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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Tim Giago?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Tim Giago?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Ich poste heute keinen historischen Beitrag – naja, in gewisser Weise ist das zeitgenössische Geschichte –, sondern einen Nachruf auf einen bemerkenswerten Indianer unserer Zeit, der sich selbst problemlos als „Indianer“ verstand und der Vater der größten indianischen Zeitung Nordamerikas ist. Ein Mann, für den man nur Respekt und Bewunderung haben kann und der heute bereits zu den Lichtgestalten des indianischen Kampfes um Bürgerrechte gehört: Er hätte die derzeitige Diskussion in Deutschland, die eine ahnungslose Minderheit betreibt, nur mit Kopfschütteln quittiert: Ich wette, die meisten dieser „Id…ten“ kennen nicht mal seinen Namen. Schande über diese ignoranten Wichtigtuer!!!

Am 24. Juli 2022 starb in Rapid City (South Dakota) der bedeutendste indianische Journalist der USA, der Oglala-Lakota TIM GIAGO. Er war jahrzehntelang die Stimme des indianischen Nordamerikas. der erste unabhängige indianische Zeitungsverleger Amerikas. Er wurde 88 Jahre alt.

Tim Giago, der später auch unter seinem Lakota-Namen NANWICA KCJII (Er steht für andere), bekannt war, begann seine Arbeit 1980 als Reporter beim „Rapid City Journal“. Schon nach wenigen Monaten fühlte er sich in seiner Freiheit beeinträchtigt, weil er nicht über die Reservationen des Staates schreiben durfte. Sein Chefredakteur sagte ihm, dass er ihn als “befangen“ ansehen würde.

Er fasste zusammen mit seiner Frau einen waghalsigen Entschluss. 1981 besaßen beide einen alten Ford als Sicherheit. Mit einem Bankkredit von 4.000 Dollar gründeten sie die LAKOTA TIMES, die erste überregionale indianische Zeitschrift. Ein unabhängiges Organ für das indianische Nordamerika, gemacht von Indianern.

„Es ging darum, die indianische Stimme auf nationaler Ebene hörbar zu machen und die Indianervölker des Landes darzustellen“, sagte er später. Der Erfolg des Blattes war überwältigend, was natürlich auch am brillanten Schreibstil von Giago lag, der nie ein Blatt vor den Mund nahm und die indianische Geschichte und Gegenwart ungeschminkt und sprachgewandt verbreitete, so dass er von größeren Medien um Nachdruckgenehmigungen für seine wöchentlichen Kolumnen gebeten wurde. Auf diese Weise entstand die in millionenfacher Auflage verbreitete Rubrik „Notes from Indian Country“. 1992 hatte die Verbreitung der Zeitung eine solche Größe erreicht, dass Tim Giago den lokalen Rahmen sprengte und den Namen änderte. Seither heißt die bis heute größte indianische Zeitung der USA

INDIAN COUNTRY TODAY. (Indianerland heute)

Entsetzter Aufschrei der deutschen Sprach-Missionare!

Giago war eine der ersten vielgehörten Stimmen, wenn es um die Geschichte der berüchtigten indianischen Internate ging, um die „Boarding Schools“, die von der Römisch-Katholischen Kirche betrieben wurden. Er war selbst in einem solchen Internat aufgewachsen und hatte Missbrauch, Misshandlungen und Unterdrückung am eigenen Leib erlebt.

Giago schrieb 4 Bücher, darunter 2006 das Werk „Children Left Behind: The Dark Legacy of Indian Mission Boarding Schools”.

Geboren worden war er am 12. Juli 1934 in Kyle (South Dakota) auf der Pine Ridge Reservation. Giago besuchte die University of Nevada in Reno und fing 1979 an, regelmäßig für das „Rapid City Journal“ zu schreiben. Er war der erste Indianer, der ständig in einer großen Zeitung des Staates beschäftigt wurde.

Giago war der erste indianische Journalist, der in die „Journalism Hall of Fame“ von South Dakota aufgenommen wurde.

Giago veranlasste investigative Artikel über Affären in den Indianerbehörden. Er kämpfte gegen indianische Namen von Sportmannschaften, wie „Redskins“. Er entlarvte falsche Medizinmänner, die – und das ist bis heute der Fall – indianische Kultur, Zeremonien und Rituale für teures Geld an Esoteriker verkaufen. 1991 sagte er in der „New York Times“: „Diese Leute bastardisieren unsere Spiritualität und Kultur.“

So entschlossen Tim Giago für indianische Rechte eintrat, so sehr lehnte er Gewalt ab. Das brachte ihm auch Gegnerschaft in der indianischen Bevölkerung ein. Er erhielt hasserfüllte Briefe, und 1981 zerschossen Unbekannte das Fenster seiner Redaktion. Brandsätze wurden gegen sein Zeitungsbüro geworfen.

Ungebeugt, mutig widerstand er jeder Form der Einschüchterung von jeder Seite. Er hatte sein Erfolgsprojekt INDIAN COUNTRY TODAY bereits verkauft, als er die erste Krebs-Diagnose erhielt. Dieses Magazin ist heute im Besitz des wohlhabenden Pequot-Stammes. Tim Giago setzte sich weiter für indianische Rechte ein, schrieb in seinen eigenen Zeitschriften und in anderen Presseorganen – faktisch bis zum letzten Tag. Seine Kommentare und Artikel sind nun Geschichte mit zeitloser Bedeutung. Seine Stimme wird man vermissen.

Die Indianer Nordamerikas haben einen ihrer größten Krieger verloren.



Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

 

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