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Die Aufmerksamkeitsspanne: Verweile doch, du bist so schön

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDie Aufmerksamkeitsspanne
Verweile doch, du bist so schön

Knackig muss es sein. Kurz vor allem. Und am Besten teilbar. Denn heutzutage, so wird gesagt und geschrieben, haben Menschen eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne. Wer für das Netz veröffentlicht, sollte halt kurze, knackige Texte schreiben und auf den Punkt kommen. Womit diese Kolumne schon mal nicht mehr optimale fürs Netz wäre, sie ist ja regelmäßig - sehr - lang. Doch Spaß beiseite: 

Woher kommt eigentlich diese Auffassung, dass Netzinhalte immer Snackinhalte sein müssen? Sicherlich, wir alle konsumieren Inhalte gerne unterwegs. Und da eignen sich bestimmte Inhalte besser als andere. Dennoch: Ist das mit der Aufmerksamkeitsspanne wirklich so richtig?

2019 gab es zwar eine Studie zum Thema Aufmerksamkeit, allerdings ging es darum um die kollektive. Also wie lange diskutieren wir als Gesellschaft eigentlich ein Thema? Heute wesentlich kürzer als früher, fand die Studie des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung heraus. Schön und gut - aber kann man davon ableiten, dass generell Menschen eine immer kürzere Aufmerksamkeitsspanne haben oder ist das wirklich nur ein gesellschaftlicher Aspekt? Klar ist: „Produzenten und Konsumenten stehen gleichermaßen unter Druck – während bei­spielsweise Journalisten versuchen, die immer kürze­ren Aufmerksamkeitsspannen der Konsumenten für ihre Themen zu gewinnen, wird es für den Einzelnen immer schwieriger zu entscheiden, welchen Informa­tionen er folgen oder vertrauen kann.“ Immer kürzere Aufmerksamkeitsspanne! Da haben wir es doch! - Nein, eher nicht, denn das betrifft alle Konsumenten*innen. Man könnte jetzt vielleicht einige Schlüsse daraus ziehen, wie oft wieviel Zeit wir uns für ein Thema interessieren, wieviel Zeit wir uns für das Durchlesen des Online-Artikels nehmen. Das hat die Studie allerdings eher nicht getan.

Vielleicht mit gutem Grund. Denn wenn man sich im Netz anschaut wird klar: Offenbar hängt die Aufmerksamkeit des Menschen von den individuellen Gegebenheiten ab. Schrieb Patty Shank in ihrem Artikel von 2017, der wiederum die berüchtigte Microsoft-Goldfisch-Studie unter die Lupe nahm. Microsoft und Goldfische? Doch, ja. Eine Studie von Microsoft kam 2015 zu der Erkenntnis, dass die Aufmerksamkeitsspanne des Menschen im Laufe der Zeit gesunken sei und nur noch kurz vor der des Goldfisches liegen würde. Sprich: Wir würden nur eine Sekunde besser sein als die. Was, so Shank, schrieb so nicht stimmt. Also jedenfalls nicht, wenn man die Zahlen näher anschaut, auf die sich die MS-Studie damals stützte. Leider ist die ursprüngliche Studie nicht mehr abrufbar, aber wenn man sich durch den Artikel von 2017 durcharbeitet, ist man schon ganz gut informiert.

Es gibt fünf unterschiedliche Modi für die Aufmerksamkeitsspanne. Diese ist zudem von individuellen Einflüssen abhängig. Wenn ich im Nahverkehr unterwegs bin, neige ich nicht dazu mir Dantes Inferno durchzulesen. Also komplett. Sondern dann greife ich eher zu Inhalten, die wirklich kurz, knackig sind. Die so richtig - ähm - ins Gehirn reinknallen. Wäre dann ja Stufe Drei des zitierten Modells. Und nur logisch. Schließlich bin ich eventuell auch nur eine oder zwei Stationen unterwegs. Und es kommt auch auf das Training an: Kann ich die ganzen Außengeräusche abblocken? Die ganzen optischen Signale ebenfalls? Im Stadtverkehr habe ich dauern irgendwelche Lichter, die mich ablenken können. (Natürlich, wenn ich selbst fahre sollte ich schon auf Ampeln achten, als Beifahrer aber nehme ich durchaus auch wahr,) Auch wenn man etwas tiefer gräbt wird klar, dass diese These von der Senkung der Aufmerksamkeitsspanne nicht gerade auf wissenschaftlich fundierten Füßen beruht. Irgendwie hat sich da ein Mythos gebildet, der natürlich gewissen Wissenschaftler*innen, die dann Bestseller über die Generation Goldfisch schreiben einen Batzen Geld eingebracht hat. Aber mehr als eine These scheint das Ganze nicht zu sein.

Es gibt also nicht DIE Aufmerksamkeitsspanne; infolgedessen kann diese auch gar nicht geschrumpft sein, wenn müsste man in Studien feststellen, wie wir auf den Konsum spezifischer Inhalte in einer spezifischen Umgebung im Lauf der Zeit reagieren oder auch nicht. Was heißt das jetzt also für das Veröffentlichen im Internet? Ganz einfach: Ein Orientierung an der Zielgruppe. Wenn ich per Messenger die aktuellen Schlagzeilen kommuniziere, dann sollte man besser keine allzulangen Texte publizieren. Solche Informationen sind für die Schnelle gedacht, fürs kurze Drüberscrollen. Wenn ich dann allerdings zu Hause bin, habe ich durchaus Zeit einen längeren Zeitungsartikel zu lesen. Zudem: Es kommt ja auch noch auf mein persönliches Interesse für das jeweilige Thema an.

Rezos „Zerstörung der CDU“-Video ist knapp eine halbe Stunde lang. Wenn ich mich für Politik interessiere oder für Rezo, dann schaue ich mir das natürlich an. Von Anfang bis Ende. Interessiere ich mich für Lego, dann habe ich Youtube-Kanäle zu diesen Themen abonniert und werde mir Livestreams anschauen, in denen Leute Lego-Sets zusammenbauen. Komplette drei oder vier Stunden lang. - Ja, gibt es. Natürlich gibt es die. Wir sind im Jahr 2021, da gibts fast alles irgendwie im Netz. Aber je nachdem in welcher Situation ich mich befinde und welche Interessen ich habe, ändert sich auch meine Aufmerksamkeitsspanne. Und das muss man beim Texten, beim Bespielen der Kanäle berücksichtigen. Wir hätten nur zu gern das Schema F als Antwort, aber das gibt es halt nicht. 

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