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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit von Steuben?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit von Steuben?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 17. September 1730 wurde in der Festung Magdeburg Friedrich Wilhelm Ludolf Gerhard Augustin von Steuben geboren, Sohn eines preußischen Ingenieurhauptmanns. Der Geschichte bekannt wurde er als „Baron Friedrich Wilhelm von Steuben“. Man kann ihn als einen der Architekten der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika bezeichnen. Dass sein Adelstitel schon damals nicht unumstritten war, ist angesichts seiner Lebensleistung zu vergessen. Sein Großvater war der Landpastor Augustin Steube(n), der 1708 mit der Behauptung, dass seine adeligen Vorfahren Titel und Besitz im 30jährigen Krieg verloren hätten, Anspruch auf den Adelstand erhob. Heutige Genealogen halten die tatsächliche verwandtschaftliche Beziehung zu dem uralten Mansfelder Adelsgeschlecht derer von Steuben mit Verweis auf Steubens Mutter, Marie Justine von Jagow, allerdings für erwiesen.

Nachdem schon der Vater preußischer Offizier geworden war, trat auch der junge Steuben 1747 in die preußische Armee ein und war 1753 Leutnant. Er kämpfte im Siebenjährigen Krieg und lernte hier den Einsatz der sogenannten „leichten Truppen“, unabhängig operierende Einheiten. 1759 wurde er Quartiermeister-Leutnant im Hauptquartier Friedrichs des Großen. 1761 war er zeitweise in russischer Kriegsgefangenschaft.

Danach ernannte Friedrich der Große ihn zum Hauptmann. Steuben gehörte zu Friedrichs persönlicher „Sonderklasse zur Erlernung der Kriegskunst“. 1762 nahm er als Stabskapitän seinen Abschied und trat 1764 seinen Dienst als Hofmarschall des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen an.1769 wurde er in den „badischen Hausorden der Treue“ aufgenommen. Damit wurde er zum „Freiherrn“, dem französischen Adelskontext zufolge „Baron“.

1777 beantragten die Vertreter der Staatskirche eine Untersuchung gegen ihn, wegen „schwerer sittlicher Verfehlungen“ – gemeint waren homosexuelle Beziehungen Steubens zu jungen Bediensteten. Das hätte ihn in jenen Jahren ins Gefängnis bringen können.

Steuben verließ Süddeutschland fluchtartig und begab sich nach Frankreich. Er kannte den amtierenden französischen Kriegsminister Comte de Saint Germain. Dieser vermittelte ihn an den amerikanischen Botschafter Benjamin Franklin, der den Preußen 1778 mit einem Empfehlungsschreiben als „Generalleutnant bei Friedrich dem Großen“ nach Nordamerika schickte.

George Washington nahm Steuben als Generalinspekteur in die Continental Army auf, die sich zu diesem Zeitpunkt in einem katastrophalen Zustand befand. Steuben traf auf eine gerade einmal 5.000 Mann starke Armee, die fast im Zerfall begriffen war. Was er sah, muss bei dem erfahrenen preußischen Offizier das pure Grauen ausgelöst haben. Andererseits hatte er keine Chance, nach Europa zurückzukehren. Pragmatisch entwickelte er ein schnelles Ausbildungssystem für die militärischen Amateure, um ihnen zumindest die Grundbegriffe von Disziplin und Taktik beizubringen. Dabei zeigte er eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit, die es ihm letztlich ermöglichte, die Amerikaner zu Soldaten zu erziehen. In einem Brief schrieb Steuben: „Einem preußischen Soldaten gebe ich einen Befehl – und er folgt. Einem amerikanischen Soldaten muss ich erst einmal erklären, aus welchem Grund ich ihm den Befehl gebe.“ Er erwarb sich mit seinem Auftreten, bei dem er die Milizionäre auf Deutsch, Französisch und Englisch mit schauderhaftem Akzent als Drillmeister anbrüllte, die Zuneigung der Männer, die sehr schnell begriffen, dass der bullige Mann sein Handwerk verstand. Er brachte den Soldaten bei, dass Exerzieren eine entscheidende Überlebensfähigkeit auf dem Schlachtfeld bedeutete. Er schulte sie vor allem im Gebrauch des Bajonetts.

Steuben bildete zunächst eine Musterkompanie aus, aus der Unteroffiziere hervorgingen, die sein Ausbildungssystem weitertrugen. Dann verfasste er ein dünnes Handbuch für die Offiziere, das „Blaue Buch“, dass die Grundlagen für die Formierung einer richtigen Armee darstellte. („Regeln für die Ordnung und Disziplin der Truppen der Vereinigten Staaten“.) Ferner führte er ein Buchhaltungssystem ein, dass der chaotischen Administration der Armee Zigtausende von Dollars ersparte und wertvolles Material rettete.

Populär wurde Steuben nicht nur durch seine militärische Kompetenz, sondern auch durch seine menschliche Souveränität. Gegen Ende des Krieges nannten ihn viele Offiziere den „Vater der Soldaten“. Hatte er einem Mann Unrecht getan, scheute er sich nicht, die Kompanie antreten zu lassen und sich öffentlich zu entschuldigen.

Steuben kümmerte sich faktisch um alles, was eine gute Armee ausmachte – und was es in der Continental Army nicht gab. Etwa um eine geordnete Gemeinschaftsverpflegung, oder um Hygiene, um die Ausbreitung von Infektionen und anderen Krankheiten einzudämmen. Dazu gehörte die Anlage von separaten Latrinen und einer strikten Lagerordnung, sowie die Entsorgung von nicht verbrauchten Fleischresten. Der amerikanische Historiker Donald Gerste schrieb: „Steuben etablierte Hygienestandards, die für 150 Jahre Bestand hatten.“

Der Militärhistoriker Paul Lockhart bescheinigte ihm, dass er ein hervorragender „Menschenführer“ war, dem es gelang, „preußische Grundsätze der amerikanischen Mentalität“ anzupassen. Er formte aus einer Miliz von Individualisten eine militärische Streitmacht.

Neben der Stabs- und Verwaltungsarbeit kommandierte er auch selbst Feldtruppen, die Anteil an den ersten Erfolgen der Kontinentalarmee hatten. 1780 wurde er als Generalquartiermeister nach Virginia geschickt, wo er ebenfalls eigene Feldkommandos führte. In der Schlacht von Yorktown, bei der Washington mit französischer Hilfe die Kapitulation der Briten erzwang, kommandierte Steuben die 3. Division.

Seine Homosexualität, jahrzehntelang als „Geheimnis“ verschwiegen, kommentierte eine neuere Historikerin:

„Er war nach George Washington der wichtigste Militär. … Er war homosexuell, aber Helden kommen in vielen Erscheinungen: dick oder dünn, groß oder klein, mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. An Baron von Steuben wird man sich immer als militärisches Genie erinnern, der mithalf, das Blatt zugunsten der amerikanischen Unabhängigkeit zu wenden.“

1783 nahm Steuben seinen Abschied. Im März 1784 wurde er offiziell Staatsbürger der USA.

Einige Staaten verliehen ihm Landrechte, so dass er sich mit zwei seiner ehemaligen Adjutanten auf einer kleinen Farm am Ohio niederlassen konnte. Erst 1790 genehmigte der Kongress ihm eine Pension von jährlich 2.500 Dollar.

Er war allerdings immer eine öffentliche Persönlichkeit und hatte zahlreiche Ehrenämter inne. Zu seiner großen Enttäuschung wurde er nicht, wie er gehofft hatte, Kriegsminister der Regierung Washington. Die Militärakademie West Point geht auf Pläne zurück, die er frühzeitig bei Washington zur Ausbildung eines amerikanischen Offizierskorps einreichte.

1784 wurde er Vorsitzender der neugegründeten „Deutschen Gesellschaft“ von New York. Noch 1794, seinem letzten Lebensjahr, war er Vorsitzender des Verteidigungskomitees von New York, um den Hafen der Stadt militärisch zu befestigen. Er gehörte zu den Mitbegründern des Cincinnatus-Ordens, in dem sich ehemalige Offiziere der Kontinentalarmee vereinigten.

Steuben starb am 28. November 1794 im Oneida County des Staates New York an einem Schlaganfall. Seinen Besitz vererbte er seinen beiden Adjutanten William North und Benjamin Walker, mit denen er bis zuletzt zusammengelebt hatte.

In den USA sind mehrere Ortschaften, Bezirke und auch Straßen nach Steuben benannt. Zwei Schiffe der US-Navy trugen bislang den Namen „Wilhelm von Steuben“. Auch in Deutschland gibt es verschiedene Benennungen von Straßen und Schulen. Seit 1957 findet jeden September in New York die „Steuben-Parade“ statt, mit der generell der Leistungen der deutschen Einwanderer am Aufbau der USA gedacht wird.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

 

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