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Zwischen Lynchjustiz und schlechten Bestsellern – April 2012

Auf eine Mail mit Uschi ZietschZwischen Lynchjustiz und schlechten Bestsellern
April 2012


Von einer Zivilisation, die sich besser wähnt, es aber nicht wirklich ist, und von Mimosen, die bei einer einzigen Kritik in Heulen ausbrechen – wir knüpfen heute thematisch an den „Shitstorm“ der März-Kolumne an und schlagen einen gewagten Bogen von Lynchjustiz hin zur Wirkung von Rezensionen auf Autoren und Büchern mit zweifelhafter Qualität, die viel gelesen werden.

Wir haben im März über Shitstorm gesprochen. Auch wenn es von unserem Hauptthema, dem Schreiben, wegführt, würde ich doch gerne einen anderen Aspekt dieses Phänomens ansprechen, denn ein aktueller Fall in Emden hat mich aufgeschreckt: Ein fälschlicherweise Mordverdächtigter wird durch die schnelle Verbreitung von Nachrichten und Meinungen im Internet massiv angefeindet und bedroht. Nun stehen die Verantwortlichen vor dem Problem, ihn zu rehabilitieren. Nicht auszudenken, was das für denjenigen und sein künftiges Leben bedeutet. Stehen wir durch die Anonymisierung des Internets wieder schneller an der Schwelle von Lynchjustiz?

Uschi: Schneller, ja, aber nicht an der Schwelle, sondern der Ausführung. Was die Lynchjustiz an sich betrifft, so ist sie offenbar selbst in unserem Land nichts, was außergewöhnlich wäre, wenn man bedenkt, wie schnell sich die Leute zusammengefunden und zusammengerottet haben, sogar dazu bereit waren, das Polizeipräsidium zu stürmen. Das zeigt uns, dass wir gar nicht mit dem Finger auf weniger entwickelte Länder zeigen dürfen, in denen beispielsweise Steinigung ohne Gerichtsverhandlung noch Usus ist. (Beispielsweise eines 11-jährigen Jungen, der seine 10-jährige Ehefrau betrogen haben soll. Tatsache!)
Wir in der westlichen Zivilisation und ganz konkret in Deutschland sind, den Beweis haben wir gerade angetreten, um keinen Deut besser. Und es spielt keine Rolle zu sagen, „es macht ja nicht jeder“ – dass es überhaupt dazu und so weit kommt ist erschreckend und unverzeihlich. Nur ein Einziger ist zu viel!
Alle tragen gleichermaßen die Schuld, die Polizei, die Medien, in letzter Instanz aber der Mob selbst, denn die Entscheidung, bei so etwas mitzumachen – sei es verbal oder sogar mit physischer Gewalt – liegt immer noch bei einem selbst. Mitzumachen ist eine Schande, für die man ganz allein die Verantwortung trägt. Keine Ausrede, keine Erklärung, jeder Einzelne der Beteiligten gehört vors Gericht und hart bestraft. Derart leichtfertig mit dem Leben eines Menschen zu spielen ist indiskutabel.
In der letzten „Mail“ habe ich den Moslem erwähnt, der wegen seiner Glaubenskrise öffentlich mit dem Mord bedroht wurde, und nun müssen wir vor unserer eigenen Haustür kehren, dass auch bei uns öffentlich zum Mord an einem anderen aufgerufen wurde. Ob der nun schuldig oder unschuldig ist, spielt dabei nicht die geringste Rolle, es ist in beiden Fällen illegale und moralisch verwerfliche Lynchjustiz. Wir haben ein Rechtssystem, und das hat sich um Verbrechen im Rahmen des Gesetzes zu kümmern. Keiner von uns hat das Recht dazu, sich als Staatsanwalt, Gericht und Henker zu bestimmen, noch dazu basierend auf diffusen Vermutungen oder vielmehr basierend rein auf Rufmord!
Der unschuldige junge Mann wird nun stigmatisiert und traumatisiert für den Rest seines Lebens sein, und das mit 17 Jahren. Ich habe selten ein solches Entsetzen gefühlt wie in den letzten Tagen.

Die Geschichte lässt mich auch nicht los. Auch wenn der Bogen zurück zum Schreiben nicht ganz leicht fällt: Beziehen wir die Lynchjustiz auf das geschriebene Wort. Werden Bücher bewusst durch Internet-Rezensionen kaputt gemacht? Ist es zufällige Mehrheitsmeinung oder ein gezieltes Bekämpfen von Konkurrenten? Oder hat da jemand sein „Schutzgeld“ nicht bezahlt

Uschi: Das Schlimmste, was einem Buch passieren kann ist, dass es überhaupt niemand bemerkt. Gute Rezensionen? Super. Schlechte Rezensionen? Hurra! Es gibt genug Fälle, in denen der Absatz eines Buches rasant gestiegen ist, weil die Leute wissen wollten, was am Verriss dran ist.
Ich hab es schon mehrfach an dieser Stelle erwähnt und ich tue es gern noch einmal – weil man es auch nicht oft genug betonen kann: Egal, wie das Herumgerede ist, letztendlich entscheidet immer noch die Qualität eines Buches, ob es ein Bestseller wird oder nicht. „Qualität“ schließt hier aber ein, dass der Geschmack vieler Leute getroffen wird, auch wenn der Stil eher am unteren Level angesiedelt sein mag. Wenn Millionen Leser ein Buch kaufen, und sogar noch eine ganze Serie, dann muss es einfach irgendeine Qualität haben, und wenn es noch so (berechtigt) von den Kritikern verrissen wird. Das beste Beispiel ist Stephanie Meyer.
Ein „Konkurrent“ hat was anderes zu tun, als fremde Bücher schlechtzumachen. Kann er gern tun, aber wie soll ihm das auf breiter Linie gelingen, ohne dass er sich selbst lächerlich macht – vor allem, wenn er selbst die Qualitätsansprüche gar nicht erfüllen kann? Erst mal eigene Bücher verkaufen, dann an anderen herummeckern. Also ich kenne keinen Verlag, der das macht und Autorenkollegen übrigens noch weniger.
„Schutzgeld“? Was soll das sein? Sicher kommt es vor, wie übrigens bei allen Produkten, dass jemand beispielsweise eine Anzeige in einem Magazin schaltet und dafür auch eine positive Rezension erhält. Beziehungsweise gibt man den Text sogar noch selbst vor. Das ist unfein, aber gang und gäbe. Wer die Rezension liest, merkt das aber schnell. Eine kompetente und echte Rezension ist klar erkennbar daran, dass sie strukturiert ist, sich intensiv mit einem Text auseinandersetzt, relativ objektiv urteilt und nachvollziehbar ist.
Vor allem bei den vielen privaten Blogs von hauptsächlich lesenden Frauen merkt man, dass ihre Rezensionen zwar laienhaft sind, eher Lesermeinungen, aber sie sind mit Begeisterung und Hingabe und oft sehr detailliert erstellt. Wenn bei einer ehrlichen Meinung begründet wird, warum man etwas mit einem Buch anfangen konnte oder eben nicht, dann ist das für mich wichtig und sehr viel wert.
Tja, aber natürlich ist man als Autor ein Mimöschen und empfindlich gegen negative Kritik und will das nicht lesen. Da bin ich keine Ausnahme. Aber da muss man durch!
Der Profi zeichnet sich dadurch aus, dass er
a) niemals sein Werk verteidigt und
b) niemals auf negative Kritiken eingeht oder gar das Diskutieren anfängt.
Leser, Rezensenten und Kritiker gar öffentlich zu beschimpfen ist ein absolutes No go und zeigt nur, dass diese genau recht mit ihrer Kritik haben. Wenn man nicht mit Kritik umgehen kann, sind da schon einige offene Baustellen bei sich zu finden, angefangen beim falschen Selbstbild, an denen man dringend arbeiten sollte.

Nehmen wir also mal an, es handelt sich um die ehrliche Kritik vieler Leser: Sollte sich ein Autor von solchen Rezensionen beeinflussen lassen beim nächsten Buch? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es lähmen kann: Mir hat man mal erzählt, dass der Humor meiner Storys alles andere als lustig sei. Ich habe buchstäblich Jahre gebraucht, bis ich mich getraut habe, in meinen Geschichten wieder witzige Szenen einfließen zu lassen. Mir erschien bis dahin mein niedergeschriebener Humor selber sehr gezwungen. Bis heute weiß ich nicht, ob dem wirklich so war. Insofern kann sich ein Autor von Kritik auch schon mal den Schneid abkaufen lassen.

Uschi: Um wieder bei der Mimose zu sein: Man kann zehn 5-Sterne-Rezensionen auf amazon.de haben, aber nur eine einzige 1-Sterne-Rezension zieht einen runter, und der Tag ist gegessen und eigentlich will man ja sowieso mit dem Schreiben aufhören. Weil: Keiner versteht einen.
Da muss man sich selbst gegenüber ganz ehrlich sein: Autor will natürlich nur hochgelobt werden. Das ist auch völlig legitim, sonst kommt man ja gar nicht vorwärts. Aber das darf man nicht zu ernst nehmen – sonst ist man sehr schnell eine Diva, die nur sich selbst wichtig nimmt und ihre Anhänger um sich schart, die sie vergöttern und ihr nach dem Mund reden. Jasager braucht man aber gewiss nicht. Vor allem hilft das beim Absatz seines Buches kein bisschen. Unverbesserliche Selbstüberschätzung ist fatal für den Erfolg. Und zeigt nur, dass man mangelndes Talent kaschiert.
Aber man darf sich niemals, niemals, und das nehmen wir jetzt als Punkt
c) niemals den Schneid abkaufen lassen. Sondern:
d) selbstkritisch sein!
D. h., man schaut sich die negativen Stimmen an. Ich unterscheide da sehr wohl zwischen „absolut inkompetent", was ich sofort abhake, und „äh, da sollte ich aber ordentlich drüber nachdenken“.
Es gibt Rezensenten, die können mich persönlich aus dem einen oder anderen Grund nicht leiden. Manchmal kenne ich den Grund, meistens aber nicht, ebensowenig wie den Rezensenten. Irgendwie muss ich demjenigen halt mal auf den Schlips getreten sein, und dann weiß ich schon bei gewissen Namen (die merkt man sich ja doch irgendwann): Ach ja der, der lässt an mir eh kein gutes Haar, und zwar nie. (Fragt sich nur, warum so jemand sich immer und immer wieder ein Buch von mir antut ... muss dann wohl ein Masochist sein.) Diese Rezensionen zeichnen sich dann aber auch durch Inkompetenz aus, weil sie zum einen nur nach dem Haar in der Suppe suchen, zum anderen das Buch oft gar nicht gelesen haben, oder nur in Ausschnitten, was man schnell an den falschen Inhaltsangaben erkennt.
Darauf gehe ich, siehe Punkt a) und b), aber natürlich nie ein, und so etwas trifft mich auch nicht. Persönliches interessiert mich nicht, das hat nichts mit meinem Werk zu tun.
Schreibt jemand eine gute Begründung, was er schlecht an meinem Buch fand, bin ich sehr dankbar dafür (auch wenn es wehtut), denn das hilft mir weiter. Ich merke, wo ich mich vielleicht verrannt oder wo ich übertrieben habe, worauf ich künftig achten muss, und inwieweit darin begründet liegt, dass ich den Lesergeschmack verfehlen könnte. Ich beherzige so etwas schon, mache es aber natürlich nicht zu meiner Maxime. Ich habe meinen eigenen Stil und veröffentliche schon so lange, da kann ich gut abwägen, was ich ändern sollte. Aber auch als Beginner damals habe ich mir alles angehört, von Lektoren und Rezensenten, und daraus für mich meine Schlüsse gezogen – was einfach nur Geschmack ist, und was ich ändern muss. Ist nicht ganz einfach zu lernen, aber es hilft enorm bei künftigen Veröffentlichungen.


Bis zur nächsten »Mail mit Uschi« im Mai!

Kommentare  

#1 Hermes 2012-04-07 12:02
Zitat:
Wir in der westlichen Zivilisation und ganz konkret in Deutschland sind, ..., um keinen Deut besser.
Ist schon merkwürdig dieses "Wir"-Phänomen. Da wird ein Sportler Sieger und schon sind "Wir" Weltmeister, ein deutscher Katholik wird Oberhaupt der katholischen Kirche und schon sind "Wir" Papst. Tja und jetzt drehen einige Leute in Emden durch und schon sind "Wir" alle keinen Deut besser. Sind solche Verallgemeinerungen wirklich hilfreich?

Zum Thema Rezension:

Die Erwartungen an eine Rezension sind nach meiner Erfahrung sehr unterschiedlich. Einige Leute sind empört, wenn die Inhaltsangabe zu ausführlich ausfällt, insbesondere zuviel von der Handlung verrät. Hier wird gerade das jetzt aber zum Kriterium für eine kompetente Rezension erhoben.

Letztendlich kann ich durch eine Rezension nur eine thematische Einordnung des Buches vornehmen und deutlich machen, warum das Werk meinen Geschmack getroffen hat oder eben nicht.
#2 Uschi Zietsch 2012-04-07 15:59
Zitat:
Einige Leute sind empört, wenn die Inhaltsangabe zu ausführlich ausfällt, insbesondere zuviel von der Handlung verrät. Hier wird gerade das jetzt aber zum Kriterium für eine kompetente Rezension erhoben.
Überhaupt nicht. Bitte genauer nachlesen. Wenn eine Inhaltsangabe gegeben wird, sollte sie den Inhalt richtig und nicht falsch wiedergeben. Und ja, eine zumindest kurze, treffende Inhaltsangabe gehört zu einer kompetenten Rezension dazu.

Zur Lynchjustiz: Ich habe hier wie in meinem Blog absichtlich pauschalisiert, denn der Mob ist ein ansteckendes Massenphänomen, und was in Bezug auf die Lynchjustiz abgeht, keine Ausnahmebagatelle. Ich erlebte selbst von Leuten, die ich bis hierher ansatzweise zu kennen glaubte, wie sie plötzlich forderten, dass ein Nachbar wegzöge, weil er ein "Kinderschänder" sei (was zu 1000% unzutreffend war - es bestand nur eine Namensgleichheit), wie sie sogar Unterschriften sammelten, Schäden anrichteten und so weiter. Ich erinnere mich auch an eine britische Familie, untere Mittelschicht, die behinderte Kinder hatte und von den Nachbarn derart schikaniert wurde, dass es zum Selbstmord kam. Die (Sozial- und Polizei-)Behörden waren informiert, haben aber weggesehen. Ich erinnere mich auch an den Fall Bruno, wo die Leute auf den Bauern losgegangen sind, auf dessen Grund der Bär erschossen wurde, und er verbot, Kränze abzulegen und ständig über seine Felder zu trampeln und alles zu zerstören. Der brauchte für eine Weile sogar Polizeischutz und musste sich als "Bärenhasser" und noch anderes titulieren lassen. Auch das ist Lynchjustiz! Deshalb ist eine Pauschalisierung absolut gerechtfertigt und sogar erforderlich. Denn schuldig machen sich auch die, die dabei stehen und zusehen.
#3 Laurin 2012-04-07 17:43
Also, ich werde das mal hier so einbringen: Wenn alle Leute Morgen in den Rhein springen, werde ich mir das wahrscheinlich am Fernseher ansehen, da ich mir grundsätzlich immer meine eigene Meinung bilde, egal ob diese sich mit einer Mehrheit deckt oder nicht (und damit bin ich bisher nicht schlecht gefahren). Wenn man also schon pauschalisieren will, warum dann nicht Butter bei die Fische und offen sagen das der Mensch an sich so ist.
Mit welcher Berechtigung glaubt man eigentlich, dass der Mensch der westlichen "Zivilisation" (und dann gerade noch der Deutsche) besser sein sollte als z.B. der im mittleren Osten? Der Mensch ist und bleibt der gleiche und auf die hochgelobte "Aufgeklärtheit" würde ich nicht wetten wollen wenn der richtige Funke zündet. Wenn wir also schon das "Wir-Phänomen" anwenden, dann bitte auch richtig, d.h. man sollte aufhören zu glauben wir wären auch nur um eine Kleinigkeit besser als andere, nur weil wir in einer indutrialisierten Gesellschaft leben die sich als aufgeklärt empfindet. Im Prinzip gibt es für jede Gesellschaft den richtigen Funken um das schlimmste aus den Menschen an die Oberfläsche kommen zu lassen.
Schlicht also eine Erkenntnis, warum "ich nie Pabst war" und "ich war auch noch nie Weltmeister", egal wie oft das auf der Titelseite der BILD stand (die übrigends genau den Mob füttert, über den wir gerade schimpfen) .
#4 Uschi Zietsch 2012-04-08 02:16
Zitat:
Mit welcher Berechtigung glaubt man eigentlich, dass der Mensch der westlichen "Zivilisation" (und dann gerade noch der Deutsche) besser sein sollte als z.B. der im mittleren Osten? Der Mensch ist und bleibt der gleiche und auf die hochgelobte "Aufgeklärtheit" würde ich nicht wetten wollen wenn der richtige Funke zündet.
Na dann sind wir uns ja einig. ;-) Genau das ist nämlich auch meine Frage. Und Ansicht.
#5 Andrew P. Wolz 2012-04-11 17:32
Ich würde gerne ein paar Worte zur Pauschalisierung und zum Wir/Ihr loswerden, da ich das Gefühl habe, dass in den Kommentaren das Thema ein wenig zu weit von sich geschoben wird:

Spricht man über Gruppen egal welcher Art, grenzt sich der Leser/Zuhörer/Gesprächspartner erst einmal reflexartig von diesen aus. Das Wir und das Ihr sind immer die anderen. Quasi die Umkehrung von Monty Pythons "Wir sind alle Individuen" - "Ich nicht!".

Fremde Meinungen werden jedoch gerne als eine kohärente Gruppe dargestellt. Beliebt als Gruppe (vor allem in den Medien) sind zum Beispiel "die Fans". Diese Gruppe ist immer ihrem Namen entsprechend ein wenig fanatisch, dazu noch vereinnahmend, betriebsblind und ein wenig schräg. (Es waren beispielsweise angeblich "die Bond-Fans", die anfangs Daniel Craig nicht haben wollten) Aber so wenig es diese einheitlichen Gruppen tatsächlich gibt und sich unter den Fans die Meinungen ebenso unterscheiden wie unter Nicht-Fans, findet man auch niemanden, der sich selber einer solchen Gruppe zugehörig fühlt. Das Wir sind eben immer die anderen.

Trotzdem gibt es natürlich Gruppen, denen man sich erst einmal nicht entziehen kann, da sie sich aus gemeinsamen Eigenschaften bilden: Uschi hat das Wir in ihrer Antwort für die Angehörigen der westlichen Zivilisation verwendet. Der gehören wir alle unbestritten an. Und so verschieden die westlichen Nationen und innerhalb derer ihre Bewohner sein mögen, so sehr gibt es auch landestypische Mentalitäten, gesetzliche und kulturelle Entwicklungen, denen alle Bewohner unterliegen, der eine mehr, der andere weniger. Dieser Einteilung kann man sich dann nicht so leicht entziehen. So schütteln wir (oder zumindest sehr viele von "uns") beispielsweise den Kopf, wenn wir mal wieder von einem Ehrenmord an einer jungen Frau lesen und uns denken, dass so etwas bei uns, die wir keinen Migrationshintergrund haben, schon lange nicht mehr vorkommt. Da sagt keiner von uns: "Na ja, der Mensch ist an sich so und bleibt immer derselbe." Ich denke eher, da zeigen wir schnell mit dem Finger und fühlen uns weiter entwickelt. Bestenfalls erkennen wir, dass die Täter nicht typisch für die Nation sind, aus der sie kommen, sondern auch hier eine Ausnahme darstellen.

Insofern ist es für mich schon eine Erkenntnis, und zwar eine erschütternde, wenn in Emden ein unschuldiger Mensch beinahe zu Tode kommt und noch lange unter den Ereignissen leiden wird. Insofern ist es keine Binsenweisheit und hat es mich zum Nachdenken gebracht, ob da vielleicht irgendwo tief in mir auch dieser Funken glimmt, von dem ich bisher denke, dass es ihn nicht gibt. Ich mag zwar nicht Papst sein, aber ich bin doch ein Mensch mit all seinen Erbschaften aus der Steinzeit. Da passt dann das Wir. Frei nach dem Motto: "Lynchjustiz? Schreckliche Sache! Die sollte man alle gleich aufhängen."
#6 Hermes 2012-04-11 19:57
Schwierig das Thema hier in den Kommentaren wirklich sachgerecht zu behandeln.

Die Ereignisse in Emden kann keiner von uns gut heissen. Ich denke, da besteht einvernehmen.

Aber die obigen Formulierungen mit dem "Wir", der Vergleich mit Steinigung etc. bringt meines Erachtens nicht weiter.

Und letztlich fordert der Artikel irgendwie uns alle zum Handeln auf, weil es einen Mißstand gibt. Und gerade solche "aufgeregten und empörten Handlungsaufrufe" können leicht eskalieren.

In Emden waren Menschen zurecht empört über einen schrecklichen Mord. Sie wollten das nicht mehr hinnehmen und selbst handeln. Dabei ist wiederum etwas Schreckliches herausgekommen.

Da kann und sollte man drüber reden. Aber wie wäre es dann diese Vergleiche mit anderen Kulturkreisen und den dortigen Praktiken oder dieses in Beziehung setzen mit Überheblichkeit in der westlichen Welt herauszulassen.

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