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# 85: Ich nehm die Kisten...

As Time Goes By# 85: Ich nehm die Kisten...

Altstadtfest in Stade. Das hieß Flohmarkt (inzwischen sind der große Flohmarkt und das Fest getrennt). Der Flohmarkt findet im Mai und September statt. Das Altstadtfest im Juni. Aber in den frühen Achtzigern fand beides an einem Wochenende und der Flohmarkt (sehr zum Ärger der Stader Einzelhändler) an am Samstag. Die Fußgängerzone war von der Holzstraße bis zum Fischmarkt von Flomarktständen zugestellt. Und die Händler guckten in die Röhre (inzwischen läuft der Markt am Sonntag).


Aber damals war das anders. Damals vor bald 30 Jahren (Gott werde ich alt!) war der Stader Flohmarkt – im Gegensatz zu heute – ein echter Kracher für Heftroman-, SF- Horror- und Fantasysammler. Und im Gegensatz zu heute musste man noch mit den anwesenden Profihändlern um die Wette laufen, um die Angebote nicht teuer bei denen kaufen zu müssen.

Ich erschien zwar (weil sich die Stadt bis zehn Uhr Morgens soweit gefüllt hatte, dass man sich wie in einer Büffelherde fühlte) bereits mitten in der Nacht (meist so ab vier Uhr, manchmal auch erst um fünf oder ich feierte gar durch) in der Fußgängerzone (die damals noch sehr neu war – ich glaube mich dunkel zu erinnern, dass der erste Flohmarkt sogar zur Eröffnung der ‚Fuzo’ stattfand). Zumeist begegnete man denen, die für den Flohmarkt aufbauten und denen die von Festlichkeiten im Parkhaus oder so nach Hause schwankten. Manchmal mussten Flohmarktstandbesitzer eingeschlafene Zecher zur Seite räumen und ihre Ware vor Leuten schützen, die ein gewisser Drang übermannte zuvor eingenommene Bratwürste und Fischbrötchen und hastig getrunkenen Alkohol über die Zunge wieder in die Freiheit zu entlassen. Dazu kamen auch welche, die die öffentlichen Urinale nicht fanden und in ihrem Suff den Tapeziertisch für ein solches hielten.

Aber sobald es hell wurde begann die Jagd nach den Objekten der Begierde. Lange bevor damals der Markt eröffnet wurde, begann die Jagd und das Hökern und Handeln. Kartons wurden gesichtet. Western, Arzt- und Liebesromane und Krimi schieden aus. Horror, SF und Fantasy sollten es sein. Wildes Entzücken wechselte mit herben Enttäuschungen.

Aber es gab da einen Flohmarkt, da lief es so gut. Mag es 1980 oder 1981 gewesen sein. Gegen 8:00 Uhr hatte ich drei Taschen und meinen Rucksack voll und schon einiges am einem Stand meines Vertrauens eingelagert. 50 Heyne SF-Taschenbücher, diverse Hefte aus den entsprechenden Genres, Basteis SF, Tera Fantasy, Terra, Terra Astra, Utopias zählten zur Beute.

Ich schwebte auf einer euphorischen Woge durch die Fußgängerzone, ließ mich von meiner Intuition leiten. Drei Kartons eines Nachzüglers zogen mich förmlich an. Da! ZbV, interessante Leihbücher und eine Shocker-Silber-Krimi...

Ich erkundigte mich, was die Kosten sollten.

„5 Mark, die drei Kartons überlasse ich Dir für 20“, sagte die Stimme.

Ich überschlug kurz was ich gesehen hatte. Das lohnt sich. „Ich nehm die Kisten!“ verkündete ich frohgemut.

Nun trug ich meine Beute zusammen und da es voll wurde, sollte es nach Hause gehen. Drei Taschen, drei Kartons und meinen Rucksack galt es zur Bushaltestelle zu schleifen.

Boah, war das schwer. Und als ich dann endlich die Haltestelle erreichte war der Bus weg. Und: Der nächste würde erst in drei Stunden fahren.

Verdauungsendprodukt!

Ich schleppte mich noch etliche hundert Meter weiter und wollte per Anhalter Richtung Heimat fahren.

Ach so viele fuhren vorbei. Manche glaubten wohl, ich wollte umziehen. Zwei Stunden brauchte ich, um jemanden zu finden der mich mitnahm.

Aber wer mit Endorphinen vollgepumpt ist, der wird sich von solchen Kleinigkeiten nicht irritieren lassen.

Aber das war mein erfolgreichster Flohmarkt aller Zeiten...

Kommentare  

#1 Erainner 2008-04-13 14:58
Nett. Welcher Sammler hat so was nicht ebenfalls schon erlebt? Ich habe auch meine ersten ?größeren? Pakete an Heften und Taschenbüchern von einem ähnlichen Flohmarkt ab 1972 mitgeschleppt (in Limburg, wo man ab 11 Uhr am Vormittag die Qualität des Events daran messen konnte, ob man dann noch eigenständig gehen konnte oder nur noch von der Masse von 30-35.000 Besuchern hin- und hergeschoben wurde.

Aber hier trifft der Kolumnentitel noch mehr zu als beim Schicksal des Heftromans: die Zeiten sind vorbei. Spätestens seit Ende der Achtziger sind die Flohmärkte zu sehr von schon fast bundesweit agierenden Profihändlern bestückt worden, die Zahl der ?Schätzchen? ist ohnehin nur endlich und seit die Ebay- und Netzzeit begonnen hat, darbt der Sammler in seinem (irgendwie kulturpsychologisch bedingten?) Drang und kann seine ?direkte Jagd? so nicht mehr abschließen. Da verlagert sich der fantasyhafte Wunschtraum; auf die gute Fee in Gestalt eines wohlmeinenden, nichtbuchinteressierten, hinterbliebenen Nachbarn oder Bekannten, der sagt: ?Ich muss das Haus hier ausräumen, und da sind auf dem Dachboden noch ein paar Kisten mit Heftchen und Büchern?....
#2 Wolfgang Trubshaw 2008-04-13 15:26
Bei mir im Bezirk gab es früher einen Flohmarkt in einer riesigen leer stehenden ehemaligen Lagerhalle einer Brauerei, da gab es auch manch nette Sache zu entdecken, aber seit die ganze Halle vor ein paar Jahren abgebrannt ist und das Areal umgewidmet wurde, ist es eine Baustelle und der Flohmarkt ist verschwunden.

Prinzipiell beobachte ich aber (neben den Profi-Händlern) vermehrt vollkommen Ahnungslose, die auf die Frage Wieviel kosten die alten zerfledderten Rhodan-Hefte denn pro Stück? doch tatsächlich allen Ernstes mit ihrer Standardantwort kommen: Ein Euro!
Ein Euro für ein schlechterhaltenes Heft Rhodan?
Na ganz sicher nicht!
#3 Thomas Tippner 2008-04-14 00:14
Hmmm... Ich sammel eigentlich keine Heftromane auf dem Flohmarkt, da ich immer nach Masters of the Univers und Hörspielen suche; aber als ich sah, wie eine Mutter einen ganzen Korb voller Hörspiele verkaufte und diese für 50Cent pro Stück anbot, konnte ich mein Glück kaum fassen und habe so Macabros, He-man, She-ra, Barbie, Alf und Pitje Puck Hörspiele erstanden, die sonsten unendlich viel Geld bei Händlern kosten...
Ach ,dass war toll
#4 Dark Knight 2008-04-14 20:57
Jaja, des Sammlers Traum. Mein absolutes Schnäpchen war die Perry Rhodan 500 Erstauflage mit Poster für einen Euro.... :P
#5 Thomas Tippner 2008-04-15 14:14
Na cool...
Hatte vor zwei Jahren auch noch einmal Glück, als ein Verkäufer einen land Shark von Motu und einen kompletten Webstor für läppische 2 ? verkauft hat. Irgendwie war in diesen Augenblicken seelig und völlig sorgenfrei

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