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OMFG: ALDI SÜD kooperiert mit Stiftung Lesen? Untergang der Buchkultur!

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneOMFG: ALDI SÜD kooperiert mit Stiftung Lesen?
Untergang der Buchkultur!

Es gibt ja selten ein Branche, die zu derartig verschwurbelten und übersteigerten, ja, pathosreflexhaften Abwehrreaktionen neigt wie die Buchbranche. Tut mir leid, liebe Kollegen, liebe Verlage, liebe Buchhändler - aber irgendwer muss euch das ja ab und an mal vor den Kopf knallen: Geht - es - nicht - mal - eine - Spur - besonnener? Ich meine, kaum kündigt die Stiftung Lesen an mit ALDI SÜD zu kooperieren scheint es mal wieder so als ob die hehre Buchkultur in Gefahr ist.


Muss es denn immer gleich der Weltuntergang sein, liebe Kollegen?

Und warum die Aufregung? Weil die Buchhändler offenbar eine Unterwanderung durch ALDI SÜD befürchten. Oder eher: Weil die Buchhändler auf einmal aufgeschreckt registrieren, dass ALDI SÜD ja auch BÜCHER verkauft. Hoppla. Auf einmal ist Konkurrenz vor der Tür! Nicht, dass ALDI generell nicht schon immer Bücher verkauft hätte - so die Bibel unter anderem - oder Hörbücher und so. Das machen die doch schon länger? Und da Bücher ohnehin preisgebunden sind... Na ja, angesichts des Niedergangs der unabhängigen Buchhandlungen durch - ich lasse hier mal eine Leerstelle frei, man darf sich den Erzfeind des Buchhandels selber eindenken - ist das ja noch bedrohlicher wenn man bedenkt, was für ein Filialnetz ALDI SÜD allein hat. Und wenn jetzt noch bei der Stiftung andere Lebenmittelkonzerne eintreten, dann, dann...

Oh, moment mal: Stimmt. ALDI SÜD ist der erste Lebensmittelkonzern, der der Stiftung Lesen beitritt. Dass Discounter und Supermärkte sich generell momentan keinen Cent geben wenn es um günstige Preise geht sondern versuchen, sich anderweitig ein Image zu erobern sollte man nicht aus den Augen lassen aber moment mal: Es geht hier doch erstmal nur um einen ganz normalen Vorgang bei einer Stiftung. Ein neuer Partner, ein neuer Unterstützer kommt hinzu. Nun ja, sieht man sich mal die bisherigen Unterstützer der Stiftung Lesen an finden sich darunter halt Bertelsmann - und Bertelsmann ist immer noch einer der größeren Medienverbundverlage Deutschlands, deswegen ist ja auch RTL unter anderen bei den Genannten dabei - und es finden sich vor allem auch ganz viele Verlage. Vermutlich wäre ein neuer Verlag, ein neues Medienhaus oder selbst ein Rohrklempner-Betrieb - von Bob dem Baumeister gibts ja auch Bücher, oder? - nicht mit so viel Skandalgetöse umfangen worden wie ein Lebensmittelkonzern, der im Sortiment auch Bücher hat.

Aber Bücher verkauft ALDI doch schon länger? Was irritiert denn die Branche jetzt derartig? Einerseits herrscht wohl tatsächlich die Furcht, dass nach ALDI SÜD auch andere Lebensmittelhändler in den Wettbewerb um das Kulturgut Buch eintreten könnten und demnächst wir dann in jedem Lebensmittelgeschäft die aktuellsten Beststeller zu einem Spottpreis kaufen werden, wenn der Buchhändler um die Ecke dann den Bach runtergeht. Wobei das eine unbegründete Furcht ist und das Wort "Buchpreisbindung", die in Deutschland existiert, verhindert doch auch bei eBooks bekanntlich, dass man Bücher einfach so mit einem Preisdumping in die Regale stellen kann. Insofern: Ja, klar. Lebensmittelhändler, die Bücher verkaufen treten automatisch in Konkurrenz zu Buchhandlungen. Werden aber wohl kaum die Qualitäten haben, die doch immer vom analogen Buchhändler hochgehalten werden. Was war das noch? Genau: Kundenkenntnis, gute Beratung, gute Auswahl. 

Fachsimplen über Joyce bei ALDI SÜD kann man sich irgendwie schwer vorstellen. Sicherlich kann man andererseits eine Gefahr darin sehen, dass wenn Bücher zu einem niedrigen Preis angeboten werden sich der Verbraucher allmählich an diese Preise gewöhnt und sich fragt, warum er eigentlich 24,99 für ein Buch bezahlt, wenn es bei ALDI SÜD demnächst für 4,99 zu haben ist. Nein, natürlich nicht das - selbe - Buch - in - gleicher - Aufmachung. Ich erwähnte doch die Buchpreisbindung. Na ja, für "Die letzten Tage von Pompeji" würde ich nun auch nicht unbedingt 24,99 ausgeben wollen - aber jetzt mal im Ernst: Da sind Thalia, Bouvier und wie sie alle heißen doch auch mit Schuld dran, mit ihren Weißen Buchwochen, ihren Sonderbilligausgaben-Sortiment im Eingangsbereich und was dergleichen Dinge mehr sind.

Das sollte man auf der einen Seite im Hinterkopf behalten: Die Buchhändler haben Angst davor Pfründe zu verlieren. Wie berechtigt das ist oder nicht wissen wir noch nicht, können wir auch nicht wissen. Das dichte Filialnetz von ALDI SÜD jedenfalls hat schon für etliche Sparten - Bäckereien seien hier mal genannt - nichts Gutes bedeutet. Allerdings könnte der Buchhandel hier nicht eine Spur gelassener reagieren? Denn im Endeffekt kaufen Buchhandelskunden vermutlich gut und gerne bei ALDI SÜD ein, aber nicht jeder ALDI SÜD Kunde betritt in seinem Leben gerne eine Buchhandlung. Auch das sollte man im Hinterkopf behalten. Es ist ja nicht so, dass der Stammkunde der Buchhandlung um die Ecke plötzlich zu ALDI SÜD abwandert weil der auf einmal so ein tolles Sortiment hat - also komplett.

Vermutlich wird sich der ein oder andere Kauf zu ALDI SÜD verlagern. Das könnte natürlich zum Zusammenbruch von einigen Buchhändlern führen, aber wenn man sich ehrlich zugesteht: Das ist doch wie beim Einkaufen von Lebensmitteln selbst. Manchmal kauft man bei LIDL, manchmal bei ALDI, manchmal im REWE wegen der Sonderangebote. Sicherlich wird es dem ein oder anderen Buchhändler schaden - ist halt so. Nennt sich Wettbewerb. Und noch was sollte man im Hinterkopf behalten: ALDI SÜD nutzt die Kooperation mit der Stiftung Lesen natürlich für Marketingzwecke. Wenn man sich Preis kaum noch von dem Supermarkt um die Ecke absetzen kann, dann muss man es halt auf andere Art und Weise probieren. "Woran man ein gutes Buch erkennt? Daran, dass es nach den Kriterien der Stiftung Lesen ausgesucht ist und das Siegel der Stiftung hat!" - Wie, falscher Discounter? 

Während man bei der Stiftung Lesen natürlich jetzt das hehre Ideal der Leseförderung hochhält - was bei der Aktion mit McDonalds rausgekommen ist? Da hat die Stiftung Lesen natürlich mal nachgehakt. Und siehe da: Ein voller Erfolg! Die leise Skepsis, dass die Studie für die Nachfolgebetrachtung nicht von einer unabhängigen Institution sondern von der Stiftung Lesen selbst in Auftrag gegeben wurde bleibt natürlich. Ebenfalls, dass das Geld offenbar von McDonalds selbst kam - wenn man das richtig liest was da im Download steht. Na prima. Glaube keiner Forschung, die du nicht selbst finanziert hast oder so. Wobei der Download dann eigentlich mehr über die Zielgruppen von McDonalds aussagt als über die eigentliche Leseförderung. "Happy Meal gewährleistet Zugang zu einem großen Teil der Familien mit Kindern im Alter von 3 bis 9 Jahren in Deutschland. Da Happy Meal für die meisten beim Besuch von McDonald‘s bereits als Produkt feststeht, ist dies der ideale Weg, um Bücher an Kinder zu verschenken." McDonalds als Wohltäter der Menschheit? Mahlzeit.

Stellen wir fest: Für ein Lese-Drama besteht erstmal kein Anlass. ALDI SÜD ist als Partner der Stiftung Lesen beigetreten. Dass die Verlage und Buchhandlungen befürchten, dass noch weitere Lebensmittelkonzern folgen werden und folglich Kunden den Buchhandel nicht mehr als Buchhandel wahrnehmen ist zwar nicht unberechtigt, aber wenig wahrscheinlich. Da ALDI SÜD in der Vergangenheit schon Bücher verkauft hat, hat das den Weltuntergang der Kultur nicht herbeigeführt. Dass ALDI SÜD jetzt von der Stiftung Lesen beraten wird und "wertvolle Bücher" - oh, oh, da war doch kürzlich noch was wegen irgendwelcher kämpfenden Katzen im Mai - in den kommenden Jahren auslegt neben Shampoo, Drehstühlen, Gartenharken und Co. wird der Buchhändler vielleicht mit dem ein oder anderen nicht verkauftem Buch aushalten müssen. Richtig ist: Natürlich stecken wirtschaftliche Interessen dahinter wenn Firmen versuchen mit dem Kulturgut Buch an junge Zielgruppen zu kommen. Gerade in dieser Hinsicht kann man den oben verlinkten Download zur "Wirkungsstudie" sich nochmal genauer anlesen und ja, "get them when they're young" ist kein ethischer Marketingansatz aber er funktioniert.

Da wir jedoch noch nicht wissen können wie das kommende Sortiment bei ALDI SÜD - wir reden hier übrigen immer nur von ALDI SÜD wohlgemerkt, ALDI NORD ist noch eine andere Geschichte, würde mich aber nicht wundern, wenn die folgen und zwar asap - aussieht können wir aber auch noch gar nicht abwägen wie groß der Verlust oder der Nicht-Verlust beim Buchhändler um die Ecke sein wird. Was wir wissen: ALDI SÜD und die Stiftung Lesen haben Schlagzeilen gemacht. Dafür gehört von mir als Marketingmensch schon mal Applaus, ich bin mir sicher, sie WUSSTEN wie die Branche reagiert. Weil die Branche IMMER so reagiert wie sie reagiert. Und auch deswegen: Behalten wir die Sache mal im Auge, aber eventuell ist das kein Elefant, der da auf uns zukommen sondern nur eine Schein-Mücke, die sich als solcher tarnt.

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