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Die nicht-rosige Vergangenheit: Die Nachtwache von Terry Pratchett

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDie nicht-rosige Vergangenheit:
Die Nachtwache von Terry Pratchett

Es könnte sein, dass die kommende Pratchett-Serie ja ein veritabler Hit werden wird. Allerdings ist das Echo bisher eher ein ablehnendes »Och, nee«. Was, wie schon mal hier verhandelt wurde, eine Sache des Bildes ist, was man sich von Pratchetts Ankh-Morpork und der Scheibenwelt an sich macht. Allerdings sollte man bedenken: Wer sich »Die Nachtwache« von Pratchett aufschlägt - ein Charakter namens Carcer kommt in der TV-Adaption wohl vor - der könnte sich auch fragen, wohin er geraten ist. Wenn er es nicht direkt von Anfang an wüsste.

Da hat er dem Kommandeur Vimes einiges voraus. Denn gerade, als er sich daran macht den Kriminellen Carcer einzulochen trifft ihn ein Blitz und schleudert ihn durch das Dach der Bibliothek der Unseen University. Bekanntlich hat diese ein großes magisches Potential, weil Bücher die Realität immens verändern, auch wenn sie nur in Regalen sehen. Und durch den Blitz potenziert sich die Magie dann auch noch. So landen Vimes und Carcer in der Vergangenheit. Zu einer Zeit, in der Ankh-Morpork kein guter Ort ist.

Was man als Leser der Scheibenwelt-Romane auch wissen könnte, sofern man die Karriere von Kommissar Vimes verfolgt hat. Schließlich hat der eine - nun - nicht gerade bürgerliche hinter sich. Wenn da nicht zufälligerweise mal ein Drache gewesen wäre, der ihn zusammen mit Lady Sybil brachte und dann die anderen Ereignisse … Irgendwie ist Vimes in den Erfolg gestolpert. Gewisse Dinge aber - und das werden wir Leser nach und nach feststellen - lassen sich einfach nicht abschütteln. Sie sind tief in der Person verankert, auch Vimes wird das bemerken.

Zuerst aber gerät er mit der damaligen Nachtwache aneinander. Nicht gerade amüsiert landet er im Kerker, wird vor dem damaligem Captain zitiert - und kurze Zeit später sitzt er zusammen mit dem Mönch Sweeper - den kennen Pratchett-Leser aus dem Roman »Thief of Time« - auf einer Bank in einem Hinterhofgarten und versucht zu verstehen, was ihm erklärt wird.

Nein, auch wenn es so aussieht: Vimes wird nicht in einer Art Zeitschleife zu dem Mann, der ihn ausbildete - das wäre der Sargeant John Keel - auch, wenn das vermutlich die übliche Lösung von Romanschreibern wäre. Stattdessen ist es so, dass Sweeper nicht so ganz unschuldig an der Situation von Vimes ist. Momentan ist es also so: Es gibt eine Vergangenheit, in der Vimes von einem gewissen Keel ausgebildet wurde - es gibt das jetzt, in dem ein junger John Vimes gerade alles lernt, was er nicht lernen sollte, wenn er später der ältere Vimes werden möchte. Es gibt zwar eine Zukunft - aber es gibt zwei Vergangenheiten. Details werden sich ändern, ja, aber das Große Ganze an sich, die Zeit also, wird am Ende keinen großen Schaden nehmen.

Soweit die Prämisse des Romans, der einer der dunkelsten Scheibenweltromane Pratchetts ist. Denn es geht nicht nur um Carcer, den Vimes schnappen muss, damit die Vergangenheit sich nicht zu sehr verändert. Es geht um Ausgangssperren. Straßenunruhen. Ein Regime, dass sich gegen die Bürger richtet. Spitzel. Verschwörungen gegen den Patrizier Lord Winder - dessen Nachfahre Lord Snapcase wird dann dereinst von Lord Vetinari abgelöst werden.

Wie in einem Brennspiegel konzentriert sich Pratchett hier auf die Dinge, die passieren, wenn die Regierung den Bürgern misstraut. Wenn Lord Winder überall Verschwörungen wittert, dann ist es kein Wunder, dass es auch Verschwörungen geben wird. Zudem: Wer eine Art von Gestapo gründet - the Particulars - und diese gewähren lässt, der läuft bald Gefahr von einer Rebellion überrollt zu werden. Und genau das passiert ja dann auch - mit Vimes mitendrin.

Vimes, der zu Beginn des Romans amtsmüde ist, weil so vieles, was er momentan zu tun hat nur noch reine Bürokratie ist. Vimes, der sich danach sehnt wieder auf Streife zu gehen. Kriminell auf frischer Tat zu ertappen. Und ja, wie er dem Sweeper später gesteht: Zu Beginn ist es auch für ihn wie ein spaßiger Urlaub. Ja, da ist natürlich der kommende Aufstand, aber in erster Linie ist das Morgenluft für Vimes.

Aber nach und nach schwankt alles um ihn herum. Ist das, woran er sich erinnert, auch wirklich real? Gibt es irgendwo einen Carrot, Detritus, seine in den Wehen liegende Frau Sybil? Wer zu sehr in der eigenen Vergangenheit aufgeht, der verliert die Zukunft aus den Augen. Vor allem: Wäre es nicht doch besser zu bleiben, die Dinge wirklich zu regeln und die Nachtwache zu einer schlagkräftigen Truppe zu machen?

Eine Versuchung, die Vimes schließlich ablehnt: Lord Snapcase wird kein wesentlich besserer Patrizier werden als Lord Winder momentan ist. Die Zukunft, das wird Vimes nach und nach klar, ist ein Ankh-Morpork, dass unter Lord Vetinari wie eine Maschine funktionert. Zwar eine Maschine mit Fehlern. Aber eine Maschine, in der eine Gesellschaft existieren kann, die vielleicht nicht unbedingt demokratische Grundwerte besitzt - denn die Revolution findet halt am Ende zwar statt, aber nicht konsequent. Aber eine Gesellschaft, in der ein Verbrecher einen fairen Prozeß bekommt. Für den Vimes am Ende sorgen wird.

»Die Nachtwache« führt nicht nur Vimes, sondern auch den Leser zurück in die Anfangszeiten der Scheibenwelt. Vielleicht etwas inkonsequent, die Tonart der frühen Romane ist ja eher noch sehr karikaturenhaft übertrieben. Allerdings zeigt er die Umgebung, in der Vimes aufwuchs, zeigt, wie sehr ihn diese Umgebung prägte - nicht zu Unrecht wird er in einem anderem Roman als <zynischer Bastard> bezeichnet. Der Roman zeigt allerdings auch, dass Vimes eigentlich kein so schlechter Kerl ist. Sondern einfach nur ein zynischer Bastard mit genügend Erfahrung auf der Straße und einem recht pragmatischem Blick auf die Menschheit. Und so kennen und lieben wir ihn halt, diesen zynischen, herzigen Bastard.

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