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Ringo´s Plattenkiste - Van der Graaf Generator: Vital

Ringo´s PlattenkisteVan der Graaf Generator: Vital

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik.

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteVan der Graaf Generator ist eine britische Rockband, die sich dem Progressive Rock zuordnen lässt, aber bei weitem mehr zu bieten hat als die genretypischen ausufernden Kompositionen. Gegründet wurde die Formation im Jahre 1967 von dem charismatischen Sänger und Kopf der Band, Peter Hammill, löste sich zwischenzeitlich aber mehrmals auf, reformierte sich wieder und trennte sich 1978 vorläufig endgültig. Van Der Graaf Generator waren einzigartig und originär, ihre Musik war ausgefeilt, die Lyrics intelligent und aussagekräftig. Im Gegensatz zu den prominenteren Vertretern des Prog aber waren und sind sie weitgehend unbekannt und finanziell wenig erfolgreich geblieben. Als sie sich 1978 vorläufig endgültig auflösten, hinterließen sie zum Abschied den Fans ihr bis dato erstes und einziges Live Album mit dem schlichten Titel „Vital“.

Die 1978er Formation unterschied sich deutlich von den bisherigen Besetzungen und präsentierte ein völlig neues und ungewöhnliches Klangbild. Dominierten musikalisch bisher – neben Peter Hammills unverwechselbarem Gesang - Orgel und Saxophon in gegenseitiger Wechselbeziehung, traten nun verstärkt auch Violine und ein Cello in den Vordergrund. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass sich der Name der Band geringfügig änderte: man firmierte nunmehr sachlich knapp als Van Der Graaf.

  • Das Line-up:
    Peter Hammill: Vocals, Guitar, Piano
    Nic Potter: bass
    Guy Evans: Drums
    Davis Jackson: Saxophone, Flute
    Graham Smith: Violin
    Charles Dickie: Cello, Synthesizer, E-Piano

Ringo´s PlattenkisteNachdem auf dem letzten Studioalbum „World Record“ als Neuzugang der britische Violonist Graham Smith debttierte, war nun auf „Vital“ erstmals  Charles Dickie mit seinem Cello zu hören. Das Live Doppelalbum „Vital“ wurde am 16. Januar im Londoner Marquee-Club aufgenommen, das Repertoire bestand aus alten und ganz neuen, und bisher unbekannten Van Der Graaf Stücken, sowie ein wenig von Peter Hammills Solo-Alben.

Aufgrund eines Fehlers am 24-Spur-Aufnahmegerät wurden David Jacksons Passagen leider nicht direkt aufgezeichnet, sondern fanden sich lediglich im  Hintergrund auf den anderen Spuren seiner Bandkollegen. Der Drummer Guy Evans, der für den Mix verantwortlich war, hatte alle Mühe Davids Saxophon Fragmente aufzufinden und herauszufiltern. Daran liegt es, dass Saxophon und Flöte musikalisch leider etwas zu kurz kommen.

Das fertige Doppelalbum erschien dann im Juli 1978 und enthielt eine wahres Füllhorn mit Songs: der kürzeste Track war „Mirror Images“ mit 5:50 Minuten, „Pioneers over C“ war mit satten 17 Minuten der längste. So kam es, dass die LP-Seiten deutliche Überlängen hatten, was bei der ersten CD Veröffentlichung dazu führte, dass das komplette Album nicht Platz auf einem Silberling hatte. Die Songs „Still Life“ und „Pioneers over C“ blieben daher ganz auf der Strecke. Erst 2005 wurde „Vital“ in der ihr gebührender Form veröffentlicht: als Doppel CD mit allen Tracks, sowie digital remastered und mit 16-seitigem  Booklet.
Ringo´s PlattenkisteZurück aber zur Musik.
War diese auf den vorangegangenen Studioalben eher verspielt, kompliziert vertrackt und melodiös, zeigte sich Hammills Combo hier von einer völlig  neuen, ungewohnt brachialen Seite, die klassischen Prog mit Punkrock völlig spielerisch kombinierte, ohne sich dabei in irgendeiner Art und Weise anzubiedern. Allein schon durch den Wegfall von Hugh Bantons Orgel bekamen die Songs einen neuen Sound, der durch Hammills aggressiven Gesang noch verstärkt wurde.

Das Sextett spielt ungezügelt und gibt kraftvoll sein bestes, Hammill schreit sich die Seele aus dem Leib, als ob es um den Fortbestand seiner Existenz ginge. Scheinbar spielerisch zeigt die Band, dass man auch als Progband mit der Zeit gehen und zeitgemäß Musizieren kann, auch ohne dabei jemals peinlich zu sein, ganz im Gegensatz zu den Kollegen von Yes, Emerson, Lake & Palmer oder gar Jethro Tull (die ich nicht durchgängig zum Prog zähle); diesen gelang dieser Brückenschlag leider nicht, denn sie versuchten lediglich sich anzubiedern oder zu kommerzialisieren. Ein deutlicher Beweis für Van Der Graaf, dass sie weit mehr waren als diese „Boring old farts“, wie alteingesessene Rocker von der Punkbewegung abwertend genannt wurden. „Ship of Fools“ und vor allem „Nadir´s big Chance“ sind fast lupenreine Punksongs, die auch ein John Lydon von den Sex Pistols zu schätzen wusste und Van der Graaf als Einfluss und Inspiration angab. Letztgenannter Track stammt übrigens von Peter Hammills gleichnamigen Soloalbum von 1975, das viele Aspekte des Punk schon vorweg nahm, bevor es diese Musikrichtung überhaupt gab.

„Einer der Gründe, warum Johnny Rotten uns nicht völlig ablehnte, war wohl die Tatsache, dass es in unseren Texten keine Feen und Elfen gab“, scherzt Peter Hammill im Vital-Booklet.

„Door“ ist ein weiterer, kraftvoller und an sich simpler (was die Rhythmik und den Aufbau betrifft) Song mit einem sehr eingängigen Riff und einem bösartigen Peter Hammill an der E-Gitarre, der seine drei Akkorde in Mißachtung aller  Harmonie gnadenlos herunterschrubbt.

„Sci-Finance“ beginnt indes erstmal vordergründig ruhig und sanft  in typischer und gewohnter Van Der Graaf Manier, nur um sich dann zwischendurch immer wieder überfallartig in einen druckvollen und stampfenden Kracher mit einem höchst aggressiv schreienden Hammill an den Lead-Vocals zu verwandeln.

Bei „Still Life“ ist es ähnlich. Der Song beginnt fast wie ein klassisches Streichquartett, nur um sich dann langsam und stetig mehr und mehr zu einem aggressiven Track zu steigern, welcher dann zum Schluss hin wieder ganz gesittet wird und theatralisch ausklingt. Stellvertretend  scheint dies bei fast allen Tracks der fall zu sein. Hammill streift seine bisherige lyrische und theatralische Haut ab, um seinen ganzen Frust und seine inneren Aggressionen lauthals in die Welt zu verspritzen.

Ringo´s PlattenkisteSchade, dass Van der Graaf an diesem Punkt ihrer Entwicklung nicht weitergemacht haben; es wäre durchaus interessant zu hören, was sie in dieser Besetzung wohl an Studiomaterial eingespielt hätten.

 „Vital“ ist mehr als ein bloßes Live-Album, es ist ein eindrucksvolles Zeugnis einer Band und zu was sie fähig war.

Der Name des Albums ist Programm, oder wie es so schön auf der Rückseite des Covers heißt“ „The most extreme live Band in the world -  the most extreme live album“.

Eine indirekte Fortsetzung fand sich aber doch noch wenige Jahre später in Peter Hammill´s „K Group“, sowie dem Live Album „The Margin“, an dem neben ihm selbst auch Nic Potter und Guy Evans beteiligt waren.

Gottseidank war die Auflösung Van der Graaf´s doch nicht endgültig, obwohl es sehr lange Zeit den Anschein hatte.

Die band reformierte sich im Jahre 2005 überraschend und ist seither – zum Trio geschrumpft - sowohl live als auch im Studio aktiv.

 

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Kommentare  

#1 Cartwing 2018-10-23 06:58
sehr schöner, informativer, gut geschriebener Artikel!
Bei meiner "Entdeckungsreise" durch die Welt des Progressive Rock kam ich an VDGG natürlich nicht vorbei. Zum Teil sehr genial aber ähnlich wie bei "Gentle Giant" brauchte es mehrere Anläufe, bevor man Zugang zu der Musik fand.
Später habe ich dann Mathew Parmenters Band "Discipline" entdeckt, deren Musik ja ne Art Verbeugung vor VDGG ist.
#2 Grubert 2018-10-23 10:26
Tja, VdGG, meine absolute Lieblingsband. Wenn ich nur noch ein Album behalten dürfte, dann wäre das Pawn Hearts, das schönste Stück Musik aller Zeiten.

Vital war zwar ein Live Album, aber es enthielt 5 neue Songs (und dazu noch das einzigartige Plague of Sleepwalkers Medley, eine wunderschöne Neuschöpfung bestehend aus Teilen zweier VdGG Klassiker), und ersetzte damit auch ein sicherlich geplantes weiteres Studioalbum, aber der fehlende kommerzielle Erfolg führte stattdessen zur Auflösung der Band im Sommer 78.

Zur Besetzung sei noch gesagt, daß David Jackson zu der Zeit kein reguläres Bandmitglied war, und bei diesem speziellen Konzert dann auch nur als Gast mitwirkte, und desweiteren bei den ersten 6 Stücken nicht mitspielte, von denen jedoch wiederum 2 nicht auf dem Album zu finden sind.

Der agressive Stil des Vital Albums entspricht dem, was die Band bei Konzerten von Anfang an gemacht hatte, und diese "keine Gefangenen" Attitüde, bei denen die Stücke teils ganz anders als die Studioversionen klingen, macht die Liveaufnahmen für mich immer zu einem großen Vergnügen. Leider gibt es aus den 70ern fast keine weiteren Live Aufnahmen in guter Qualität, aber auch Lo Fi Mono hat ja seinen Reiz.
#3 Ringo Hienstorfer 2018-10-23 17:22
Hm, da muss ich jetzt widersprechen.
David Jackson ist als reguläres Bandmitglied gelistet, er war auf dem 1977er Album "The qiuet Zone" nur auf 2 Tracks vertreten.
Der Saxophonist wird zu "Vital" nirgends und in keinster Weise als Gastmusiker präsentiert, ich weiß also nicht, wie Du darauf kommst?
Dass Jackson auf einigen Tracks des vorliegenden Live-Albums nicht vertreten ist, liegt lediglich an der im Artikel beschriebenen Aufnahmepanne.
Das steht sowohl im Booklet der CD, als auch in den Babyblauen Seiten.
#4 Grubert 2018-10-23 18:11
Nein, das kannst du mir ruhig glauben.

Jackson hat die Band während den Proben zur Frühjahrstour 1977 verlassen.
Er hat dann 2 eher minimale Beiträge zum im Sommer aufgenommenen Album The Quiet Zone geleistet, und hat abgesehen von diesen 2 Konzerten im Jan 78 (von denen nur das 2. vom 16.1. für das Album verwendet wurde), weder in 1977 noch in 1978 bei den üblichen "unzähligen" Gigs mit der Band gespielt.
Und wie gesagt, er spielte auch dort erst ab dem 7. Track, und das hat nichts mit den Tonproblemen zu tun, sondern war genau so geplant. Von daher ist das Album durch Jacksons Mitwirken auch nicht so ganz repräsentativ für die 78er Tour, die ansonsten aber auch erst im Mai und Juni statt fand.

Es gibt übrigens eine qualitativ relativ gute Amateur-Aufnahme vom 13.5.78, die auch die 3 Stücke enthält die fester Bestandteil der 78er Tour waren, aber auf dem Album fehlen, und damit eine hübsche Ergänzung zu diesem darstellt.
#5 Ringo Hienstorfer 2018-10-23 18:28
Und wo kann ich das nachlesen?
#6 Grubert 2018-10-23 20:20
Es gibt (oder gab) ja z.B. ein großformatiges Buch das schlicht VdGG The Book heißt, aber ich wusste das auch schon vorher, jedoch weiß ich nicht mehr wo her.

Im Booklet der CD steht ja zumindest drin: "For these concerts DJ was invited to join the band".
Beide Konzerte sind mitgeschnitten worden, aber nur das 2. wurde für das Album verwendet. Das Erste soll sich enorm chaotisch angehört haben (laut dem Buch).
Rein von der Laufzeit her wäre auf der Doppel LP noch genug Platz gewesen für die beiden Opener Cat's Eye und The Sphinx in the Face, die allerdings immer in einem durch gespielt wurden, was dann vielleicht mit der Laufzeit der einzelnen LP Seiten nicht passte.
Das Album folgt deswegen auch nicht so ganz der Reihenfolge in der die Lieder gespielt wurden

Lizard Play, das ansonsten immer gespielt wurde, stand dagegen anscheinend an diesem Abend mal nicht auf dem Programm.

Na ja, ich liebe das Album, während The Quiet Zone imo zu Hammills etwas schwächeren Werken aus seiner klassischen Zeit (die für mich Mitte der 80er endet). Aber es ist natürlich immer noch ein vergleichsweise gutes Album, und zumindest Cat's Eye ist exzellent.
#7 Ringo Hienstorfer 2018-10-23 21:52
Mein Lieblingsalbum der Band ist "World Record". Wegen dem 20-Minüter "Meurgls III" und seinem völlig überraschenden Regae-Part.
#8 Grubert 2018-10-24 10:30
Ahh ja, interessant, ich mochte immer die beiden Vorgänger mehr, Godbluff ist sogar nach Pawn Hearts mein liebstes VDGG Album, aber gerade in letzter Zeit hat World Record bei mir kräftig zugelegt.

Kennst du auch die Soloplatten die Hammill in der damaligen VdGG Pause aufgenommen hat?
#9 Ringo Hienstorfer 2018-10-24 19:18
Godbluff ist auch mein Zweitfavorit. Die Soloalben peter Hammill´s kenne ich auch, ich hatte bis in die späten Neunziger eine komplette Sammlung seiner Platten. Er hat mich aber solo nie so recht überzeugen können, mit Ausnahme von "PH7".
Hammill konnte ich auch 3 mal live bewundern. Einmal ganz alleine ohne Band, nur am Piano und an der Gitarre, sowie zweimal mit Band.

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