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Das Experiment - eine Story von Peter Krassa

StoryDas Experiment

Peter Krassa wurde am 29.10.1938 in Wien/Österreich geboren. Vor zehn Jahren ist Peter Krassa im Alter von 67 Jahren am 11. Oktober 2005 gestorben. Anläßlich seines zehnjährigen Todestag möchte ich die Story "Das Experiment" veröffentlichen. Er hatte sie für die erste Dan Shocker-Festschrift im Jahr 1981 geschrieben. Er hat für die Festschrift einen Ausflug in den Bereich der Kurzgeschichten unternommen. Seine bevorzugte Thematik war die Grenzwissenschaft.


Peter KrassaEr schrieb unter anderen folgende Bücher: "Als die gelben Götter kamen", "Gott kam von den Sternen", Däniken intim", "EvD, der Besessene", "Phantome des Schreckens" und "Feuer fiel vom Himmel".

Ich lehrte Peter Krassa auf dem SFCD-Con 1976 in Wien kennen. Durch Peter Krassa kam mein Kontakt zu Jürgen Grasmück alias Dan Shocker zustande und alles weitere ist Marlos-Geschichte.
 
DAS EXPERIMENT
Die gewaltige Apparatur nahm fast ein Drittel des Saales ein. Sie zu beschreiben war unmöglich. Die Vielzahl von Röhren, die sich gleich unentwirrbaren Verästelungen von Zylinder zu Zylinder schwangen, ein Unmenge Hebel, Skalen und Schalter, alles zusammen eine monumentale Anlage, deren Sinn für den Laien unerklärlich bleiben mußte. Zentralpunkt des geheimnisvollen Etwas war ein Riesenbildschirm. Breit spannte er sich vom spiegelblanken Boden bis hin zur Decke des Saales; eine herausfordernde, weiße Fläche.

Der riesige Raum lag im diffusem Licht. Einige Meter von der rätselhaften Apparatur entfernt standen wuchtige, bequeme Polsterstühle mit breiten Lehnen. Davor eine Art von Schreibpult mit ein paar Schaltern, die offenbar zur Regulierung des Bildes auf dem Fernsehschirm dienten.

Die Tür öffnete sich. Zugleich flammte die Deckenbeleuchtung auf. Zehn Männer in weißen Umhängen, sowie jünger und ältere Personen betraten den Saal. Ihre Aufmerksamkeit galt einem bereits betagten Mann mit schlohweißen Haar und einem wallenden Vollbart. Trotz seines hohen Alters ging er aufrecht, seine Gestalt war elastisch und seine Schritte fest.

„Das ist sie also“, meinte einer der Weißgekleideten und maß die monumentale Anlage mit bewundernden Blicken.

„Und Sie meinen, damit Ihren Plan realisieren zu können?“

„Ich bin davon überzeugt“, lächelte der Gelehrte, ohne mit seiner Antwort zu zögern.

Stimmengemurmel erfüllte den Raum. Wie Bienen den Honig, so umschwärmten die weißgekleideten Männer das Riesending, den Blickpunkt des Saales.

„Bedenken Sie doch die Schwierigkeiten“, wandte sich einer der Männer an den Alten. „Zugegeben, wir können heute bereits Fernrohre bauen, die uns die hintersten Winkel des Weltalls erschließen helfen.“ Der Sprecher schüttelte skeptisch den Kopf. „Aber das hier?“ Zustimmendes Kicken der an­deren.

„Ich weiß, meine Herren, was Sie bewegt. Ihr Mißtrauen ist mir durchaus verständlich. Wahr­scheinlich würde ich an Ihrer Stelle ähnlich reagieren... Aber setzen Sie sich doch!“ Der betagte Wissenschaftler ließ sich in einen der einladenden Polsterstühle sinken. Seine Be­gleiter folgten dem Beispiel.

Das Gesicht des Gelehrten war ernst geworden. Er wandte sich seinem zweifelnden Kollegen zu.

„Natürlich, mit unseren heu­tigen Teleskopen vermögen wir schon sehr viel. Unser Sonnen­system ist glänzlich erforscht. Anderen Galaxien vermögen wir mit unseren Geräten sozusagen auf den Leib zu rücken. Wir ha­ben fremdartige Intelligenzen beobachtet, haben das Weltall in hohem Maße entschlüsselt, und doch...“, er zögerte, seine Au­gen streiften die Anwesenden mit einem prüfenden Blick. „Und doch ist uns bisher ein wesentlicher Bestandteil der Schöpfung ent­gangen.“

Das Stimmengewirr setzte schlagartig wieder ein. Der Ge­lehrte hob beschwichtigend seine rechte Hand.

„Ich kenne Ihre Einwände. Sie haben Sie mir dutzende Mal er­klärt. Doch meine Antwort lautet nach wie vor: „Warum nicht?“

Der Alte blickte herausfor­dernd in die Runde. „Was wissen wir denn wirklich über das Ge­heimnis der Schöpfung? Niemand von Ihnen wird verneinen können, daß sich das Mysterium des Lebens nicht im Großen, sondern im Kleinen offenbart.“

Zunächst Schweigen, dann mel­det sich eine Stimme.

„Das wird ja auch von nieman­dem unter uns bestritten. Doch Ihre Theorie geht einfach zu weit. Das ist Wunschdenken. Un­möglich!“

„Zu allen Zeiten schien zu­nächst das Neue, die revolutio­näre Idee unmöglich zu sein“, widersprach der greise Gelehrte. „Zu allen Zeiten glaubte die Wissenschaft, längst das Non Plus Ultra gefunden zu haben. Aber immer wieder wurde sie dennoch gezwungen, sich und Ihre Lehrmeinung zu korrigieren.“

Der Alte lächelte. „Betrachten Sie meine Worte nicht als Kritik, was sich da immer wieder ereig­net, ist in Wahrheit eine ty­pische Eigenart unserer Rasse.“

Noch einmal musterte er seine Begleiter, dann straffte sich seine Gestalt und er erhob sich. Seine Stimme wandte sich zu ei­nem energischen Tonfall. „Aber wozu hier lange diskutieren?

In wenigen Minuten wird sich Ihre - oder meine These bestä­tigt haben.“

Der Gelehrte trat an die ge­waltige Apparatur heran. „Die­ses Elektronenmikroskop ist mein Lebenswerk. Durch dieses Gerät werde ich Ihnen das Wun­der des Lebens nicht nur im Großen, sondern auch im Klei­nen sichtbar machen.“

„Der Mikrokosmos trägt kein Leben“, rief eine Stimme im Hintergrund.

„Und warum nicht?“ konterte der Gelehrte und fixierte her ausfordernd seinen Widerpart. „Warum sollte ausgerechnet der Mikrokosmos kein Leben tragen? Er ist doch selbstständiger Bestandteil der Schöpfung. Um den Atomkern kreisen die Elek­tronen. Ihre Bahn ist geregelt. Die Gesetze, die in diesem Kosmos herrschen sind natürlich nicht gleich denen in unserem Universums. Aber es gibt sie und ich habe sie im Zuge meiner Forschung genau­estens studiert.“ Der Greis holte tief Atem. „Hier und in wenigen Minuten werden Sie den Beweis für meine Behauptungen präsentiert bekommen.“

Der Wissenschaftler drehte an einem Schalter, drückte auf einen Knopf. Augenblick er­losch das Licht im Saal. An der Decke erstrahlten tausende helle Pünktchen - eine getreue Kopie des Sternenhimmels. Der Saal lag im dunkeln. Nur das Schaltpult, vor dem der Weiß­haarige stand, war von einer versteckten Lichtquelle be­leuchtet.

Das Gesicht des Gelehrten erschien den Umsitzenden wie eine weidlich-graue Masse ohne Konturen. Seine Stimme verlor sich im Raum.

„Es ist aber nicht nur ein Elektronenmikroskop in dieser Anlage verborgen.“ Der Alte machte eine beziehungsvolle Pau­se, während ihn neugierige Augenpaare fixierten. „Die Appara­tur enthält auch eine leistungs­starke, hochempfindliche Fern­seh-Sende- und Empfangsstation. Ja, ich werde sogar die Möglich­keit haben, zu intelligenten Le­bewesen dieser Mikrowelten zu sprechen.“

Diese Neuigkeit schlug wie eine Bombe in die versammelte Schar ungläubiger Wissenschaft­ler. Getuschel war hörbar und eine unterdrückte Stimme: „Unmöglich!“

Der greise Gelehrte überging die Bemerkung, stellte einen Hebel, löschte das Licht im Schaltpult und trat etwas zur Seite. Auf dem Bildschirm er­schien ein heller Punkt. Er wurde rasch größer.

„Die Sonne!“ rief eine Stim­me im Saal.

„Der Atomkern!“ korrigierte der Alte.

Wieder manipulierte er am Schaltpult, das nun von dem grellen Licht der Minisonne be­leuchtet war. Das Auge des Elektronenmikroskops wanderte weiter. Auf dem Bildschirm wur­den mehrere dunkle Körper sichtbar. „Die Planeten des Mikrokosmos“, erläuterte die Stimme vor dem Pult.

Das Mikroskopenauge fixierte einen der dunklen, lang-sam rotierenden Körper. Er kam näher und näher. Schon füllte der Mikroplanet die Riesenfläche des Schirmes. Ein Aufschrei ging durch die Dunkelheit. Deutlich war eine fremdartige Landschaft zu erkennen. Eine weite Ebene - und da...

„Gebäude!“ gellte es aus vielen Mündern. Erregt sprangen die Wissenschaftler von ihren Stühlen auf, drängten sich vor dem Fernsehbild zusammen. Das Mikroskop wanderte weiter. Berge türmten sich auf. Schluchten ließen die Beschauer in schier bodenlosen Abgründe blicken. Der greise Gelehrter am Schaltpult ließ sein künstliches Auge weiterwandern. Auf dem Bildschirm wurde die Landschaft bräunlich-gelb., Kümmerlicher Graswuchs, ein paar verkrüppelte Bäume. Und plötzlich...

„Ein Lebewesen!“

„Dort!“

„Fahren Sie doch näher heran!“

Wild sprudelten die Stimmen durcheinander. Der Punkt wurde größer, nahm Gestalt an. Hatte sich zerteilt. Hier war offenbar eine ganze Gruppe unterwegs. „Das scheinen Krieger zu sein“, meinte einer der Betrachter.

Der Weißhaarige nickte. „Offensichtlich.“

Er führte das Elektronen näher heran. „Das sind Männer!“

„Unglaublich!“

„Die sehen ja fast so aus wie wir!“

Aus den routinierten Wissenschaftlern war eine Schar schnatternden, mit den Händen aufgeregt gestikulierenden Kinder geworden.

Die Lebewesen der Mikrowelt waren jetzt bereits halb so groß wie der Fernsehschirm. Der weißbärtige Greis am Schaltpult betätigte neuerlich einen Hebel. „Jetzt wollen wir doch einmal sehen, wie diese Menschen auf uns reagieren“, meinte er mit einem unbestimmten Lächeln. „Der dort scheint der Anführer der Truppe zu sein, ihn wollen wir einmal testen.“ Wieder drückte er auf einen Knopf, jäh wurde das Mikroskop durch ein grelles Licht bestrahlt. Seinen Strahlen schienen direkt auf die Miniwelt gerichtet.

„Kennst Du mich?“ fragte der Alte seinen entsetzt zum Himmel blickenden Gesprächspartner. Der hatte sich im gleichen Augenblick zu Boden geworfen, seinen Kopf zwischen den Armen vergraben. Im Saal war es still geworden. Fast atemlos warteten die Wissenschaftler auf die Reaktion des Angesprochenen. Du Alte fragte abermals: „Kennst Du mich?“ Die gesamte Kriegerschar hatte sich zu Boden geworfen, angstgeschüttelt. Ihr Anführer schien Mut zu fassen. Zögernd hob er den Kopf, richtete sich auf seinen Knien auf, wagte den Blick zum Himmel. Noch immer wurden seine Augen durch ein unheimliches Licht geblendet. Stockend kam es von seinen Lippen: „Wer bist du, Herr?“

Und der greise Gelehrte entgegnete spontan: „Steh auf und geh in die Stadt, dort wirst du erfahren, was geschehen soll.“

Wie in Trance erhob sich das Mikrowesen, wandte sich an seine Krieger. „Laßt uns nach Damaskus, wie der Herr befohlen hat.“

Und schweigend machte sich die Schar auf den Weg, geführt von Saulus, dem eine wundersame Läuterung widerfahren war.

Der Alte am Schaltpult aber lächelte, während der Bildschirm erlosch.

© by Peter Krassa 1981

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