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Petscope: Atmosphäre versus Plot

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-Kolumne»Petscope«
Atmosphäre versus Plot

Let’s-Plays - die Zuschauenden sehen Jemanden zu, der ein Computerspiel spielt. Für manche stellt sich die Frage: Warum?, für Andere wiederum ist es eine Möglichkeit ein Spiel sozusagen zu testen, bevor man es sich letztendlich selbst kauft. Und für Paul ist das Aufzeichnen des Spiels #Petscope erstmal ein Beweis dafür, dass er gegenüber seinem Freund - seiner Freundin? - nicht gelogen hat. Jedoch: Irgendwann ahnen wir Zuschauenden, dass es hier um mehr geht als nur darum Puzzle zu lösen und sogenannte Pets - Haustiere - zu fangen.

Petscope ist - so stellt sich schnell heraus - Unfiktion. Eine Spielart der Fiktion, die vorgibt im realen Leben zu spielen und mit konkreten Erlebnissen zu hantieren. Meistens ist Unfiktion eng verbunden mit dem Begriff des ARG, des Alternative-Reality-Games. Diese Aspekte des Informationenverteilens über diverse Accounts im Internet, Einträge in Blogs, Twitter-Accounts der Protagonisten etwa fehlen Petscope. Wer bei YouTube sich die die Serie anschaut, hat eigentlich alles, was er braucht. Wobei da durchaus schon Monate zwischen den Uploads vergehen konnten.

Petscopes Handlung entfaltete sich während der Laufzeit daher langsam. Und weil die Pausen zwischen den Episoden so lang waren, setzten sich natürlich Leute im Internet mit dem Ganzen auseinander. Das offizielle Reddit zur Serie füllte sich während der Laufzeit mit den wildesten Spekulationen und Theorien. Jede Kleinigkeit wurde auseinandergenommen. Letztendlich wartete alles auf das Ende der Serie.

Der Plot bei Petscope ist nicht so einfach nachzuvollziehen, was - so der Macher in dem einzigen Interview mit ihm - auch durchaus gewollt ist. Es beginnt mit Paul, der das PSOne-Spiel Petscope findet oder geschenkt bekommt. Offenbar ein Spiel, das nicht ganz fertig geworden ist und sich zuerst als niedliches Puzzle-und-Kreaturen-fangen-Abenteuer beginnt. Nach und nach aber stellt sich heraus, dass dieses Spiel irgendwie mit Pauls Familie zu tun hat. Rainer, der Spieleprogrammierer, scheint das Spiel für Jemanden namens Marvin programmiert zu haben. Marvin wiederum scheint offenbar an einem Verbrechen beiliegt zu sein, jedenfalls hat er irgendwann mal seine eigene Tochter entführt und versucht, deren Persönlichkeit umzuprogrammieren. Paul findet heraus: Die im Spiel vorhandenen Orte gibt es wirklich. Was mit ihm passiert, als er diese untersucht bleibt im Dunkeln. In den Uploads des Spiels scheint es jedoch eine Art von Happy-End zu geben - allerdings ist der Großteil immer noch in Fragezeichen gehüllt.

Was letztendlich die Reddit-Fangemeinde enttäuschte: Petscope bietet keine endgültigen Antworten. Das hat es mit «Lost» gemeinsam. All die vielen Theorien und Spekulationen, all die  Zeit des Rätselratens sind letzten Endes umsonst gewesen. Gewissheiten bietet Petscope nicht, Antworten auf Fragen liefert das Finale nicht. Gewiss ist nur, dass die Themen sich um Identität und Kindesmissbrauch drehen. Schon durchaus harter Stoff. Letzten Endes jedoch muss Jede*r selber seine Schlüsse aus dem Ganzen ziehen.

Vielleicht ist gerade das Vage dafür zuständig, dass bewußt auch Surreale, das an Petscope fesselt. Windmühlen tauchen als Motiv auf, es gibt eine Person, die irgendwie drei Zustände hat, Controller-Eingaben werden in Sprache umgewandelt, Buchstabenwürfel, seltsame Zeichen … das fasziniert auf der einen Seite, erzeugt aber auch auf der anderen Seite ein Gefühl der Verwirrung. Dennoch folgen wir Paul oder wer auch immer gerade das Spiel spielt in den Kaninchenbau. Was auch mit dem Soundtrack zu tun hat, der relativ selten eingesetzt wird. Meistens hören wir die üblichen Geräusche von Spielen: Hüpfgeräusche, Fanfaren, wenn ein Pet gefangen wurde, Kling, Ring, Pling … Meistens herrscht allerdings Stille. Dazu die Dunkelheit, die Spielfigur wird häufig nur durch einen Scheinwerfer angeleuchtet. Der Rest ist nicht sehbar. Damit auch erst erlebbar, wenn der Spieler an den gewissen Punkt ankommt.

Wir befinden uns im Ungewissen. Unbekanntes und unerforschtes Terrain. Geheimnisvoll und mysteriös die Umgebung. Petscope verquickt das angebliche Reale mit dem Computerspiel. Dabei sind wir gezwungen, uns dem Tempo des Spielenden anzupassen. Wir erforschen zeitgleich mit ihm das Terrain. Zwar könnten wir vorspulen, ebenso wie wir im Buch vorblättern können, aber wir sind immer noch an die Perspektive des Spielenden gebunden.

Sich selber eine Bedeutung zu erschließen ist natürlich Arbeit. Petscope nimmt einem die Arbeit nicht ab. Vieles, was aufgeworfen wird, bleibt ungelöst. Ob das Ende einen befriedigt oder nicht - das hängt auch davon ab, ob man die Atmosphäre des Spiels mag. Letzten Endes ist Petscope sicherlich ein Meilenstein und ein Beispiel für gelungenes Erzählen im 21. Jahrhundert. Ich bin gespannt, wo und wie diese Einflüsse in Zukunft zu finden sein werden.

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