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Das Tal des Wurms (1/3)

StoryDas Tal des Wurms
(Teil 1 von 3)

Ich will euch erzählen von Njörd und dem Wurm. Ihr habt die Geschichte schon gehört, in vielerlei Gestalt, worin des Helden Name Tyr war, oder Perseus, oder Siegfried, oder Beowulf, oder St. Georg. Doch es war Njörd, welcher dem widerlichen, dämonischen Ding begegnete, das da hässlich aus der Hölle gekrochen kam, und aus diesem Aufeinandertreffen erst entsprang der Zyklus jener Heldensagen, der sich durch die Zeiten fortspann, bis all dessen Gehalt an Wahrheit verloren und in den Limbus aller vergessener Legenden übergetreten war. Ich weiß wovon ich spreche, denn ich war Njörd.

 

Während ich hier liege und dem Tode harre, der quälend langsam und doch unentrinnbar auf mich zugekrochen kommt, sind meine Träume erfüllt von gleißenden Bildern prunkvoller Glorie. Es ist nicht das eintönige, krankheitsgeplagte Leben James Allisons, von welchem ich träume, sondern das all der schillernden Persönlichkeiten, die da einst prachtvoll waren und dereinst machtvoll sein werden. Fürwahr, ich habe einen vagen Einblick bekommen, nicht nur auf all jenes Vergangene, das sich vor meiner Zeit zugetragen, gleich einem Mann in einer langen Parade, der bis weit vor sich hin die Reihe Vorangegangener sieht, deren Gestalten sich erst als schattenhafte Schemen über der Kuppe eines horizontfernen Hügels am Himmel verlieren. Nein, ich bin eine und doch gleichsam alle jener spektakulären Formen und Gestalten und Masken, die je sichtbare Manifestationen dieses trügerischen, unbegreiflichen und doch Lebenskraft strotzenden Geistes waren, sind und noch sein werden, welcher gerade kurz und vorübergehend unter dem Namen James Allison wandelt. 

Jeder Mann auf Erden, jede Frau, ist Teil und Ganzes einer ähnlichen Karawane der Formen und Wesen. Doch sie können sich nicht erinnern – ihr Verstand kann die kurzen Klüfte entsetzlicher Schwärze nicht überbrücken, die zwischen zweien solcher unbeständigen Formnahmen liegen, und die der Geist, die Seele oder das Ego vor jeder neuen Maske einer fleischlichen Hülle abstreift. Ich kann mich erinnern. Weshalb ich das kann, ist die seltsamste Geschichte von allen, doch während ich hier liege und der Tod seine schwarzen Schwingen langsam über mir ausbreitet, werden all die dämmrigen Knitter meiner früheren Leben vor meinem inneren Auge aufgeschüttelt, und ich schaue mich selbst in vielen Formen und Gestalten – prahlend, aufschneiderisch, furchtsam, liebend, närrisch, alles was Männer je waren und je sein werden. 

Ich bin Mensch gewesen in vielen Ländern und unter vielen Bedingungen, jedoch – und hier ist eine weitere merkwürdige Sache – läuft meine Linie der Reinkarnation schnurstracks und ohne Abweichung einen ganz bestimmten Weg entlang. Nie bin ich etwas anderes gewesen als einer jener Menschenrasse, die man einst als Nordheimer kannte, später als Arier, und heute mit vielerlei Namen und Bezeichnungen belegt. Deren Historie ist meine Historie, vom ersten quäkenden Heulen eines haarlosen, weißen Affenmenschenjungen in der Ödnis der Arktis, bis hin zum Todesschrei des letzten degenerierten Produkts einer ultimativen Zivilisation in einem düsteren und ungeahnten, fernen Zeitalter. 

Mein Name war Hjalmar, Tyr, Bragi, Bran, Horsa, Erik und Johannes. Mit roten Händen schritt ich hinter dem blondbemähnten Brennus durch die verlassenen Straßen Roms einher; ich wanderte durch geschändete Gärten mit Alarich und seinen Goten, als die Flammen brennender Villen die Landschaft taghell erleuchteten und ein Imperium seinen letzten Seufzer unter unseren sandalenbewehrten Füßen ausstieß; mit dem Schwert in der Hand ging ich von Bord Hengests Galeere und watete durch schäumende Brandung, um plündernd und blutvergießend den Grundstein Englands zu legen; als Leif der Glückliche die breiten, weißen Strände ungeahnten Festlands sichtete, stand ich neben ihm im Bug des Drachenschiffes, mein goldener Bart im Winde wehend; und als Gottfried von Buillon seine Kreuzritter über die Mauern Jerusalems führte, war ich in Stahlkappe und Brigantine in deren Mitte.

Doch von all jenen Dingen möchte ich gar nicht sprechen. Ich möchte euch mit zurück nehmen in ein Zeitalter, verglichen mit welchem Brennus und Rom wie gestern erst erscheinen. Mit zurück nicht nur durch die Jahrhunderte und Jahrtausende, sondern durch ganze Epochen und dunkle Zeitalter, unvorstellbar selbst den freidenkendsten Gelehrten. Oh, sehr, sehr weit und weiter noch könntet ihr in die versunkene Vergangenheit zurück reisen und kämt dennoch immer noch nicht vor die Anfänge meiner Rasse – blauäugige,  blonde Nomaden; Mörder und Liebhaber; Erfüllung findend in räuberischen Wanderungen.

Es ist das Abenteuer Njörd Wurmtöters, wovon ich sprechen möchte – ist die Urwurzel einer ganzen Kette von Heldensagen, der selbst heute noch neue Glieder angeschmiedet werden – ist die grausige, zugrundeliegende Realität, die hinter den durch die Zeitalter verzerrten Mythen über Drachen, Furien und Monstern lauert.

Dennoch ist es nicht nur durch den Munde Njörds, wie ich erzählen werde. Ich bin nicht weniger James Allison wie ich auch Njörd war, und wenn ich nun die Geschichte offenlegen will, so werde ich einige seiner Gedanken, Träume und Taten mit dem Munde meines modernen Ichs interpretieren, damit nicht die Saga um Njörd euch wie ein unsinniges Chaos wirke. Sein Blut ist euer Blut, die ihr Söhne der Arier seid; doch das uferlos wirkende, nebelige Meer der Äonen liegt beängstigend wild wogend zwischen ihm und euch, und Njörds Taten und Träume erscheinen gegenüber euren Taten und Träumen genauso fremdartig, wie die von Löwen durchstreiften urzeitlichen Wälder verglichen mit Straßen voll weißer Fassaden in einer modernen Stadt fremdartig erscheinen.  

Es war eine seltsame Welt, in welcher Njörd lebte und liebte und kämpfte, vor so langer Zeit, dass selbst mein Ewigkeiten umspannendes Gedächtnis keine klare Vorstellung mehr hat. Seit damals hat sich das Angesicht der Welt verändert, nicht einmal sondern zwanzigmal; Kontinente erhoben sich und versanken, Ozeane änderten ihre Lage und Flüsse ihren Verlauf, Gletscher wuchsen an und schmolzen, ja selbst Gestirne wanderten und Konstellationen kippten.

Derart lange ist es schon her, dass meine Rasse noch in ihrem Heimatland Nordheim lebte. Wiewohl die epischen Verwehungen meines Volkes bereits begonnen hatten, und stahlblauäugige, blondbemähnte Stämme ostwärts, südwärts und westwärts strömten, auf jahrhundertelangen Wanderungen, die sie auf der ganzen Welt verteilten und ihre bleichenden Knochen und Spuren in seltsamen Ländern und wilden, öden Gegenden hinterließen. Auf einer jener Wanderungen wuchs ich vom Säugling zum Erwachsenen heran. Meine Kenntnis jenes nördlichen Heimatlandes bestand nur aus dunkelsten Erinnerungen, wie halb vergessene Träume von blendend hellen, schneebedeckten Ebenen und Eisfeldern, von den Großfeuern, die inmitten der Tierhautzelte loderten, von blonden Haarschöpfen, die in Stürmen wehten und von einer Sonne, die sich in vielschillernder Farbenpracht untergehend in purpurnen Wolken suhlte, herabscheinend auf zertrampelten Schnee, wo dunkle, starre Formen in Lachen lagen, röter noch als der Sonnenuntergang selbst. 

Jene letztgenannte Erinnerung ist klarer verhaftet geblieben als andere. Es war die Ebene von Jötunheim, wie ich Jahre später erzählt bekam, auf welcher gerade jene furchtbare Schlacht stattgefunden hatte, die das Armageddon unseres Asenvolkes war – Thema vieler Heldenlieder noch viele Menschenalter danach, das selbst heute noch weiterlebt in Albträumen um Ragnarök und Götterdämmerung. Als quäkender Säugling sah ich bei jener Schlacht zu; demnach muss die Dauer meines Lebens wohl schon—doch nein, ich werde mein Alter nicht nennen, denn man würde mich einen Verrückten heißen, und Historiker und Geologen würden zu empörten Widerreden aufspringen.  

Meine Erinnerungen an Nordheim waren allerdings spärlich und lückenhaft, ausgebleicht durch spätere Erinnerungen an die lange, lange Wanderung, auf der ich mein Leben verbracht hatte. Wir hatten keinen genauen Kurs eingehalten, aber uns stets grob südwärts orientiert. Manches Mal waren wir für eine Weile in fruchtbaren Hochlandtälern oder flussdurchzogenen Ebenen verweilt, aber jedes Mal waren wir schließlich doch weitergezogen, und nicht immer wegen Dürre oder Hunger. Oft verließen wir Landstriche mit reichlich Wild und wildem Getreide, nur um in Ödland vorzudringen. Endlos weiter zogen wir, angetrieben nur von einer ruhelosen Laune, dennoch blindlings einer kosmischen Gesetzmäßigkeit folgend, von deren Existenz wir so wenig ahnten wie Wildgänse auf ihren Zügen um die Welt. Und letztendlich gelangten wir derart in das Land des Wurms.

Ich werde mit der Geschichte bei dem Zeitpunkt ansetzen, als wir die dschungelbedeckten Hügel erreichten, die nach Verwesung stanken und von Leben nur so wimmelten, in welchen die Trommeln eines Volkes Wilder unaufhörlich die ganze heiße Nacht hindurch pulsierten. Diese Leute kamen uns den Weg abzuschneiden, stark gebaute Männer, schwarzhaarig, wild und mit Kriegsbemalung, doch unbestreitbar weißer Hautfarbe. Wir kannten diese Rasse noch von früher. Jene waren Pikten und von allen fremden Völkern das grimmigste. Ihresgleichen waren wir bereits in den dichten Wäldern neben Gebirgsseen im Hochland begegnet. Aber viele Monde waren seit diesen Aufeinandertreffen vergangen.

Ich glaube, dieser Stamm repräsentierte die östlichste Verwehung ihrer Rasse. Sie waren die Primitivsten und Wildesten, denen ich je begegnete. Sie zeigten bereits Anzeichen von Charakteristiken, die ich sonst nur von schwarzhäutigen Wilden aus Dschungelländern kannte, obwohl sie in dieser Umgebung erst ein paar Generationen lang ansässig sein konnten. Der unergründliche Dschungel umschlang sie, zerstörte ihre ursprüngliche Unverdorbenheit und formte sie um zu etwas Fürchterlichem. Sie drifteten ab in die Kopfjägerei, und selbst Kannibalismus war nur ein weiterer kleiner Schritt, den sie vor ihrem schlussendlichen Aussterben noch gemacht haben. All jene Dinge, all jenes Tun allerdings waren Attribute des Dschungels und somit nichts, was sie von den Schwarzen gelernt hätten, zumal es damals in jenen Hügeln noch keine Schwarzen gab. In späteren Jahren erst drangen diese aus dem Süden her vor, wurden von den Pikten versklavt und später assimiliert. Doch das alles hat nichts mit meiner Saga um Njörd zu tun.

Wir betraten also dieses unzivilisierte Hügelland mit seinen schreienden Abgründen der Wildheit und schwarzer Primitivität. Unser ganzer Stamm marschierte zu Fuß: alte Männer, deren lange Bärte und hagere Glieder sie wölfisch wirken ließen; hünenhafte Krieger in der Blüte ihres Lebens; nackte Kinder, die entlang der Marschlinie herumtobten; Frauen mit zersausten blonden Locken trugen Säuglinge, die niemals schrien – es sei denn aus purem Ingrimm. Ich entsinne mich nicht unserer Zahl, außer dass wir um die 500 Kämpfer hatten – und mit Kämpfer meine ich alle Männer, vom Knaben, dessen Stärke gerade zum Heben eines Bogens gereicht, bis hin zum ältesten aller Greise. Zu jener irrsinnig wilden Zeit waren wir aber ohnehin alle Kämpfer. Wenn sie in die Enge gedrängt wurden, kämpften selbst unsere Frauen wie Tigerinnen; und ich sah einst ein Kleinkind, noch nicht alt genug verständlich sprechen zu können, das noch im Tode sein Köpfchen verdrehte, um wehrhaft seine kleinen Zähne in den Fuß zu senken, der ihm da das Leben austrampelte.  

Oh, und was für Kämpfer wir waren! Lasst mich von Njörd sprechen. Ich bin stolz auf ihn, umso mehr wenn man den erbärmlichen, verkrüppelten Körper James Allisons bedenkt, jene vorübergehende Maske, die ich jetzt trage. Njörd war hochgewachsen, mit breiten Schultern, schmalen Hüften und mächtigen Gliedern. Seine Muskeln waren lang und dick, zeugten von Ausdauer und Schnelligkeit, wie auch von Kraft. Er konnte den ganzen Tag lang laufen, ohne zu ermüden, und er besaß eine Körperbeherrschung, die jede seiner Bewegungen zu unscharfen Streichen der Agilität werden ließ. Erzählte ich euch von seiner vollen Stärke, ihr würdet mich als Lügner abstempeln. Aber heute lebt kein Mann mehr auf Erden, der jenen Bogen durchspannen könnte, den Njörd mit Leichtigkeit benutzte. Der längste aufgezeichnete Pfeilflug ist jener eines türkischen Bogenschützen, der einen Pfeil 482 Schritt weit sandte. In meinem Stamm gab es kein bartflaumiges Bürschchen, das diese Weite nicht hätte überbieten können.

Als wir den Dschungel betraten, hörten wir die Trommeln durch die geheimnisvollen Täler dröhnen, die zwischen den groben Hügeln lagen, und auf einer breiten, unbewaldeten Hochebene trafen wir dann auf unsere Feinde. Ich glaube nicht, dass diese Pikten uns kannten, auch nicht vom Hörensagen her, sonst hätten sie uns niemals so übergangslos und offen angegriffen, auch nicht trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit. Aber sie versuchten auch erst gar nicht, uns in einen Hinterhalt zu locken. Sie schwärmten ohne Hast aus den Wäldern hervor, mit Kriegsgesängen und kriegstanzend, schrien uns ihre barbarischen Drohungen zu. Unsere Köpfe wollten sie in ihrer Trophäenhütte hängen sehen, unsere blonden Frauen sollten ihre Söhne austragen. Ho! Ho! Hooo! Bei Ymir, es war natürlich Njörd, der plötzlich so lachte, nicht James Allison. Jedenfalls mussten wir Abkömmlinge der Asen einfach lachen, als wir ihre Drohungen hörten – tiefes, donnerndes Gelächter aus mächtigen, breiten Brüsten. Unsere Spur ließ sich an Blut und Glut durch viele Länder zurück verfolgen – wir waren die Mörder und Plünderer, die mit Schwertern in den Fäusten durch die Welt zogen, und dass jene Meute uns drohte, erweckte unseren rauen Sinn für Humor. 

Wir schritten auf sie zu, nackt bis auf unsere Wolfspelze, schwangen unsere Bronzeschwerter, und unser Gesang grollte wie Donner in den Hügeln. Sie verschossen ihre Pfeile in unsere Reihen, wir erwiderten das Feuer. Ihre Bogenschützen konnten sich mit unseren nicht messen. Unsere Pfeile hissten von den Sehnen, prasselten als dunkle Wolke auf sie nieder, ließen sie fallen wie Herbstlaub, bis die Pikten schließlich zornig aufheulten und wutschäumend wie tollwütige Hunde in den Nahkampf übergingen. Von Kampfeslust gepackt ließen auch wir unsere Bögen fallen und stürmten ihnen entgegen wie ein Liebender zu seiner Geliebten. 

Bei Ymir, es war eine Schlacht, die einen trunken machte vor all der Wut und dem Metzeln. Die Pikten waren uns an Wildheit ebenbürtig, doch wir hatten die überlegenere Konstitution, den schärferen Verstand, das höher entwickelte Kämpferhirn. Wir gewannen, weil wir die überlegenere Rasse waren, doch es war beileibe kein leichter Sieg. Leichen pflasterten den blutdurchtränkten Erdboden; aber schlussendlich brachen wir sie und schnitten sie nieder auf ihrer Flucht, bis hin zur Waldgrenze. Natürlich erzähle ich euch hier nur in ein paar kurzen Worten von jenem Kampf. Ich vermag euch den echten Wahnsinn nicht zu beschreiben, den Gestank von Schweiß und Blut, das Keuchen, die muskelreißerische Anstrengung, das Splittern von Knochen unter mächtigen Hieben, das Zerstückeln und Zerhauen bebenden, denkenden  Fleisches, vor allem die erbarmungslose, abgründige Wildheit der ganzen Sache, in welcher es weder Regeln noch Befehle gab, wo jeder Mann kämpfte wie er wollte und konnte. Vollbrächte ich es, euch davon zu erzählen, so würdet ihr entsetzt zurückzucken; selbst meinem modernen Ich, das um seine nahe Verwandschaft mit jenen Zeiten durchaus weiß, graut bei den Erinnerungsbildern jenes Schlachtens. Erbarmen war noch nicht geboren, außer als zufällige Laune eines Individuums, geregelte Kriegsführung noch ungeahnt fernab. Es war ein Zeitalter, in dem jeder Stamm und jeder Mensch von der Wiege bis zum Grab mit Zähnen und Klauen kämpfen musste, und weder zeigte man, noch erwartete man Gnade. 

Jedenfalls metzelten wir die fliehenden Pikten nieder, und unsere Frauen kamen aufs Schlachtfeld, um den verwundeten Feinden mit Steinen die Schädel einzuschlagen oder mit Kupfermessern die Kehlen durchzuschneiden. Doch wir folterten nicht. Wir waren nicht grausamer als wie es das Leben uns abverlangte. Die Regeln unseres Daseins waren erbarmungslos, und doch gibt es heutzutage bei weitem mehr mutwillige Grausamkeit, als wir damals je zu albträumen gewagt hätten. Es war nicht böswilliger Blutdurst, der uns die verletzten und gefangenen Feinde abschlachten ließ – es war die Gewissheit, dass unsere eigenen Überlebenschancen als Volk mit jedem erschlagenen Gegner stiegen. 

Und doch gab es gelegentlich einen Hauch individueller Gnade, so auch in diesem Kampf. Ich war beschäftigt damit gewesen, mich mit einem besonders tapferen Gegner zu duellieren. Sein zersauster schwarzer Haarschopf reichte mir nichtmal bis zum Kinn, aber er war ein kompaktes Paket stählerner Muskeln und wusste sich blitzschnell zu bewegen. Er führte ein ehernes Schwert und hielt einen mit Tierhaut bespannten Faustschild; ich schwang einen knotigen Holzknüppel. Jener Kampf verlangte selbst meiner kampfeslustigen Seele das Letzte ab. Ich blutete bereits aus zig Fleischwunden, bevor einer meiner schrecklichen, auf ihn niederprasselnden Schläge seinen Schild zertrümmerte als wäre er aus Pappe, und nur einen Wimpernschlag später prallte meine Keule von seinem ungeschützten Kopf ab. Ymir! Selbst jetzt noch muss ich innehalten und verwundert darüber lachen, wie hart dieser Piktenschädel doch gewesen war. Männer jener Zeit waren wirklich und wahrhaftig noch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt gewesen. Jener Hieb hätte eigentlich sein Hirn herumspritzen lassen müssen wie Wasser. Aber immerhin ließ er seine Kopfhaut schrecklich aufplatzen, und schmetterte ihn besinnungslos zu Boden, wo ich den totgeglaubten Pikten liegen ließ, um mich zum Abschlachten der Fliehenden zu gesellen.   

Als ich stinkend nach Schweiß und Blut später zurückkehrte, mein Knüppel entsetzlich verklebt mit Feindesblut und Hirn, bemerkte ich, dass mein piktischer Gegner tatsächlich wieder zu sich kam, und dass ein nacktes, bezopftes kleines Mädchen unseres Stammes gerade dazu ansetzte, ihm mit einem Steinbrocken, den es kaum zu heben vermochte, den Rest zu geben. Eine flüchtige Laune veranlasste mich dazu, dem Mädchen Einhalt zu befehlen. Immerhin hatte ich das Duell mit dem Pikten genossen, und ich bewunderte die diamantene Härte seines Schädels.

Etwas abseits schlugen wir unser Lager auf, verbrannten unsere Toten auf einem großen Scheiterhaufen, und nachdem wir die Feindesleichen geplündert hatten, schleiften wir sie hin zum Rande des Hochplateaus und schmissen sie in den Abgrund ins Tal hinab, als Mahl für die Hyänen, Schakale und Geier, die sich bereits zu sammeln begonnen hatten. In jener Nacht hielten wir doppelte Wache, aber wir wurden nicht erneut angegriffen, wiewohl wir weit entfernt, durch das Dschungellaub hindurch, den rötlichen Schein ihrer Lagerfeuer erkannten. Und bei richtig drehendem Wind konnten wir das Pochen ihrer Trommeln hören, auch unmenschliche Schreie, wehklagende Rufe nach den Gefallenen, oder einfach nur tierisch anmutende Wutlaute.

Auch in den folgenden Tagen griffen sie uns nicht an. Wir verbanden die Wunden unseres gefangenen Pikten und erlernten schnell seine primitive Sprache, die allerdings so andersartig von der unseren war, dass ich mir nicht vorzustellen vermag, dass diese beiden Sprachen je einen gemeinsamen Ursprung gehabt hatten. 

Sein Name war Grom, und er prahlte damit, ein großer Jäger und Kämpfer zu sein. Er plauderte einfach drauflos und hegte uns keinen Groll, breit grinsend legte er seine hauerartigen Zähne frei, während seine Knopfaugen unter der strähnigen schwarzen Haarmähne glänzten, die ihm über die flache Stirn ins Gesicht hing. Seine Gliedmaßen schienen fast affenartig durch ihre Dicke.

Er war äußerst interessiert an seinen Fängern, obgleich er niemals verstehen konnte, weshalb er verschont worden war; bis zuletzt blieb es ihm ein unerklärliches Rätsel. Die Pikten gehorchten dem Gesetz des Überlebens noch strenger als wir Asen das schon taten. Sie waren die Pragmatischeren, wie auch ihr eher sesshaftes Verhalten belegte. Sie wanderten niemals so weit und ziellos umher wie wir. Doch in jedem Bereich waren wir die überlegenere Rasse.

Beeindruckt von unserer Intelligenz und unserem Kampfgeschick, bot sich Grom an, als unser Friedensvermittler zu seinem Volk in die Hügel zu gehen. Uns interessierte das wenig, doch wir ließen ihn ziehen. Von Sklaverei hatte damals noch niemand auch nur geträumt.

Die weiteren Teile:
Teil 2 (27. Februar 2011)
Teil 3
(02. März 2011)

Kommentare  

#1 Advok 2011-02-23 21:08
Die Geschichte ist stimmig (das umschreibe ich so, da ich als Englischbanause die Übersetzung als solche nicht beurteilen kann und will). Da erkennt man schon, wieviel Arbeit du dir damit gemacht hast. Respekt.

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