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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Tom Horn?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Tom Horn?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 21. November 1860 erblickte in Missouri Thomas S. Horn das Licht der Welt. Tom Horn ist bis heute in einigen Teilen des amerikanischen Westens unvergessen, vor allem in Wyoming, wo er als Auftragsmörder gehängt wurde.

Dazwischen lag ein Leben voller Widersprüche und Brüche. Tom Horn war Scout und Dolmetscher der Armee, er war Cowboy und Soldat, er war Revolvermann und Detektiv – und er ist für viele Historiker des amerikanischen Westens in mancherlei Hinsicht ein Rätsel geblieben.

Nach einer Kindheit, in der er harte Arbeit auf einer Farm kennenlernte und ständig von seinem brutalen Vater verprügelt wurde, lief er als 16jähriger davon und fand im amerikanischen Südwesten eine Anstellung bei der Armee als Packer und Pferdehelfer. Der berühmte Scout Al Sieber wurde auf den intelligenten Jungen aufmerksam und holte ihn in seine Scout-Truppe. Tom Horn erwies sich als ungemein sprachbegabt. Er lernte sehr schnell Spanisch und Apache und konnte während der Apachenkriege als Dolmetscher eingesetzt werden. Als eine Patrouille mit Sieber, Horn und Mickey Free in einen Hinterhalt am Cibicue Creek geriet, spielte Tom Horn eine entscheidende Rolle beim Ausbruch aus der Belagerung.

Im November 1885 war Horn zum Chief of Scouts unter Captain Emmett Crawford in Fort Bowie aufgestiegen. Am 4. September 1886 war Thom Horn als Dolmetscher anwesend, als Geronimo endgültig kapitulierte.

Nach Ende der Apachenkriege versuchte Horn, in Arizona eine eigene Ranch aufzubauen. Nach einem Überfall durch Viehdiebe, die seine gesamte Herde wegtrieben, war er bankrott. Der einst hochrespektierte Scout schlug sich jetzt zeitweise als Gold- und Silbersucher durch, arbeitete als Cowboy, nahm an Rodeos teil und trat schließlich in die Dienste von Viehzüchtervereinigungen, wo er offiziell als „Weidedetektiv“ angestellt war, um gegen Viehdiebe im Ranchland vorzugehen.

Entsprechend seinen eigenen Erfahrungen mit „Rustlers“, verließ er sich nicht auf den umständlichen Weg der juristischen Ahndung von Diebstählen. Wenn er Viehdiebe aufspürte, schoß er. Sehr schnell verbreitete sich sein Ruf als gnadenloser Jäger, so daß Viehdiebe häufig schon aus Ranchgebieten verschwanden wenn sie nur hörten, daß Tom Horn kommen würde.

Zu dieser Zeit hatte Tom Horn bereits Erfahrungen mit einer erbitterten Weidefehde zwischen Rinder- und Schafzüchtern im Pleasant Valley (Arizona) hinter sich. Rinderzüchter sahen Schafe als Zerstörer der Weidegebiete im Westen an. In den Trockenzonen regenerierten sich Grasflächen, auf denen Schafe gestanden hatten, wesentlich langsamer. Überall im Westen gingen Rinderrancher gewaltsam gegen Schafzüchter vor. Horn arbeitete zeitweise im Pleasant Valley, scheint sich aber nicht aktiv an der Fehde zwischen den Familien Tewksbury und Graham beteiligt haben. Allerdings war er mindestens bei einem Lynchmord an Viehdieben zugegen. Angeblich hatte er sich zeitweise als Vermittler zwischen den verfeindeten Familien betätigt. Zeitweise diente er als Deputy Sheriff unter dem berühmten Commodore P. Owens.

Seine Fähigkeiten als Spurenleser waren legendär. Als die bekannte Pinkerton-Detektiv-Agentur ihn 1889 anstellte, gelangte Horn nach Wyoming und Colorado. Sein Hauptquartier war in Denver. Sein Ruf als erfolgreicher Menschenjäger verbreitete sich schnell. 1894 wurde er von Pinkerton entlassen, denn es tauchten nicht nur Gerüchte auf, daß Horn neben seiner Arbeit als Detektiv Mordaufträge der Wyoming Stock Growers Association ausführte, um sich ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Bereits 1892 gab es polizeiliche Ermittlungen gegen ihn. Die Pinkerton-Agentur bewahrte ihn davor, angeklagt zu werden, hielt Horn aber nicht mehr für tragbar.

Horn arbeitete jetzt nur noch für die Viehzüchter. Im Johnson County im Norden Wyomings hatte sich ein erbitterter Weidekrieg zwischen Rinder- und Schafzüchtern entwickelt – die letzte Fehde dieser Art im amerikanischen Westen. Der Unterschied zu den Auseinandersetzungen in Arizona und anderen Teilen des Westens war, daß die Viehzüchter de facto in jener Zeit in Wyoming die Macht ausübten. Sie beherrschten das öffentliche Leben, stellten Gouverneure und Senatoren und wollten mit allen Mitteln verhindern, daß sich Schafzüchter und Heimstätter in den grünen Tälern des Johnson Countys niederließen. Unter der pauschalen Beschuldigung des Viehdiebstahls, kam es immer wieder zu Lynchjustiz oder zu Angriffen auf Schaffarmen. Horn tötete in dieser Zeit einen Mann namens William Lewis. Zwar gab es Ermittlungen gegen ihn, aber der starke Arm der Viehzüchtervereinigung schützte ihn. Nur sechs Wochen später wurde die Leiche von Fred Powell gefunden. Im Jahr darauf verschwand der Rancher Campbell spurlos – er war zuletzt mit Horn gesehen worden.

Es steht für Historiker heute außer Zweifel, daß der „Weidedetektiv“ Horn als bezahlter Killer arbeitete, der zunehmend nicht nur gegen Viehdiebe, sondern auch gegen kleine Farmer und Schafzüchter eingesetzt wurde. Offenbar auf Empfehlung der Wyoming-Rancher, durchstreifte Horn im Auftrag der „Swan Land & Cattle Company“ auch den Norden Colorados. Mehrere Morde an vermeintlichen Viehdieben und Farmern gingen fraglos auf sein Konto, darunter die Cowboys Matt Rash und Isom Dart, sowie drei ihrer Freunde.

Der „Johnson County Krieg“ kulminierte 1892, als die Viehzüchtervereinigung eine Privatarmee von 23 Revolvermännern unter Führung des ehemaligen Sheriffs Frank M. Canton anheuerte. Verstärkt durch weitere Kämpfer, fuhren diese Männer mit einem Zug ins Johnson County und wollten gewaltsam alle Kleinrancher und Schafzüchter eliminieren. Bei ihnen wurde später eine Todesliste mit ca. 70 Namen gefunden. Für jeden sollte ein Kopfgeld von 50 Dollar bezahlt werden, neben dem Lohn, der für jeden Mann vereinbart war.

Die Invasion des Johnson County scheiterte, da die Farmer entschieden Widerstand leisteten. Nachdem einige führende Köpfe der Kleinrancher ermordet worden waren, umzingelte ein Sheriffsaufgebot aus Buffalo die TA Ranch, auf der die Revolvermänner sich verschanzt hatten. Einem der Männer gelang es, zu fliehen und die Armee zu alarmieren. Einheiten der 6. US-Kavallerie griffen ein, beendeten die Auseinandersetzung und retteten die Gunmen vor der Wut der Siedler.

Die „Armee der Rancher“ wurde nach Cheyenne eskortiert. Zwar gab es Anklagen gegen sie, aber die Viehzüchtervereinigung sorgte dafür, daß sie alle auf Kaution entlassen wurden. Sie verließen Wyoming und kehrten nie zurück, so daß die Gerichtsverfahren im Sande verliefen.

Tom Horn war an diesem Unternehmen nicht beteiligt. Gleichwohl war ihm 1898 der Boden unter den Füßen offenbar zu heiß geworden. Er meldete sich nach Ausbruch des Krieges zwischen den USA und Spanien kurzfristig zur Armee und war auf Kuba als Trossführer eingesetzt. 1901 kehrte er nach Wyoming zurück und wurde von dem reichen Rancher John C. Coble wieder als „Weidedetektiv“ angeheuert.

Die Auseinandersetzungen der Viehzüchter mit den Schaffarmern war zu dieser Zeit noch immer im Gang. Der Rancher Jim Miller lag in heftiger Fehde mit seinem Nachbarn Kels Nickell, der im Bereich der Iron Mountains eine Schafherde aufbaute. Am 18. Juli 1901 wurde der 14jährige Sohn von Kels Nickell, Willie, tot neben dem Tor der Farm gefunden. Am 4. August wurde Kels Nickell durch Schüsse verwundet. Ein Teil einer Schafherde wurde erschlagen. Nur drei Tage später verhafteten der zuständige Sheriff und der Deputy US Marshal Joe LeFors Jim Miller und dessen Söhne – aber es fehlten die Beweise, daß sie die Täter gewesen waren.

Im Januar 1902 traf US Marshal LeFors in einer Bar auf Tom Horn, der noch von der Nacht angetrunken war. LeFors berichtete später, daß Horn damit geprahlt hatte, daß er Willie Nickell aus 300 Yards Entfernung erschossen habe. Anscheinend hatte er Willie, der den Mantel seines Vaters getragen hatte, verwechselt.

Horn wurde am nächsten Tag verhaftet. Sein Arbeitgeber und Förderer, John C. Coble, bezahlte die besten Anwälte und alarmierte die führenden Mitglieder der Viehzüchtervereinigung. Nach Recherchen des Historikers Johan P. Bakker zahlten mindestens 100 Mitglieder der Stock Growers Association jeweils 1.000 Dollar für Horns Verteidigung.

Ob es Versuche gab, den zuständigen Richter, Richard H. Scott zu beeinflussen, ist unbekannt. Aber Scott kandidierte gerade für seine Wiederwahl und galt als unbestechlich.

Es gab schon frühzeitig keinen Zweifel, daß Horn verurteilt werden würde. Obwohl es einige Chronisten gibt, die bezweifeln, daß Horn den Mord an Willie Nickell wirklich gestanden hatte, gab es niemanden, der Horns Schuld in Frage stellte. Die Tat paßte zu gut in seinen bisherigen Lebenslauf. Seinen Unterstützern ging es offensichtlich nur noch darum, sein Stillschweigen zu erkaufen, indem sie mit großzügigen Zahlungen seine Familie versorgten; denn Horn kannte jeden, der mit der Johnson County Fehde in Verbindung stand, und er kannte alle Hintergründe. Sein Wissen konnte für viele Menschen in Wyoming gefährlich werden.

Falls es eine solche Vereinbarung gab, war sie erfolgreich. Tom Horn schwieg vor Gericht. In seiner Zelle schrieb er seine Autobiographie, „Life of Tom Horn: Government Scout und Interpreter“, die 1904 erstmals gedruckt wurde. Auch in diesem Buch schweigt er sich über die Johnson County Fehde aus.

Horns Prozeß begann am 10. Oktober 1902 in Cheyenne. Zwar versuchten einige Zeugen, ihm ein Alibi zu verschaffen, aber am 23. Oktober sprachen die Geschworenen ihn schuldig. Der amtierende Gouverneur lehnte eine Begnadigung ab. Horn wurde am 20. November 1903 gehängt.

Auch wenn bis heute darüber spekuliert wird, ob Horn den Mord an Willie Nickell wirklich begangen hat – niemand zweifelt daran, daß er zahlreiche andere Menschen, vermutlich wenigstens 14, erschoß. Mit Sicherheit wurde kein unschuldiger Mann zum Galgen geführt.

Horns faszinierende Geschichte ist seither Gegenstand zahlreicher Bücher und auch Filme worden. Die eindrucksvollste Darstellung lieferte 1980 Steve McQueen in dem Film „Ich, Tom Horn“, der zwar weitgehend eine Legende pflegt, aber die historische Gestalt nachhaltig repräsentiert.

Meine Fotos zeigen Tom Horn als Scout in den Apachenkriegen (mit Mickey Free links von ihm), Überreste von Fort Bowie (eig. Foto), wo er stationiert war, ein seltenes Foto von der Hinrichtung eines Viehdiebs (aus meiner eigenen Sammlung), Isom Dart, der von Horn erschossen wurde, Willie Nickell, Horns Opfer, Tom Horn im Gefängnis, wo er sein eigenes Henkersseil flocht, ein Zeitungsbericht über eine Verurteilung, und ein Landschaftsfoto aus dem heutigen Johnson County in Wyoming.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Dezember 2017
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