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# 58: Schweiß ...

As Time Goes By# 58: Schweiß ...

"Der Baggersee war eine wogende Masse aus sich wiegenden Leibern."
Michael Roth

Es gab immer wieder Leute im Horrorfandom, die glaubten, sie und ihre Stories würden das Genre der unheimlich-phantasischen Literatur neu definieren. Manfred Feuerriegel hatte für sein Si/Za-Magazin Guido Grandt, der seine Geschichten mit Vorworten zu versehen pflegte, wo er sich ein wenig beweihräucherte (heutzutage ist er wegen seines Fachwissens Experte diverser privater Fernsehsender für Aleister Crowley und Teufelsglauben und wird immer mal wieder vor die Kamera gezerrt). Auch andere Autoren fühlten sich als Erneuerer des Horrors (egal ob trivial oder literarisch). Aber wie sagte Jürgen Grasmück als Agent immer zu seinen Autoren: "Wir alle haben den Heftroman schon mal neu erfunden".


"Ihre Zunge stieß heftig in meinen Rachen und vollführte tolldreiste Tänze."
Michael Roth

Manchmal waren es aber auch die Herausgeber gewisser Fanzines, die die von ihnen veröffentlichten Geschichten zur Zukunft des Horrors erklärten. Norbert Schulz und Carsten Scheibe (die Dieter Hoven den Titel Ober-Guru verpassten) erfanden auch den Horror immer mal wieder für ihre "Tales" neu. Christian Dörge gehörte mit seinem Zauberbogen auch zu dieser Clique. Allerdings waren viele der von ihm präsentierten Erzählungen kaum besser als der Durchschnitt, eine weitere große Gruppe war ziemlich bemühter literarischer Mist, wo der Autor sich in seinen doch ach so originellen Formulierungen sonnte (Dörges eigene Erzählungen gehörten dazu). Aber es gab auch Erzählungen, die einfach sauschlecht waren, dem Leser aber als das Genre erweiternd verkauft wurden. Ob der jeweilige Autor das auch glaubte, ist nicht überliefert.

"Der Schweiß und das Sonnenöl, das sich auf meinem Körper befand, hatte längst eine glitschige Masse gebildet, und ermöglichte mir ein spielend leichtes Gleiten."
Michael Roth

Michael Roth ist einer dieser Autoren von dem nicht überliefert ist, ob er wusste, dass seine Geschichte als eines der Highlights des Unheimlich-Phantastischen verkauft wurde. "Ein Tag am See" ist der Titel dieser Geschichte, die einem Tränen in die Augen trieb, weil man aus dem Lachen nicht mehr heraus kam. Sechs oder sieben Fanzineseiten lang folterte Michael Roth das Zwerchfell des Lesers. Die am häufigsten benutzten Vokabeln waren jene, die sich vom Verb 'schwitzen' ableiteten. Wohl an die hundert oder mehr mal ging es um die Klimaanlage des Körpers (und kam insofern häufiger vor als das Wort Ghoul in Sven Baumerts Story "Todesrache der Ghouls", welches es etwa auf 83 Nennungen brachte). Der Autor verstieg sich zu unglaublichen Metaphern und schuf Bilder im Kopf des Lesers, die Monty Python übertrafen.

"(...) und längst troff der Schweiß wieder in alter Manier von Stirn und aus den Achselhöhlen, sich in den Haaren auf meiner Brust sammelnd."
Michael Roth

Worum ging es nun in der Geschichte. Ein junger Mann (und viele andere) schwitzen ausdauernd in der Hitze des Sommers an einem Bergsee, der innerhalb der nächsten Sätze zum Baggersee mutiert. Irgendwann trifft der junge Mann ein Mädchen, das er umbringt. Am nächsten Tag kommt er erneut zum Schwitzen an den Baggersee in den Bergen und die aus unbekannten Gründen wiedergekehrte Leiche der Frau bringt ihn um. Laut Christian Dörge eine Story, die den Horizont des Genres erweitert. Für mich eher die Vorlage eines dämlichen Horrorfilms, in dem dann mehr Blut denn Schweiß fließt.

"Chlor und Fäkalien sind da nur zwei der ärgerlichen Reizwörter, ein anderes ist der Mief, der unweigerlich entsteht, wenn Körperausdünstungen mit dem Gestank von Sonnenöl gepaart werden."
Michael Roth

Michael Roths Geschichte war eines der absoluten Highlights. Sein bemühtes Zeilenschinden mittels Metaphern übers Schwitzen, wurde von Christian Dörge als literarischer Horror missdeutet und entsprechend angekündigt und wirft ein Schlaglicht auf den von ihm herausgegebenen Zauberbogen. Aber als Geschichte war "Ein Tag am See" immerhin einen Haufen Lacher wert.

Kommentare  

#1 Claudia 2010-07-21 18:35
Guido und sein Zwillingsbruder Michael Grandt haben als "Experten" für angeblich von Satanisten ausgeübte Verbrechen einen zweifelhaften Ruf erworben. Auch die zahlreichen Veröffentlichungen der beiden zu Themen wie Freimaurerei, Okkultismus u. ä. sind mit Vorsicht zu genießen. Das meiste, was in diesen Bänden steht, ist das Produkt der überspannten Fantasie der Brüder, und nicht etwa von seriöser Recherche. 8)
#2 Harantor 2010-07-21 18:40
Fürs Privatzfernsehen reicht es...
#3 Laurin 2010-07-22 14:07
Komisch, hatten wir die letzten Tage bei der Hitze nicht alle den Dämon "Schweiß" im Genick :o .
#4 Thomas 2010-07-27 18:20
Ich kannte mal einen Michael Roth aus Saarbrücken, der Mitglied im EDMC e. V. (Erster Deutscher Mythor Club) war. Handelt es sich hierbei um die gleiche Person, die auch die oben erwähnte Fanstory verbrach?
#5 Harantor 2010-07-27 18:35
Kann ich nicht sagen. Ich kenne nur diese Geschichte aus Dörges Fnazine.
#6 Jürgen Höreth 2019-04-10 15:07
Hm, erinnert mich an Robert Laymon, der hats auch mit schwitzigen Stellen und engen Hosen in deren Ritzen sich der Schweiß sammelt - vielleicht war der Roth ja Laymons verschollener Stiefschwager

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