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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Massaker von Gnadenhütten?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Massaker von Gnadenhütten?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 8. März 1782 kam es zu einem der brutalsten, bösartigsten und unverständlichsten Verbrechen in der frühen Geschichte der Indianerkriege im östlichen Waldland, zum „Massaker von Gnadenhütten“, gelegentlich auch als „Moravian Massaker“ bezeichnet.

160 Milizsoldaten aus Pennsylvania ermordeten in der Herrnhuter Mission Gnadenhütten kaltblütig 96 christliche Indianer – 39 Kinder, 29 Frauen und 28 Männer.

Präsident Theodore Roosevelt nannte um 1900 diese Tat „einen Schandfleck auf dem Charakter der Besiedelungsgeschichte, der niemals weggewaschen werden kann.“

Diese Untat wäre vielleicht nie ans Licht gekommen, wenn nicht zwei Jungen durch Zufall überlebt hätten. Man hatte sie zwischen den Opfern übersehen, sie ebenfalls für tot gehalten und einem sogar den Skalp abgeschnitten. Sie waren imstande, zu flüchten und von den erlittenen Greueln zu berichten.

Die Täter behaupteten später, lediglich Rache für indianische Überfälle auf ihre Siedlungen genommen zu haben. Aber die Herrnhuter Indianer waren erklärte Pazifisten, während andere Indianervölker aktiv entweder aufseiten der Briten oder der Amerikaner am Unabhängigkeitskrieg beteiligt waren.

Die Folgen waren verheerend. Die Amerikaner verloren weitgehend das Vertrauen ihrer indianischen Verbündeten, und die Angehörigen der Opfer suchten nach Vergeltung und ließen die seit langem geächteten rituellen Folterpraktiken wieder aufleben, vor allem bei Gefangenen, bei denen eine Teilnahme an dem Gnadenhütten-Massaker vermutet wurde.

Besonders bitter war, dass sowohl die Herrnhuter Missionare als auch ihre indianischen Schützlinge der amerikanischen Unabhängigkeitsarmee als zuverlässige Agenten, Scouts und Führer gedient hatten.

Die Hintergründe dieses Massakers lagen lange zurück. Schon bei Beginn der amerikanischen Revolution spaltete sich das Volk der Delaware über die Frage, ob sie die Amerikaner oder die Briten unterstützen sollten. Zwischen den nördlichen Gruppierungen, den Munsee, und den südlichen Banden, den Unami, entstand eine tiefe Kluft, die durch Auseinandersetzungen mit der Irokesenliga vertieft wurde. Viele Delaware wichen nach Westen in das Gebiet des späteren Ohio aus, nachdem der Druck des Irokesenbundes und der weißen Kolonisation auf ihre Heimatgebiete immer stärker geworden war. Sie fanden eine neue Heimat rings um die Missionen der deutschstämmigen Herrnhuter wie Schoenbrunn, Gnadenhütten und Salem und schlossen sich der christlichen Lehre an. Als der amerikanische Unabhängigkeitskrieg ausbrach, lag dieses Gebiet unglücklicherweise direkt zwischen den Fronten.

Ein Teil der Delaware entschied sich, die Engländer zu unterstützen und griff in deren Namen amerikanische Siedlungen an. Die anderen, vorwiegend unter dem Häuptling White Eyes, unterschrieben 1778 in Fort Pitt einen Vertrag mit den Amerikanern. In diesem Vertrag wurde ihnen das Ohio-Gebiete als exklusives indianisches Territorium im Rahmen der neugegründeten Vereinigten Staaten zugesichert.

Daneben gab es eine dritte Gruppe Delaware-Indianer, die sich der friedlichen christlichen Lehre der Herrnhuter (auf Englisch: Moravians) verpflichtet hatten. Sie hatten sich von dem deutschstämmigen Missionar David Zeisberger taufen lassen.

Der Friedensvertrag von Fort Pitt wurde niemals im amerikanischen Kongress bestätigt. White Eyes starb kurz nach Unterzeichnung. Gerüchte besagen, dass er von Miliz getötet wurde.

Aufgrund zahlreicher Übergriffe von lokalen Milizen auf indianische Dörfer, schlugen sich zahlreiche Indianergruppen nachträglich auf die Seite der Engländer. Die Auseinandersetzungen im westlichen Grenzland wurden von beiden Seiten mit großer Brutalität geführt. Im Grunde handelte es sich um Separatkriege zwischen Kolonisten und Indianern, die nur bedingt mit dem Unabhängigkeitskrieg zu tun hatten. Sowohl Indianergruppen als auch örtliche Milizen bekämpften sich aufgrund von Konflikten, die in die Zeit vor Ausbruch der amerikanischen Revolution zurückdatierten.

Diese Kämpfe wurden aber nicht nur zwischen Siedlern und Indianern geführt. Auch die Indianergruppen untereinander bekämpften sich mit größter Gnadenlosigkeit. Die Indianer aufseiten der Engländer gingen schon ab 1781 gegen Stammesbrüder vor, die sich den Amerikanern angeschlossen hatten. Dazu zählten sie auch die christlichen Indianer in den Herrnhuter-Dörfern.

Anfang März wurden die Herrnhuter-Delaware von 160 Mann Pennsylvania-Miliz unter dem Kommando von Colonel David Williamson überrascht. Er beschuldigte sie, Überfälle auf Dörfer in Pennsylvania ausgeführt zu haben. Die Delaware stritten die Anklagen ab, aber die Miliz trat zu einer Art „Gericht“ zusammen und beschloss, ein Exempel zu statuieren und alle „Moravian Indianer“ zu töten.

Einige der Milizmänner weigerten sich, an dem geplanten Massenmord teilzunehmen. Dazu gehörte Obadiah Holmes, der später schrieb: „Ein gewisser Nathan Rollins und sein Bruder, die ihren Vater, bzw. einen Onkel durch Indianer verloren hatten, übernahmen die Führung bei den Morden. … Nathan Rollins erschlug 19 der armen Moravians mit einem Tomahawk. Danach setzte er sich hin und began zu weinen. Er sagte, dass seine Tat ihm in keiner Weise Befriedigung für den Verlust seines Vaters und seines Onkels gebracht habe.“

Nachdem den Delaware mitgeteilt worden war, dass sie sterben sollten, erbaten sie Zeit, um sich auf den Tod vorzubereiten. Sie begannen zu beten und zu singen. Man hatte sie in zwei Hütten der Mission gebracht – eine für die Männer und eine für die Frauen und Kinder.

Am frühen Morgen des 8. März 1782 fesselten die Milizmänner den Indianern Hände und Füße und begannen sie systematisch mit Hämmern und Keulen zu erschlagen. Danach rissen sie ihnen die Skalpe ab. Am Ende des Blutbades schichteten sie die Leichen in den Gebäuden der Mission auf, plünderten die Siedlung und legten Feuer.

Als die Untat bekannt wurde, waren die Reaktionen gemischt. Viele Siedler an der Ohio-Grenze waren außer sich, weil sie ahnten, dass damit der Grundstein für einen neuen blutigen Konflikt gelegt worden war. Andere verteidigten die Mörder und verhinderten, dass es zu gerichtlichen Anklagen und Bestrafungen kam.

In den folgenden Monaten und Jahren folgten erbitterte Racheakte von Delaware-Indianern. Captain Charles Bilderback, der zur Pennsylvania-Miliz gehört hatte, wurde im Juni 1789 – sieben Jahre später – von Indianern gefangen und zu Tode gemartert. Der Anführer der Miliz, David Williamson, starb 1814.

Das Gnadenhütten-Massaker hatte einen Jahrzehnte andauernden Zorn von Angehörigen der Opfer zufolge. 1810 hielt der bedeutende Häuptling Tecumseh in Verhandlungen mit General William Henry Harrison diesem vor: „Erinnerst Du Dich an die Zeit, als christliche Delaware-Indianer in der Nähe der Amerikaner lebten? Sie hatten Vertrauen in deren Versprechen und Freundschaft, und sie glaubten, sie seien sicher – bis alle Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden, während sie zu Jesus beteten.“

Der Ort des Massakers ist heute eine nationale Gedenkstätte.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

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