Sieben gegen die Hölle - Thorsten Fischer (Teil 7)
Sieben gegen die Hölle
Thorsten Fischer (Teil 7)
Von einer Deckung zur anderen huschte der Mann, der einmal Thomas Meier gewesen war, bis er sich in einem dichten Dickicht verstecken konnte.
Er musste warten. Warten, bis die Dämmerung hereinbrach und sein wahres Ich zum Vorschein kam.
Nur so konnte er seine Aufgabe erfüllen.
Tod dem Auserwählten!
***
Thorsten Fischer hatte die Zollkontrolle des Frankfurter Flughafens ohne Schwierigkeit passiert. Erneut ohne jegliche Kontrolle.
Irgendwie schien das Amulett das Bewusstsein der Menschen zu beeinflussen. Anders konnte der Deutsche es sich nicht erklären, dass niemand von dem großen Rundschild Notiz nahm, den er an seinen linken Arm geschnallt hatte.
Doch Thorsten hatte ganz andere Sorgen.
Ein seltsames Verlangen drängte ihn ins Werratal. Irgend etwas zog ihn dorthin. Er wusste, er musste schnellstens den Hohen Meissner erreichen, bevor der Mond im Zenit stand.
Denn etwas Grauenhaftes würde geschehen, wenn er den Schild nicht rechtzeitig dorthin brachte.
Doch Gott sei Dank war es noch früher Nachmittag.
Wenige Minuten später stand er vor dem Flughafen und bestieg ein Taxi.
"Zum Gasthaus Schwalbenthal am Hohen Meissner!"
***
Es war später Nachmittag und die meisten Besucher hatten den Hohen Meissner und die Umgebung schon verlassen, als eine alte Frau, die mit ihrem Aussehen nicht nur Kinder in die Flucht geschlagen hätte, langsam auf eine Felsnische zu schlurfte, die im Volksmund Kitzhöhle genannt wurde.
Trotz ihrer Behäbigkeit kletterte sie über die Holzbarriere, die neugierige Besucher davon abhalten sollte, die einsturzgefährdete Höhle zu betreten.
Bedächtig zog sie aus den Falten ihre langen Kleides einen großen Schlüsselbund, an dem unzählige altmodische Schlüssel hingen.
Dann betrat die Alte die dunkle Höhle, ohne auch nur im Geringsten zu zögern.
Kaum hatte sie die Dunkelheit betreten, ging eine seltsame Verwandlung mit der alten Frau vor. Das lange, wirre schneeweiße Haar wich hüftlangem flachsblondem Haar. Die lange Nase schrumpfte zu einem süßen Stupsnäschen, und die übergroßen langen Zähne, die an ein Pferdegebiss erinnerten, wichen strahlend weißen Zähnen, die jeden Zahnarzt hätten in Freudentränen ausbrechen lassen.
Auch die schäbige, lumpige Bettlerkleidung hatte sich verändert. Ein strahlend weißes Gewand, das bis zu den Fußknöcheln reichte, hüllte nun die junge Frau ein, die kaum zwanzig Lenze alt schien.
Ein lautes vielfaches Miauen erklang in der Höhle und wurde von den Wänden tausendfach zurückgeworfen.
Hunderte von Katzen aller Farben strömten auf die junge Frau zu, schmiegten sich um ihre Beine und schnurrten freudig.
Nach so langer Zeit war ihre Herrin Frau Holle wieder zurückgekehrt.
"Die Zeit ist gekommen, meine Kinder. Heute Nacht entscheidet sich unser aller Zukunft!"
Frau Holle lächelte freundlich den Tieren zu.
"Heute Nacht könnt ihr mit einem Schlag all eure Fehler wieder gut machen, die ihr als Menschen begangen habt."
Dann drehte sie sich herum und ging zum Ausgang der Höhle zurück.
Das leise Tapsen unzähliger Pfoten zeigte ihr, dass alle Katzen ihr folgten. Doch ihnen voran gingt eine schwarz-fuchsrot gemusterte Katze, wie sie im Volksmund auch Glückskatze genannt wurde.
Ihre Armee war kampfbereit.
Aber ob sie gegen den Feind bestehen konnte, würde sich heute Nacht zeigen.
***
Thorsten sah auf seine Uhr.
Die Zeit rann ihm durch die Finger.
Doch der Taxifahrer konnte nicht schneller fahren.
Vor wenigen Minuten hatte es auf der A5 zwischen Frankfurt und Kassel bei Alsfeld einen Unfall gegeben und die Polizei hatte die rechte Fahrbahn gesperrt.
Fischer spürte eine nie gekannte Unruhe, so dass es ihm äußerste Mühe bereitete, im Wagen sitzen zu bleiben und nicht einfach loszustürmen.
Erst nach einen halben Stunde hatte der Fahrer wieder Vollgas geben können.
Thorsten warf einen Blick aus dem Fenster.
Dieser Unfall hatte ihn länger aufgehalten als es gut war. Am Horizont begann die Sonne den Himmel rot zu färben und war schon halb versunken. Schon bald würde die Nacht hereinbrechen.
Doch die Fahrt über die Landstraße 3241 hatte länger gedauerte. Man musste hier mit Bedacht fahren musste um nicht von einem plötzlichen Erdrutsch überrascht zu werden, der von der Stinksteinwand ausgelöst werden konnte.
Endlich hatten sie das Ziel erreicht. Das Gasthaus Schwalbenthal lag vor ihnen.
"Sie brauchen nicht auf mich zu warten!" murmelte der Deutsche leise, als er den Fahrer bezahlte.
Der junge Inder, der ihn gefahren hatte, nickte nur als Antwort, dann fuhr er los.
Thorsten Fischer sah dem Taxi nach, bis er die Rücklichter nicht mehr sehen konnte.
Er kam sich etwas seltsam vor, mit einem Wikingerrundschild hier in der Dunkelheit zu stehen. Aber er MUSSTE hierher kommen.
Ein kalter Wind wehte den Geruch von Schwefel über den Parkplatz des Gasthauses. Es roch nach verfaulten Eiern und raubte ihm fast den Atem.
Dieser Gestank musste von der Stinksteinwand kommen, die auf der anderen Seite lag.
"Wir müssen dorthin", flüsterte die Stimme des Amuletts leise in seinem Kopf
Thorsten verbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Das hätte die Stimme ihm ruhig vorher sagen können. Das waren mindesten 300 oder 500 Meter die er jetzt laufen musste. Aber nur, wenn er den Weg querfeldein durch den Wald nehmen würde. Und er musste noch die Landstraße 3242 überqueren.
"Na dann mal los!" Fischer schüttelte den Kopf. "Ich hoffe, du weißt was du tust?!"
Doch das Amulett schwieg.
***
Der schwarze Wolf blieb abrupt stehen.
Er spürte eine seltsame Aura. Eine Aura die seinem Herrn glich und dennoch ganz anders war. Doch er spürte auch noch etwas anderes: einen Menschen!
Ein lautes triumphierendes Heulen erfüllte die Nacht.
Schnell wie der Wind rannte der Wolf durch den Wald. Hatte er doch einen weiten Weg, da er um den gesamten Kalbesee herum zum anderen Ende des Waldes musste, wenn er sein Opfer erreichen wollte.
Denn freiwillig würde der Mensch nicht zu ihm kommen.
***
Thorsten Fischer bekam keine Luft mehr. Er wusste gar nicht mehr, wann er das letzte Mal einen Dauerlauf hingelegt hatte. Ganz davon abgesehen, dass er dabei normalerweise keinen Rundschild trug.
Aber er hatte endlich den Fuß der Stinksteinwand erreicht.
Nebelschwaden gleich waberte der Schwefeldampf über den steinigen Boden und der Geruch von fauligen Eiern schwängerte die Luft. Genauso stellten sich die Menschen früher den Eingang zur Hölle vor.
Schemenhaft nahm Fischer weiter oben ein seltsames Flackern wahr, so als würde jemand mit einer Lampe über den Hang nach oben klettern.
Wer zum Teufel war so blöd, in der Dunkelheit Kletterübungen zu verabstalten? Ganz besonders da dieses Gebiet eigentlich für Besucher und Wanderer gesperrt war.
"Achtung!" Die Stimme des Amuletts schrie auf.
Doch es war zu spät.
Etwas sprang ihn von hinten an, warf ihn brutal zu Boden und drückte seinen Körper mit bestialischer Gewalt auf die harten Steine.
Thorsten spürte den heißen Atem seines Angreifers, und den Geifer, der ihm ins Genick tropfte.
Todesangst durchströmte ihn. Was immer ihn gepackt hatte, es wollte seinen Tod.
Abrupt löste sich der Druck in seinem Rücken und ein lautes, schmerzgepeinigtes Heulen zerriss ihm fast das Trommelfell.
Keuchend rollte sich Fischer auf den Rücken.
Ein großer, schwarzer Wolf war über und über mit Katzen behangen, die ihn fauchend und miauend mit ihren Krallen und Zähnen bearbeiteten.
Thorsten schätzte diese Katzenarmee auf etwa zweihundert oder mehr Tiere.
Kaum hatte die monströse Bestie ein paar abgeschüttelt, schon waren sie wieder an seinem Hals, auf seinem Rücken oder wo sonst noch irgendwo Platz war.
Das Ganze, wäre die Situation nicht so beängstigend gewesen, entbehrte nicht einer gewissen Trickfilmkomik. Doch der Deutsche konnte ganz und gar nicht darüber lachen. Zu tief steckte ihm der Schreck über den unerwarteten Angriff noch in den Gliedern.
"Lauf!", rief ihm die Stimme wieder zu. "Lauf zu den anderen. Die Zeit wird knapp!"
Thorsten Fischer konnte keine Menschenseele entdecken. Wo sollten diese 'Anderen' sein? Wer waren sie und was sollten er und sie hier?
Dennoch folgte er der Stimme und hielt auf die Stelle zu, an der er das letzte Mal das Licht gesehen hatte.
Hinter ihm ertönte ein lautes qualvolles Heulen, dann Stille, die gleich darauf von einem lauten Katzenkonzert zerrissen wurde.
Doch Thorsten hatte keine Zeit sich, nach den Katzen umzusehen. Immer weiter rannte er die bröcklige Stinksteinwand nach oben. Sein Atem wurde immer abgerissener. Der Schwefeldampf brannte in seinen Lungen.
Plötzlich konnte er durch die dichten Schwaden die Umrisse einiger Personen erkennen.
War er nun endlich am Ziel? Und wenn, was ging hier vor?
Er sollte es schneller erfahren als ihm lieb war.
Ende Teil 7/7