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Tik-Tok und wir: Die Wohlfühlblasen-App

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneTik-Tok und wir
Die Wohlfühlblasen-App

Es ist schon faszinierend, wie gut Tik-Toks-Algorithmus funktioniert. Er liefert den Zuschauenden genau das, was sie wollen.

Ob es nun niedliche Otter-Videos sind, Tipps für das einfachere Leben, Kochrezepte … nach einer Weile hat sich der Algorithmus so sehr dem Zuschauenden angepasst, dass dieser wirklich in der viel beschworenen Datenblase zu Hause ist.

Was nichts Neues ist. Wir alle leben analog oder digital in unseren Blasen und wehren uns standhaft dagegen, widerstrebende Meinungen sofort zu akzeptieren. Confirmation Bias nennt sich das auf Englisch. Davor bewahrt uns Tik-Tok meisterhaft. Was Tik-Tok aber noch mehr als alle anderen Arten von Sozialen-Netzwerken gelingt: Es stiehlt uns damit auch Zeit.

Wie oft habe ich nicht schon aus Bekanntenkreisen gehört: „Ich wollte nur eben rasch was auf Tik-Tok nachsehen und zack, fertig, ich hab damit eine gute Stunde vertan.“ Das geht mir, wenn ich mal auf der Plattform unterwegs bin genauso. Als alter Mann bin ich eigentlich nicht so die Zielgruppe, Tik-Tok wird eher von Jugendlichen genutzt. Natürlich schaue ich aber auch auf Tik-Tok nach, wenn ich Dinge recherchiere. Ich schaue aber nicht zwingend täglich nach, ob es Neuigkeiten gibt. Ebenso wie ich auch nicht wirklich ständig neue Videos produziere. Merkwürdig. Eigentlich sollte ich doch permanent von Tik-Tok eingezogen werden - also wenn es nach den Machern von Tik-Tok geht möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen. Das wollen ja alle Plattformen im Bereich der sozialen Medien. Je länger man dort ist, desto länger schaut man sich Werbung an.

Was bei mir weniger gut funktioniert, kann für Andere problematisch werden. Bisher gibt es zwar die Vermutung, dass Tik-Tok von allen Plattformen am Meisten Abhängige produziert. Das sind aber bisher nur Vermutungen und Studien zur Thematik gibt es da kaum. Dass alles zur Sucht werden kann, das ist wohl unbestritten. Aber schaut man sich an, wie präzise Tik-Tok die Bedürfnisse des Glücklich-Seins bedient, dann könnte da tatsächlich was dran sein. Zu Beginn der Nutzung fragt die App grob nach den Themen, die einen interessieren könnten und beginnt dann erstmal ziemlich wahllos Clips auf die Startseite zu spülen. Wie genau der Algorithmus funktioniert ist natürlich mal wieder ein Geheimnis des Unternehmens Snake-Byte. Wobei Tik-Tok früher ja tatsächlich nur eine reine Lip-Sync-App wie Smule war. Tik-Tok hatte deswegen den Vorteil - lange bevor Instagram - dass Nutzer*innen ihre Clips mit Musik aus einer ziemlich großen Bibliothek unterlegen können. Dass Tik-Tok etlichen Musiker*innen zum Durchbruch in die Charts verholfen hat, verwundert da nun auch nicht. Wobei Sea-Shanty-singende Postboten aus Schottland eher die Ausnahme sind.

Das Motto bei Tik-Tok, wie bei anderen Plattformen, scheint aus der Vergangenheit des Telefonieren entnommen zu sein: FDK - Fasse Dich Kurz. Das prangte dereinst über den Telefonzellen, als noch nicht Jede*r ein eigenes Telefon zu Hause hatte. Wobei Tik-Tok da nach und nach die Zeit für Videos erweitert hat. Momentan sind es bis zu 3 Minuten, die gefüllt werden können. Was eher die Ausnahme als die Regel ist. Knackige Einstiege in die Videos sind bei Tik-Tok allerdings Pflicht. Sonst schieben sich die Nutzenden gelangweilt zum nächsten Video. Zudem ist auch hier König oder Königin, wer auffällt. Gerade diese Lust an der Inszenierung, dieses Auffallen-Müssen ist es vielleicht, was Tik-Tok für ältere Generationen nicht mehr so attraktiv erscheinen lässt. Teenager und Jugendliche befinden sich während der Pubertät in der Findungsphase. Früher hat man eher Boy- oder Girlbands angehimmelt und den Starschnitt aus der Bravo im Zimmer gehabt. Heute himmeln Jugendliche und Teenager die Influencer*innen an, die extrem lustig sind, die extrem gute Tipps zum Leben geben oder die gemeinhin sehr meinungsstark sind. Die 90ger haben bisher noch nicht angerufen, um ihr Wörtchen „Extrem“ zurückzufordern.

Da ist Instagram eine Spur gemächlicher und Facebook schon fast ein Seniorenheim. Unterschätzten sollte man beide Plattformen jedoch nicht, Facebook und Instagram wurden schon öfters totgesagt, aber sie sind immer noch am Markt. Und werden es auch eine Zeitlang bleiben. Tik-Tok ist aber mit seiner kurzen, prägnanten Clips eher dem Zeitgeist der Gegenwart verpflichtet. Das hat sicherlich auch Auswirkungen auf den analogen Alltag. Wobei auch hier nicht so klar ist, ob die allgemein beklagte mangelnde Konzentrationsfähigkeit von Schüler*innen nun mit Sozialen Medien aka Tik-Tok zusammenhängt oder nicht. Die sofortige Glückserfüllung jedenfalls ist etwas, was man sicherlich mit Vorsicht betrachten sollte. Das trifft jedoch auf alle Sozialen Medien zu. Aber Tik-Tok gelingt das mit einer Perfektion, die schon sehr zu denken gibt.

Zu denken geben auch die zahlreichen Hinweise darauf, dass Tik-Tok eventuell doch mehr Daten nach China vermittelt als es uns lieb sein kann. Bewiesen ist auch das nicht unbedingt, es gibt vereinzelt Hinweise darauf. Die USA haben ja schon unter Trump mehrfach ein Verbot von Tik-Tok gefordert, bisher erfolglos. Da stemmen sich die Demokraten gegen die Republikaner. Andernorts, so in der EU, gibt es das Verbot schon. Auf deutschen Dienstgeräten wird Tik-Tok in der Regel nicht zu finden sein, denn diese haben einen eigenen App-Store. Tik-Tok ist da nicht zugelassen worden. Was man aber natürlich tun kann - siehe Bundesgesundheitsministierium: Man kann natürlich eine Agentur damit beauftragen, Inhalte zur Erstellen und zu Verbreiten. Wie problematisch das ist, das muss die Politik erstmal noch abklären.

Geklärt werden muss auf jeden Fall das eigene Verhalten zu Tik-Tok. Definitiv sollte man daran erinnern: Der Dienst ist erst ab 13 Jahren freigegeben. Was natürlich Kinder und Jugendliche nicht daran hindert, dennoch dort zu sein - auch wenn sie unter 13 sind. Als Elternteil liegt aber definitiv ein Teil der Verantwortung auch bei Mama und Papa. Es ist auch kein triftiger Grund vorhanden, warum Grundschulkinder unbedingt schon ein Smartphone in die Hand gedrückt bekommen sollten. Auch, wenn die Faszination natürlich groß ist. Aber noch weniger verständlich: Das Smartphone als Kinderbespaßungsgerät zu benutzen. Und dem Kleinen natürlich schon einen Account bei Tik-Tok einrichten. Es gibt ja da total süsse Katzenvideos …

Und wir Erwachsenen? Sehen Tik-Tok vielleicht eher pragmatischer. Als Dienst, der es perfekt versteht Bedürfnisse sofort zu erfüllen. Als ein Dienst, der seine Ursprünge in China hat und sicherlich unser Nutzerverhalten besser auslesen kann als andere. Ein Dienst, der mehr noch als andere das Kurze, Prägnante in den Vordergrund stellt und nicht die Tiefe und den Raum für weitreichende Diskussionen bietet. Zudem: Tik-Toks Kommentarspalten sind bei gewissen Themen knallhart. Eher noch als bei Instagram wird gehetzt, beleidigt und den Anderen echauffiert.

Wenn man das alles im Kopf hat, dann ist TIk-Tok ein Dienst mit Vorteilen und Schattenseiten. Wie fast Alles und Jedes in der Welt. Wir können händisch gegen die Wohlfühlblase gegensteuern, in dem wir ab und mal Dinge suchen, die nicht in unserer konstruierten Blase auftauchen. Sollte man sowieso immer machen. Auch im analogen Leben. So unangenehm das mitunter sein mag, wenn wir immer nur das bekommen, was wir uns wünschen entwicklen wir uns nicht weiter. Auch das ist eine Gefahr, die nicht nur aber auch von Tik-Tok gefördert wird. Sollte man wissen.

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