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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Mörder aus dem Totenreich - Silber Grusel-Krimi Nr. 313 von Cater Saint Clair

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Mörder aus dem Totenreich«
Silber Grusel-Krimi Nr. 313 von Cater Saint Clair

Heidewitzka, was war das denn?

Hatte ich wirklich lamentiert, die meisten Gruselromanautoren hätten eigentlich außer einem gelungenen Auftakt selten etwas mehr gehabt, als die Absicht, die fehlenden Seiten mit Standards anderer oder verwandter Genres aufzufüllen?


Kein Gefühl für Gruselatmosphäre, kaum Phantasie für das Abseitige?

Dann haben die vermutlich nie Cater Saint Clair im Vollrausch gelesen!

Hinter dem Pseudonym soll sich angeblich ein Autor namens Pirker verborgen haben, der in Spanien wohnte und seine Romane via einer ominösen Agentur vermarktete. Der gute Mann kam später noch in die verlagsinternen Schlagzeilen, als er sich dazu verstieg, zwei Romane von Jürgen Grasmück (aka Dan Shocker) abzukupfern und praktisch abzuschreiben – ob er das war oder stattdessen ein unbekannter weiterer Autor, dem man das Pseudonym aufdrückte, wird wohl schwerlich festzustellen sein.

Das gilt wohl auch für diesen Beitrag im SGK, der (soweit ich es feststellen konnte) nirgendwo mit einer echten Autorenbezeichnung versehen ist – angesichts der Themenfülle hätte mich das schon interessiert, was der Mann noch alles produziert hat.

Tatsächlich läuft dieser Roman, obwohl er standardisiert (und recht gut) anfängt, praktisch von Seite zu Seite thematisch mehr amok – was anfangs noch sehr übersichtlich erscheint, geht zunehmend in die erzählerische Breite. Mehrfach werden Themen abgeschlossen und an anderer Stelle und vor allem anderen Handlungsorten fortgesetzt, mutieren fröhlich vor sich hin und wenn man sieht, wo der Roman endet, glaubt man es vom Anfang her gesehen kaum.

Immerhin ist es aber mal ganz nett, dass wir nicht in England, Deutschland oder den Staaten starten, sondern zur Abwechslung mal in Dänemark und CSC flippert durch die Spielorte und Szenarien, dass es nur so eine Freude ist.

Das Ergebnis ist übrigens wiederum nicht sonderlich gruselig, aber der Plot wird zu einer zunehmend abstrusen Angelegenheit, ein Flickenteppich wilder Ideen, so dass man ihn irgendwie schon fast bewundern muss.

Das thematische Mischmasch ist zwar eigentlich stilistisch mehr mittlere 70er (der Roman wurde im Frühjahr 1982 veröffentlicht), aber in den frühen 80ern war ja auch kein Thema mehr heilig im deutschen Film.

Also ziehen wir nordwärts...und widmen uns der Story...


Mörder aus dem TotenreichZum Inhalt:
Alles beginnt in Hellerup, wo die gefeierte Pianistin Jessica Lynn nach einem Schäferstündchen mit ihrem Liebhaber Lars Malerbakken von einem Angreifer mit Skelettgesicht belästigt wird. Sie geht aber nicht über den Jordan, sondern verliert lediglich die Haut ihrer Hände, die man ihr kurzerhand chirurgisch abgezogen hat.

Damit ist das ein Fall für den Polizeiarzt Dr. Peter Kirsten, der auch kriminologisch geschult ist und seine Zigarre schmauchende Assistentin Tanja Bramming. Offenbar gab es mehrere, ähnlich gelagerter Fälle, wo den Opfern gewisse epidermische Teile ihres Körpers verlustig gingen – und Kirsten vermutet, das geschah zu Transplantationszwecken. Offenbar hat ein Fußballspieler seine goldenen Fersen verloren und ein Berufsspieler seine Glückshand.

Und diese „Diebereien“ zeigen Wirkung: Spieltischkönig Bruno Vittorp verliert nun ständig, ein anderer Spieler namens Ezel macht die große Kohle. Ähnlich geht es Star-Libero Bruno Tarm, der nur noch leichtes Training machen darf.

Es folgt die erste fachspezifische Folgerung, wie das mit der Talent-Transplantation funktionieren soll, eine wilde Mischung aus Aristoteles, automatisches Schreiben, Papillarlinien und Chiromantie. Glaubt man sofort!

Als nächstes tritt Kommissar Zufall auf den Plan: zwei Zwölfjährige haben sich durch unglaubliche Taschendiebstähle hervorgetan und kriegen auf dem Revier von Mutti was zwischen die Löffel. Des Rätsels Lösung: sie haben auf einem Villengrundstück ein altes irdenes Gefäß mit uralten Hautfetzen gefunden und sich aus dem Inhalt ein wilden Tee aufgekocht. Das Ergebnis: sie haben ihre Griffel nicht mehr unter Kontrolle. Kinder, Finger weg von Drogen!

Immerhin haben Kirsten und Bramming so eine neue Spur. Auf dem Gelände mit einem schlossähnlichen Bauwerk in der Nähe von Kopenhagen stöbern sie einen vermeintlichen alten Gärtner auf, dem sie die Information entlocken, dass das alles Dr. Jens Nordengen gehört, einem Archäologen und Fachmann für minoische Kultur. Doch ein des Weges radelnder Waidmann klärt auf, dass es sich bei dem „Gärtner“ um Uwe Nordengen, den Vater des Besitzers, der schon vor fünf Jahren bei einem Unfall starb. Der aber hat schon das Weite gesucht (und gefunden!).

Im Schloss stöbern die beiden einen gut bestückten Transplantationssaal auf, dazu noch einige Gefriersärge, in denen Uwe Nordengens Frau (bzw. ihre Leiche) dahin schimmelt. Dabei werden sie plötzlich von kleinwüchsigen, dunkelhaarigen Doppelaxtmännern angegriffen, bei denen Kirsten sofort auf biologisch-feinstoffliche „Transformator-Körper einer anderen Welt“ schließt (kam mir auch sofort in den Sinn!) und die man mittels etwas Feuereinsatz einäschert. Kurz darauf fliegt (per Selbstzerstörungssequenz) das ganze Schloss in die Luft.

Derweil ist Vater Uwe (der tatsächlich von seinem Sohn wieder erweckt wurde) bei Jens auf der Insel Römö angekommen und der Sprössling plant Großes durch Verfeinerung der bisherigen Verfahren: er will vollgültige Roboter erschaffen in Gestalt alter minoischer Prinzenmumien, die die Anfängerfehler der Feinstoff-Materialisationen mit begrenztem Schreckpotential beseitigen (Huaaaaa!!!!!)

Die sagenhaften Einbalsamierer dieser Prinzen sollen die antiken Taricheuten gewesen sein und einer von ihnen, namentlich „Namarna“, konnte sogar Tote wieder erwecken. Dazu braucht man u.a. ein wichtiges Schlangenkraut und antike Batterien, parthische Apparate genannt.

Das Experiment gelingt und weil die „Prinzen“ ihrem Erwecker bedingungslos folgen, nutzt Nordengen sie, um gleich mal alle Mitwisser zu beseitigen, also all die Beteiligten an den bisherigen Experimenten. Er setzt die beiden vor den Fernseher („Sieh, Oros! Welch ein großes Amphitheater...“) und bringt ihnen die Grundzüge des Fußballspiels und von Klavierkonzerten bei und setzt seine Mini-Killer auf den jetzt sehr erfolgreichen Ballspieler Nils Mölle und den neuen Klassik-Star Litta Niven an – die der Männe von Jessica Lynn sofort begonnen hat zu managen, nachdem er die Scheidung von seiner Frau eingereicht hat.

Kirsten weiß inzwischen auch von den Fällen, kommt bei Mölle zu spät (er wird auf dem Feld erstochen), schafft es aber, bei Niven den Fangschuss zu verhindern und plättet den kretischen Angreifer im Opernsaal.

Doch nichts ist so furios wie die Rache einer Frau, denn nun übernimmt Jessica Lynn, die ihre Epidermis wieder zurück will. Sie engagiert ein paar harte Kerle (von denen einer Birger Blixen heißt), lässt durch sie Kirsten um die alten Tontiegel mit den Hautfetzen bringen und entführt Niven zwecks Re-Transplantation. Dann kassiert sie den Schönheitschirurgen Munken ein, der ihr die Haut von den Händen genommen hat (und der auf Seite 1 noch ein Skelettface hatte...), braut ihm aus den alten Häuten eines Würgers einen Aufguss und hetzt ihn auf den untreuen Ehegatten. Das geht aber schief, weil Munken lieber den mitgebrachten Handlanger meuchelt, als seinen Mordauftrag durchzuführen.

Jessica Lynn jedoch reist mit der entführten Niven nach Römö weiter, wo Nordengen ihre Hände wieder herstellen soll. Dabei verwendet er eine seiner kretischen Mixturen, die jedoch unerwünschte Nebenwirkungen haben. Sie verwandeln die Frauen unbemerkt in kretische Schlangengöttinnen (komplett mit Wickelzopf und alter Bekleidung!!!), die sich anschließend ins Meer stürzen...


Der Rest vom Fest:
Man mag es nicht glauben, aber damit sind erst drei Viertel dieser rasenden Schmorgurke von einem Roman vorbei. Der Rest spielt dann auf Kreta und den benachbarten Inseln, wohin sich die Familie Nordengen geflüchtet hat. Tanja wird noch entführt und ein paar wackere griechisch-türkische Helfershelfer (die mich alle an die netten Handlanger aus „Liebesgrüße aus Moskau“ erinnert haben) helfen Kirsten dabei, auf der Insel aufzuräumen. Auch der alte Wiedererwecker Schwarma (pardon, natürlich Namarna) lebt noch in einem Labyrinth (was sonst, auf Kreta?) und auf den letzten Metern gibt es auch noch einen Vulkanausbruch!

Nein, mit Gänsehaut ist es hier Essig, die kriegt vermutlich ob des wild wuchernden Wahnwitzplots den Schreikrampf ihres Lebens. Andererseits muss ich die unterhaltsame Themenvielfalt loben, die man auf 60 Seiten Roman untergebracht hat – manche verwenden so viele Szenarien und Themen in vier Romanen nicht. Immer wenn man denkt, man wüsste jetzt wohin die Pferde reiten, geht es in einer anderen Richtung weiter und die Mischung aus geisterjägerähnlicher Ermittlungsarbeit, Agenteneinsatz und deutsch-dänischer Provinzialität hätte eigentlich noch einen Gastauftritt von Klaus Kinski UND Siegfried Schürenberg verdient gehabt.

Verblüffend angenehm ist die offene Akzeptanz, mit der die ganze absurde Chose bei einem Polizeiarzt als neue Beschäftigung durchgewinkt wird. Klar, minoische Prinzen im Schloßkeller erwecken, das kann schon mal vorkommen während der Sommerferien in Dänemark.

Das alles wird auch noch mit todernsten Gesicht präsentiert, was es in der Nacherzählung noch lustiger macht, denn während der Lektüre erblättert man Seite um Seite und fasst es nicht, was da zwischen Sangria-Eimer und Feierabendkiffe wieder aus der Schreibfeder geflossen ist.

Nicht so ganz schlüssig ist so manches an diesem Roman: wieso Lynn erst von einem Vermoderten angegriffen wird und später sich Munken zu der Tat bekennt (der ganz normal ist). Warum werden ständig drei Beispiele angeführt, später in einem Extraabsatz aber noch nicht erwähnte weitere?

Wieso wachsen den Mädels in Römö neben Schlangenarmen auch gleich noch minoische Wickelfrisuren und Kleidung im Schnitt von vor 2500 Jahren? Wo schwimmen die Mädels hin? Wieso bricht der Vulkan aus und wozu wird Tanja entführt?

Alles ist möglich in diesem Reißer, der wahrhaftig nicht mit grauenhaften Bildern spart, die aber in einem so seltsamen Kontext präsentiert, das man das alles nie so ganz ernst nehmen kann. Und die Präsentationsfrequenz spielt auch eine Rolle.

Immer ist CSC so nett, zwischendurch immer zu kleinen krypto-wissenschaftlichen und historisch-mythologischen Höhenflügen im Erklärbär-Modus anzusetzen, um die Absichten der Nordengens zu verdeutlichen.

Die wiederum sind übrigens nicht die typischen Finsterlinge, sondern mehr der Typ „bahnbrechender Wissenschaftstyp mit Chemiebaukasten“, die ganz tolle Sachen ausprobieren wollen, weil sie es können. Erst auf der letzten halben Meile packen die beiden noch ein paar finstere Absichten auf (u.a. will Jens auch noch seine unwissende Ehefrau meucheln lassen), aber der Autor schafft es, sogar das vermutliche Ableben der Frevler im Off stattfinden zu lassen und alles (hier ist man wieder schneller als benötigt auf der letzten Seite angekommen) unter einer netten Lavadecke zu verstecken.

Und wie könnte es anders sein, am Ende wollen sie noch alle nur schnell nach Hause.

Ich für meinen Teil hatte Probleme damit, dass mir das Gebiss vor Lachen nicht aus dem Mund fiel und das war kein gewollter Humor und keine Häme, das war schlichtweg der prall gefüllte Wahnsinn auf Stelzen, den ich viel lieber nehme als die einfallsarmen Streckungsversuche vieler bisheriger Versuche. Nach so einer Story, da will man nicht nach Hause. Da will man in die Kneipe, weil der Typ neben dir garantiert auch noch eine Granate zu erzählen hat.

Da freu ich mich schon auf meine nächste Subserie, die ich mit einem Beitrag aus der „Unknown Worlds Agency“ feiern werde. Hoffentlich hatte Roger Damon da ordentlich Tinte auf dem Füller...

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2016-02-23 10:46
Pirker kann schon lustig und erfrischend anders sein. Aber die Qualität der Saint Clairs ist sehr durchwachsen. Was nicht zuletzt auch daran liegen dürfte, dass Pirkers Agentur das Pseudonym nicht für ihn exklusiv benutzte.

Und was den Romanklau angeht - der Bursche im Gefängnis hat das auch bei anderen Autoren und Verlagen erfolgreich durchgezogen. Da war Pirker eher ein weiteres Opfer, weil sein Pseudonym ins Spiel gebracht wurde.
#2 Sarkana 2016-05-15 20:11
Da gabs noch mehr geklautes? Was weißt du, was wir noch nicht wissen?
#3 Matzekaether 2016-05-16 21:58
Ich hatte letztes Jahr auch einen Saint clair bei SGK am wickel (weiß nicht mehr welchen) und hab mich ähnlich gut amüsiert. Da sind einige wirklich durchgeknallte Hefte unter dem Pseudonym unterwegs! Durchaus entdeckenswert.

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