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Star Trek Discovery: Ideale und Charaktere - Rückblick auf die erste Staffel

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneStar Trek Discovery: Ideale und Charaktere
Rückblick auf die erste Staffel

Manchmal ist es besser einige Zeit vergehen zu lassen, bevor man nach dem Ende einer Staffel ein Resümee zieht. Im Fall von »Star Trek: Discovery« haben etliche Fans allerdings schon ziemlich zu Beginn ein Fazit für sich gezogen. Hat »Discovery« nun die Enttäuschungen erfüllt?

Oder darf sich »Discovery« in den Olymp der Trek-Serien einreihen?

Zunächst einmal: "Discovery" hat definitiv ein erzählerisches Balance-Problem. Der Auftakt mit dem Pilotfilm, der komplett eigenständig für sich stehen könnte, die Positionierung von einzelnen Folgen in der ersten Hälfte der Staffel, der erzählerische Fluss ist in der ersten Hälfte der Staffel nicht unbedingt gut gewichtet. Das mag mit dem Wechsel der Produzenten zu tun haben oder einfach damit, dass sich "Discovery" wie jede Serie erst einmal finden muss. Neue Charaktere, ein quasi neues Universum mit Technik, die nicht unbedingt an die klassische Trek-Serie erinnert - zeitlich aber ist "Discovery" bekanntlich einige Jahrzehnte vorher, was dann natürlich all jene auf den Plan ruft, die sehr am Kanon der Serie hängen - das muss man erst einmal verdauen. Diese Schwächen sind offensichtlich.

Nun scheiden sich die Geister am Charakter der Hauptfiguren und vor allem auch wurde "Discovery" vorgeworfen, den Geist und den Ethos von "Star Trek" zu verleugnen. Der Tenor: "Discovery" würde die Ideale der Serie demontieren. Sicherlich ist in den ersten Folgen der Staffel nicht das Kuschelgefühl vorhanden, was sich bei TNG einstellt oder was wir von anderen Serien gewohnt sind. Allerdings: Auch "Deep Space Nine" hatte Charaktere wie Quark, die sicherlich nicht immer sympathische Entscheidungen getroffen haben und was Benjamin Sisko anbelangt ebenfalls. Was "Discovery" sicherlich nicht optimal gemacht hat: Die Einführung der Hauptfigur von Michael Burnham. Wie schon mehrmals von mir erwähnt: Hätte man direkt mit Folge 3 begonnen in der ersten Staffel, hätte sich dies vielleicht positiver ausgewirkt.

Allerdings: Im Rückblick offenbart sich, dass die ersten zwei Folgen tatsächlich wichtig sind. Ohne den Kontrast zum sympathischen Captain wäre die Figur der Imperatorin nämlich vernachlässigbar. Wir hätten zwar eine weitere durchaus interessant gezeichnete Figur, aber dadurch, dass Captain und Imperatorin zwei Seiten einer Medaille sind zeichnet das den Spiegeluniversumscharakter mit einer Tiefe aus, die dieser ohne den Pilotfilm nicht hätte. Sicherlich hätte man das auch anders lösen können, es macht aber im Gesamtrückblick durchaus Sinn. Auch, wenn ich das sicherlich auch persönlich jetzt noch anders sehe.

Dass "Discovery" den Ethos von "Star Trek" verleugnen würde, das ist allerdings ein Argument, das keine Grundlage hat. Besonders dann nicht, wenn man sich die zweite Hälfte der ersten Staffel anschaut, in der gerade das Ethos - und auch der Pathos, man bedenke das "Wir sind Starfleet" in der letzten Folgen ebenso wie die typisch-appelative Rede von Michael - in den Vordergrund gestellt wird. Allerdings ist dieses Ethos auch in der ersten Staffel sichtbar. Ist es ethisch verantwortbar, ein Alien Schmerzen erleiden zu lassen, wenn man davon seine Vorteile hat? Die Frage stellt sich in dem Mini-Storybogen um das sogenannte "Bärentierchen" durchaus. Und wird mit allen Vor- und Nachteilen debattiert, in bester "Star Trek"-Tradition.

Die Charaktere von "Discovery" sind von Beginn an - und das mag man als Fan von "Star Trek" vielleicht anders erwarten - nicht die hehren Idole, die man von anderen Serien her kennt. Sie haben ihre Schattenseiten, bei Ash Tyler haben wir Zuschauer ja das lange vermutet. Nach wie vor halte ich die abrupte Einführung von Ash für einen Fehler, interessanter wäre gewesen ihn von Anfang an Bord gehabt zu haben und dann nach und nach ihn vielleicht auch ein wenig an seiner Identität zweifeln zu lassen. Insgesamt gesehen sind aber zeichnet "Discovery" ein sehr menschliches Bild von seinen Hauptfiguren, die mit ihren Entscheidungen leben müssen. Das kann man mögen oder in Abrede stellen, aber horizontales Erzählen ermöglicht die Entwicklung von Figuren. Was in "Deep Space Nine" schon teilweise gemacht wurde als der Dominion-Krieg eingeführt wurde. Der Sisko am Ende der Serie ist nicht mehr der, der am Anfang der Serie die Station übernahm.

Interessanterweise ist Identität ein Problem, dass in "Discovery" verhandelt wird und das, ohne das wir das direkt merken würden. Captain Lorca ist nicht der, der er zu sein scheint - Ash ist es ebenfalls nicht. "Hat mich der echte Ash je geliebt" ist die Frage, die zentral für diesen Konflikt in der zweiten Staffel ist. Michael mag die Imperatorin gerettet haben, aber es muss ihr klar sein, dass diese sich nicht mehr ändern wird. Damit haben wir ein weiteres zentrales Thema der "Discovery" angeschnitten: Buße und Vergebung. Während Lorca in der ersten Hälfte Michael ermöglicht, Buße zu tun in dem er sie in die Mannschaft aufnimmt, ist es Sarek, der in der zweiten Hälfte Michael auch ermahnt, an Gnade und Vergebung zu denken. Ebenfalls Werte, die in anderen Folgen am Rande erwähnt werden: Lorca ist dazu nicht fähig, weswegen er Mudd bei den Klingonen sitzen lässt, woraus sich dann in Folge ein ausgeklügelter Racheplan ergibt. Ob Stamitz jemals Ash vergeben wird, eine ungeklärte Frage.

Generell fühlt sich die zweite Hälfte der Staffel vom Erzählfluss stringenter an, fließen die verschiedenen Erzählebenen besser ineinander. Es gelingt sogar der Hasadeursritt in nur zwei Folgen den Krieg zwischen der Föderation und den Klingonen zu beenden, auch wenn die Herstellung der Sphoren ein offensichtlicher  Deus Ex Machina ist - so ganz verständlich ist das Ganze auch nicht, Technobubble gehört allerdings auch zu "Destiny" wie zu jeder anderen Serie dazu. Alles steuert auf das Finale zu und zehrt von den Fundamenten, die in der ersten Hälfte gelegt worden sind. Ein Finale, dass dann - und ich wiederhole mich gerne - im Geist von "Star Trek" stattfindet. Mitsamt Medaillenverleihung und epischem Wortgeklingel. Und ja, man mag die Augen verdrehen, wenn es den "Wir sind Starfleet"-Moment gibt, aber auch das gehört halt dazu.

Wie hält man es allerdings jetzt mit dem Kanon? An den wird man im Finale nochmal erinnert, als Captain Pike erwähnt wird. Einerseits ist die Technik, die in der Serie gezeigt wird, weitaus fortgeschrittener als in der Normalserie, andererseits zehrt "Discovery" vom Kanon an sich. Wobei: Mir mag es entgangen sein, aber hat man schon erklärt, warum die Klingonen anders aussehen? Mich stört das ja eher weniger. Sicherlich kann das ein Problem sein, die Anspielungen und Verweise auf die anderen Serien - Captain Archer war auf Kronos! Stimmt! - sind aber durchaus gut gemacht. Und das mag nur meine persönliche Sichtweise sein: Im Endeffekt habe ich das mit dem Kanon schon wieder in der zweiten Hälfte total vergessen, weil mich die Handlung exzellent unterhalten hat. Allerdings habe ich als Fan von Doctor Who sowieso eine höhere Toleranzschwelle was kanonisch und nicht-kanonisch belangt. Aber: Ja, einige Fans sind natürlich entrüstet, weil die Serie bisweilen gegen den Serienkanon verstösst, das kann ich durchaus nachvollziehen. Jedoch: Wer sich Fanserien anschaut, die gerade diese Technik der Ur-Serie nachinszenieren wird merken, dass diese schon ein wenig veraltet und antiquiert wirkt. Nostalgie mag ein schönes Gefühl sein, den modernen Sehgewohnheiten hält sie nicht stand. Und das kann ich als Doctor Who Fan, der die alten Folgen natürlich auch kennt durchaus beurteilen. Allerdings: Ist es wirklich so schlimm, wenn die Serie manchmal aufgrund der Geschichte den Kanon ein wenig aufbiegt? Ist das nicht auch interpretatorische Freiheit, die man sich nehmen darf? Es wäre - und das muss festgestellt werden - allerdings unsinnig, eine Serie deswegen allein zu verdammen.

Darf man "Star Trek: Discovery" nun zu den Serien zählen, die in den Olymp gehören? Ja. Nein. Vielleicht. Eventuell. Irgendwie fühle ich mich an die erste Staffel von "TNG" erinnert: Es gab einige gute Folgen, die Charaktere waren interessant, dann allerdings brachten sie Tasha Yar um, viele Folgen gossen die Plots von Kirk und Co. wieder nur neu auf... Im Endeffekt aber überwog dann doch die Frage, wie es weitergehen würde. Ähnlich ist das mit "Discovery": Sie hat ihre Schwächen. Sie kommt oftmals nicht erzählerisch die Gänge. Tilly als Charakter nervt. (Wobei die sich durchaus auch gemacht hat, aber in den ersten Folgen: Seufz.) Einige Charakter-Tode sind einfach nicht motiviert genug, ja. Aber andererseits: Captain Lorca! Saru! Michael als vielschichtiger Charakter. Ash wird doch nicht umgebracht! Spiegeluniversum! "Discovery" mag das Potential in der ersten Staffel nicht komplett ausgeschöpft haben - und ich werde Lorca vermissen - aber andererseits ist diese zweite Hälfte der Staffel gut inszeniert, berührt die Hauptthemen von "Star Trek" an sich, stellt auch Fragen und entlässt den Zuschauer mit gereiften Charakteren. Insofern: "Engage!"

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