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Schaurig-atmosphärischer Krimi-Grusel: "A Haunting in Venice"

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneSchaurig-atmosphärischer Krimi-Grusel
A Haunting in Venice

Mitternacht schlagende Pendeluhren, durch Korridore tappende Schritte, durch die Hallen dringender Gesang - dass, was an diesem Abend in dem Palazzo in Venedig vor sich geht, das stammt ganz aus dem Repertoire des englischen Gothic-Horrors.
Mittendrin Hercule Poirot, der von seiner Freundin Mrs. Oliver überredet worden ist, sich eine Séance an Halloween anzuschauen. Eigentlich hat sich Poirot nach dem Zweiten Weltkrieg zur Ruhe gesetzt, aber er macht sich dann doch auf den Weg.

Denn Mrs. Oliver kommt nicht dahinter, ob das Medium wirklich echt ist oder nicht. Das sollte sich ja leicht klären lassen, allerdings ist das Medium kurze Zeit später tot. Damit hat Poirot einen Mord aufzuklären, der irgendwie mit einem Todesfall in der Vergangenheit zu tun hat.

Kenneth Branagh gab schon vor einiger Zeit bekannt, dass er nach „Tod auf dem Nil“ und „Mord im Orientexpress“ auch noch einen dritten Teil mit sich selbst als Hercule Poirot drehen wollen würde. Dabei hat er Poirot einen eigenen Dreh verpasst und eine unglückliche Liebesgeschichte in „Tod auf dem Nil“ als Prolog vorangestellt sowie einen Grund für Poirots Schnäuzer.

Ob das hätte sein müssen ist die Frage. Ebenfalls war „Tod auf dem Nil“ zwar durchaus solide von der Ausstattung und der Schauspieler her, aber Branaghs Poirot wirkte etwas arg gekünstelt und arg melancholisch. Was sich auch in „Mord im Orientexepress“ nicht wesentliche änderte.

Zwar schien sich Branagh allmählich an den pedantischen Detektiv zu gewöhnen, aber auch hier waren es eher die anderen Schauspieler, die den Film passabel machten. Mit „A Haunting in Venice“ - basierend auf dem Roman „Die Schneewittchen-Party“, einer der etwas weniger bekannten Christie-Romane - hat Branagh immerhin an Format gewonnen.

Der Film gewinnt beim Zuschauenden, der mit dem Gothic-Horror vertraut ist. Natürlich: Ein verfallender Palazzo in Venedig erweckt Gedanken an Edgar Allan Poe, der sogar einmal im Film selbst erwähnt wird. Natürlich ist es eine stürmische Nacht mit viel Regen. Von selbst zuschlagende Türen gehören ebenso zum Gothic-Horror wie aus dem Nichts kommende Stimmen und Geräusche.

Natürlich darf auch eine düstere Legende nicht fehlen, denn in diesem Palazzo hatten einst Ärzte und Schwestern Waisenkinder während der Pest zum Sterben eingeschlossen. Dass die Kinder seitdem Rache nehmen an allen, die aus diesen Metiers stammen - das wird zu Beginn des Films erzählt.

Zudem laufen Poirot und Mrs. Oliver Treppen hinauf und hinab - kein Gothic-Horror ohne irgendwelche verwinkelten Treppenhäuser. Geheimgänge gibts zwar nicht, aber von selbst läutende Telefone. Das alles macht durchaus den Reiz des Films aus. Auch, wenn man als Zuschauender weiß, dass Poirot natürlich nicht an das Übernatürliche glaubt.

Natürlich hat das Übernatürliche auch etwas mit Poirots Geschichte selbst zu tun. Der hat sich zu Beginn des Films in den Ruhestand zurückgezogen. Den eigentlichen Grund teil er Mrs. Oliver mit: Er habe einfach zu viel Grausamkeiten gesehen, als dass er noch an das Gute in der Menschheit und überhaupt an Gott glauben könne.

Ein Thema, dass sich subtil durch den ganzen Film zieht, beginnt dieser doch mit einem damaligen Schlager „When the lights will go on again“, in dem die Hoffnung ausgedrückt wird, dass eines Tages die Lichter der Städte wieder aufflammen, die Schiffe wieder über den Ozean fahren werden. Eines Tages. Dass das allerdings nicht so einfach ist, wird mit dem Charakter des Dr. Leslie Ferrier, der bei der Befreiung von Buchenwald dabei war.

Die Schäden an seiner Psyche stehen entgegen der positiven Aufbruchsstimmung, des „Aufflammens der Lichter“ nach dem Krieg. Das wird im Film allerdings nur kurz gestreift, was schade ist. Aber da ist ja noch ein Mord - eigentlich zwei Morde - die Poirot aufzuklären bemüht ist. Trotz der unheimlichen Geschehnisse im Palazzo.

Aber „A Haunting in Venice“ ist in erster Linie ein Krimi. Wobei man offenbar für den deutschen Raum diesmal keinen passenden deutschen Titel gefunden hat. „Ein Spuk in Venedig“ wäre ja immerhin möglich gewesen. Sicherlich sind „Tod auf dem Nil“ und „Mord im Orientexpress“ bekannter. Wie dem auch sei: Wie schlägt sich „A Haunting in Venice“ als Krimi? Wer jetzt einen intelligenten, cleveren Genre-Film erwartet, der wird vermutlich eher enttäuscht werden.

„A Haunting in Venice“ hat zwar sehr viel Atmosphäre und einen immerhin passablen Branagh als Poirot - der deutliche besser ist als in den anderen zwei Filmen - ist aber was die Spannung anbetrifft eher altmodisch dahinplätschernd. Da helfen die Gruseleffekte nun auch nicht unbedingt.

Das wäre auch nicht weiter schlimm, denn gerade das altmodische Erzählen passt zu den Krimis von Agatha Christie, die sich sich ja gerne durch extrem lange Gesprächsszenen auszeichnen. Action gibts halt wenig. Aber durch die Gruseleffekte bekommt der Film eine unruhige Balance, ist weder ganz Horror, noch ganz Krimi und hat einfach Schlagseite. Wirkt stellenweise unausgegoren. Und das ist schade. 

Ob es noch einen vierten Poirot geben wird? Gute Frage. Das hängt wohl auch von den Einspielzahlen dieses Films ab. Immerhin: Es ist angenehm mal einen Film zu sehen, der nur lose mit den Vorgängern verknüpft ist, man nicht unbedingt die anderen Filme also gesehen haben muss, um an der Geschichte Spaß zu haben.

Während der nächste Marvel-Film schon am Horizont aufleuchtet, Loki Staffel 2 auf Disney+ gelandet ist, die Vorbereitungen zu einem DCU anlaufen ist es tatsächlich wohlig, sich einen Film anzuschauen der altmodisch inszeniert ist, in dem auch kein Blut zu sehen ist und der trotz seiner Schwächen im Mark ganz und gar ein Agatha-Christie-Film ist. 

© by Christian Spliess (10/2023)

Kommentare  

#1 Postman 2023-10-13 06:44
Ich fand den 1. Teil schon toll.

Dass man übrigens im Zauberspiegel neuerdings alle Bilder auch vergrößern kann, hat meine voll Zustimmung.

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