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Es war einmal: Pratchetts Hexen außer Landes

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneEs war einmal
Pratchetts Hexen außer Landes

Es waren einmal drei gute Feen … Entschuldigung … drei gute Hexen, von denen eine unversehens zur Guten Fee wurde. Also eigentlich erbte sie nur den Zauberstab und den Auftrag, eine Hochzeit … zu verhindern.

Na gut, na schön, der Titel der Kolumne verrät es ja sowieso den Eingeweihten: Wir befinden uns in den Universum, das von Narrativum gesteuert wird.

Der Welt, die auf dem Rücken von vier Elefanten, die wiederum auf einer Schildkröte stehen, durch das All getragen wird. Kurz: Es ist die Scheibenwelt. Der insgesamt zwölfte Roman von Terry Pratchetts Opus, in dem die Hexen nach den Ereignissen von McBest Lancre verlassen und nach Gennua reisen. Was für die Hexen eine aufregendes Reise ist  und Nanny Ogg mit ihren Fremdsprachen-Kenntnissen glänzen kann. Abgesehen mal davon, dass eine kleine südländisch anmutende Stadt nach dem Besuch der Hexen ein Blumenfestival einführen wird anstatt irgendwas mit Milch.

„Witcher Abroad“ versetzt das Trio Magnat, Nanny und Granny in ein Märchen. Allerdings ist es ein Märchen, dass von der bösen Lilith annektiert wurde. Deren Vorstellungen von Märchenwelten bestehen aus dem, was wir allgemein von Märchen kennen: Lustige Spielzeugmacher pfeifen und erzählen Geschichten, Köchinnen sind immer beschäftigt, das Aschenputtel leidet unter ihren Stiefschwestern und wird am Ende mit dem Prinzen verheiratet. Lilith besteht auf ein Happy-End. Auch, wenn sie das mit unlauteren Mitteln herbeizaubern muss. Wobei Lilith Menschen Geschichten aufzwingt. Was etwas Anderes ist, als wenn das Narrativum der Scheibenwelt nach den losen Anfängen einer Geschichte greift und daraus eine Geschichte strickt. Wobei Pratchett nie so recht definiert hat, wie Narrativum funktioniert. Es ist einfach da, ein weiteres Element der Scheibenwelt und es wirkt. Mehr muss man offenbar nicht wissen.

Dass Pratchett sich munter an Motiven aus den bekannten Märchen bedient - vergessen wir nicht den Gastauftritt von Gollum - ist offensichtlich. Weniger offensichtlich ist die Frage: Was will Pratchett eigentlich erzählen? Schließlich steckt hinter all dem Humor und der Satire immer eine tiefergehende Absicht - wenn ich sie persönlich beim Fünften Elefanten nie so ganz ergründen konnte. Ich habe mich ja auch schon mal mit Moist von Lipwig - Feucht von Lipwig - eingehender beschäftigt. So intensiv wird es diesmal nicht, denn wenn wir als Leser*in am Ende des Romans angelangt sind, ist die Absicht von Pratchett bis dahin ziemlich klargelegt worden.

Die Frage, die Pratchett erörtert, beschäftigt uns Menschen schon seit Ewigkeiten. Ist das Schicksal etwas, was einmal für uns gestgelegt wird? Gibt es einen großen Plan, der über Allem steht und der gnadenlos befolgt wird? Das wäre die Ansicht von Lilith. Sie bedient sich der Märchen als sinnstiftende Erzählungen, in dem Jede*r seine*n Platz hat. Wenn du Köchin bist, dann sieht das Schicksal für dich vermutlich nicht den Aufstieg in die Adelsklasse vor. Wenn diu eine Prinzessin bist, wird dir nichts Anderes übrig bleiben als den Prinzen zu heiraten. Das Happy-End ist vorprogrammiert. Ebenso wie das Unlucky-End. Zwar kann ein Frosch in einem Märchen durchaus ein Prinz sein. Allerdings ist das in diesem Roman ja etwas umgekehrt: Am Anfang war der Frosch, der durch den Kuss zur richtigen Zeit zum Prinzen werden soll. Dass das Paar dann unter Liliths Einfluss steht, die ihr Märchenreich immer weiter ausdehnen wird, bis schließlich nur noch ihr Wille zählt …

Dagegen setzt Granny auf die Macht des freien Willens. Nichts und Niemand - außer TOD, okay - bestimmt, wie man sein Leben zu leben hat. Es gibt keinen Plan, alles ist Zufall. Was natürlich in einem Universum mit dem Element Narrativum ein bisschen - hmmm - schwierig ist. Denn wer weiß, ob nicht auch die angeblich freie Entscheidung schon in dem großen Geflecht der Geschichte und Geschichten eingeplant ist? Granny stemmt sich jedoch dagegen. Obwohl - mischt sie sich nicht auch öfters mal ein, wo sie eigentlich nichts zu suchen hat? Ist sie am Ende nicht auch genauso halsstarrig wie ihre Schwester? Die Familienähnlichkeit ist jedenfalls vorhanden. Aber Granny greift nicht ein, um irgendwelche in ihrem Gehirn ausgebrüteten Pläne umzusetzen sondern um den Menschen zu helfen. Lilith kontrolliert und manipuliert und ja - auch Esme Wetterwachs ist nicht unanfällig gegenüber den Familiengenen. Dennoch: Wenn am Ende des Romans die Prinzessin aus ihrer Rolle fällt, dann ist es sie, die sie darin bestätigt: Du kannst jetzt sein, was du willst. Du kannst tun, was du möchtest, du bist frei. Frei vom Aschenputtel-Dasein - frei auch von den Erwartungen Anderer. Granny warnt Frau Gogol auch ausdrücklich davor sich nach Mitternacht in die Geschehnisse einzumischen. Was Frau Gogol akzeptiert.

Wobei: „Witcher Abroad“ ist natürlich ein Pratchett, der von Einfällen nur so wimmelt - und von Anspielungen. Vor allem neben den Grimmschen Märchen auch auf den Herrn der Ringe. Klar, die eine Szene mit einem Wesen, dass irgendwas von seinem Geburtstag murmelt. Aber auch schon vorher: Unsichtbare Runen an der Tür von Zwergen - ein Weg, der unterirdisch verläuft - die Reise auf einem Boot … Pratchett hat es sichtlich Spaß gemacht hier mal die Hohe Fantasy liebevoll durch den Kakao zu ziehen. Er besieht sich zudem die Disney-Variante des Märchens und erheitert stellt man fest: Ja, natürlich macht eine Kutsche aus einem Kürbis keinen Sinn. Aber wir sind ja in einem Universum der Magie und des Narrativums. Und das Finale des Romans geht einem so schnell nicht mehr aus Kopf. Wobei: Ist ein Spiegel nicht in einem anderem Märchen irgendwie - wichtig?

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