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gamescom 2009 - Stop The Zombies - Give Em Brain

gamescomStop The Zombies
Give Em Brain

Das ist der Slogan der deutschen Firma xaitment, die im Bereich Spieleentwicklung, genauer Game-KI tätig ist. Beim Flanieren durch die Business-Zone der gamescom kam ich an deren Stand vorbei und verharrte interessiert an einem Bildschirm, auf dem eine vektorisierte Stadtgrafik gezeigt wurde, die an taktische Bildschirme aus Filmen und Fernsehserien erinnerte. Tatsächlich handelte es sich jedoch um etwas sehr Faszinierendes:


Eine Software, um Spielen eine Art von Intelligenz beizubringen. Als ich so gebannt starrte, ohne wirklich genau zu wissen, was ich da eigentlich sah, sprach mich jemand an, wie sich später herausstellte, der Geschäftsführer von xaitment, und fragte, ob ich irgendetwas wissen wolle. "Erzählen Sie einfach mal!" war meine Entgegnung und daraus entspannte sich das mit Abstand interessanteste Gespräch der gamescom. Was xaitment da macht, könnte eine Revolution des Spielemarktes starten.

Ich will im Rahmen dieses Artikels gar nicht auf Details der fünf angebotenen Softwarekomponenten eingehen, da das in dieser Tiefe wohl nur Spieleentwickler und Tech-Geeks verstehen dürften; mein Gesprächspartner war aber sehr angetan davon, im Rahmen eines zukünftigen Interviews Laien-kompatibel über Entwicklungen und Möglichkeiten im Bereich Spiele-KI zu berichten. Das machen wir dann irgendwann in hoffentlich naher Zukunft.

An dieser Stelle möchte ich allerdings ein wenig darüber philosophieren, was möglich sein könnte, was für Spiele uns erwarten könnten, wenn die mir beschriebenen Technologien in großem Maßstab eingesetzt werden.

Jeder, der Computerspiele spielt, kennt das Problem: Die Spiele sind eher früher als später vorhersehbar. Die Programmierer geben sich alle Mühe, die Gamelogic so ausgefuchst zu gestalten, dass der Spieler dies eher später bemerkt oder den Eindruck hat, die Figuren würden tatsächlich agieren, doch das ist ein Irrtum. Bei aller Ausgefeiltheit der Routinen haben wir es allzu oft mit dem sogenannten "railroading" zu tun, wir werden auf engen Schienen gelenkt und haben nur den Anschein von Entscheidung. Dasselbe gilt für die Computergegner, seien es nun miese Aliens oder Puzzlestücke: Sie agieren in engen, vorbereiteten Bahnen.

Beispiel: Wenn ich mich in WORLD OF WARCRAFT in eine sogenannte Instanz begebe, also einen Dungeon, eine abgeschlossene Spielumgebung, in der ich in der Gruppe Abenteuer abseits des "normalen" Spielgeschehens erleben und besondere Gegenstände erringen kann, dann stelle ich bereits beim zweiten Mal fest, dass die Mobs, also die dort herumwandernden Gegner, immer wieder denselben Mustern folgen: Sie gehen denselben Pfad ab und wenn sie mich sehen, greifen sie an.

Beispiel zwei: Bei einem Egoshooter stürzen sich die Antagonisten auf mich, egal ob sie angeschossen oder in der Unterzahl sind. Warum verstecken sie sich nicht hinter einer Ecke oder ergreifen das Hasenpanier?

Beispiel drei: In einem Strategiespiel werden die Truppen des Gegners ihre Taktik nicht unbedingt detailliert der meinen anpassen, es werden auch keine Truppenteile die Flucht ergreifen oder völlig unerwartete Handlungen begehen (die der Programmierer nicht vorgesehen hat).

Beispiel vier: In einem Point-and-Click-Adventure bekomme ich die Informationen von der Spielfigur üblicherweise irgendwann, auch wenn ich sie schlecht behandle, weil ich sonst das Ende des Spiels nicht sehen werde.

Wir Spieler sind an solche Situationen gewöhnt und manch einer wäre möglicherweise frustriert, wenn es anders wäre. Doch wenn man mal einen Moment darüber nachdenkt, dann wäre zum einen der Spielspaß deutlich höher, wenn man eben NICHT weiss, wie die Spielfiguren handeln, weil sie bei jedem neuen Versuch anders reagieren oder sogar AGIEREN, zum anderen würde die Langzeitmotivation ein Spiel tatsächlich mehrfach zu spielen deutlich erhöht werden, denn dieselbe Situation ist immer wieder anders. Möglich ist das heutzutage, nicht nur mit den innovativen Engines von xaitment, auch andere arbeiten daran.
Der schwarze Peter geht hier aber in Richtung Spieldesigner, denn wenn das Spiel in einer derart massiven Form "intelligent" wirkt (es ist nicht intelligent, es handelt sich nach wie vor um elaborierte Algorithmen) und agiert, dann darf das für den Nutzer, also den Spieler, dennoch nicht in Frustration ausarten. Eine Gratwanderung.

Dennoch: Derart "intelligente" Spiele bzw. deren Komponenten sind unausweichlich und werden eine völlig neue Form des Storytelling möglich machen, in einer Art und Weise, die wir uns heute noch nicht mal ansatzweise ausmalen können.

Weniger Technikaffine mag das erschrecken, insbesondere im Zusammenspiel mit fotorealistischen Grafiken, aber - mal ehrlich - in anderen audiovisuellen Genres geschieht dasselbe, man denke nur mal an die computergenerierten Spezialeffekte in Film und Fernsehen. Hier wie da wird eine virtuelle (sprich: erstunkene und erlogene) Realität geschaffen, ob sie nun aus Bildern oder aus Reaktionen besteht, spielt da eher zusammen als gegeneinander. Aber: bei vielen technischen Neuerungen - Radio, Film, Telefon - hatte man Sorgen um das Weiterbestehen der menschlichen Rasse und malte düsterste Schreckensszenarien, die wird aber auch mit dieser Entwicklung zurecht kommen und was wir heute als erschreckend betrachten mögen, ist morgen schon Gewohnheit. Außerdem geht es hier grade mal um Computerspiele, mithin Unterhaltung - was das Militär auf diesem Sektor schon kann, will ich gar nicht wissen.

Zurück zu den agierenden statt reagierenden Spielen: Ich kann mit xaitments Software beispielweise "unscharfe" Befehle geben, den computergesteuerten Akteuren also Möglichkeiten aufzeigen, wie sie agieren könnten, Zufallsgeneratoren und vorgegebene Programmlogik spielen hier in einer Art zusammen, wie wir sie bislang noch nicht gesehen haben. Früher hieß es: "Wenn er auf dich schießt, spring in Deckung", jetzt könnte es vereinfacht heissen: "Wenn er auf dich schiesst, spring in Deckung, spring ihn an, spring zu Seite oder hau ab." Was genau davon die Spielfigur tatsächlich tut, entscheidet niemand mehr im Vorfeld, denn sie erhält eine gewisse Autonomie. Und wenn die Parameter und Vorgaben breit genug gewählt sind, dann kann es sogar sein, dass die Spielfigur etwas völlig anderes, Unerwartetes macht.

Beispiel: Für die Massenszenen im Herrn der Ringe wurde eine neue Software namens MASSIVE eingesetzt. Früher konnte man bei computergenerierten Massenszenen deutlich copy&paste-Effekte erkennen, man sah, dass die Bewegungsabläufe der Figuren bei bestimmten Akteuren identisch wiederholten. Wer mir nicht glaubt, sollte sich mal die Schlachtszenen aus STAR WARS Episode I oder Disneys Dinosaurs ansehen. Bei MASSIVE wurde (meines Wissens erstmalig) eine Pseudo-KI eingesetzt, die es den computergenerierten Akteuren ermöglichte, eigenständig zu agieren. Erfolg: Während der Testrenderings ging den Entwicklern eine Gruppe Orks verloren. Soll heißen, ein Trupp von generierten Akteuren machte sich von dannen und hatte offensichtlich keinen Bock, am Kampfgeschehen teilzunehmen, was die Entwickler nicht wenig verblüffte - dieser Effekt zeigte aber, dass man auf einem sehr guten Weg war. Was am Ende dabei heraus kam, weiß jeder, der Jacksons Filme gesehen hat: Verblüffend realistische Schlachtszenen mit tausenden völlig unabhängig voneinander agierenden CGI-Figuren.    

Bei einem Spiel würde uns so etwas erheblich verblüffen - vielleicht auch die Entwickler.

Aber möglicherweise ist das der einzige Weg, um die ausgetretenen Pfade aktuellen Gamedesigns zu verlassen, denn derzeit scheint neben Bewegungssteuerung für Casual Games das Hauptaugenmerk auf cooler Grafik zu liegen und wirklich neue und innovative Spielideen muss man mit der Lupe suchen. Und - mal ehrlich - auch beim Casual Gaming werden im Prinzip nur Uralt-Ideen mit neuer Steuerung wieder aufgewärmt und MMORPGs - also Onlinespiele - sind alter Wein in neuen Schläuchen, die man nur coolerweise zusammen leertrinken kann, statt alleine. Dass das höchst unterhaltsam ist, insbesondere in der Gruppe, bestreite ich nicht. Ich bestreite ebenfalls nicht, dass man keine ausgefeilte Spiele-KI benötigt, wenn man gegen andere Spieler online oder lokal antritt, denn die werden noch auf Jahre hinaus unberechenbarer sein, als Computergegner.

Aber neue Ideen müssen dringend her und vielleicht ist der Ansatz, den Games mehr Autonomie zu verpassen, genau der richtige. Vielleicht führt das zu Spielen, wie sie sich im Moment in der Independent-Szene abzeichnen: Spiele ohne konkretes Ziel, mehr Sandkästen, mehr Experimentierfelder denn Spiele im klassischen Sinne.

Mann vergebe mir, wenn ich die sich abzeichnenden Möglichkeiten in hohem Maße spannend finde: Mehr Hirn für Spielfiguren, die sich derzeit wie tumbe Zombies benehmen...

 

Stop The Zombies!

Give Em Brain!

Kommentare  

#1 Mainstream 2009-08-22 09:45
-
Ich glaube, ich habe damals 2 Stunden hysterisch
gelacht, als ich zum ersten Mal hörte, das sich die
Gruppe Orks Dank MASSIVE einfach mal verabschiedet
hatten.
#2 Mikail_the_Bard 2009-08-27 23:13
Das könnte zu witzigen Situationen in einem Game führen. Stelle mir das gerade bei Resident Evil vor. Du hörst das typische Zombieschlurfen und -keuchen und wie der Teufel es will, keine Muni mehr, nur noch das Messer! (Ich erinnere mich das ich bei Resident Evil 1 bei einem Endgegner in dieser Situation war, und knochentrocken zu einem Kumpel sagte: Kein Problem, ich hab ja noch das Messer. Der Satz: ich hab ja noch das Messer wurde dann zum geflügelt Wort wenn wir in irgend einem Game eine ausweglose Situation hatten!)
Also, die Zombies kommen und dein Char hat nur das Messer. Er kann kämpfen und eventuell überlebt er es, er rennt weg und sucht Muni oder er macht sich vor Angst in die Hose und macht Harakiri mit den Worte "Besser tot als ein Zombie!"
Also ich freu mich schon auf das erste intelligente Spiel.

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