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Ruhrpott Dystopie - Michael K. Iwoleit »Moloch«

0Ruhrpott Dystopie
Michael K. Iwoleit »Der Moloch«

Weltweit agierende Konzerne, die nur ihre Gewinnmargen steigern wollen, Politiker, die ihre eigene Karriere über alles andere stellen, sensationslüsterne Journalisten, bei denen nur die Auflage zählt, überforderte Stadtverwaltungen und Behörden, die Schmiergelder nicht unbedingt abgeneigt sind, idealistische NGOs, die sich hoffnungslos in interne Streitigkeiten verstricken, und einige wenige Menschen am Rande der Gesellschaft.

Der MolochDiese Menschen haben sich als einzig noch so etwas wie ein Gewissen und Menschlichkeit bewahrt, das sind die Zutaten für Michael K. Iwoleits dystopische Darstellung des Ruhrgebiets im Jahre 2032.

Vorbemerkung
Michael K. Iwoleit wurde 1962 in Düsseldorf geboren und lebt heute in Wuppertal. Nach einer Ausbildung als biologisch-rechnischer Assistent studierte er Philosophie, Germanistik und Sozialwissenschaft. Seit 1989 arbeitet er als Autor, Übersetzer, Kritiker und Herazusgeber. Seine erste Kurzgeschichte "Diaphragma" erschien 1983, sein erster Roman "Rubikon" 1984. Seit 2002 ist er Mitherausgeber des bekannten Magazins NOVA. Er erhielt für seine Novellen 5 Mal den Deutschen Science Fiction Preis und 2 Mal den Kurd-Laßwitz-Preis. Für die langjährige Herausgeberschaft von NOVA wurde er ebenfalls mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

Der Roman "Der Moloch" fußt auf der Novelle "Der Moloch", die 2007 in Helmuth W. Mommers Anthologie "Der Moloch" im Shayol Verlag erschienen ist. Sie wurde 2008 mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

Der MolochDie Handlung
Der Roman beginnt mit dem Versuch des Journalisten Gunther sich getarnt als Arbeiter in die unterirdische Welt der Franchisenehmer und Syndikate einzuschleichen. Die Behörden im Ruhrgebiet haben nämlich 2032 große Bereiche des Stadtgebietes und der ehemaligen unterirdischen Produktionsstätten an private Unternehmen übergeben, die völlig inkontrolliert ihren Geschäften nachgehen. Doch Gunther wird nach kurzer Zeit enttarnt und liquidiert.

Seine Auftragbererin, die Medizinerin und Aktivistin Sina Anders, versucht derweil erfolglos die Politik und Verwaltung auf das Problem der "Toten Zonen" und "Subvilles" aufmerksam zu machen. In ihrer Verzweiflung geht sie sogar auf ein Angebot ihres Ex-Mannes ein. Dieser ist ein smartet Unternehmer, der eine offizielle Expedition in die unterirdischen Bereiche finanzieren will. Sina hört nicht auf kritische Stimmen und nimmt selbst an dem Unternehmen teil. Danach ist sie erstmal verschwunden.


"Sie hatte sich innerlich nie ganz freigemacht von dem Gefühl der Erhabenheit und Auserwähltheit, das ihre Eltern, ein wohlhabendes Unternehmer-Ehepaar, ihr mit auf den Weg gegeben hatten. Sie hatte sich innerlich nie ganz verzeihen können, dass sie von ihrem vorgezeichneten Weg mit einem Studium an in- und ausländischen Eliteuniversitäten, einer Zeit als Assistenzärztin mit großzügiger finanzieller Rückendeckung ihrer Familie und einer zum Greifen naher Zukunft mit einer eigenen Praxis für kosmetische Gentherapie, bionische Enhancements, endoktrine Geriatrie oder andere modische Gottspielereien abgewichen war. Ihre jugendliche Abscheu vor dem Zustand der Welt, die sie zu einem Engagement bei den Medics for Men bewogen hatte, ihre Empörung darüber, dass zwei Drittel der Menschheit ohne minimalste medizinische Versorgung dahinvegetieren mussten, kamen ihr heute noch, in einem schuldbeladenen Winkel ihres Herzens, wie eine Entartung, ein Charakterfehler vor." (S. 85/86)

Einer ihrer Kollegen und ihr junger deutsch-türkisch-pakistanische Lover machen sich auf die Suche und spüren sie in einem Krankenhaus auf, wo sie gegen ihren Willen festgehalten wird. Zwar gelingt ihre Befreiung, doch sie ist fortan merkwürdig verändert. Ihr Sexualtrieb ist völlig außer Kontrolle und sie nimmt hemmungslos an auschweifenden Orgien teil. Ihre eigenen Persönlichkeit schwindet mehr und mehr und sie empfindet sich nur noch als Teil eines größeren Ganzen.

Kiran, Sinas Lebensgefährte, der in einer Behelfsunterkunft unter einer Brücke haust, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Unterstützung erfährt er von Sinas Kollegen Konrad und aus der anarchistischen Hackerszene.

"Seit er vor zehn Jahren als jugendlicher Hitzkopf dem muffigen Schoß einer deutsch-türkisch-pakistanischen Patchwork-Familie entflohen war, deren Angehörige sich mit Alkohol, Drogen und gegenseitigem Psychoterror zugrunde richteten, war der Reiz seines Dropout-Daseins längst verflogen. Mehr denn je aber schätzte er es, trotz aller Beschwerlichkeiten und Gefahren, dass er sich nicht mehr so macht- und nutzlos fühlte wie in seinen Jugendjahren, dass er in seinem Umfeld , ganz gleich wie gering seine Reichweite und wie unbedeutend sein Beitrag in großem Maßstab sein mochten, die Welt ein wenig besser machen konnte." (S.68)

Seine Recherchen bringen bald ans Licht, dass Sinas Exmann Sven Martens in großen internationalen Zusammenhängen arbeitet. Und dass er keine uneigennützigen Ziele verfolgt. Als Schlüsselfigur erscheint der norwegische Forscher und Unternehmer Amund Kofler, der irgendwo im Ruhrgebiet untergetaucht ist.


"Weißt du, meine Liebe, in einer Hinsicht bist du noch genauso unklug wie damals. Versteh mich nicht falsch, niemand kann dir deine edle Gesinnung und deine ehrenvollen Absichten absprechen. Aber du legst es immer noch auf Konfrontationen an, auf Schockwirkung, auf Appelle ans Gewissen und den Anstand. Das ist ungefähr genauso wirkungsvoll, als würdest du zu unseren Stadtabgeordneten auf Chinesisch sprechen." (S.51/52)

Meine Gedanken
Schon allein die Tatsache, dass Uschi Zietsch, die Grande Dame der deutschen SF, diesen Roman nicht nur ins Programm ihres Fabylon Verlages aufgenommen, sondern auch noch höchstselbst lektoriert hat, deutet darauf hin, dass man es nicht einem x-beliebigen Roman zu tun hat. Man merkt dem Text an, dass Michael K.  Iwoleit die Autoren Philip K. Dick, Stanislaw Lem und J.G. Ballard zu seinen Vorbildern zählt. Iwoleit, der nach eigenen Aussagen einen hohen künstlerischen Anspruch stellt, ist ganz bestimmt keine Lektüre für zwischendurch. Seine spezielle Sprache, seine bildreichen Schilderungen und die immer vorhandene Distanz zu den Figuren, bedeuten eine Herausforderung für den Leser. Sie machen den Autor aber auch unverwechselbar.

Mir hat gefallen, wie unterschiedliche Bereiche wie  virtuelle Welten, Nano- und Biotechnik in ein pessimistisches Zukunftsszenario eingearbeitet wurden. Und bei aller Dystopie lässt der Autor dem Leser doch die Hoffnung auf eine Überwindung der katastrophalen Zustände. Und Hoffnungsträger sind einmal keine Militärs, Wissenschaftler oder irgendwelche Lichtgestalten, nein ein Außenseiter der Gesellschaft, der sich nicht von den süßen Verlockungen von Wirtschaft und Politik verbiegen lässt, nimmt die Herausforderung an. Mit Herz und Verstand geht er an und über seine Grenzen, freilich erhält er auch ein wenig Hilfe von anderen Protagonisten.

Der MolochDer Moloch
von Michael K. Iwoleit
Cover: Timo Kümmel
Lektorat: Uschi Zietsch
315 Seiten
Euro 14,90
ISBN 978-3-927071-73-5
Fabylon 2019

Kommentare  

#1 mammut 2021-08-21 15:46
#2 AARN MUNRO 2021-08-23 13:28
Aber hat Uschi Zietsch nicht Iwoleits Bücher aus ihrem Programm genommen wegen politischer Querelen? Oder verwechsle ich da was mit den Autoren oder Namen?
#3 Harantor 2021-08-23 13:52
#4 Laurin 2021-08-23 14:50
Danke für die Info AARN MUNRO und den passenden Link Harantor.
Da ich auch solche braunen Gesinnungsfreunde nicht unterstützen mag, hat sich der Roman DER MOLOCH für mich auch jetzt erledigt, auch wenn er sich recht interessant angehört hat.
#6 Heiko Langhans 2021-08-23 22:24
Wenig hilfreich, weil verstümmelt.
#7 Hermes 2021-08-23 22:39
@ Heiko

war nicht immer so.

Auslöser der Kontroverse war Dirk Alts Beitrag im NOVA-Jubiläumsband "18 Jahre NOVA - 18 Jahre Weltgeschichte".

Genauer: sein dort geäußertes Unverständnis, dass Donald Trump in den Medien in Deutschland schlechter wegkommt, als George W. Bush, obwohl der zwei Kriege angezettelt hat unter zum Teil sehr fadenscheinigen Gründen.

Für einen Historiker wie Alt kein besonders tiefsinniger Artikel, der hauptsächlich um Bushs Kriegspolitik kreist, andere wichtige Ereignisse der 18 Jahre wie z.B. die Bankenkrise dagegen nicht berücksichtigt.
#8 mammut 2021-08-24 10:08
zitiere Laurin:
Danke für die Info AARN MUNRO und den passenden Link Harantor.
Da ich auch solche braunen Gesinnungsfreunde nicht unterstützen mag, hat sich der Roman DER MOLOCH für mich auch jetzt erledigt, auch wenn er sich recht interessant angehört hat.


Der Iwoleit hat aber keine braune Gesinnung. Er hat nur geplant gehabt, den Dirk Alt als Nachfolger im Magazin Nova zu installieren. Das ist schon ein Unterschied.
#9 Hermes 2021-08-24 11:31
@ Laurin

In NOVA 28 gibt es z.B. eine dystopische Story von Marcus Hammerschmidt "Die Befragung". Darin geht es um die Situation nach der Machtübernahme durch "die Partei". Eine eindringliche Warnung vor rechten Gedanken.

Herausgeber und verantwortlich für die Storyauswahl: Michael K. Iwoleit.
#10 Laurin 2021-08-24 22:24
Nun, da lese ich bei der Stellungnahme von Uschi Zietsch (siehe Link von Harantor/#3) doch etwas anders heraus, @mammut und @Hermes. Man muss da kein Parteibuch in der Tasche haben, sondern es reicht, seine Gesinnung im Sprachgebrauch auszudrücken, und hier ist Iwoleit wohl aufgefallen. Und den Dirk Alt wollte er sicherlich auch nicht aus reiner Menschenliebe oder weil er den recht niedlich findet bei dem Magazin Nova an Bord holen.
Sorry, aber da bleibe ich doch besser gleich bei meinem Standpunkt (siehe #4).

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