Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Professor Zamorra 1239 - Steinerne Flut

Professor Zamorra - Der Orden der Tausend

(Amulette-Zyklus, von Adrian Doyle)

1239 Steinerne Flut

"Er lenkte seine Schritte aus dem Schloss hinaus in den sich zum Berg hin öffnenden, von hohen Mauern umrahmten Garten. Hier hatte das silberne Heer, Statuen gleich, Stellung bezogen. Nur Eingeweihte hätten den hier wie leblos Ausharrenden durch bloßes Betrachten zugestanden, mehr zu sein als eben dies: lebensgroße, aus mondfarbenem Erz gegossene Kunstwerke. Der Zauber aber, der die Tausend umfing, entsprach dem, was auch Kelans metallenes Herz erfüllte, den Stern der Sterne, dessen Geschichte fast tausend Jahre weit zurückreichte..."

Spoiler-Alarm! evtl. gleich zum ☠ Fazit ☠ hüpfen...

die neue Geschichte setzt da fort, wo die vorangegangene endet. Thierry Bouchard, von Rufus Agadir aka Kelan de St. Cyriac auf die "andere" Daseinsebene gezogen, irrt im Traum durch dieses leere Parallel-Schloss Montagne, er sucht nach seinen Eltern, die er auf so grausame Art verloren hat. als er erwacht, erwartet ihn bereits Thibaut, früher Lehrer und Mentor, jetzt rechte Hand Kelans. Ti will von Thierry wissen, wieso er plötzlich verschwinden kann, was den Jungen verwirrt, da er von seiner Gabe selbst nichts ahnt. der silberne Ritter Thibault bildet einen Reif aus sich selbst und legt ihn dem verzweifelten und verwirrten 10jährigen Jungen wie eine Handfessel an, damit er nicht mehr entkommen kann.

Blende nach - Haiti! wir erfahren die back story der frisch geschiedenen Carida Quispe, nur um mitzuerleben, dass sie entführt wird...

und allez hop! zurück ins Schloss Montagne. dort inspiziert Kelan seine in Stasis gehaltene Silberarmee, die im Schlossgarten Aufstellung bezogen hat - auf der "anderen" Dimensionsseite, versteht sich, die 998 Statuen wären Zammy & Nici ja sonst ziemlich im Weg. der Vergleich zur berühmten Terrakotta-Armee drängt sich auf, so verweist der Autor lieber gleich selber darauf. offenbar entwickeln sich unsere Silberritter weiter, Kelan entdeckt, dass sie sich der Vollendung nähern, und er bald die Vernetzung aufheben kann - was immer das auch bedeutet. Thibaut bringt Kelan die Kunde von der besonderen Gabe seines Nachkommen Thierrys, doch der Chef keine Zeit, und verreist kurzfristig.

Blende wieder nach - Haiti! ein Voodoo-Priester hat Carida entführen lassen, er soll sie im Auftrag ihres Ex-Gatten zu Tode foltern. damit die Sache für ihn aber wirklich rund wird, fügt er sich selbst die gleichen Qualen zu wie seinem Opfer. es kommt heraus, dass er ein Mitglied der Société ist, die im ersten Band des Amulette-Zyklus aufgelöst wird - oder eben nicht ganz. heute nutzt der Magier, er heißt Cator, seine Voodoo-Kenntnisse, um Geld zu machen, er verdingt sich sozusagen als Auftragskiller, wobei für seine Auftraggeber das Foltern mindestens so wichtig wie das Meucheln selbst ist. mitten in das heitere Selbst- und Fremdverstümmeln platzt - Kelan! der ist eigentlich gekommen, um ein Zeichen zu setzen, einen Gruß (vom Krampus) auszusenden, und stößt auf den wahnsinnigen Cator. die beiden streiten zunächst herum, dann entscheidet Kelan, den Magier in seinen Plan einzubinden. er entzündet ein magisches Feuer, das sich ausbreitet, und Menschen schluckt - neue Opfer für den Foltermeister.

zurück auf dem Schloss werden Kelan und Thibaut Augenzeuge, wie sich Thierry im Schlaf wieder auflöst, und dabei das silberne Band von Thibaut abstreifen kann. diesmal setzt ihm Thibaut eine silberne Nadel tief in den Hinterkopf, so kann er den Jungen aufspüren, und mittels Teleportation können Thibaut und Kelan dem Jungen folgen. der hat sich in die Gewölbe versetzt, und berührt an einer bestimmten Stelle den roh behauenen Stein. nach einer Weile teleportiert er sich schlafwandlerisch zurück in das Kaminzimmer, wo er sich wieder an nichts erinnern kann. Kelan nutzt die Gelegenheit, und prägt Thierry mittels Hypnose und Amulett eine neue Vergangenheit auf - Kelan wäre demnach sein Vater, den der Junge vergöttert.

in der Zwischenzeit erforscht Thibault die geheimnisvolle Stelle im Gewölbe, als er selbst die Wand berührt, wird er von "etwas Unaussprechlichem überrollt". er kann sich dem Horror entziehen, und durch magische Tastung eine Art virtuelle Karte eines verdeckten, unterirdischen Stollensystems zu erstellen. das will Kelan selbst sehen, und berührt ebenfalls die Stelle. noch gewaltiger, noch unbezähmbarer als von Thibault beschrieben, bricht die steinerne Flut über Kelan herein, und zermalmt ihn zwischen ihren Gewalten... einmal mehr ist es Thibault, der Kelan das Leben rettet.

mittlerweile hat Thierry im Garten offenbar die dort Begrabenen aus ihren Gräbern auferstehen lassen, die nun ihrerseits wie Skulpturen herumstehen. und noch etwas bewirkt der Junge - die silberne Armee, obwohl eigentlich zu keiner Regung fähig, bildet eine Lichtung, um im Garten Platz zu schaffen.

wir springen auf die andere Seite der Realität. Zamorra hört in den Nachrichten von den Vorkommnissen in Haiti, und will sich schon mit Nicole auf den Weg machen, als im Garten wie von Zauberhand jener Baum mit Baumhaus erscheint, der eigentlichen im Garten der Bouchards steht. durch das Scannen mit dem Amulett verfestigt sich das Gebilde auch noch, und Nicole vermeint tatsächlich, hinter einem Fenster des Baumhauses Thierry zu sehen. bei alldem haben unsere Helden einen Zuschauer - Kelan kann mittels seines Amuletts ja auch auf die andere Seite schauen. und obschon er den Aufruhr bei Zamorras miterlebt, erkennt er den Grund nicht - der Baum bleibt für ihn unsichtbar. durch die dort geführten Gespräche wird ihm aber rasch klar, dass es sich um Thierrys Baumhaus handelt. der Junge wird Thibault und Kelan zu mächtig und unkontrollierbar, sie beschließen seine Vernichtung, doch er kann sich ihnen entziehen, indem er sich entstofflicht, und ihm Stein des Gewölbes eintaucht.

nachdem Zammy & Nici festgestellt haben, dass der originale Baum nach wie vor in Bouchards Garten steht ("das Grauen schleicht um Bouchards Haus"... tschuldigung.). unsere Helden begeben sich also endlich doch nach Haiti. auf dem Friedhof, den sie noch in guter Erinnerung haben, kommen sie ebenso wie ihre Begleiter vom örtlichen Geheimdienst in den Sog der magischen Feuersäule, und finden sich unverhofft dem Folterknecht Cator gegenüber. sie können sich nicht aus eigener Kraft erretten, es ist Kelan, der einschreitet, und eine Drohung ausstößt - Grüße vom Sternenbiest! er kündigt den finalen Akt an, wenn seine Ritter alles überrennen werden, und das Ende von Nicole und Zamorra eingeläutet wird, dann, wenn sie es am wenigsten erwarten. danach vernichtet Kelan seinen Schergen, den Voodoo-Priester, und die magische Feuersäule fällt zusammen. übrig bleibt ein wahres Schlachtfeld voller verstümmelter Leichen... Nicole und Zamorra sind entsetzt, dass Kelan wieder da ist.

während unsere Helden in Haiti um ihr Leben kämpfen, entdeckt zuhause Butler William, dass die Substanz, die den Baum und das Baumhaus an der Oberfläche formten, offenbar aus dem Boden entnommen wurde - und damit eine Art negatives Spiegelbild in Form von Leerstellen hinterlassen hat, die eben wie Stollen aussehen. unsere Helden entscheiden, daran nichts zu ändern, in der Hoffnung, das Baumhaus möge eine Art Portal für Thierry darstellen, damit er zu ihnen zurückkehren könne, von wo auch immer.

der Junge aber findet sich auf einer Art Band wieder, die sich zu einer Straße wandelt, und neben der sich ein Haus entwickelt - das Haus seiner Eltern. und es dauert nicht lange, da treten Vater Eugène und Mutter Chloe aus dem Haus, die Familie schließt einander in die Arme, und macht sich glücklich vereint auf der vermeintlichen Straße auf den Weg ins Licht...

☠ Fazit ☠

wieder eine sehr dichte Geschichte, es passiert vieles, und doch habe ich den Eindruck, wir bewegen uns nicht gradlinig sondern in Spiralenbewegung vorwärts. nur langsam erschließt uns Herr Weinland den Hintergrund der Vorgänge.

der Autor flicht regelmäßig Rückblenden ein, und erklärt in wenigen Sätzen was sich zugetragen hat. er baut das ganz natürlich in den Fluss der Geschichte ein, so das es mich auch nicht stört, obwohl ich die Geschichte ja schon kenne. es wirkt jedenfalls nicht so wie bei seinem Kollegen Ian Rolf Hill, da hat man das Gefühl, der nimmt mal eben ein Lexikon zur Hand und zitiert für den Leser eben ein paar Absätze.

in den Szenen mit dem Voodoo-Priester lernen wir die Kreativität des Autors kennen, was brutale Grausamkeiten betrifft; das Androhen vom Abschneiden der Augenliderhäute ist da nur eine Stufe von vielen hinab in den Folterkeller des Wahnsinns. auch der body count beim großen Showdown ist nicht ohne, und die Leichen sind sämtlich aufs Übelste zugerichtet. wie lässt Herr Weinland im Folgeroman jenen Autoren denken, um dessen Geschichten sich alles dreht: "Auch bei Bluttaten war er oft über die latent in ihm schlummernde Lust an Gewaltorgien entsetzt; zugleich wusste er, dass seine Leser genau solche ausufernden Exzesse von ihm erwarteten."

interessant finde ich, dass auch Kelan nicht alles weiss, und sich über neue Erkenntnisse überrascht zeigt:
- so erstaunt ihn zB der Effekt, dass die Zeichen auf Thibaults Haut (oder besser Hülle?) zu wandern beginnen, wenn sie vom Licht seines Amuletts beschienen werden;
- er hat keine Ahnung, über welche Gabe Thierry verfügt, und lernt es durch trial & error;
- er kann mit dem Phänomen der steinernen Flut nicht umgehen; etc.

wir erfahren nebenbei, dass Kelan in ständigem Austausch mit Leonardo, seinem "Ziehvater" steht, und er sich dadurch all dessen Wissen aneignen konnte, einschließlich alles über den Orden und das Amulett, das nun von seinem Nachfahren Zamorra - für Kelan - entweiht wurde und widernatürlich eingesetzt wird. Leonardo ist zu Kelans schwarzen Idol mutiert.

auch gibt es eine Szene, in der Kelan Thibault als "Geist der Vergangenheit" beleidigt, und der daraufhin aufbegehrt und Kelan bittet, ihm wenigstens seine Würde zu lassen, oder das, was davon noch da ist. dieses Aufbegehren berührt Kelan auf eigenartige Weise. trotz der Jahrhunderte und all des Bösen, das die beiden angerichtet haben, lebt offenbar noch ein Funke Menschlichkeit in ihnen. und später lässt der Autor Thibault sinnieren, warum Kelan als einziger seine menschliche Form beibehalten hat, alle anderen Ordensmitglieder sind ja mit ihren Amuletten verschmolzen und so zu unverwüstlichen Silberrittern geworden. nichts ist bei Herrn Weinland Zufall, so denke ich, zu diesem Thema kommt in den folgenden Geschichten noch was nach.

sprachlich wieder top, wobei ich noch nicht durchschaut habe, nach welchen Kriterien der Autor Klammern und Bindestriche einsetzt, Beispiel: "Pure (dunkle, abseitige) Lust!". und natürlich wieder Schachtelsatz galore... auch das Klischee "das musst du dir selbst ansehen", das wir eigentlich aus Filmen kennen, um die Spannung künstlich zu verlängern, setzt er hier ein: "Aber lasst es uns abkürzen", berichtet der Mönch an Zamorra, dass er etwas entdeckt hat, "Es ist selbsterklärend. Wenn ihr mir folgt, führe ich euch hin." ich könnte es auch gleich sagen, aber hej, warten wir mit der Enthüllung auf die nächste Spalte!

ein paar Formulierungen, die mir besonders gut gefallen haben:
- die traumatischen Bilder schienen sich wie mit Widerborsten in Thierrys Seele gebohrt zu haben
- er suchte das Lächeln, zu dem er als Knabe noch fähig gewesen war, und als er es fand, schenkte er es Thierry

hat mir sehr gut gefallen, kriegt von mir 5 von 6 möglichen Punkten im Gruselromanforum.

Achtung - das Forum ist übrigens auf eine neue Seite umgezogen:
https://gruselromanforum.de/phpBB3/index.php

der russische Fotograf Vladimir Mulder führt hier sein "Tagebuch eines Jägers", unser Tibi dürfte eines seiner zahlreichen "unterirdischen" Fotos auf Shutterstock sein. da wir uns viel in den Gewölben des Zamorra'schen Schlosses bewegen, durchaus passend.

Professor Zamorra
1239 Steinerne Flut

Autor: Adrian Doyle (Manfred Weinland)
Titelbild: Vladimir Mulder / Shutterstock
Verlag: Bastei
Erscheinungsdatum: 23.11.2021

zurück zur Hauptseite

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles