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Endstation Burnout - Vom Bestseller auf direktem Weg in die Krise -– Juni 2012

Auf eine Mail mit Uschi ZietschEndstation Burnout–
Vom Bestseller auf direktem Weg in die Krise
Juni 2012

Heute wenden wir uns mal wieder existentiellen Problemen von Schriftstellern zu: Wo liegt der Unterschied zwischen einem inneren Schweinehund und einer echten Schreibkrise? Weshalb können sich selbst Profis in die Depression schreiben? Und warum überhaupt ist das Schreiben trotz dieser Probleme so beliebt?


Wir haben bereits vor einiger Zeit darüber geschrieben, dass auch den professionellsten Profi eine Schreibkrise erwischen kann. Du hattest damals gesagt, dass das Schreiben zwar Spaß machen soll, aber kein Spaß ist – manchmal sogar eine Qual. Und dass jeder Autor Tricks kennt, wie der Schreibfluss wieder in Gang kommt. Über diese Tricks haben wir damals nicht gesprochen. Magst du heute deine Trickkiste einen Spalt für uns öffnen?

Uschi: Wichtig ist in erster Linie: Ehrlich zu sich selbst zu sein und dadurch festzustellen, wann genau eine Krise auftritt. Und was es für eine Krise ist. Ist es nur ein Durchhänger an diesem Tag? Ist es ersichtlich, heute geht gar nichts? Dann Laptop zuklappen und raus an die frische Luft. Einkaufen, spazieren gehen, Dinge erledigen, die längst erledigt gehören. Den Tag auf andere sinnvolle Weise verbringen. Aber Vorsicht, Falle: Dies kann sich natürlich häufen und man gibt allzu leicht nach. Das darf nicht geschehen! Es ist ein Unterschied zwischen „echter Durchhänger“, also man ist einfach schlecht drauf, hat keine Ideen und kommt nicht vorwärts, oder „innerer Schweinehund“: Ich brauch einen Schubs, damit ich loslege, und nicht -zig Ablenkungen („die Fenster müssten auch schon lange geputzt werden“). Dann gibt es natürlich auch noch „ich bin willig, hänge aber an dieser Stelle fest“. Also die berühmte so genannte (selbst geschaffene) „Blockade“. Eine unüberwindliche Mauer türmt sich vor einem auf, man weiß nicht, wie es weitergehen soll. Man wälzt und begrübelt das Problem und weiß nicht weiter. Dann ist es am besten, man schreibt einfach an einer ganz anderen Stelle weiter, die einem leicht fällt, die man vielleicht sogar schon skizziert hat. Oder man überspringt die heikle Stelle und setzt danach wieder ein, schreibt also „darum herum“. Es gibt keinen Grund, linear schreiben zu müssen, wenn man sich gut vorbereitet hat mit einer durchstrukturierten Gliederung. Da kann man leicht an jeder Stelle einsetzen und flott drauflosschreiben, wenn man gerade eine tolle Szene vor sich sieht. Wenn man allerdings drauflos schreibt, ohne zu wissen, wohin die Reise geht, tut man sich damit natürlich schwer (falls man überhaupt je ans Ziel kommt, weil man überhaupt keinen Plan hat). Aber auch dann sollte die heikle Stelle zunächst einfach umschifft werden. Später, wenn man sie lang genug „links liegen“ gelassen hat, löst sie sich von ganz allein und man fragt sich, wieso man nicht gleich darauf gekommen ist. Keinesfalls darf man sagen: ich kann nicht weitermachen, solange ich diese Stelle nicht überwunden habe. Damit ist der „Blockade“ Tür und Tor geöffnet, und man hat tausend Ausreden nicht weiterzuschreiben und ist jämmerlich gescheitert.
Aber es ist so beim Schreiben: wie der Held auch muss der Autor viele Hürden nehmen und sich zum Ziel durchkämpfen.
Manche Autoren umgehen diese Probleme, indem sie ein Buch so exakt im Vorhinein planen, bis hinein zu den einzelnen Szenen, dass sie nur noch schreiben müssen. Das allerdings ist mir persönlich ein zu enges Korsett, denn ich weiß ja zu Beginn noch gar nicht, welche unerwarteten Wendungen sich neben den geplanten ergeben werden, beispielsweise dann, wenn der Held links statt rechts abbiegt. Ich will als Autor auch gespannt sein, wie unser Held ans Ziel gelangt und sich aus scheinbar ausweglosen Situationen herauswindet.
Es gibt viele Tricks. Wichtig ist zunächst, die eigene Schwäche zu erkennen (also ob die Durchhänger, insofern sie sich nicht auf die Kreativität, sondern auf den Text beziehen, immer bei ähnlichen Szenarien auftreten) und sich ihr zu stellen, dann findet man auch die Tricks, aus der Falle herauszukommen.

Letzten Monat hast du auf meine Frage nach J. K. Rowlings neuem Roman geantwortet, dass es dich nicht gewundert hätte, wenn sie sich nach der Mammutserie „Harry Potter“ so leer gefühlt hätte, dass sie nie wieder ein Buch geschrieben hätte. Das ist für mich einerseits bei einer so erfolgreichen Schriftstellerin fast unvorstellbar, andererseits sehr erschreckend. Statt selbstsicher und siegesgewiss ein neues Buch zu schreiben, landet man im tiefsten Loch. Wenn ein Reiter vom Pferd fällt, soll er so schnell wie möglich wieder in den Sattel steigen, sagt man. Wie kann sich ein Autor retten, wenn er leergeschrieben ist?

Uschi: Na ja, wenn ein Reiter vom Pferd fällt, ist das ein Unfall. Er sollte deswegen sofort wieder in den Sattel steigen, um der Angst keinen Vorschub zu geben, weil er am Ende nie wieder auf ein Pferd steigt – nur weil er einmal runtergepurzelt ist und sich nicht überwinden kann, es noch einmal zu versuchen. Hier soll man sich also der Angst stellen und sie überwinden. Beim Schreiben ist das etwas anderes, man ist schlichtweg ausgebrannt.
Ich selbst bin nach einem großen Projekt wie beispielsweise den „Waldsee-Chroniken“ auch total leer gewesen, nach Abschluss des ersten Bandes damals bin ich in ein tiefes Loch gefallen und es ging mir nicht gut. Da ich diesen Zustand aber schon kenne und zu noch früheren Zeiten sogar Depressionen bekommen hatte, weiß ich heute, wie ich dem entgegensteuern kann. Der Akku muss sich wieder aufladen, das braucht seine Zeit. Ich nehme dann bewusst Abstand vom Schreiben. Und dann lenke ich mich mit neuen Projekten ab, was mich emotional recht schnell wieder aufbaut. Geholfen hat mir bei den „Chroniken“ natürlich auch, dass ich noch zwei Bücher der Trilogie vor mir hatte, an denen ich ohnehin schon parallel gearbeitet hatte.
Rowling hat sich jahrzehntelang auf dieses eine große Epos konzentriert, ohne jemals etwas anderes zu schreiben. Wenn einem eine Geschichte, an der das ganze Herzblut hängt, so viel abgefordert hat – und in so einem Fall ist das einfach alles, und zwar vor allem im emotionalen Bereich – braucht es erst mal eine Erholungsphase, um wieder „ins normale Leben“ zurückzukehren. Ich habe mir inzwischen angewöhnt, zum einen weitere Projekte in der Warteschlange zu haben, und zum anderen mehr Distanz zu meinen Büchern zu halten, sodass ich derartige Phasen kaum mehr habe. (Na gut, manchmal kann ich halt nicht anders.) Ich schreibe so lange und so viel, da ergibt sich das zwangsläufig. Allerdings bin ich nach jedem Schreibmarathon erst mal ausgepowert und brauche ein paar Tage Abstand und Erholung, bevor ich weitermache.

Warum ist das Schreiben trotz dieser Probleme so beliebt, versuchen sich so viele Menschen daran? Haben sie falsche Vorstellungen davon, überwiegen in den Köpfen die Klischees vom relaxten Schriftsteller, der auf der Wiese in der Sonne gutgelaunt an seinem nächsten Bestseller schreibt? 

Uschi: Wenn ich bedenke, was für Manuskripte auf meinem und dem Arbeitstisch aller anderen belletristischen Verlage landen, so gehen die meisten von völlig falschen Vorstellungen aus. Und zwar haben die vor allem eine Vorstellung im Kopf: „Ich habe dieses Buch gelesen. Das kann ich auch.“ Eben nicht! In vielen Köpfen ist nach wie vor die Überzeugung verhaftet, dass jeder schreiben kann und es nichts Besonderes dazu braucht. He, man hat ja schließlich eine 1 im Schulaufsatz bekommen, und außerdem weiß man so viele tolle Geschichten! Die braucht man doch nur aufzuschreiben, und schreiben ist ja nicht schwer, man liest viel, und da ist vor allem stilistisch ordentlich Schrott dabei, das kann sowieso jeder besser.
Und so suchen die frischgebackenen Autoren sich Versatzstücke aus allen Büchern (hier: Fantasy bzw. Game) zusammen, die sie bisher gelesen haben und schustern eine Flickwerk-Geschichte, die wie der vierte Aufguss eines Teebeutels daherkommt und auch diesen Geschmack hat. Von Spannungsbogen, Dreiakter, Logik keine Spur, alle anderen machen es ja schließlich auch so, und wer braucht schon Regeln! Ich bin freier Denker, ich halte mich da nicht dran, lasse mir nichts vorschreiben! Dazu noch mangelnde Rechtschreibung (das ist wirklich schlimm), unsägliche Satzbausteine, Beschreibungen, die überhaupt nicht passen, haarsträubende Formulierungen und ein Stil, den man vergeblich sucht, und mit der Grammatik nimmt man es auch nicht so genau. Warum auch? Die Freunde finden's toll, und auf den Plattformen im Internet kriegt man auch nur Lob. Also macht man doch alles richtig, oder?
Da hilft es nichts, dass man heutzutage nicht mehr Verlage um Veröffentlichung anbetteln muss, weil man durch ebook und BOD bzw. jetzt neu amazon publishing alles selbst machen kann. Weit gefehlt! Ein bisschen Selbstkritik wäre einfach angebracht und vielleicht mal eine objektive Sicht auf die Dinge: Es fehlt das Handwerkszeug, die Übung, oft das Talent - und vor allem das Lektorat. Kein Profi geht ohne Lektorat an den Start, denn es gibt immer was zu verbessern. Bevor man sich das erste Mal ans Schreiben macht, sollte man sich zuerst einmal, wie bei jedem Beruf, damit auseinandersetzen, was es für Voraussetzungen braucht und wie man es erlernt, und ob man dafür überhaupt geeignet ist. – Die DKZ sind natürlich der Ansicht, man ist, und jetzt her mit der Kohle!
Ich hab es in diesem Rahmen schon gesagt: Für jeden künstlerischen Beruf gibt es eine Ausbildung. Es kommt nicht auf das Diplom an der Wand an, sondern darauf, dass man lernt, wie es richtig geht. Das Schreiben ist da keine Ausnahme, auch wenn es dafür in Deutschland offiziell keine Ausbildung gibt. Doch es gibt viele hilfreiche Bücher und seit Jahren auch Seminare, um zu erkennen, wie man es richtig macht. Und im nächsten Schritt, wie man es richtig gut macht.

Bis zur nächsten »Mail mit Uschi« im Juli

Kommentare  

#16 Mikail_the_Bard 2012-06-04 19:27
Was für mich bei eine Schreibblockade das Schlimmste ist (eigene Erfahrung als Hobbyschreiber), dass ich meinen inneren Schweinehund ziemlich of die letzte Zeit die lange Leine gebe. (z.B durch Frust im Job, etc.) (Früher hatte ich gerade wegen dieser Frustationen geschrieben!). habe ich mal einen Schreib-Boost, dann werde ich meistens gestört... dann ist die Luft raus.
Also im Prinzip ist die Sache einfach: Schweinhund anketten, sich einsperren und Telefon & Handy aus und kein Chatprogramm anhaben. Den Leuten die einen Nerven gehen könnten sagt man, man hätte die Magen-Darm-Grippe! :-)

Hm, solche "Schreibgruppe" gibt es bei uns hier auch, aber das Stimme ich Larandil, McEl und Kerstin voll und ganz zu! Dann beleg ich lieber einen Kurs an der Uni (wenn es mal welche hier geben soll im Saarland).

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