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Dr. Seuss, Kermit und die Frage nach dem Kulturproblem

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDr. Seuss, Kermit ...
... und die Frage nach dem Kulturproblem

Es ist eine heikle Frage: Wie geht man mit etwas um, was zu seiner Zeit in Ordnung war, aber heutzutage nicht mehr dem Verständnis unserer Kultur entspricht?

Die Frage entzündete sich bei uns unter anderem an Pippi Langstrumpf und dem N-Wort oder sogar bei der kleinen Hexe.

Während es hier allerdings eher um die Frage ging, ob man das Recht hat nachträglich in den Text eines Autors einzugreifen und aus dem N-König einen Südseekönig zu machen, ist das bei der aktuellen Diskussion um die Muppet-Show und Dr. Seuss etwas anders. Warnhinweise auf der einen Seite, auf der anderen werden Bücher komplett aus dem Programm genommen.

Schnell sind die Stimmen laut, die etwas von Cancel-Culture fasern, die darauf bestehen, dass man ja wohl so etwas noch sagen können würde. Man könne doch nicht Dr. Seuss, ausgerechnet Dr. Seuss, dem charmant anarchistischem Kinderbuch-Autor verbieten. Das geht nicht. Dass schon ganz  andere Bücher in den USA auf dem Index von Schulbibliotheken stehen und standen - darunter so etwas wie Tom Sawyer oder Harry Potter - wird geflissentlich übersehen. Dass das nun auch nicht unbedingt besser ist, soll hier ja auch nicht behauptet werden. Im Gegenteil geht es nicht darum Dr. Seuss zu verbieten. Und es hat auch niemand getan. Es ist nur so, dass die Erben und der Verlag sich einige Bücher von ihm angesehen haben und entschieden: Das geht heutzutage nicht mehr. Diese Illustrationen können wir Kindern heute nicht mehr zumuten, denn sie sind schlicht und einfach problematisch. Oder: Rassistisch.

Vielleicht können wir das nicht so ganz nachvollziehen, weil die sechs Bücher - „And to Think That I Saw It on Mulberry Street“, „If I Ran the Zoo“, „McElligot’s Pool“, „On Beyond Zebra!“, „Scrambled Eggs Super!“ und „The Cat’s Quizzer“ - bei uns offenbar nicht übersetzt worden sind. Wir sehen also im wahrsten Sinne des Wortes hier das Problem eher nicht unbedingt. Obwohl einige Beispiele, die in den betreffenden Artikeln zu finden sind - darunter die Abbildung eines stereotypen Chinesen mit spitzem Hut, gelber Hautfarbe, dem üblichem Bart und den schrägen Gesichtszügen - schon ahnen lassen, dass da einige Darstellungen im Argen liegen. Und es ist immer zu begrüßen, wenn ein Verlag, ein*e Autor*in oder deren Erben sich dazu entscheiden: Okay, das können wir heute nicht mehr machen. Wir können keine Stereotypen unseren Kindern zumuten, wir wollen keinen Rassismus im Kinderzimmer. Egal, ob er nett verpackt daherkommt oder nicht.

Was bei Medien für Erwachsene in einigen Fällen selbstverständlich ist - bis heute haben wir „Jud Süß“ zurecht in die Giftkammer gesteckt - scheinen wir bei Kinderliteratur und -programmen immer wieder neu verhandeln zu müssen. Das ist gut so. Wir können nicht Stereotype, zu denen auch fettphobische Darstellungen gehören, einfach so unkommentiert stehen lassen. Und wir müssen uns entscheiden: Setzen wir uns mit den Kindern hin und erklären, warum die Darstellung problematisch ist? Das scheint ja doch ab und an etliche Eltern arg zu überfordern. Setzen wir Fussnoten in den Text, damit die Kinder später beim eigenen Lesen auf den Umstand aufmerksam gemacht werden, dass das damals zwar okay, heute aber eher problematisch ist? Oder nehmen wir Dinge direkt vom Markt, wenn sie wirklich zutiefst problematisch sind?

Disney+ und Warner Brothers lösen das Problem, in dem sie vorab feststellen lassen, dass Dinge nicht so okay sind. Bei Warner Brothers hat niemand Geringeres als Whoopi Goldberg bei den alten Tom-und-Jerry-Cartoons einige Worte zur Figur der Missus verloren. Wer sich nicht erinnern kann: Das ist die eindeutig schwarze Hausangestellte, die in den früheren Cartoons auftaucht und sehr typisch als Schwarze gekennzeichnet ist. Disney hat ebenfalls für das Angebot auf Disney+ Warnhinweise installiert. „Dumbo“ zum Beispiel ist wegen der Krähen problematisch … wobei Disney auch bekanntlich „Song of the South“ wohlweislich nicht zum Streamen zur Verfügung stellt.

Warum Disney jetzt zum Start der Muppet-Show - vorerst nur in den USA zugänglich - Warnhinweise vorab zeigt … vielleicht ist es die nicht mitgelieferte Erklärung, die in einigen Folgen Kopfzerbrechen bereitet. Ja, Johnny Cash singt in einer Folge vor der Flagge der Konföderierten. Das kann nach dem Sturm auf das Kapitol sicherlich problematisch sein, aber ob Kinder da den Subtext mitbekommen? Vermutlich werden die eher nachschlagen müssen, wer Johnny Cash ist … oder einer der anderen Gaststars der Muppet-Show. Ich jedenfalls muss das ab und an. Da Disney sich dazu nicht äußert, bleibt die Frage in der Luft hängen: Warum die Warnhinweise bei einigen Folgen? Sind die überhaupt bei der harmlosen Muppet-Show nötig?

Wenn Peter Sellers als Roma oder Sinti auftritt - mit entsprechendem Make-Up übrigens, da musste ich wirklich etwas zucken - dann repetiert die Muppet-Show hier eine Vorstellung, die - wenn sie nicht mit den Kindern besprochen wird - schnell in das Bewußtsein sickert. Diese Vorstellung, dass jemand ganz genau so sein muss, wie man ihn darstellt ist immer problematisch. Hinzuweisen wäre an dieser Stelle auch auf all die dick-dummen Charaktere in Sitcoms oder etwa „Fat Monica“. Sinti und Roma trällern eben nicht dauernd in farbenfrohen Kostümen um die Wette und davon, wie schön doch das Leben sei. Das ist es nämlich nicht, weil Sinti und Roma immer noch unterdrückt und scheel angesehen werden. Nicht jeder Dicke ist lustig und gemütlich. Sobald wir anfangen Muster auf Menschen zu stülpen haben wir definitiv ein Problem. Auch bei der sonst harmlosen Muppet-Show.

Immerhin ist das Aufweisen besser als das klammheimliche Rausschneiden oder Bearbeiten und sich hinstellen, als wäre nichts gewesen. Deswegen ist das Eingreifen in den Text von Pippi Langstrumpf vielleicht in bester Absicht geschehen, aber sofern hier keine Fussnote, eine Erklärung zumindest für die Erwachsenen gesetzt wird - oder für die späteren etwas größeren Kinder - dann ist es nicht unbedingt zu begrüßen. Ein Kommentar ist immer besser als eine Umarbeitung und das Verschweigen der Problematik. Ebenso ist die Frage, was wir mit der Augsburger-Puppenkisten-Fassung von Michael Endes Jim Knopf anfangen sollen. Das N-Wort wird dort selbstverständlich genutzt. Ob auf neueren DVD-Versionen des Stoffes da gepiept wird? In der Buchfassung ist auch das schon bearbeitet.

Es ist allerdings auch die Aufgabe der Eltern sich wenigstens ab und an mal damit zu befassen, was die Kinder und Jugendlichen so konsumieren. Und dann eingreifend zu erklären: Ja, das hat man früher so gesagt, aber das ist nicht mehr okay, weil … Das wäre natürlich immer die beste Lösung: Mit den Kindern über Dinge reden, die heute nicht mehr in Ordnung sind. Egal ob das Chinesen mit ewig lächelndem Gesicht und langen Bärten sind - ja, ich sehe dich auch an Lucky Luke - oder ob es der dicke Bergsteiger ist, der nun wirklich unbedingt Hilfe von den schlanken Menschen um ihn rum braucht. 

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