Auf dem Campingplatz bei Ahnatal würde für ein Wochenende ein fannisches Zelt-Dorf entstehen, wo man sich in zwangloser Atmosphäre besser kennen und schätzen lernen sollte und diverse Streitereien in den Leserseiten der Fanzines durch klärende Gespräche bereinigt werden konnten.

Eine Woche wollten sich Hermann und Werner Zeit lassen, das alles in Ruhe zu organisieren. Man war ja gut untergebracht – Werner auf der noch nicht durch eine Frau belegte Seite meines Doppelbettes und Hermann im Wohnzimmer auf der Couch. W.K hatte ja den Schlüssel zu meiner Wohnung – und während der Hausherr, der keinen Urlaub bekommen hatte, jeden Tag nach Kassel fuhr, um bei der Stadtverwaltung seinem Tagewerk nachzugehen, schliefen die Herren bis in den späten Morgen und frühen Mittag. Und dann machten sie das schöne alte deutsche Sprichwort wahr.

»In der größten Not – schmeckt die Wurst auch ohne Brot!«

Und gemäß eines Kasseler Sprichwortes: »Dr Mensch lääwet nit vom Broode alleine – hä hott je au mo Durscht!« gab es zu den Ahlen Würschden dann das ›erbeutete‹ Bier. Ich müsste lügen, jetzt zu erzählen, sie hätten mir nicht eine Wurst übrig gelassen – als sie nach einer Woche wieder ihren heimatlichen Gefilden zueilten.

Für meine Wurstvorräte waren sie jedenfalls wie eine Heuschreckenplage gewesen und ich tröstete mich nur darüber, dass eben weder das Bier noch die Wurst schlecht werden konnten.

Ja, warum habe ich das jetzt alles erzählt. Zum einen, weil der Schluss eben zu einer der Episoden aus der Zeit gehört, als Werner und ich eben voll beim Zamorra zusammen schrieben – und weil Hans und ich auf der Fahrt mit dem ›Rheingold‹ gefragt wurden, unter welchem Namen wir den spielen würden. Der erste Name ›The Hobos‹, der von mir kam, wurde schon am nächsten Tag von uns verworfen. Hobos sind Tramps in den USA und Kanada, die heimlich auf Züge aufspringen und mitfahren.

Hans gab dann der ›Band‹ den Namen »Pony-Express« - nicht zu verwechseln mit einer Band gleichen Namens, von denen wir damals nichts wussten. Diese Jungs haben sogar Schallplatten raus gebracht.

Ja, und eine gewisse Zeit war der »Pony-Express« wirklich eine Band – weil noch ein Schlagzeuger dazu kam. Wer das war und wie es dazu kam – wie es zu einer ›Pony-Express-Tournee‹ nach Lippstadt kam – und wie die Sache endete – das erzähle ich in der nächsten Woche – auch wenn ich es jetzt gleich im Anschluss schreibe.

Bis dann also ...

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