Tödliche Macht
Tödliche Macht
Weltweit grassiert der tödliche VRH-Virus, der durch einen direkten Blutkontakt übertragen werden kann. Die französische Regierung erlässt Maßnahmen, nach denen infizierte Personen in sogenannten Pflegezentren interniert werden können und ordnet Zwangstestungen der Bevölkerung an.
Die faschistische Partei des Landes heizt die Stimmung weiter an und versucht aus der Angst der Menschen Kapital zu schlagen. Die der Gruppierung nahestehende Miliz setzt die Verordnungen rigoros um und geht dabei nicht gerade zimperlich vor. Umfragen deuten darauf hin, dass die Faschisten bei der anstehenden Wahl zur Nationalversammlung die stärkste Fraktion im Parlament stellen werden, denn sie versprechen der Bevölkerung, den Virus durch noch weitreichendere, restriktivere Maßnahmen in Zaum halten zu können.
Frank Morin ist ein Wissenschaftler, der mit seinem Studenten Guy an einem Gegenmittel forscht. Erste Zwischenergebnisse sind vielversprechend und weisen auf einen Erfolg hin. Das ruft seinen Konkurrenten Krieger auf den Plan, der den Ruhm der Suche nach dem Gegenmittel für sich verbuchen möchte.
Morin hat eine heimliche Affaire mit einer ehemaligen Prostituierten, die Kontakte zum Drogenmilieu hat. Krieger deckt die Liebelei auf und versucht Morin mit Hilfe eines den Faschisten nahestehenden Polizisten zu diskreditieren, denn Prostituierte und Drogenkranke gelten als Motoren der Infektionen mit VRH und werden zur Zielscheibe der Propaganda der Faschisten. Zu spät wird Krieger klar, dass die Faschisten kein Interesse an der Vernichtung des Virus haben. Die Beseitigung der Gefahr könnte Ihnen den Weg zur Macht verwehren.
Behe und Toff veröffentlichen Tödliche Macht als ihre erste gemeinsame Comicarbeit im Jahr 1989 in Frankreich. Behe, der mit bürgerlichen Namen Joseph Griemar heißt, ist ein Comiczeichner, der bis zur vorliegenden Arbeit nicht in Erscheinung getreten ist. Das Szenario dieser Geschichte stammt von Jean Christoph Deloulme, der unter seinem Künstlernamen Toff die Texte zu diesem Album beisteuert.
Die Erstveröffentlich erfolgt in schwarzweiß im französischen Magazin Pilote, bis es kurz darauf als farbiges Album neu aufgelegt wird. Mit Tödliche Macht landen die beiden Neulinge einen ersten Hit und erhalten im Jahr 1990 die französische Auszeichnung „Lauriers de cristal“, die für herausragende Debüts im Comicbereich vergeben wird. Das Album zieht drei Fortsetzungen nach sich und die beiden bringen mit dem Zweiteiler Doppel-Gen einen weiteren Comic auf den Markt.
Tödliche Macht steht in der Tradition frankobelgischer Politthriller, die den Aufstieg des Faschismus in Frankreich zum Thema haben. In eindrucksvollen Bildern erzählen Behe und Toff eine Geschichte, die in ihrer Eindringlichkeit an die Arbeiten von Enki Bilal und Pierre Christin erinnert.
Das VRH ist ein tödliches Virus, das durch Blutkontakt übertragen werden kann. Die Regierung richtet Internierungslager für Infizierte ein und ordnet flächendeckende, verpflichtende Testungen für die Bevölkerung an. Die Maßnahmen zeigen Wirkung, aber trotzdem gelingt es der faschistischen Partei, die Ängste weiter zu schüren und kündigt weitere restriktive Einschränkungen an. Die Schuldigen sind schnell ausgemacht und gesellschaftliche Randgruppen werden für die Ausbreitung verantwortlich gemacht. Es gelingt den Faschisten die gesellschaftliche Mitte zu mobilisieren und bei den anstehenden Wahlen zeichnet sich eine Mehrheit der Rechtsradikalen ab. Ein großer Teil der Bevölkerung scheint bereit zu sein, ihre Freiheit auf dem Altar ihrer eigenen Ängste opfern zu wollen.
Guy hat sich ebenfalls mit VRH infiziert und blickt mit Sorge auf seinen nächsten Test. Er ist der Erste, an dem Morin sein neues Serum erprobt, und es ist erfolgreich. Morin selbst kann seinen Erfolg nicht mehr genießen, denn er wird von den Faschisten ermordet. Denn die sind überhaupt nicht an der Beseitigung des Virus interessiert, nutzen sie die Ängste der Bevölkerung doch nur, um die Macht im Land ergreifen zu können.
Behe und Toff beschreiben einen Wirkungsmechanismus, wie er in allen Ländern und zu jeder Zeit funktioniert. Die Ängste der Bevölkerung werden geschürt und auf eine Projektionsfläche kanalisiert, bei der es sich in der Regel um gesellschaftliche Splittergruppen handelt: Homosexuelle, Ausländer, Prostituierte, Drogenabhängige, usw.
Behe und Toff schaffen es, das komplexe Geschehen in einem Comicalbum spannend und übersichtlich darzustellen. Das Ende der Geschichte ist eindringlich. Das Serum zeigt bei Guy eine positive Wirkung, den Faschisten aber gelingt es, nahezu alle Beteiligten zu töten und die Ergebnisse unter Verschluss zu behalten.
Tödliche Macht ist eine Reaktion auf den teils hysterischen Umgang mit an HIV erkrankten Menschen in den 80er Jahren und der Versuch antidemokratischer Kräfte, aus den Ängsten der Menschen Kapital zu schlagen. In Deutschland reichen die Versuche bis in die demokratische Mitte hinein, mit denen sich vor allem die CSU in Bayern zu profilieren versucht.
In der Comicgeschichte werden Prostituierte und Drogenkranke für die Ausbreitung verantwortlich gemacht. Frank Morin hat ein Verhältnis zu einer Prostituierten, deren Bruder heroinabhängig ist, was ihm schließlich zum Verhängnis wird. Diese Denkmuster finden sich in der Realität wieder. Es sind vor allem Töne aus der CSU, die Homosexuelle, Prostituierte und Drogenkranke für die Ausbreitung von HIV verantwortlich machen. Dass sich Vertreter jener politischen Colour Aufklärungskampagnen und Hygienemaßnahmen, wie der Nutzung von Kondomen, widersetzen, steht für sich.
Der schwule kanadische Stewart Gaetan Dugas gilt lange Zeit als Patient Zero, der HIV als erster Mensch nach Nordamerika getragen haben soll. Bereits 1987 bestehen erste Anhaltspunkte, dass der Virus schon sehr viel eher in Umlauf war, denn bei dem 1967 verstorbenen Robert Rayford kann das Virus in seinem tiefgefrorenen Gewebe nachgewiesen werden. Das ändert nichts an der medialen Aufbereitung und erst recht nicht an der politischen Verarbeitung.
Besonders hervor tut sich in Deutschland der Freistaat Bayern. 1987 ordnet die Landesregierung an, dass „ansteckungsverdächtige Prostituierte, Schwule und Junkies“ durch die Polizei vorgeführt werden können und einem Zwangstest unterzogen werden. Heterosexuelle Männer nach einem Bordellbesuch sind in den Regelungen nicht berücksichtigt.
Der Abgeordnete Peter Gauweiler treibt die Gesetzgebung weiter voran, die für die umschriebenen Gruppen weitere Einschränkungen bereithält. Der junge aufstrebende Abgeordnete und spätere Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer fordert sogar „Heime“, in denen „Infizierte konzentriert“ werden können. Die Regelungen treten 1987 in Kraft und werden erst im Jahr 2002 wieder aufgehoben.
Tödliche Macht ist ein visuell beeindruckendes zeitloses Science-Fiction-Werk, das den Aufstieg des Faschismus in Frankreich thematisiert. In der Geschichte breitet sich das VRH auf der Welt aus, die den Umgang mit AIDS-kranken nachzeichnet. Sie skizzieren eine Welt, in der die faschistische Partei diese Ängste aufgreift und weiter zuspitzt. Die Bevölkerung übernimmt das Narrativ und ist bereit, die eigene Freiheit einzuschränken.
04/2025