Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

The Tale of five books (3) - Stern der Implosionen

The Tale of five booksThe Tale of five Books (3)
Stern der Implosionen

Im Folgenden unternehme ich den Versuch, einige  SF-Leihbücher aus den  fünfziger und sechziger Jahren zu rezensieren. Ich habe mich  dabei auf fünf Stück festgelegt, die ich aus meinem Fundus nach Belieben wähle. Also nach dem Zufallsprinzip. Dabei werde ich, wie bei Rezensionen üblich, kurz den Inhalt erklären und dann  feststellen, ob das Buch auch heute noch lesens- bzw- beurteilenswerte SF darstellt.

Ich werde nicht über Leih-Buchverlage oder Autorenpseudonyme referieren, sondern die Bücher als das nehmen, was sie sind. Es wird also immanent der reine Band  und sein geschriebener Inhalt bewertet.

Stern der ImplosionenStern der Implosionen
von J.E. Wells (Eberhard Seitz,*1912)
Verlagsnr. 693
Erscheinungsjahr 1958
(Nachdruck: TERRA- Utopische Romane, Heft Nr. 68, Moewig, München)
Hönne Verlag, Balve (Gebr. Zimmermann)

Zum Klappentext:

Das größte Raumschiff der Erde, die LL 4, fliegt mit mehr als 500 Mann Besatzung zum Andromeda. Die Führung dieses Giganten wurde dem Chefkapitän Argus Mentosi übertragen, einem zwiespältigen Manne, der sich darin gefällt, innerhalb seines Befehlsbereiches den Diktator zu spielen.
Während dieser Fahrt kommt es zu überraschenden Zwischenfällen. Das Sensationellste ist ein Planet, auf dem alle physikalischen Gesetze genau entgegengesetzt in Erscheinung treten. Chefkapitän Mentosi zeigt sich diesem Naturphänomen in keiner Weise gewachsen, und die Fahrt hätte mit einer Katastrophe geendet, wenn nicht der junge Physiker Ted Barna gewesen wäre, dessen Mut und Wissen in letzter Minute zur Rettung beitrug.
Doch auch Ted Barna hatte eines nicht bedacht. Dieser Stern der Implosionen mit seinen umgekehrten Vorzeichen hatte sich noch eine Ueberraschung aufgespart, die im Augenblick der glücklichen Landung des Raumschiffes LL 4 auf die Erde die Menschen seiner Besatzung erschreckend überfiel. Dieser Roman, dessen Thema sich der "real sciene (!) fiction" der amerikanischen Autoren ebenbürtig zur Seite stellt, ist spannend und abenteuerlich zugleich und macht dem Namen seines Verfassers J. E. Wells alle Ehre.

Einleitende Bemerkung:
Erst einmal: J.E.Wells, der ja trotz der sicher  (gerade im SF-Bereich) gewollten Namensähnlichkeit nicht mit H.G. Wells, dem berühmten, englischen SF-Autor und Sozialkritiker zu verwechseln ist, ist auch derjenige Schriftsteller, der einen anderen, bekannten, deutschen Autor erst zum Schreiben gebracht hat … und wesentlich besser. Die Rede ist von Klaus Otto  Mahn, alias Kurt Mahr, alias Cecil O. Mailer, der einst einen Roman dieses Herrn Wells las, in dem dauernd ein „Antiproton“ gezückt wurde, das irgendwelche SF-Wunder erzeugte. Woraufhin Kurt Mahr sich sagte: „Otto, das kannste auch!“ Wie ich im Nachhinein feststellte, handelt es sich hier wohl um diesen Band!

Daraufhin wurde er u.a. ein wirklich guter schreibender Mitarbeiter der Perry Rhodan-Serie in den sechziger und siebziger Jahren. Ich schätze einige seiner lesenswerten Hefte und Bücher auch heute noch.

Aber zurück zu J.E.Wells, der auch „Mark Powers“ erfand oder miterfand, indem er alte Leihbücher dazu umschrieb. Viele seiner Leihbücher erschienen auch später in UTOPIA, TERRA  usw.

Erste Kritik:
In  diesem Buch sind  es  also Antiprotonen, die über Betatrone erzeugt werden und so Antischwerkraft schaffen. Physikalisch natürlich völliger Blödsinn, aber in den  fünfziger und sechziger Jahren waren das sicher tolle Begriffe für den begeisterten und naiven   Fan der Weltraum-Literatur und was soll‘s, es ist eben SF … da muss man mit derlei rechnen. Diese Art „unphysikalische“ Erfindungen und Spinnereien habe ich ja auch im letzten Leihbuch nicht moniert. So sei es hier auch.Lassen wir ‘s gelten ... sogar das "schwere"Antiproton im Goldenen Kästchen der Andromedaner. Ja, Otto, das konnteste locker auch! ...

Kommen wir zum Stil:
Das Buch ist durchgehend im Präsens geschrieben, was zunächst gewöhnungsbedürftig wäre, wenn ich dieses Schreibmittel nicht von Kurt Brand und dem Weltraumreporter Yal kennen würde. Ich selbst habe in einigen Geschichten auch im Präsens geschrieben, nur um dieses  zeitliche Stilmittel auszuprobieren. Das ist manchmal recht nett.Für einige Leser, auch heute, allerdings gewöhnungsbedürftig, wie Klaus N. Frick, der Redakteur der Perry-Rhodan-Serie, mir neulich  als Kommentar zu einer Story schrieb.

Auffallend  im Roman sind Begriffe wie „im Andromeda“ oder „er soll zum Captain Clifford kommen“. Sicher ist mit dem ersten Wort eine verkürzte, elliptische Form von „im Andromeda-Nebel“ oder Ähnliches gemeint. Beim zweiten Begriff würden wir heute wohl das „m“ im „zum“ weglassen.Auch hier, in diesem Roman, werden die Erzähl-Zeiten durcheinander geworfen. „Man kann sehen, dass seine Stirn einen feuchten Glanz erhielt.“

Zum Inhalt:
Vom reinen Flug abgesehen besteht die Handlung aus dem Konflikt eines jungen Wissenschaflers, Ted Barna, mit der allzu strengen Autorität der Raumflug-Gesellschaft, die schon fast totalitär anmutet.Ein zweiter Protagonist ist Professor Hyde, für den  Dr.Barna arbeitet.

Auf dem Mond befindet sich eine „meteorologische“ Station. Was sie tut, wird nicht erklärt. Außer dem Sonnenwind ist da kein Wetter groß zu messen. Aber das Raumschiff besitzt Tachometer, das ist ja immerhin etwas.Man kann übrigens tausendfache Lichtgeschwindigkeit erreichen.Zunächst aber muss man dem CERES ausweichen, weil der Kommandant rasend beschleunigt.

Neptun wird mit Merkur verwechselt, der anscheinend irgendwie zwischen Uranus und Pluto gelangt ist.Auch beim Rückflug zum Ende des Romans wiederholt sich dieses eklatante Fehlwissen über das  lokale Sonnensystem  bei einem SF-Autor. Diverse Tippfehler stören den Lesefluss.(„eine Versäumnis“). Viele Druckfehler sind im Leihbuch enthalten.Man fliegt gedankenschnell über Millionen Lichtjahre, hat aber nur metallene Strickleitern an Bord für die "Türen" außen. Von Schotten oder Schleusen ist nicht die Rede.

„Der Andromeda“ ist immerhin 1,4 Millionen Lichtjahre entfernt. Da muss man mit Hilfe von seitlichen Quantentriebwerken enorm beschleunigen.(Damals war das der aktuelle Messstand der Astrophysik,Stichwort: Hubble-Konstante, insofern korrekt),heute wissen wir, dass M 31 weiter entfernt ist.Nämlich etwas über 2,2-2,3 Millionen Lichtjahre.

Positiv ist zu vermerken, wie der Konflikt an Bord des Schiffes dargestellt wird, zwischen dem unsicheren „Chef-Kapitän“, der ihn unterstützenden, 40-köpfigen Sicherheitsgruppe und deren Leiter, einem wahren Kommisskopf, übrigens auch ein „Kapitän“ (ob das jetzt ein militärischer oder ein Schiffsrang ist, wird nicht klar) und auf der anderen Seite den besonnen Wissenschaftlern und Astronautikern. Gerechtfertigte Kritik an der Schiffsführung wird jedoch als Meuterei betrachtet und einige der Astronomen werden in Haft genommen.Auf dem gefährlichen Flug nach Andromeda mit nur drei Hypersprüngen werden 23 Besatzungsmitglieder aufgelöst und die übrigen nur mühsam gerettet.Dieser Flug fand in seiner Form gegen den Rat der Wissenschaftler statt, die sich mehere Etappen gewünscht hatten. Der Hyperdrive ist übrigens ein „telepathischer“ Flug, denn die Erde in fünfzigtausend Jahren hat die Physik mit der Psychologie irgendwie verknüpft, deshalb reist man zwar wirklich, aber „gedankenschnell“. Naja … als Begründung ist das etwas an den Haaren herbeigezogen.Für SF hätte man sich da mehr ausdenken können.

Die Hauptperson besitzt einen telepathischen (!!!) Roboter, der erst sehr roboterhaft daherkommt, dann aber sogar menschliches Bewusstsein emulieren lernt, lange vor Datas Emo-Chip bei Star Trek. Immerhin thematisch mit eingebaut, verdichtet diese Nebenhandlung die Erzählstruktur: als Grundlage  ist ein telepathischer Roboter für mich nicht überzeugend aber als Ausführung und Entwicklung innerhalb der Handlung schon.Man gerät in Bereiche von normalerweise antiphysikalischen Zuständen, die aber mit Hilfe des berühmten schweren "Anti-Protons" abgewehrt werden können.Natürlich läuft auch die Zeit rückwärts beim Stern der Implosionen. Das mit den "Implosionen" ist nicht wörtlich, sondern allegorisch zu verstehen. Gemeint ist, dass  es "im Andromeda" einen Bereich gibt, wo die Physik aus Antibegriffen besteht. Zum Ende des Romans hin landet man dann auch in der Vergangenheit, im Jahre 1994.Ein Stern besitzt einen Krater, aus dem er Gestein ins Weltall spuckt. Da habe ich mir, auch im Antibereich, schon an den Kopf gefasst ... aber warum nicht ... es ist Fiction.Nur keine gute.Ist halt eine Märchenstunde.(Augenroll!)

Fazit:
 Man merkt dem Buch sein Alter schon an, inhaltlich, meine ich (nicht die brüchigen, vergilbten Seiten mit den alten Kaffeeflecken). Vieles ist naiv dahergeschrieben und heute so nicht mehr haltbar. Der Stil ist gewöhnungsbedürftig und die Geschichte sehr  einfach dahererzählt.Selbst billige e-book-Publikationen pubertiernder Schwärmer sind heute besser geschrieben.Mit einer Tüte Buchstabensuppe und etwas Geduld könnte ich den Band neu verfassen. Der Stil ist leicht, schnell, oberflächlich,wirkt durch die Verwendung des Präsens fast dokumentativ.  Emotionen, Ängste oder Probleme  der Raumfahrer werden aber recht überzeugend dargestellt, auch durch Innensicht.Auch die Außenhandlung ist recht gut beschrieben.Grundsätzlich ist der Band also auch heute  noch mit Einschränkungen lesbar, wenn man nicht zu hohe Ansprüche anlegt und etwas Geduld mitbringt.Das fiel mir allerdings teilweise schwer. Ich kann Klaus Mahns Kritik an diesem Band  hier absolut nachvollziehen. Ohne Seufzen oder Augenrollen wird es dennoch kaum gehen.Als gut oder gar herausragend würde man das Buch also nicht ansehen. Immerhin ist der Konflikt zwischen der diktatorisch-militärischen  Sternengesellschaft und ihren Sicherheitskräften und den doch eher demokratisch orientierten,  freidenkenden Wissenschaftlern recht überzeugend dargestellt.Daher recht zwiespältig in der Beurteilung. Nicht nicht gelungen ... aber vom Hocker haut das Buch den Rezensenten nun auch nicht.Mit heutigen Schreibstilen ist der Band selbstverständlich überhaupt nicht vergleichbar, liest sich aber dennoch  recht flott.

Man muss allerdings einen gewissen, nostalgischen Toleranzhintergrund mitbringen.Dazu gehört auch einige Geduld mit dem Autor.Dennoch ist es nicht vollständig veraltet oder ganz und gar aus der Zeit gefallen, wie der vorige, rezensierte Band.Das Buch  kann also mit Einschränkungen auch heute noch als SF verstanden werden.Trotz des wilden "Antiprotons" der außerirdischen Alleskönner.Dennoch lese ich da lieber einen Kurt Mahr ... der ist  logischer strukturiert, viel elaborierter in der Darstellung und arbeitet mit mehr und besserem Hintergrundwissen in der SF.

Empfehlung:  sehr eingeschränkt lesenswert.Aber nicht vollends abzulehnen, da der ungewollte Amüsierfaktor hoch ist.Es lebe das goldene Antiproton!Ein bis zwei von fünf möglichen Supernovas kann man dem Band also zubilligen.

2019 by Holger Döring

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.