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Das Digitale Erbe: Was wäre wenn...

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDas Digitale Erbe:
Was wäre wenn...

Nehmen wir einmal an das Recht auf Digitale Souveränität hätte sich komplett durchgesetzt. Die Unmengen an Nachrichten, Mails, Telefonaten, alle jemals besuchten Webseiten - all das könnte man als Einzelperson entweder für sich alleine oder dank einer Stiftung irgendwo in einem Datencenter ablegen. Ob das jetzt in Echtzeit gespeichert wird oder einmal die Woche lassen wir mal undefiniert.

Aber stellen wir uns mal vor, dass wir endlich im Besitz auch der Daten wären, die wir bei Facebook und Co. eingegeben haben, dass alle unsere Photos bei Flickr in Kopie bei uns liegen würden.

Der Traum der Datenschützer wäre also endlich erfüllt und wir alle hätten unsere Daten auf der Hand oder auf etlichen Festplatten oder in einer Cloud oder bei jemanden liegen, den wir als vertrauenswürdig erfunden hatten. Stellen wir uns mal weiterhin vor, das Ganze wäre schon eine Generation alt und unsere Eltern hätten das alles längst gemacht. Eines Tages steht dann der Rettungssanitäter oder der Polizist vor unserer Tür und unterrichtet uns so geschickt wie möglich davon, dass es da einen Unfall gegeben hätte... Unsere Eltern sind tot. Nachdem wir erstmal den Schock verdaut haben und alles für die körperliche Beisetzung geregelt haben überreicht der Notar oder wer auch immer die Aufsicht über die Daten der Eltern hatte uns die endgültige Vollmacht. Wir stehen damit vor einem ganzen Datenberg, einem ganzen Leben. Was tun wir damit?

Wir haben Zugriff auf alles, was die Eltern jemals digital getan haben. Auf jede Nachricht. Jedes Telefongespräch. Jedes Bild, was hochgeladen wurde. Jedes Mail, die geschrieben wurde. Ein ganzes Datenleben liegt vor uns, wir könnten zu jedem Zeitpunkt an einen bestimmten Tag des Lebens unserer Eltern springen und schauen, was sie online getan haben. Das sind Kleinigkeiten wie Bestellungen bei großen Versandhäusern, das sind intime Einblicke wie die Liebesbriefe zwischen den Beiden, die Auseinandersetzungen und Streits, Kinobesuche - alles liegt wie ein Panorama vor uns. Wir müssten nur an die Auswertung der Daten gehen.

Endlich könnten wir nämlich feststellen, ob unsere Eltern unsere Freundin doch nicht so gemocht haben, wie sie behaupteten. Schließlich gibts Firmen, die Tonaufnahmen auswerten können und die Stimme verrät mehr als man denkt. Wir könnten in den Daten herumschnüffeln wie es uns beliebt. Wir könnten das Bild, das wir von unseren Eltern hatten entweder mit Facetten ergänzen oder ganz zerstören. Wenn wir Zugriff auf alle Daten unserer Vorfahren hätten - auf alles, was digital vonstatten gegangen ist - wie würde das unsere Gesellschaft verändern?

Datensätze sind Gold wert. Nicht nur für die Wissenschaft, die einen potentiellen Zugriff auf Schlafperioden-Daten oder Ernährungstagebücher besäße. Wer länger schläft ist leistungsfähiger? Dann wird das demnächst als Standard propagiert werden, weil die ganzen Datensätze das halt zeigen. Wer ein optimales Leben geführt hat, dessen Daten sind Gold wert für Versicherungen. Wer demnächst also nicht täglich eine halbe Stunde Sport treibt - weil das ja erwiesenermaßen durch die Datensätze gesund erhält - bekommt dann halt seine Prämie gestrichen. Für das Wohl des eigenen Körpers sollte man ja schon was tun, nicht wahr? Man bräuchte den Erben nur einen großen Geldbetrag oder andere Vorteile anbieten, schon wäre man im Besitz von wertvollen Daten, die die Industrie voranbringen würde. Viva la Evolution.

Abgesehen mal von den Fieberträumen, die Werbetreibende und der Handel bekommen würden. Statt lästiger Konsumentenbefragungen kann man direkt in die Daten rein und schauen, warum der Kunde ausgerechnet dieses Produkt zu diesem Zeitpunkt gekauft hat. Dass Regenschirme sich bei schlechtem Wetter besser verkaufen als sonst ist logisch, aber man kann jetzt dank der Datensätze viel tiefer und viel weiter gehen. Verbindungen und Verknüpfungen sind sichtbar. Vielleicht ist nicht unbedingt sichtbar wann wer welche Werbung gesehen hat, aber wenn der Handel genauso intensiv seine eigenen Daten speichert, dann kann man durchaus nachsehen wann ein gewisser Spot lief und ob dieser Spot dann das Kauverhalten generell beeinflusst hat. Die Auswertung von Big Data wird sich in den nächsten Jahren gewiss noch verbessern.

Und welche Partei würde nicht alles dafür geben, um die Wähle noch ein wenig besser zu verstehen? Unmengen von Datenspezialisten könnten die Profile durchleuchten, könnten besser nachvollziehen, warum welche Entscheidung von den Bürgern besser oder schlechter angenommen wurde. Sofern der Erbe den Parteien vertraut, aber wenn wir ehrlich sind: Wer enthusiastisch einer gewissen Partei angehört, der wird sicherlich auch das Beste für seine Partei wollen.

Es wird vermutlich aber dann auch diejenigen geben, die die ererbten Daten einfach löschen werden. Weil es sie nicht interessiert, was die Eltern online getrieben haben, weil es für sie auch keinen Sinn macht in Daten zu stochern, die für die Zeit mit Mama und Papa nur zu einem Teil definiert haben. Vielleicht wäre das auch die bessere Option. Doch: Wenn wir das Recht auf Digitale Souveränität wirklich so weit durchbekommen hätten, dass selbst Facebook und Amazon sich beugen müssten - was würden wir dann mit den Daten anstellen? Sie gegen eine lebenslange kostenlose Privatversicherungsoption eintauschen? Oder dem Handel für Prämien zur Verfügung stellen? Gute Frage.

Kommentare  

#1 Kaffee-Charly 2018-11-30 23:22
Mittlerweile muss man sich ja tatsächlich Gedanken über sein digitales Erbe machen und sich überlegen, wem man seine Anmelde-Daten (Nutzernamen und Passworte) im Falle des Ablebens überlassen will.
#2 Harantor 2018-11-30 23:44
In der Tat ist das digitale Erbe etwas Wichtiges. Man muss sicha uch Gedanken um den Zauberspiegel machen. Was passiert wenn Bettina und ich plötzlich abtreten. Ich denke, wir da Vorkehrungen treffen müssen
#3 Kaffee-Charly 2018-12-01 20:03
Auch als Selfpublisher muss man sich inzwischen eingehend mit diesem Thema beschäftigen.
Es reicht ja nicht, die Rechte an den eigenen Werken an seine Erben weiterzugeben.
Die Erben müssen auch Zugriff auf die Accounts bei Amazon-KDP, Tolino-Media und anderen Distributoren haben. Sonst werden sie mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Vor dem digitalen Zeitalter brauchte man sich darum keine Gedanken machen, aber das hat sich inzwischen grundlegend geändert.

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