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Gesundheits-Challenges auf Instagram

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneGesundheits-Challenges auf Instagram

»Also ich mache jetzt die Veganuary-Challenge mit, weil ich in meinem Kochverhalten angestaubt bin.« - »Dreißig Tage Burpee-Challenge? Wer macht mit?« - »Detox-Challenge! Jetzt entgiften!« - »Schließ dich an: Nutriscore-Challenge. Weil deine Gesundheit es dir wert sein sollte.«  Preisfrage: Welche von diesen vier Herausforderungen ist erfunden? So einfach ist das gar nicht zu beantworten, schließlich sind auf Instagram einem schon so sämtliche Herausforderungen über den Weg gelaufen, die man sich nur denken kann.

Da es aber zum Zeitpunkt der Kolumne Jahresanfang ist, ist das Aufgebot der Diätkultur natürlich enorm. Überall tönt es, man müsse unbedingt die Weihnachtskilos abhungern. Und wenn nicht die, dann wenigstens frisch ins neue Jahr starten, paar Kilo weniger bis zum Sommer. Dann hat man den idealen Strandkörper. Ich bin da eher pragmatisch: Da ist der Strand, ich habe einen Körper - ich habe einen Strandkörper. Punkt.

Challengens gehören zum Repertoire von Social-Media einfach dazu. Das hat was damit zu tun, dass wir auch auf Social-Media uns gerne dem Gruppendruck ergeben. In der Hoffnung, dass wenn wir etwas nicht alleine schaffen es wenigstens virtuell in einer Gruppe gebacken kriegen. Wir freuen uns geradezu über den Gruppendruck, der so ausgeführt wird. Denn sonst sind wir ja wie die Fetten: Faul, unverantwortlich, nicht für uns sorgend. Nein, das wollen wir natürlich nicht sein, davon müssen wir abgrenzen, also beteiligen wir uns an Gesundheits-Challenges. Weil wir es uns wert sein möchten oder sollen. Die Frage, die wir uns dann selten stellen ist: Wer redet uns eigentlich ein, dass wir sowas tun müssen? Unser Hausarzt kann es ja eher nicht sein.

Vermutlich ist es ein*e Influencer*in, die uns zu irgendwelchen Aktionen überredet. Ob diese Influencer*innen ausgesprochene Fachkräfte im Bereich der Gesundheit sind - wer fragt schon danach. Wir kennen das vielleicht noch aus Jugendtagen: Solange das angehimmelte Sternchen - ob Pop, Sport oder sonstwas - DIESE Sneaker, DIESE Hose oder JENE Jacke trägt, ist das ausgesprochen cool und trendy. Wehe, man hat das nicht im Schrank, schon ist man out. Dass wir uns als Erwachsene weiterentwickelt haben sollten und nicht ungefragt irgendwas nachmachen müssen … Nun, nicht Jede*r scheint diese Erkenntnis für sich gewonnen zu haben. Dementsprechend wird bei Herausforderungen auf Instagram auch in der Regel nicht nachgeforscht, ob der oder die Veranstalter*innen Experten*innen im Fachgebiet der Gesundheit sind. Wenn jemand viele Follower hat, dann muss da doch Expertise vorhanden sein. Dass sich Milliarden von Menschen sehr wohl irren können, hat die Geschichte des öfteren gezeigt.

Dabei wird dann auch kaum hinterfragt wie nachhaltig solche Challenges eigentlich sind. Klar, es ist schön, wenn jemand dreißig Tage Gewichte stemmt oder das macht, was sich als Burpee bezeichnet. - Ich musste das auch erstmal googeln, um zu entscheiden, dass das definitiv nicht meine Tasse Heißgetränk ist. Sicherlich ist das auch schön fürs Selbstbewusstsein: Ich habe es geschafft. Ich kann ja doch was bis zum Ende durchhalten. Ich bin willensstark. Dass dann später auch die neugewonnenen Aktivitäten in den Alltag übernommen werden, wenn kein Druck dahinter ist - dass ist vermutlich öfters der Fall. Da ich noch nie an irgendwelchen Challenges teilgenommen habe, einfach weil ich denn Sinn dahinter nicht einsehe, kann ich das nicht beurteilen. Was allerdings aus extrensischer Motivation begonnen wird, wird seltener durchgehalten als bei intrensischer. Sagt die Wissenschaft. Kann man an sich selbst mal überprüfen: Wenn ich etwas aus eigenem Antrieb tue, weil es Spaß macht, bleibe ich sicherlich länger dabei.

Im Endeffekt muss man festhalten: Wir folgen Influencer*innen, die eine bewußte Art der Inszenierung veranstalten, um vor uns selbst oder vor der Gruppe gut dazustehen. Nach dem Sport schwitzen sie kaum und die Haare sind immer tip-top. Sie tänzeln mit Leichtigkeit durch die Workouts. Generell gerne genommen: Die Farbe Weiß in ihren Videos. Oder wenigstens ein motivierendes Hintergrund-Bild, wenn sie dir erzählen, wie toll doch diese Challenge ist oder sein wird. Ständiges Lächeln. Positive Formulierungen: Diese Challenge ist kein Problem, sonst hieße sie ja so. Sie ist eine Herausforderung, die man willentlich eingeht. Was in diesem Fall übrigens auch sprach durchaus passt, entgegen dem Verschleiß des Wortes Herausforderung im Alltag. Überhaupt ist immer alles ganz einfach. Immer. Und wenn es schwierig wird, bist du das Problem. Pardon: Die Herausforderung. Dann bist du halt schuld. Und kannst dich zu den Kartoffel-Couch-Nasen begeben und dich damit völlig aufgeben. Aber das tun wir ja nicht, weil alles was schmerzt uns härter macht. Genau. Wenn ich Zahnschmerzen habe, machen die mich sicherlich auch stärker für irgendwas, zum Arzt muss ich trotz alle dem.

Wenn diese bewußte Art der Inszenierung durchaus die Ideale erfüllt, die die Gesellschaft an unsere Körper stellt um so besser.  Vor allem immer im Raum: Sei schlank. Werde schlank. Bleib schlank. Und natürlich dann: Es liegt nur an Dir. An deinem Verstand. Wenn du nur richtig handelst und uns alles nachmachst, bekommst du das Leben, das wir auf Instagram führen. Klar, wer hätte nicht gern Anerkennung? Wer hätte nicht gerne Ruhm? Herausforderungen bringen den: Wenn du konsequent genug durchziehst, dann hast du am Ende die Herzchen-Kommentare und Likes, die du verdienst. Alles auch ganz easy: Du musst ja nur wollen.

Dass wir wollen können und unser Körper dennoch macht, was er für richtig hält … kommt das zur Sprache? Die komplexen unterbewußten Dinge werden auf Instagram kaum angesprochen. Wer in der Kindheit schlechte Erfahrungen gesammelt hat, wird diese nicht auf einmal wieder los nur weil in einem IGTV ein Typ irgendwelche Challenges vormacht. Es wird jedoch von der Gesellschaft insgesamt vorausgesetzt, dass wir unseren Körper wie eine Maschine steuern können und alles nur eine Frage des Willens ist. Und ein Triumph des Willens ist am Ende die gewonnene Herausforderung. Von jetzt an kann ich auf alle herabsehen, die es nicht geschafft haben. Dass es Gründe gibt, warum Dinge nicht machbar sind und wir keine Maschinen sind, sollte seit Freud spätestens im Visier der eigenen Erkenntnis sein. Leider ist ja nur irgendwas mit Ödipus hängengeblieben.

Challenges werden von Leuten geplant und durchgeführt, die in der Regel wenig Ahnung vom Fachgebiet haben. Das macht Challenges auch so faszinierend: Wenn DIE das können, dann kann das Jeder. Leider aber denken wir alle, dass wir wissen was gesunde Ernährung ist. Oder gesunde Verhaltensweisen sind. Gesundheit ist aber ein individuelles Gut und eine sehr intime Geschichte. Einem Fremden vertraue ich kaum an, unter welchen Krankheiten ich neulich gelitten habe. Das tue ich nur bei guten Freunden. Genauso ist das, was ich esse nicht unbedingt für Jeden gesund. Milch für Laktoseintolerante - eher nicht so super. Darüber gehen die Challenges aber hinweg. Wenn jemand ausruft, er würde die nächsten dreißig Tage unter 800 Kalorien essen wollen - deutlich unter dem Grundumsatz - dann ist Der- oder Diejenige einfach bekloppt. Und gefährdet nicht nur seine Gesundheit sondern auch die von allen Anderen. Allerdings: Es gibt genügend Leute, die diese „Jumpstart to Skinny“-Diät als Challenge auf Instagram inszenieren. Natürlich mit Vorher-Nachher-Fotos.

Das nächste Mal, wenn uns jemand herausfordert sollten wir wenigstens nachschauen, ob der oder die auch kompetent ist und zudem sollten wir darüber nachdenken, wie förderlich eigentlich das Bestehen dieser Herausforderung wäre. Eine Challenge ist kein Mutprobe. Sollte sie zumindest nicht sein. Und gerade im Bereich der Gesundheit sollte man vorsichtig sein. - Ach so, was von den vier oben erwähnten Challenges erfunden ist? Gar nichts. Wer auf die Nutriscore-Challenge getippt hat: Die wird gerade von REWE auf Instagram heftig beworben …

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