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# 99 ... bis zum Ende vom Spaß

As Time Goes By# 99 ... bis zum Ende vom Spaß

Ich hatte also Hausaufgaben gegeben, ich der Aushilfslehrer: Eine eigene Geschichte verfassen. Ich sah jede Menge Fernsehen. Serien, Filme und Zeichentrick, denn ich kannte die Faulheit der Schüler. Ich befürchtete nämlich Nacherzählungen von gängigen TV-Serien zu bekommen. In der Tat überraschte mich diese Klasse. Nur zwei waren dabei, die geschummelt hatten und völlig entsetzt waren, dass der Mietlehrer da vorn ihnen auf die Schliche gekommen war. Der Rest war zum Teil skurril, aber auf jeden Fall gute, kreative Einzelleistungen. Kaum verkäuflich, aber die Schüler hatten Spaß am schreiben und sie hatten das wesentliche am Heftroman erfasst.

Zum Abschluss wurden diese Geschichten dann diskutiert. – Das war ein Heidenspaß.

Eigentlich war die Unterrichtseinheit vollendet und meine Arbeit getan, aber dann hatte ich noch eine Idee und aus einer Stunde Sozialkunde wurde noch eine Stunde Deutsch. Die Gruppen sollten alles noch in ein Rollenspiel umwandeln. Wow, motivierte Schüler sind was Schönes. Jede Daily-Soap wäre neidisch gewesen. Ich war hoch erfreut über den Elan der Schüler.

Dann war Schluss und ich kehrte ins Privatleben zurück. Ob ich ein guter Lehrer war? Klar war ich einer, denn ich bedeutete Abwechslung, weg vom Tagesgeschäft in der Schule. Das ist wie der einmal im Jahr zum Geburtstag erscheinende Onkel, der Eis spendiert und Geschenke mitbringt. Da ist es einfach gut zu sein. – Also bildete ich mir darauf mal nichts ein und hielt mich auch nicht für den Lehrer neuen Typs (und wenn ich das geglaubt hätte, so wären die nächsten Jahre dazu geeignet gewesen, mich nach und nach auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen). Und ich möchte nicht mit den Lehrern tauschen.

Die kommenden Jahren bedeuteten dann auch für mich jedes Mal ein Stück weniger Spaß. Mit jeder Einheit wurden es immer weniger Leser (als ich die Einheit zuletzt gemacht hatte, gab es in der Klasse noch eine Leserin, die sich Wendy reinzog). Einer behauptete, er lese regelmäßig Zeitschriften. Das meinte aber nur das TV-Programm (nicht mal die Artikel, nur den Programmteil)... Die Schüler schafften es kaum noch in 20 Minuten mehr als 5 Seiten zu lesen (das war in der ersten Hälfte der Neunziger). Die selbst verfassten Geschichten waren zu siebzig, achtzig Prozent dem TV-Programm der Woche entnommen. Höhepunkt dieser Entwicklung war, eine Geschichte über Duke zu lesen, der ein planetengroßes Raumschiff abschoss. Aber auch diverse Star-Trek-Folgen, Brave Star, Sailor Moon und alles Mögliche wurde nacherzählt.

Mit jeder Einheit musste ich mehr erklären, mehr tun und konnte mich immer weniger auf die Mitwirkung der Schüler verlassen bzw. darauf bauen. Immer stärker kam ich mir vor wie der Eintänzer in der Fischbratküche. Unterhalte uns, zeig es uns. Wir sollen mitmachen? Sag es uns. Wir schreiben mit. – Das waren die Botschaften, die mich erreichten. – So ist Schule die Hölle, für Schüler und Lehrer.

Woran das liegt? – Ich vermute ein Großteil der Ursachen liegt nicht in der Schule (manches vielleicht im System an sich), aber vieles im Elternhaus. Aber dies ist nicht der richtige Ort, um diese Diskussion zu führen.

So kann sich der geneigte Leser denken, dass Rollenspiel und die meisten interaktiven Elemente von Jahr zu Jahr zurückgefahren wurden. Bei der letzten Klasse hatte ich noch vier, die mitmachen wollten. Der Rest hockte eher verständnislos da (wie mir versichert wurde, kein Ausnahmephänomen). Ich hätte 22 rausschmeißen und mit den vier Willigen arbeiten sollen (aber das ging nicht). Also habe ich mein Bestes gegeben (wer mich Ende der Achtziger auf den Buchmesse-Cons bei Versteigerungen erlebt hat, der weiß, was ich für ne Welle gefahren habe), aber eben kaum noch jemanden erreicht. – Ich habe den Göttern gedankt, kein Lehrer zu sein. – Und somit bin doch kein guter Lehrer, denn die besten von ihnen geben nicht auf.

So konnte ich mir dann auch den Luxus leisten und meine Mitwirkung seither zu vermeiden. Aber wenn alles glatt läuft, werde ich demnächst mal wieder so was machen, aber nicht in einer Schule, sondern vor einem Haufen Freiwilliger. Aber das ist noch im Planungsstadium.

Aber den Spaß mit einigen der Klassen werde ich nicht vermissen. Und wenn man dann mal in der Fußgängerzone von Stade oder im Zug gelegentlich angesprochen wird, ist das eine feine Erinnerung daran, dass früher alles anders war. Denn zwei oder dreimal ist es passiert, dass sich „meine“ Schüler an mich erinnerten, als ich Ihnen begegnete (ohne dass ich aber noch wusste, wer sie waren – Eine verkauft im übrigen Bücher und hat gesagt – ganz unschuldig wäre ich daran nicht). – Das macht mich nicht stolz, aber es ruft diese oder jene Erinnerung an Zeiten wach, da ich meine Erfahrungen mit Heftromanen weitergeben konnte.

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