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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Alamo?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Alamo?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 6. März 1836 fand eines der dramatischsten Ereignisse der amerikanischen Geschichte statt: Im fernen Texas, das in jener Zeit noch eine nordmexikanische Provinz war, stürmte die mexikanische Armee unter Befehl des Generals und Diktators Santa Ana die zur Festung aufgerüstete ehemaligen Mission Alamo und tötete die gesamte Besatzung. Damit schien die texanische Revolution, mit der die Unabhängigkeit von Texas erkämpft werden sollte, gescheitert.

Das sollte sich für Santa Ana ebenso als Irrglaube erweisen, wie die Belagerung des Alamo eine Fehlentscheidung war. Stattdessen wurde in Feuer und Blut die Republik Texas geboren. Die Männer des Alamo wurden mit ihrem Opfergang unsterblich.

Der heute gelegentlich noch immer geführte Streit darüber, ob die Alamo-Schlacht überhaupt nötig war, ist obsolet. Sie hat stattgefunden, und das ist unabänderlich. Militärisch war sie zweifellos fragwürdig, aber das ist ein Urteil aus unserer heutigen Sicht, auf der Grundlage unserer heutigen Kenntnisse. 1836 war der Alamo am Rande von San Antonio sowohl für die Texaner, die 1835 ihre Unabhängigkeit von Mexiko erklärt hatten, ebenso ein Symbol wie für General Santa Ana. San Antonio galt für ihn als das „Eingangstor nach Texas“, und dessen Einnahme war eine Prestigefrage, den Widerstandwillen der Texaner zu brechen. Die Texaner wiederum waren überzeugt, die mexikanische Armee in San Antonio aufhalten zu müssen. Was heutige Militärs darüber denken, ist daher rein spekulativ und hypothetisch.

Letztlich kann man zumindest konzidieren, dass die Texaner mit ihrem erbitterten Widerstand Santa Anas Armee erheblich schwächten und damit der texanischen Armee unter Samuel Houston zu einem gloriosen Sieg bei San Jacinto verhalfen. Die Tage der Belagerung gaben Houston zudem Zeit, seine Amateur-Armee zu sammeln und zu stärken. Ob er Santa Ana auch ohne den Kampf um den Alamo so überzeugend hätte schlagen können, ist eine Frage, die sich kaum noch schlüssig beantworten läßt.

Santa Ana war am Anfang der Belagerung noch geneigt gewesen, mit den Texanern über eine Kapitulation zu verhandeln. Am Ende erklärte er, dass eine „Eroberung ohne Blutvergießen keinen Ruhm bringt.“

Dass es den militärisch unerfahrenen Texanern gelungen war, einer beträchtlich stärkeren Armee so lange standzuhalten, sah er bereits als Schande an – obwohl auch die mexikanische Armee zu großen Teilen aus völlig „grünen Rekruten“ bestand.

Im Morgengrauen des 6. März erklang ein Hornsignal aus dem Feldlager. Dann rückten die ersten 1.200 Mexikaner vor, während Santa Anas Geschütze einen mörderischen Feuerhagel auf die bereits schwer beschädigten Befestigungen niedergehen ließen.

Der erste Sturm scheiterte. Die Leiterträger erreichten nicht einmal die Mauern. Jetzt konzentrierte sich der zweite Sturm auf die Nordmauer, wo es eine breite Lücke gab. Der Widerstand der Texaner ließ nicht nach. Das Toluca-Bataillon Santa Anas wurde faktisch halbiert.

Zu diesem Zeitpunkt war William Travis der alleinige Kommandeur der Festung. Jim Bowie lag schwerkrank in seinem Quartier, und Davy Crockett hatte für sich keinerlei Befehlsgewalt beansprucht; er führte einige Freiwillige aus Tennessee. Travis wurde auf der zertrümmerten Nordmauer von einer Kugel in die Stirn getroffen.

Gleichzeitig gelang es den Mexikanern, an der Westmauer – die wegen der Konzentration auf die Nordseite nur eine geringere Zahl Verteidiger hatte – die ersten Leitern anzubringen und den Wall zu ersteigen. Dann überrannten die Soldaten von General Cos die nordwestliche Alamo-Batterie. Sie drehten die Kanonen um und richteten sie auf den Innenhof. Die Mexikaner eroberten die sogenannte lange Baracke und die Kapelle. Einige Soldaten stürmten das Quartier Jim Bowies und töteten den fiebergeschüttelten Mann in seinem Bett.

In der südlichen Umfriedung der Kapelle fielen die Tennessee-Freiwilligen mit David Crockett. (Spätere Behauptungen, er sei gefangen und standrechtlich erschossen worden, entbehren jeder Grundlage. Tatsache ist, dass weder Santa Ana noch einer seiner Soldaten Crockett persönlich kannten.) In den Seitenräumen der Kapelle kauerten sich 14 Menschen zusammen, die nicht zu den Kämpfern gehörten. Darunter Mrs. Dickinson, die Ehefrau von Captain Dickinson, und Joe, der schwarze Sklave von Travis. Sie überlebten als Augenzeugen.

Die Legende besagt, dass die Besatzung des Alamo bis zum letzten Schuß Pulver kämpfte. Das verlieh jedem Mann des verlorenen Haufens eine Gloriole. Der Historiker Philipp T. Tucker kommt allerdings in seinem Buch „Exodus from the Alamo“ zu dem Schluß, dass etwa die Hälfte der Texaner über die Mauern sprang und zu flüchten versuchte. Sie wurden von mexikanischer Kavallerie außerhalb der Festung erschlagen. Es gab keinen romantischen „last stand“. Archäologische Untersuchungen förderten in weitem Umkreis um den Alamo zahlreiche Skelette zutage, die Verletzungen mexikanischer Lanzen aufwiesen.

Tucker greift damit den Heldenmythos an, aber seine Thesen entsprechen der Logik menschlichen Verhaltens: Die meisten Menschen in Todesgefahr versuchen zu flüchten und ihre Haut zu retten. Hinzu kam, dass William Travis vermutlich schon zu einem frühen Zeitpunkt die Kontrolle über die Ereignisse verloren hatte, und als er fiel, gab es keine Führungsgestalt mehr.

Der ganze Sturm dauerte eine gute halbe Stunde. Gegen 6.30 am Morgen fiel der letzte Schuß.

Man ging lange von etwa 180 Gefallenen aus. Neuere Recherchen sprechen allerdings von einer Besatzung, die möglicherweise um die 260 Mann stark war.

Was nach dem Kampf geschah, sorgt bei geschichtsbewussten Texanern bis heute für Bestürzung und trug zweifellos zu der Erbitterung bei, die jahrzehntelang das Verhältnis zwischen Texanern und Mexikanern bestimmte.

Santa Ana ließ die mexikanischen Toten zum Friedhof von San Antonio bringen. Was die toten Rebellen anging, berichtete der Bürgermeister von San Antonio, Francisco Ruiz: „Santa Anna befahl ... die Leichen der Texaner zu verbrennen... Gegen 3 Uhr am Nachmittag … schichteten wir Holz und Strauchwerk auf. Darauf wurden Leichen in einer Reihe gelegt. Auf diese wurde wiederum Holz gehäuft, dann eine weitere Schicht Leichen. An den Stapel wurde Feuer gelegt, und gegen 5 Uhr am Abend loderten die Flammen... Ich war Augenzeuge.“

Die grauenvolle Geste sollte als Demütigung und Zeichen der Stärke verstanden werden. Tatsächlich löste die Leichenverbrennung einen Sturm der Entrüstung aus.

Dabei ging die Frage, ob die Männer um Travis, Bowie und Crockett zu retten gewesen wären, völlig unter; denn nun stand eine neue Heroengestalt im Vordergrund: Samuel Houston. Erst viel später wurde die Frage laut, ob Houston den Alamo hätte retten können. Realistisch muß man sagen – eher nicht.

Auch der Blutzoll der Mexikaner war hoch. Die Zahlenangaben verschiedener Quellen schwanken beträchtlich. Santa Ana versuchte jahrelang, seine Verluste im Hinblick auf die Öffentlichkeit in der Heimat zu verschleiern. Das „Handbook of Texas“ spricht von 1.500 bis 1.600 Gefallenen. Das ist unmöglich, da von den etwa 4.000 Soldaten in den Belagerungsstellungen keine 2.000 am entscheidenden Sturmangriff teilnahmen. Der Historiker Albert Nofi geht davon aus, dass „maximal 400“ Gefallene als realistisch anzunehmen sind. Das war schlimm genug. Einer von Santa Annas Stabsoffizieren, Colonel Juan Almonte, bemerkte: „Noch ein solcher Sieg, und unsere Armee ist ruiniert.“

Die populäre Geschichtsschreibung wird sich auch angesichts der erwähnten neueren Forschungsergebnisse nicht ändern. Der Alamo ist Teil des Nationalmythos und in seinem Kern Teil der texanischen Identität.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

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