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Spaced: Von der Kunst ein erwachsener Nerd zu werden

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneSpaced:
Von der Kunst ein erwachsener Nerd zu werden

Da sitzen sie: Er, Comic-Künstler vor dem Durchbruch - vermutlich - und nebenbei im einem Comic-Laden arbeitend. Sie, fest entschlossen Autorin zu werden - also irgendwann.

Beide Ende Dreißig. Beide momentan auf der Suche nach einer Bleibe, weil der jeweilige Freund, die jeweilige Freundin den Anderen rausgeworfen hat.

So sitzen sie also im Cafe, durchforsten den Wohnungsmarkt und wenn diese perfekte Wohnung nicht ausgerechnet nur für Paare ausgeschrieben wäre... Moment mal...

In zwei Staffeln dreht sich "Spaced" - Regie: Edgar Wright, Drehbücher: Simon Pegg und Jessica Hynes, beide spielen auch die Hauptrollen - um das Vorspielen falscher Tatsachen genauso wie um die Midlifecrisis, Jar Jar Binks, Buffy, Kunst und Beziehungen. Wobei: Taucht das Thema der vorgespielten Paaresbeziehung in den ersten Folgen von "Spaced" noch gelegentlich auf, verschiebt sich der Fokus allmählich auf die Beziehung zwischen Tim Bisley, von Simon Pegg gespielt, und Daisy Steiner, dargestellt von Jessica Hynes. Was zuerst nur vorgespielt ist - einschließlich von künstlichen Sexgeräuschen - wird im Laufe der ersten Staffel zu einer echten Beziehung, die dann in der zweiten Staffel auf die Probe gestellt wird.

So weit, so nichts Neues. Das Schema kennen wir Zuschauer*innen schon seit Urzeiten. Die Sitcom lebt davon, dass sie Charaktere und ihre Beziehungen vorstellt, die Charaktere in Situationen wirft, die gemeistert werden müssen. Dabei können das wirkliche oder eingebildete Katastrophen sein. Am Ende haben im günstigsten Fall wie in "Full House" oder "Alf" oder "Prince of Bel Air" die Charaktere etwas gelernt, der Zuschauer, die Zuschauerin bekommt die Moral der Folge auf dem Silbertablett serviert und alles ist am Ende so harmonisch, wie es zu Beginn der Folge war.

Es gibt natürlich Ausnahmen - am Ende einer Folge von "Married With Children" lernt der Zuschauer, die Zuschauerin nur, dass Al Bundy nie im Leben zu den Gewinnern der Lebenslotterie zählen wird. Am Ende einer "Seinfeld"-Folge hat der Zuschauer, die Zuschauerin noch nicht einmal irgendeine Moral, die man für sich ableiten könnte. Zwar ist die Ära der demonstrierten Sitcom auch wieder vorbei.

In unseren Zeiten können wir uns als Zuschauer*innen zwar auch über Meta-Ebenen freuen, "How I Met Your Mother" treibt das bisweilen arg auf die Spitze. Wir können das sogenannte ironische Fernsehverhalten einnehmen und alles mit einem Lächeln bedenken. Die Sitcom ist jedoch ein sehr konservatives Format, das Werte vermittelt. Auch wenn bisweilen die Sitcom-Formel subversiv angewendet wird, um gerade über Werte zu debattieren - was übrigens ausgerechnet der BR-Produktion "Das Institut" gelang, die allerdings kaum jemand zu Gesicht bekommen haben dürfte dank der späten Sendezeit.

Auch "Spaced" ist natürlich nicht frei davon Werte zu vermitteln. Doch gibt es keine Moral-der-Woche, die man perfekt zusammengeschnürt als Paket mit nach Hause nehmen kann. Und es geht auch nicht um die Frage, ob Tim und Daisy wirklich ein Paar werden - dazu müsste der Handlungsfaden in den einzelnen Folgen sicherlich straffer gespannt worden sein. Es geht, da ist "Spaced" der "Big Bang Theory" ähnlich um Nerds. Anders als aber bei TBBT gehören die Nerds bei "Spaced" nicht zu einem einzigen Mainstream-Fandom. Nur Tim Bisley ist mit Science-Fiction und Fantasy vertraut, Daisy hat davon keine Ahnung und Tim weiht in einer Folge den im Parterre lebenden Künstler Brian in die Welt der einzig drei guten Star-Wars-Filme ein. Und wie wir in der zweiten Staffel erfahren werden, riss der Film mit dem Phantom eine tiefe Wunde in Tims Fandasein...

"Spaced" geht es also nicht um das Näherbringen der Nerdkultur. Es geht um Mittdreißiger, die bisher kaum etwas in ihrem Leben auf die Beine gestellt bekommen haben. Zwar haben Tim und Daisy durchaus Ambitionen - aber Daisy verbringt bis zum Ende der Staffel ihre Zeit mit allem, nur nicht mit dem Schreiben von Artikeln. Tim, der eine Idee für einen eigenen Comic hat, bekommt zwar in Staffel Zwei die Möglichkeit seinen Traum zu verwirklichen, aber bis dahin hängt er in der Regel in einem Comic-Laden ab. Wenn man genauer hinschaut, sind die TBBT und "Spaced" tatsächlich irgendwie verwandt: Hier wie da ein Charakter, der einen Comic-Laden führt, hier wie da Anspielungen an die Nerd-Kultur, wobei "Spaced" das Risiko eingeht, gerade auch manchmal nicht verstanden zu werden.

Die  Sitcom geht nicht den einfachen Weg und verlässt sich auf Dinge, die der normale Zuschauer, die normale Zuschauerin als Nerd-Kultur einsortieren kann. "Spaced" macht sich zudem nicht über die Charaktere lustig oder Scherze, die die Charaktere herabwürdigen. Was TBBT andauernd tut und weswegen diese Serie nicht gerade was für die Vermittlung von Nerdkultur getan hat - das Verständnis prallt am Lachtrack ab.

"Spaced" stellt die Frage, wie man als Nerd, als jemand, der in einem gewissen Umfeld lebt, das nicht von der Gesellschaft anerkannt wird - dazu gehört Brian als Künstler genauso dazu wie Daisys Freund Twist - Verantwortung übernehmen kann und erwachsen wird. In der ersten Staffel wird die Verantwortung anhand des Hundes Collin durchexerziert, dem zuerst von Daisy jede Aufmerksamkeit geschenkt wird, die er verdient - weil er neu ist - dann aber lernen wir in Staffel Zwei, dass Daisy und Collin sich sozusagen nichts mehr zu sagen haben. Was zu Beginn der Staffel Zwei auch auf Daisy und Tim als Paar zutrifft übrigens. "Spaced" hat durchaus Schichten. Wie Zwiebeln. Oder Oger.

Wobei - Brian und Twist kommen am Ende der ersten Staffel zusammen. Das Problem in Staffel Zwei: Brian bezieht seine Kreativität als Künstler nicht aus einem permanenten Zustand der Harmonie. Schmerz, Leid, Depression - das sind seine Themen. Abgesehen davon: Brian hat seinen Eltern die ganze Zeit vorgelogen, Anwalt zu sein. Brian vertritt gewissermaßen den Nerd, der die ganze Zeit gegenüber der Gesellschaft sein Fansein verleugnet und schlussendlich dann doch erkennt, dass es besser ist erwachsen und entschlossen seine Identität zu verteidigen. Egal, was der Rest der Gesellschaft denken mag. Man kann das auch etwas weiter auf andere Bereiche übertragen, was aber wohl etwas zu weit führen würde.

Verantwortung übernehmen schließlich in der letzten Folge der Serie alle Charaktere - bis kurz vorher haben sich die Konflikte verschärft, Tim und Daisys Beziehung steht auf der Kippe, ein gigantischer Scherbenhaufen hat sich aufgetürmt. Und ausgerechnet Tim, den wir in der ersten Folge der ersten Staffel als nicht gerade verantwortungsbewußten Menschen kennengelernt haben, gelingt es am Ende vielleicht nicht das perfekte Happy-End zu erstellen - aber die Hausgemeinschaft ist am Ende wieder vereint, die Möglichkeiten eine erneuten Beziehung zu Daisy nicht ausgeschlossen und die Zukunft sieht zumindest nicht mehr düster aus. Die Charaktere sind gewachsen. Sie haben Verantwortung übernommen, auch, wenn sie immer noch Nerds sind. Das ist die eigentliche Moral der Serie: Man kann Beides sein - verantwortungsbewußt und gleichzeitig verspielt und kindisch. Das, liebe Big-Bang-Theory, das gelingt dir als Sitcom nach knapp zehn Staffeln nicht mal annähernd. - Und aus der Zombie-Folge der ersten Staffel entstand dann die Idee zu Shaun of the Dead, aber das ist eine andere Geschichte eines anderen Erwachsenwerdens. Und soll ein Andermal erzählte werden.

 

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