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Kurt Luifs Werkausgabe - 7. Teil - Sie sind perfekt gestorben, Mr. Fisher

Kurt Luif WerkausgabeSie sind perfekt gestorben, Mr. Fisher

Im Mai 2017 wäre Kurt Luif 75 Jahre alt geworden und aus dem Grund habe ich mir die Mühe gemacht und diverse Romane von ihm eingescannt und präsentiere Euch im Laufe der nächsten Monate einige seiner Werke in eine Art von Werksausgabe.

Nachdem Kurt Luif 1972 seinen ersten Gruselroman an den Erich Pabel-Verlag verkauft hatte, bekam er das Angebot an der Fledermaus-Serie mit zu arbeiten.

Er schrieb insgesamt acht Fledermaus-Romane. Seine Mitarbeit an der Serie endete mit dem Start der eigenständigen Dämonenkiller-Serie. Ich habe diesen Fledermaus-Roman ausgesucht, weil er erstens zum Teil in Kurt Luifs Heimatstadt Wien spielt und zweitens einen gewissen Alex und sein Jazzland mitspielt. Hier hat Kurt Luif 1974 Werbung für das 1972 neu eröffnete Jazzland seines Freund Alex Melhardt gemacht. Zusätzlich spielt ein Herr Dr. Helnwein mit, der aber nicht mit Norbert Helnwein aus der DK-Serie zu tun hat. 

Uwe Schnabel

Sie sind perfekt gestorben, Mr. FisherSie sind perfekt gestorben, Mr. Fisher
Fledermaus-Heft Nr. 771
von James R. Burcette
Die beiden Männer waren unauffällig gekleidet. Sie wirkten so alltäglich wie Vertreter. Kein Mensch wäre auf den Gedanken gekommen, daß er es mit berufsmäßigen Killern zu tun hatte. Sie parkten den Leihwagen in der Kimbell Avenue und achteten nicht auf den Wind, der ihnen die Regentropfen ins Gesicht peitschte. Rasch gingen sie durch den Regen, der wie ein grauer Vorhang in die Häuserschluchten von Chicago fiel. Nick Adams und Ken Clark waren von Los Angeles nach St. Louis geflogen und hatten dort einen Wagen gemietet. Sie waren ein gut eingespieltes Team und bis jetzt noch nie von der Polizei erwischt worden. In Los Angeles galten sie als erfolgreiche Geschäftsleute.
Beide waren glücklich verheiratet und hatten Kinder. Sie bogen in die Palmer Avenue ein und betraten ein zwanzigstöckiges Apartmenthaus. Dem Portier lächelten sie freundlich zu, durchquerten die Halle, stiegen in einen der Aufzüge und verließen ihn im letzten Stockwerk. Sie blieben kurz stehen und stiegen zwei Stufen hoch, die zu einer braunen Türführten, auf der in zierlichen Goldbuchstaben Harold Fisher stand.
Nick Adams holte aus der Manteltasche einen Schlüssel und öffnete die Tür. Er sah sich rasch um. Dann trat er, gefolgt von Ken Clark, ein. Leise zog Adams die Tür zu und schloß von innen ab. Mehr als eine Minute standen sie bewegungslos und lauschten. Als alles ruhig blieb, drehten sie das Licht an und sahen sich flüchtig in der Diele um. Bevor sie sich an die Vorbereitungen zur Ausführung ihres Auftrags machten, durchsuchten sie das Penthouse.
Nick Adams wartete in der Diele, während Ken Clark im Arbeitszimmer hinter dem riesigen Schreibtisch Platz nahm und die Schutzhaube von einer Reiseschreibmaschine hob. Er spannte ein Blatt Papier ein und fing an zu schreiben. Er preßte die Lippen zusammen und konzentrierte sich. Den Text des Schreibens wußte er auswendig, doch mit Handschuhen schrieb es sich schlecht. Außerdem war es Jahre her, seit er das letztemal mit einer Maschine geschrieben hatte.
Nach zehn Minuten war er fertig, zog das Blatt heraus, legte es zur Seite und las es nochmals durch. Dann nickte er zufrieden und spannte ein neues Blatt ein. Er stand auf, löschte die Stehlampe, ging zu Nick Adams in die Diele und nickte ihm zu. Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer und blieben neben der Tür stehen.
Die Vorbereitungen hatten sie getroffen - jetzt brauchten sie nur noch auf ihr Opfer zu warten.

* * *

Harold Fisher war ein gut aussehender Mann Ende dreißig. Er trug einen dunkelblauen Kamelhaarmantel, den er auf dem Weg zum Penthouse aufknöpfte. Sein dunkelblondes Haar war kurzgeschnitten und feucht. Sein hageres Gesicht war bleich, und dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Er war länger als eine Stunde im strömenden Regen spazieren gegangen und hatte sich zu beruhigen versucht, was ihm aber kläglich mißlungen war. Er war noch immer zu keinem Entschluß gekommen.
Er blieb vor der Tür stehen und suchte nach den Schlüsseln. Gedankenverloren sperrte er die Tür auf und trat ein. Achtlos warf er die Schlüssel auf ein kleines Tischchen neben der Tür, schlüpfte aus dem Mantel und hängte ihn auf einen Haken. Er blickte flüchtig in den Spiegel und schüttelte den Kopf. Sein Anblick wollte ihm gar nicht gefallen. Mit einer müden Bewegung schob er sich das glitschnasse Haar aus der Stirn und ging zum Wohnzimmer. Er drückte die Klinke nieder, öffnete die Tür und trat ein. Er hatte zwei Schritte getan, als das Licht aufflammte und Adams und Clark ihn packten.
„Keine Bewegung und keinen Laut!“ sagte Adams und hob die Pistole, die er in der rechten Hand hielt.
Fisher war viel zu überrascht, um an Gegenwehr zu denken.
„Setzen Sie sich auf die Couch“, sagte Clark rasch.
Fisher gehorchte augenblicklich.
Die beiden Männer blieben vor ihm stehen, und es dauerte einige Sekunden, bis sich Fisher von seiner Überraschung erholt hatte. Er sah die beiden aufmerksam an und wunderte sich, daß sie ihre Schuhe ausgezogen und auf ein Plastiktuch gestellt hatten, auf dem auch ihre nassen Regenmäntel lagen.
„Wer sind Sie?“ fragte Fisher. „Und was wollen Sie von mir?“
„Wir wollen nicht viel von Ihnen“, sagte Adams. „Sie sollen einen Brief für uns schreiben.“
„Einen Brief schreiben?“ fragte Fisher verwundert und zog die Brauen hoch.
Adams nickte.
„Kommen Sie mit in Ihr Arbeitszimmer.“
Er machte eine auffordernde Bewegung mit der Hand.
„Hat das etwas mit meiner Frau zu tun?“ fragte Fisher. Seine Stimme zitterte.
„Wir beantworten keine Ihrer Fragen, Mr. Fisher“, sagte Clark. „Stehen Sie auf.“
Fisher stand auf, und Adams ging vor. Er öffnete die Tür zu Fishers Arbeitszimmer und knipste das Licht an.
„Setzen Sie sich hinter den Schreibtisch!“ befahl Clark, und Fisher gehorchte wieder. Adams stellte sich hinter Fisher, während Clark vor ihm stehenblieb.
„Was soll dieser Unsinn?“ fragte Fisher.
„Schreiben Sie“, sagte Adams kalt.
„Ich denke nicht daran, irgendetwas zu tun, was Sie mir befehlen“, sagte Fisher mutig.
„Das werden wir sehen“, meinte Adams und hob die Pistole. „Entweder Sie schreiben, was wir Ihnen befehlen, oder...“ Er entsicherte die Pistole, und Fisher verstand. Er preßte die Lippen zusammen und konnte nur mühsam das Zittern seiner Hände unterdrücken.
„Was soll ich schreiben?“ fragte er tonlos.
„So gefallen Sie mir schon besser“, stellte Clark zufrieden fest. „Ich diktiere es Ihnen.“ Ciark rieb sich kurz die Nase. Dann fixierte er Fisher. „Schreiben Sie folgendes: Liebe Rita, unvorhersehbare Schwierigkeiten erlauben es mir nicht, auf Dich zu warten. Ich werde mich mit Dir in den nächsten Tagen in Verbindung setzen. Herzliche Grüße.“
Fisher hatte alles geschrieben, was ihm Clark diktiert hatte.
„So, und nun nehmen Sie das Blatt aus der Maschine und geben Sie es mir.“
Fisher zog das Blatt aus der Maschine und reichte es Clark, der es kurz überflog und zur Seite legte.
„Jetzt möchten wir noch einige Unterschriften von Ihnen“, sagte Adams.
Clark legte einige Papiere vor Fisher, darunter auch das Schreiben, das er vor Fishers Eintreffen getippt hatte.
„Nein“, sagte Fisher, „ich unterschreibe nichts.“
Adams seufzte.
„Was ist Ihnen lieber? Einige Unterschriften, oder eine Kugel in den Kopf ?“
Fisher schwieg sekundenlang. Dann griff er nach einem Kugelschreiber und setzte seine Unterschrift auf die Stellen, die ihm die Killer zeigten.
„Sehr brav“, sagte Clark sarkastisch und nahm die Papiere an sich.
„Was haben Sie vor?“ fragte Fisher. Plötzlich hatte er Angst. Er konnte sich nicht erklären, was die beiden Gangster vorhatten. Der Brief, den sie diktiert hatten, war völlig unsinnig. Er war an seine Frau gerichtet, aber sie würde mit diesem Schreiben wenig anfangen können.
„Aufstehen!“ sagte Adams.
Fisher gehorchte wieder. Seine Gedanken drehten sich im Kreis.
„Wir sperren Sie jetzt auf die Terrasse“, sagte Clark. „Dort bleiben Sie solange, bis wir gegangen sind. 'raus mit Ihnen.“
Fisher und Adams verließen das Zimmer, während Clark eines der unterzeichneten Schreiben auf den Schreibtisch legte und die anderen Papiere einsteckte. Dann löschte er das Licht und folgte Fisher und Clark. Adams öffnete die Tür, die auf die Terrasse führte.
„Gehen Sie hinaus“, sagte Adams. „Sie brauchen keine Angst zu haben. Wir haben unseren Auftrag erfüllt. Wir sollen Sie nur aussperren.“
„Aber was soll das Ganze?“ fragte Fisher wütend.
„Das dürfen Sie uns nicht fragen, Mr. Fisher“, meinte Clark. „Wir haben einen Auftrag zu erfüllen, aber was dahintersteckt, interessiert uns überhaupt nicht. Gehen Sie vor.“
Fisher trat auf die Terrasse. Der Regen fiel noch immer in Schnüren und prasselte gegen das Vordach.
„Gehen Sie bis zum Geländer“, sagte Adams.
Adams und Clark hielten sich dicht hinter Fisher.
„Nehmen Sie die Hände hoch“, sagte Clark.
Fisher stand dicht vor dem Geländer und hob folgsam die Arme hoch. Clark und Adams steckten die Pistolen ein und traten noch näher an Fisher heran.
„Sie bleiben jetzt mindestens zehn Minuten so stehen!“ sagte Clark scharf und Fisher nickte.
Clark und Adams wechselten einen raschen Blick. Dann nickte Adams, und sie handelten blitzschnell. Adams bückte sich und packte Fishers Beine, während Clark Fisher am Kragen packte. Es dauerte nur wenige Sekunden. Fisher wurde hochgerissen. Bevor er zur Besinnung kam, schwebte er über dem Geländer, und die Hände, die ihn gepackt hielten, ließen ihn los. Er stieß einen Entsetzensschrei aus und wollte nach dem Geländer greifen. Seine Hände verfehlten es. Er überschlug sich und fiel der Erde zu.
Adams und Clark beugten sich über das Geländer und sahen dem sich überschlagenden Körper nach, der verzweifelt mit Armen und Beinen in der Luft ruderte. Als Fishers Körper auf dem Bürgersteig aufschlug, traten sie zurück.
Blitzschnell stürmten sie ins Wohnzimmer, griffen nach den Schuhen und Mänteln und liefen in die Diele. Sie schlüpften in die Mäntel, und Adams sperrte die Tür zu. Er sah sich rasch um. Kein Mensch war auf dem Gang. Sie zogen die Schuhe an, versperrten die Tür und gingen zum Aufzug.
Zwei Minuten später verließen sie das Haus.

* * *

Inspektor Harry Cummings blieb vor dem Toten stehen. Es war kein Anblick für schwache Nerven. Der Tote lag auf dem Bauch, Arme und Beine weit von sich gestreckt, und sein Schädel war eine blutige unförmige Masse. Cummings wandte sich schaudernd ab. Er hatte seine Hände tief in den Manteltaschen vergraben und den Kragen aufgestellt. Cummings war  hochgewachsen. Sein braungebranntes Gesicht mit den blauen Augen und dem blonden Haar wirkte anziehend.
„Deckt ihn doch endlich zu“, sagte er zu Sam Ross, dem Polizeiarzt, der wie üblich schlechtgelaunt war. Er war ein kleines Männchen mit dünnen Beinen, die in überweiten Hosen steckten. Er trug einen uralten abgewetzten Stoffmantel und einen zerbeulten Hut. Cummings konnte Ross, der den erkrankten Doc Hunter vertrat, nicht leiden.
„Der Fotograf ist noch nicht fertig“, brummte Ross unwillig und starrte Dick Francis an, der wie ein Derwisch um den Toten herumhüpfte und wie wild fotografierte. „Ein bißchen schneller, Francis“, forderte er den Fotografen lautstark auf. Dieser achtete aber nicht auf ihn, sondern fotografierte ruhig weiter.
„Haben Sie schon festgestellt, wer der Tote ist, Slater?“ wandte sich Cummings an den jungen Beamten, der erst seit kurzer Zeit bei der Polizei war.
„Noch nicht, Sir“, sagte Slater.
Cummings nickte und warf dem Toten wieder einen Blick zu. Dann drehte er sich um. Ein dichter Polizeikordon hielt die Schaulustigen und Presseleute zurück.
„Irgendwelche Zeugen, Slater?“ fragte Cummings weiter.
Der junge Beamte nickte.
„Eine Frau, Sir“, sagte er eifrig. „Sie sah, wie der Mann auf den Bürgersteig fiel.“
„Führen Sie mich zu ihr“, sagte Cummings. Er folgte Slater, der an einigen Polizisten vorbeiging und vor einer jungen Frau stehenblieb, die ihn aus weit aufgerissenen Augen anstierte.
„Das ist Miß Thompsen“, sagte Slater.
Die Frau konnte nicht älter als fünfundzwanzig Jahre sein. Ihr Gesicht war bleich, und die blonden Haare hatte sie aufgesteckt. Sie trug einen durchsichtigen Plastikschirm in der rechten Hand, an den sie sich wie schutzsuchend klammerte.
„Miß Thompsen“, sagte Cummings, nachdem er sich vorgestellt hatte, „sind Sie imstande, mir einige Fragen zu beantworten?“
„Natürlich“, sagte sie mit schriller Stimme. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das war. Wenn das mein Verlobter hört - der wird vielleicht Augen machen. Also ich ging die Palmer Avenue entlang. Ich ging langsam, versteht sich, bei so einem Regen. Ich will mir ja nicht die Schuhe und Strümpfe naß machen. Also wie gesagt, ich gehe und da...“
Cummins preßte die Lippen zusammen. Das hat mir noch zu meinem Glück gefehlt, dachte er. Die redet ja wie aufgezogen.
Das Mädchen schnappte kurz nach Luft, und schon sprudelte es wieder aus ihr heraus.
„Ich blieb kurz stehen, wollte mir die Auslage da ansehen, trat einen Schritt vor - und da ist ein Vordach.“ Sie zeigte mit den Fingern darauf, und Cummings nickte. „Ich schloß den Schirm und sah mir die Schuhe an, und als ich mich umdrehte, sah ich kurz hoch. Ich ärgerte mich, daß es noch immer regnete, und wollte gerade den Schirm aufspannen, als ich den Schatten sah und einen Mann schreien hörte.“
Sie schloß die Augen und atmete rascher. Ihr hoher Busen wogte unter dem dünnen Mantel.
„Es war entsetzlich. Alles ging so rasch. Ich hörte den Schrei, und da krachte er auch schon auf den Boden. Mit dem Kopf voraus. Das Geräusch werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Es hörte sich an, als würde eine Melone zerplatzen. Wenn ich das meinem Verlobten erzähle, wird er es mir gar nicht glauben. Ach ja, was soll ich Ihnen noch sagen. Ich stand wie gelähmt da, dann schrie ich und rannte ins Geschäft, und eine Verkäuferin rief die Polizei an. Das ist alles.“
Cummings nickte.
„Nehmen Sie die Daten und Adresse von Miß Thompsen auf, Slater. Danke für Ihre Hilfe, Miß.“
Cummings kehrte zu Doc Ross zurück, der neben dem Toten kniete. Ross blickte kurz auf und schüttelte den Kopf.
„Der Mann ist aus großer Höhe auf die Straße gefallen“, sagte der Arzt und stand auf. „Ob er freiwillig heruntersprang oder ob dabei nachgeholfen wurde, kann ich nicht beurteilen. Aber soweit ich es überblicken kann, gibt es keine Anzeichen von Gewaltanwendung. Die Todesursache scheint klar zu sein. Der Schädel ist ja völlig zertrümmert.“
Cummings bückte sich und untersuchte die Taschen des Toten. Er fand Kleingeld in einer Rocktasche eine Schachtel Zigaretten, ein Gasfeuerzeug und eine Brieftasche. Der Mann hieß Harold Fisher, war siebenunddreißig Jahre alt, verheiratet und wohnte in der Palmer Avenue. Cummings durchsuchte weiter die Brieftasche. Er fand das Foto einer langhaarigen hübschen Blondine und das Bild eines etwa zehnjährigen Jungen. Er steckte die Brieftasche ein und machte dem Spurensicherungsdienst Platz.
„Kommen Sie mit, Slater“, sagte er. „Der Tote wohnte hier im Haus.“
Gemeinsam betraten sie die Halle und wandten sich dem Portier zu.
„Wissen Sie schon, wer der Tote ist?“ fragte der rotgesichtige Portier aufgeregt.
„Es scheint Harold Fisher zu sein“, sagte der Inspektor.
„Fisher!“ rief der Portier überrascht. „Er ist doch erst vor einer halben Stunde nach Hause gekommen.“
„Fiel Ihnen etwas Besonderes an ihm auf?“
„Er wirkte verstört. Ich grüßte ihn, doch er gab mir keine Antwort. Sein Mantel war naß, und seine Haare klebten am Kopf. Er mußte längere Zeit im Regen gewesen sein.“
„Wo wohnt er?“
„Im letzten Stockwerk“, sagte der Portier eifrig. „Er hat ein Penthouse gemietet.“
„Haben Sie einen Schlüssel dafür?“
„Nein, da müßte ich den Verwalter anrufen, der...“
Cummings winkte ab.
„Lassen Sie nur. Slater, holen Sie einen Spezialisten vom Spurensicherungsteam. Er soll die Tür aufsperren.“
Slater verschwand, und Cummings wandte sich wieder dem Portier zu.
„Seit wann wohnt Fisher bei Ihnen?“
„Erst seit kurzer Zeit. Vielleicht vier Wochen. Eher kürzer.“
„Wohnte er allein?“
„Nein, Sir. Er wohnte mit seiner Frau zusammen.“
„Ist sie mit Fisher gekommen?“
„Nein, sie verschwand heute vormittag. Sie hatte zwei Koffer bei sich und sagte mir, daß sie verreisen wolle. Sie ist auch nicht zurückgekommen. Ich hatte heute den ganzen Tag Dienst.“
„Was wissen Sie über Fisher?“
Der Portier zuckte die Schultern.
„Um es ehrlich zu sagen: nichts. Er war freundlich. Nur seit einigen Tagen kam er mir verändert vor, so, als würde er Sorgen haben. Sie kennen das sicher, Sir. Er wirkte so geistesabwesend, reagierte kaum auf einen Gruß. Sonst kann ich Ihnen nichts sagen.“
„Ich spreche später noch mit Ihnen“, sagte Cummings und wandte sich Slater zu, der mit einem kleinen Mann des Spurensicherungsteams die Halle betrat. Gemeinsam fuhren sie in den zwanzigsten Stock. Es dauerte kaum zwei Minuten, und die Tür zu Fishers Penthouse war offen.
Sie sahen den Mantel und den Schlüsselbund und gingen rasch weiter. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Cummings blickte sich flüchtig um und trat zur Tür, die auf die Terrasse führte. Er wollte dem Spurensicherungsteam nicht vorgreifen. Trotzdem untersuchte er flüchtig die Räume.
Im Arbeitszimmer stutzte er. Die Haube der Schreibmaschine lag auf einem Stuhl. Langsam ging er zum Schreibtisch und blieb stehen. Sein Blick fiel auf ein Blatt Papier, das neben der Schreibmaschine lag. Er beugte sich vor und las.
„Es bleibt mir keine andere Wahl“, las Cummings. „Ich kann nicht anders, ich weiß keinen Ausweg mehr. Meine Frau hat mich heute verlassen, ich stehe vor dem Ruin. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Letzte Grüße an meinen Sohn und an Rita, der ich vergeben habe. Harold Fisher.“
„Sehen Sie sich das Schreiben an, Slater“, sagte Cummings und trat einen Schritt zur Seite. Slater las aufmerksam. Dann blickte er auf.
„Sieht ganz wie Selbstmord aus“, sagte er, und Cummings nickte.
„Trotzdem müssen wir den Fall weiterverfolgen“, stellte Cummings fest. „Aber ich bin ziemlich sicher, daß es tatsächlich Selbstmord war. Alles spricht dafür.“ Er zog die Brieftasche hervor, die er dem Toten abgenommen hatte. „Das Spurensicherungsteam soll die Fingerabdrücke auf der Schreibmaschine mit denen des Toten vergleichen und außerdem die Unterschrift überprüfen. In der Brieftasche sind einige Ausweise, die Fishers Unterschrift tragen. Ich lasse Sie jetzt allein. Alles Notwendige veranlassen Sie.“
Er nickte Slater zu und verließ die Wohnung.

* * *

Der bekannte Rechtsanwalt und Privatdetektiv Anthony Quinn saß mit seinen Mitarbeitern in der Bibliothek und musterte den schlanken Mann, der eben Platz genommen hatte.
„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Mr. Bolzmann?“ fragte Quinn seinen Besucher.
„Nein, danke“, sagte Robert Bolzmann. Sein Englisch klang kultiviert. Er war über vierzig und trug einen eleganten grauen Anzug mit einer wild gemusterten Krawatte. Sein dunkles Haar war von grauen Fäden durchzogen. Das Gesicht war markant, und die braunen Augen blickten sanft.
Bolzmann hatte vor zwei Stunden bei Quinn angerufen und um eine Unterredung ersucht. Er hatte sich als Vertreter einer österreichischen Versicherungsgesellschaft ausgegeben und wollte Quinn mit Nachforschungen zu einem Fall betrauen.
„Sie sagten, daß Sie von einer österreichischen Versicherung kommen“, meinte Quinn.
„Richtig”, sagte er. „Ich werde Ihnen kurz erklären, worum es geht. Es trifft sich gut, daß derzeit eine Tagung von Versicherungsleuten aus aller Welt in Chicago stattfindet. Deshalb habe ich Gelegenheit, mit Ihnen persönlich zu sprechen. Sonst hätten wir versucht, Sie telefonisch oder schriftlich zu beauftragen.“ Bolzmann schwieg einige Sekunden. Dann lächelte er. „Der Name Harold Fisher wird Ihnen nichts sagen, nicht wahr?“
Quinn schüttelte den Kopf.
„Harold Fisher beging vor drei Wochen Selbstmord. Um es genau zu sagen, am neunten November. Er sprang aus seinem Penthouse im zwanzigsten Stockwerk auf die Straße und war sofort tot. Soweit wir informiert sind, handelt es sich tatsächlich um Selbstmord. Aber etwas macht uns stutzig.“
Quinn beugte sich interessiert vor.
„Ich nehme an, daß dieser Fisher bei Ihnen eine Versicherung abgeschlossen hatte?“
Bolzmann nickte.
„Stimmt“, sagte er. „Eine Lebensversicherung.“
„Ich welcher Höhe?“ fragte Jack O'Leary, der von seinen Freunden Butch genannt wurde.
„Zweihunderttausend Dollar“, sagte Bolzmann.
„Und Sie wollen sich nun um die Zahlung der zweihunderttausend drücken, was?“ fragte Butch spöttisch.
Bolzmann lächelte. Dann schüttelte er entschieden den Kopf.
„Nein, wir wollen uns nicht um die Zahlung drücken“, sagte er. „Wir müssen gar nicht zahlen. Das ist es auch, was uns stutzig macht.“
„Das kapiere ich nicht“, sagte Butch und rieb sich das Kinn. „Weshalb sind Sie dann zu uns gekommen?“
„Da muß ich etwas weiter ausholen“, sagte Bolzmann. „Harold Fisher schloß am elften November vor fünf Jahren in Wien bei uns die erwähnte Lebensversicherung ab. Sie läuft zugunsten seines Sohnes.“
„Dann ist ja alles klar“, meinte Silk, der wegen seiner Vorliebe für seidene Krawatten so genannt wurde.
„Eben nicht“, meinte Bolzmann. „Hätte sich Harold Fisher am zwölften November umgebracht, dann wären wir zur Zahlung verpflichtet gewesen. So aber brauchen wir nicht zu zahlen.“
Sekundenlang herrschte Schweigen.
„Ich glaube“, sagte Carol, die hübsche blonde Frau des Anwalts, „daß ich verstehe, worauf Sie hinauswollen.“
„Ich verstehe überhaupt nichts“, sagte Butch. „Fisher hat eine Lebensversicherung abgeschlossen. Er ist tot, also muß die Summe ausgezahlt werden.“
„Du hast wohl nicht viel Ahnung von Versicherungen?“ fragte Silk spöttisch. „Mir ist es auch klar, worauf Mr. Bolzmann hinaus will.“
„Dann bin ich wieder einmal der Dumme“, knurrte Butch ungehalten. „Vielleicht klärt man mich auch auf.“
„Das will ich gern tun“, sagte Bolzmann und steckte sich eine Zigarette an. „Bei Lebensversicherungen haben wir eine Klausel, die von Land zu Land verschieden ist. Sie betrifft den Selbstmord. Sie dient zum Schutz der Versicherungen, aber letztendlich ist sie auch ein Vorteil für die Versicherten. Nehmen wir an, Mr. O'Leary, Sie wären total verschuldet, verheiratet, hingen abgöttisch an Ihrer Familie und stünden vor dem totalen Ruin. Das Leben hat keinen Sinn mehr für Sie, doch Sie wollen Ihrer Familie helfen. Sie gehen zu einer Versicherung, schließen eine Lebensversicherung ab, zahlen die erste Prämie, begehen Selbstmord, und die Versicherung muß zahlen. Um das zu verhindern, ist in den Lebensversicherungsverträgen eine Klausel eingebaut, die besagt, daß die Versicherung bei Selbstmord erst fünf Jahre nach Vertragsabschluß zahlen muß.“
Butch stieß einen Pfiff aus.
„Ich verstehe“, sagte er. „Fisher starb am neunten November. Hätte er sich aber am zwölften November umgebracht, dann müßten Sie jetzt zahlen.“
„Genau“, sagte Bolzmann zufrieden. „Sie haben es verstanden. Uns erscheint es nur etwas seltsam, daß er einen Abschiedsbrief hinterlassen hat. Hätte er tatsächlich Selbstmord begehen wollen, dann hätte er es doch einfach als Unfall tarnen oder drei Tage warten können.“
„Ihre Überlegung hat etwas für sich“, stimmte Quinn nachdenklich zu. „Aber ich verstehe eines nicht, wenn ich ehrlich sein soll, Mr. Bolzmann...“
„Und zwar?“
Quinn lächelte.
„Ihre Anstalt sollte doch froh sein, daß sie nicht zahlen muß.“
„Sehen Sie, Mr. Quinn“, sagte der Versicherungsagent, „das ist ein weitverbreitetes Vorurteil. Es wird immer angenommen, daß sich eine Versicherung vor der Zahlung drücken will. Dabei stimmt das gar nicht. Wir gehen jedem Fall genau nach, und alles, was uns dabei seltsam vorkommt, wird genau untersucht. In manchen Fällen kommen wir so Versicherungsbetrügereien auf die Spur. Die Nachforschungen und Überprüfungen der Schadensursachen werden von der Öffentlichkeit aber oft dahingehend mißverstanden, daß wir unsere Verpflichtungen nicht erfüllen, daß wir uns vor der Zahlung drücken wollen.“
„In Ordnung“, meinte Quinn und lächelte. „Sie haben mich überzeugt. Sonst würden Sie ja nicht bei mir sitzen. Sie wollen also, daß wir Erkundigungen über Harold Fishers Tod anstellen. Sollte es sich herausstellen, daß es kein Selbstmord war, dann werden Sie die Versicherungssumme von zweihunderttausend Dollar an Fishers Sohn zahlen.“
„Richtig“, sagte Bolzmann. „Es ist mir klar, daß ich Ihnen einen Fall aufhalse, der nicht einfach zu klären sein wird, und vielleicht handelt es sich tatsächlich um Selbstmord.“
„Haben Sie irgendwelche Informationen über Fisher, die uns weiterhelfen können, Mr. Bolzmann?“
„Nicht sehr viel, Mr. Quinn“, sagte der Versicherungsmann. Er öffnete eine Aktenmappe, holte einen Schnellhefter hervor und schlug ihn auf. „Fisher wuchs in Chicago auf“, sagte er. „Vor zwölf Jahren heiratete er eine Wienerin, die er beim Skiurlaub in Tirol kennengelernt hatte. Sie lebten drei Jahre in Chicago, wo Fisher die Werksvertretung einer Autofirma hatte. Er übersiedelte mit seiner Frau und dem in der Zwischenzeit geborenen Jungen nach Wien. Er eröffnete eine Autoreparaturwerkstätte und handelte mit Gebrauchtwagen. Vor sechs Jahren starb seine Frau bei einem Autounfall, doch Fisher blieb weiterhin in Wien. Vor fünf Jahren schloß er bei uns die Versicherung für seinen Sohn ab. Fisher pendelte ständig zwischen Wien und Chicago hin und her, doch die meiste Zeit des Jahres blieb er in Wien. Vor zwei Jahren heiratete er Rita Donovan, die er in Chicago kennengelernt hatte. Sie wohnten meist in Österreich, wo auch Fishers Sohn in ein Internat ging. Vor zwei Monaten entschloß sich Fisher, endgültig nach Chicago zurückzukehren. Er wollte seine Werkstatt verkaufen, fand aber bis zu seinem Tod keinen Käufer. Alle weiteren Unterlagen finden Sie im Schnellhefter.“
Quinn griff nach den Unterlagen und blätterte sie rasch durch.
„Hatte Fisher finanzielle Schwierigkeiten oder Streit mit seiner Frau?“
„Soweit wir es in Erfahrung bringen konnten, kann ich beide Fragen mit nein beantworten“, sagte Bolzmann. „Übernehmen Sie den Fall, Mr. Quinn?“
Der Anwalt überlegte kurz. Dann nickte er.
„Ja, ich übernehme ihn“, sagte er. „Wie lange sind Sie noch in Chicago, Mr. Bolzmann?“
„Leider nur noch bis morgen“, sagte er.
„Bis morgen werde ich Ihnen noch nicht viel sagen können“, meinte Quinn. „Ich werde Ihnen den Bericht nach Wien senden.“
„Da haben wir ja mal wieder einen verrückten Fall am Hals“, maulte Butch, als Bolzmann gegangen war.
„Unser Elefantenbaby liebt keine Fälle, bei denen man die kleinen grauen Gehirnzellen beanspruchen muß“, dozierte Silk ernsthaft. „Manche Leute haben das Hirn an der richtigen Stelle, doch unser Freund hat es in den Fäusten. Und da er so oft damit zuschlägt, wird Denken für ihn immer schwieriger.“
Butch starrte grinsend, fast ein wenig verliebt seine schinkengroßen Fäuste an.
„Sei nur froh, Silk“, sagte er, „daß du noch nie mit ihnen Bekanntschaft geschlossen hast.“
Quinn achtete nicht auf das Geplänkel seiner Mitarbeiter. Er griff nach dem Telefonhörer und ließ sich mit Inspektor Cummings verbinden.
„Seid mal für einen Augenblick still“, sagte der Anwalt, als sich Cummings meldete. „Hallo, Harry, wie geht's?“
Cummings seufzte.
„Bis jetzt ging es mir ausgezeichnet, aber ich bin ziemlich sicher, daß ich bald Magenschmerzen bekomme. Ich kenne deine Anrufe... Worum geht es diesmal?“
„Sagt dir der Name Harold Fisher etwas?“ fragte Quinn. „Er beging am neunten November angeblich Selbstmord.“
„Was heißt hier angeblich?“ entgegnete Cummings. „Er beging Selbstmord.“
„Das ist noch nicht so sicher“, meinte Quinn sanft.
Cummings schnaubte ungehalten.
„Für uns war es eindeutiger Selbstmord. Was hast du damit zu tun?“
Quinn erzählte es Cummings, der schweigend zuhörte.
„Hm“, sagte der Inspektor schließlich. „Von dieser Lebensversicherung wußten wir nichts. Da werde ich mal Slater ordentlich auf die Zehen steigen. Der hat den Fall bearbeitet. Warte mal einen Augenblick. Ich lasse mir die Akte holen.“
Es dauerte nur wenige Minuten, und Cummings meldete sich wieder. „Ich habe die Akte vor mir. Alles spricht dafür, daß es Selbstmord war. Nichts wies darauf hin, daß es sich um Mord handeln könnte. Aber es kommt ja öfters vor, daß Morde als Unfälle oder Selbstmorde getarnt werden.“
„Da hast du allerdings recht“, stimmte Quinn zu. „Habt ihr mit Fishers Frau gesprochen?“
„Ja“, sagte Cummings. „Es kam aber nicht viel dabei heraus. Sie behauptete, daß sie Streit mit ihrem Mann hatte. Er wollte nach Wien zurück, doch sie wollte in Chicago bleiben. Deshalb zog sie aus. Sie hatte sich schon mit einem Anwalt in Verbindung gesetzt, um die Scheidung einzureichen. Außerdem soll Fisher in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt haben. Für mich sieht es noch immer wie ein Selbstmord aus.“
„Wißt ihr etwas über Fishers Frau?“ fragte der Anwalt.
„Sie ist nicht vorbestraft“, sagte Cummings. „Mehr kann ich dir über sie nicht sagen. Slater unterhielt sich kurze Zeit mit ihr. Er vermerkte im Protokoll, daß sie ziemlich bedrückt gewirkt hatte.“
„Hm, das ist ja nicht gerade viel. Was hatte Fisher für eine Firma?“
„Autoverkauf. Gebrauchtwagen mit angeschlossener Reparaturwerkstatt. Er vermietete auch Leihwagen, aber der Betrieb schien nicht besonders zu florieren. War ja auch kein Wunder. Fisher war ja recht selten in Chicago, und soweit wir es in Erfahrung brachten, kümmerte er sich nur selten um die Firma.“
„Kannst du mir die Adresse geben, Harry?“
„Sofort“, sagte Cummings. „Stearns Road 1123.“
„Wir werden uns mal mit Mrs. Fisher unterhalten“, meinte Quinn. „Sollte sich etwas Neues ergeben, rufe ich dich wieder an.“
Quinn legte den Hörer auf, und seine Mitarbeiter sahen ihn interessiert an.
„Irgendwelche Vorschläge, wie wir vorgehen sollten?“ fragte der Anwalt.
Silk nickte.
„Ich würde vorschlagen, daß wir der Witwe mal auf den Zahn fühlen. Und ich würde sagen, ziemlich nachdrücklich. Vielleicht hilft uns ihre Reaktion weiter.“
„Ich weiß nicht, ob das die richtige Methode ist“, sagte Butch nachdenklich. „Da verscheuchen wir unter Umständen das Wild.“
„Das glaube ich nicht“, bemerkte Carol. „Gehen wir von der Voraussetzung aus, daß es sich bei diesem Selbstmord um einen Mord handelt. Warum tarnte der Täter den Mord als Selbstmord?“
„Eine gute Frage“, meinte Quinn. „Die geschicktesten Mörder sind diejenigen, die einen Mord als Unfall oder Selbstmord erscheinen lassen. Nur Dummköpfe gehen hin und schießen das Opfer einfach über den Haufen. Und wenn wir es tatsächlich mit einem Mord zu tun haben, dann ging der Täter geschickt vor. Es gelang ihm, die Polizei zu täuschen. War es tatsächlich Mord, dann erhebt sich vor allem die Frage nach dem Motiv. Und da könnte uns vielleicht die Witwe weiterhelfen. Ich stimme mit Silk überein, daß wir sie nicht allzu sanft anfassen sollten. Wenn sie nichts mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat, dann wird sie uns helfen. Hat sie aber etwas damit zu tun, dann könnte sie nervös werden und uns dadurch weiterhelfen.“
„Du meinst also“, sagte Butch, „daß wir einmal von der Annahme ausgehen sollten, daß es sich tatsächlich um einen Mord handelt.“
„Genau“, sagte Quinn. „Butch und ich werden uns die Witwe vornehmen. Silk fährt in Fishers Firma.“
Vom Portier erfuhren sie, daß sich Mrs. Fisher im Haus aufhielt. Quinn hatte sich absichtlich nicht telefonisch bei ihr angemeldet. Er wollte sie überraschen.
Butch mußte zweimal läuten, bevor sich endlich Schritte näherten und die Tür geöffnet wurde.
Eine hübsche Blondine blickte sie mißmutig an. Ihr Haar war schulterlang und fiel lose über die Schultern. Ihr Gesicht war schmal und dezent geschminkt. Sie trug einen dunkelblauen ärmellosen Pulli und weiße weite Hosen.
„Ich kaufe nichts“, sagte sie ungehalten und wollte die Tür zuziehen.
„Einen Augenblick“, sagte Quinn rasch. „Sind Sie Mrs. Fisher?“
Sie nickte und schloß die Tür weiter.
„Mein Name ist Anthony Quinn. Ich bin Anwalt und möchte mit Ihnen einen Augenblick sprechen. Es geht um den Tod Ihres Mannes.“
Quinn und Butch achteten auf jede ihrer Reaktionen. Sie hatte ihr Gesicht gut in der Gewalt. Nur die Augen schlossen sich ein wenig.
„Dürfen wir eintreten, Mrs. Fisher?“
Sie zögerten einen Augenblick.
„Haben Sie einen Ausweis bei sich?“ fragte sie.
Quinn nickte und holte seinen Ausweis hervor. Sie starrte das Foto an. Dann blickte sie Quinn an.
„Kommen Sie herein“, sagte sie und zog die Tür auf.
Quinn und Butch traten ein. Sie schloß die Tür und ging vor.
„Legen Sie bitte die Mäntel ab“, sagte sie, „und entschuldigen Sie mich für einen Augenblick.“
Quinn sah ihr nach. Sie ging die Diele entlang, zog rasch eine Tür auf und verschwand im dahinterliegenden Zimmer.
Quinn und Butch schlüpften aus den Mänteln. Auf der Kleiderablage lag eine Nerzmütze, und auf einen Stuhl war ein Nerzmantel geworfen worden, der fast völlig einen Ledermantel verdeckte. Butch bemerkte Quinns Blick und verstand sofort. Er stellte sich so hin, daß Quinn unbeobachtet die Mäntel auf dem Stuhl untersuchen konnte. Die Mäntel waren feucht, und die Taschen des Ledermantels waren leer.
„Sie hat Besuch“, sagte Quinn fast unhörbar.
Bevor Butch antworten konnte, öffnete Mrs. Fisher die Tür.
„Bitte, treten Sie näher“, sagte sie. Sie betraten das große Wohnzimmer und blickten sich rasch um.
„Entschuldigen Sie“, sagte Mrs. Fisher, „daß ich Sie warten ließ, aber ich mußte ein wenig Ordnung machen.“
Quinn lächelte verstehend.
„Nehmen Sie bitte Platz“, sagte sie und deutete auf die Sitzgarnitur.
Die beiden Männer setzten sich. Quinn ließ die Frau nicht aus den Augen. Ihr Gesicht war angespannt, und ihre Bewegungen waren beherrscht. Sie war nervös und versuchte, es zu verbergen, was ihr aber nur teilweise gelang. Immer wieder wanderte ihr Blick zu einer der Türen. Quinn war sicher, daß sie ihren Besucher dahinter verbarg.
„Es geht um den Tod meines Mannes?“ fragte Mrs. Fisher schließlich mit zittriger Stimme.
„Ja“, sagte Quinn und beugte sich vor. „Angeblich soll Ihr Mann Selbstmord begangen haben...“
„Was heißt angeblich?“ unterbrach sie ihn. Ihre langen Wimpern zitterten leicht.
„Was würden Sie dazu sagen, Mrs. Fisher“, sagte Quinn kühl, „wenn ich Ihnen sagen würde, daß Ihr Mann ermordet wurde?“
Die Wimpern zitterten noch stärker. Sie preßte die Lippen zusammen.
„Unsinn“, sagte sie. Sie griff nach den Zigaretten auf dem Tisch und holte eine heraus. Butch gab ihr Feuer, und sie nickte dankend. Sie inhalierte tief und blies den Rauch ruckartig aus. „Das ist eine unsinnige Behauptung, die Sie da aufstellen, Mr. Quinn. Wer hätte ein Interesse am Tod meines Mannes haben sollen?“
„Vielleicht Sie, Mrs. Fisher?“ schaltete sich Butch ein.
Sie warf ihm einen bösen Blick zu.
„Meine Herren“, sagte Mrs. Fisher beherrscht und stand auf. „Ich habe keine Lust, mir Ihre Unverschämtheiten anzuhören.“
„Ich muß mich für meinen Mitarbeiter entschuldigen, Mrs. Fisher“, sagte Quinn. „Bitte, setzen Sie sich wieder.“
„Nur, wenn Sie sich einen anderen Ton angewöhnen“, sagte sie spitz. „Was wollen Sie eigentlich von mir, Mr. Quinn? Und was soll diese Bemerkung, daß mein Mann ermordet wurde?“ Ihre Nasenflügel blähten sich wütend, und ihre Augen blitzten.
„Wir wurden beauftragt, den Tod Ihres Mannes aufzuklären“, sagte Quinn. „Leider darf ich Ihnen nicht sagen, wer unser Auftraggeber ist, aber es sieht ganz so aus, als wäre Ihr Mann tatsächlich ermordet worden. Vielleicht können Sie uns weiterhelfen?“
Sie schwieg sekundenlang. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Harold ermordet wurde.
Er hinterließ doch einen Abschiedsbrief .“
„Den auch ein anderer geschrieben haben könnte“, meinte Butch.
„Das ist ja alles Unsinn“, sagte sie und drückte die Zigarette aus. „Ich hatte Streit mit Harold und verließ ihn, als ich sah, daß er sich nicht umstimmen ließ und einfach nicht in Chicago bleiben wollte. Außerdem steckte er in finanziellen Schwierigkeiten. Er wußte nicht mehr ein noch aus.“
„Und in dieser Lage verließen Sie ihn einfach?“ fragte Butch. Ihm war von Quinn die Rolle des bösartig fragenden Detektivs zugeteilt worden.
„Das ist wohl meine Sache, oder?“ fragte Mrs. Fisher wütend.
„Allerdings“, sagte Butch gedehnt. „Doch es wirft ein bezeichnendes Licht auf Sie.“
„Jetzt habe ich aber endgültig genug!“ schrie sie und sprang wieder auf. „Hinaus mit Ihnen!“
„Laß mich allein, Butch“, sagte Quinn, der sitzengeblieben war.
Butch nickte ihm zu, verbeugte sich vor Mrs. Fisher und verließ das Zimmer.
„Ihr Mitarbeiter hat vielleicht Manieren!“ sagte sie und blieb vor Quinn stehen.
„Heutzutage sind gute Angestellte schwer zu bekommen, Mrs. Fisher. Mr. O'Leary ist ein guter Detektiv, aber ein wenig rauh.“
„Ein wenig rauh ist gut“, schnaubte sie. „Er ist ein Flegel.“
„Kommen wir auf Ihren Mann zurück, Mrs. Fisher. Sie können sich also nicht vorstellen, wer ein Interesse am Tod Ihres Mannes haben könnte?“
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Er war ein sanfter Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.“
„Hatte er irgendwelche Feinde?“
„Nein“, sagte sie entschieden.
„Ihr Mann hatte eine Firma in Wien und eine in Chicago. Verdiente er gut?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Die Firma in Wien warf einen ganz guten Gewinn ab, aber in Chicago verdiente er fast nichts. Das war auch einer der Gründe für unseren Streit. Hier hatte er unfähige Leute, die taten, was sie wollten, wenn er nicht da war.“
Quinn nickte.
„Was werden Sie mit der Firma machen?“
„Verkaufen”, sagte sie.
„Ihr Mann hatte aus erster Ehe einen Sohn?“
„Ja, er besucht ein Internat in Wien. Mein Mann hing sehr an ihm. Ich werde mich um ihn kümmern.“
„Das ist sehr anständig von Ihnen, Mrs. Fisher.“
Sie hob die Schultern.
„Ich mag den Jungen sehr. Wenn ich geahnt hätte, daß sich Harold mit Selbstmordgedanken trägt, dann hätte ich ihn nicht verlassen.“
„Sonst war Ihre Ehe in Ordnung?“ Sie nickte.
„Ja, er war ein prächtiger Ehemann. Er hatte nur einen Fehler: Er war stur wie ein Esel. Sie können sich gar nicht vorstellen, welcher Schock es für mich war zu erfahren, daß er sich selbst getötet hat.“ Sie lächelte schwach. „Aber Sie behaupten ja, er sei ermordet worden. Darf ich wissen, worauf sich diese Annahme gründet?“
„Leider nein“, sagte Quinn und stand auf. Die Rolle der trauernden Witwe paßte nicht zu ihr. Sie wirkte gekünstelt und unecht. Quinn lagen noch einige Fragen auf der Zunge, die er aber auf einen späteren Zeitpunkt verschieben wollte. Er hatte seinen Schreckschuß abgefeuert und war neugierig, ab Mrs. Fisher irgendetwas unternehmen würde.
Sie begleitete Quinn zur Tür.
„Vielen Dank für Ihre Auskünfte, Mrs. Fisher. Sollte ich noch Fragen haben, darf ich mich doch wieder an Sie wenden?“
Sie nickte.
„Auf Wiedersehen“, sagte sie leise und schloß die Tür.
Quinn rieb sich nachdenklich das Kinn und stieg in den Aufzug. In der Halle sah er sich rasch um. Butch stand grinsend neben der Eingangstür.
„Hast du etwas herausbekommen?“ fragte Butch.
„Nichts“, sagte Quinn. „Das war aber auch nicht zu erwarten. Was hast du für einen Eindruck von ihr?“
„Schwer zu sagen“, meinte Butch und öffnete die Tür. „Sie war nervös, aber das kann viele Gründe haben. Auf mich hinterließ sie eigentlich einen ganz guten Eindruck, obwohl sie mich hinauswarf.“
Quinn grinste.
„Du hast deine Rolle etwas übertrieben, Butch“, sagte er. Er selbst hatte einen anderen Eindruck von Mrs. Fisher gewonnen.
„Ich unterhielt mich mit dem Portier“, meinte Butch. „Mrs. Fisher kam in Begleitung eines Mannes, der sie schon einige Male begleitet hat. Der Portier konnte mir eine ganz gute Beschreibung des Mannes geben. Etwa ein Meter achtzig groß, hageres Gesicht, ziemlich bleich, gekrümmte Nase und kurzes schwarzes Haar. Heute trug er einen braunen Ledermantel. Alter ungefähr dreißig Jahre. Den Namen des Mannes wußte er nicht.“
„Wenigstens etwas“, sagte Quinn.
Der Himmel war schieferfarben, die Straßenbeleuchtung flammte auf, und es hatte zu schneien begonnen. Ein eisiger Wind fegte durch die Straße. Butch stellte den Mantelkragen auf.
Sie überquerten die Straße, und Butch klemmte sich hinter das Steuer des schwarzen Buick Electra 225. Quinn setzte sich auf den Beifahrersitz und versuchte, mit Silk Verbindung herzustellen. Nach einigen Minuten gelang es ihm.
„Wo bist du, Silk?“ fragte Quinn.
„In der Stearns Road“, antwortete Silk. „Ich habe mir Fishers Firma angesehen. Nur mäßiger Betrieb, kaum ein halbes Dutzend Autos zum Verkauf. Die Werkstatt scheint auch nicht zu florieren. Ich fragte nach Fisher. Mir wurde gesagt, daß er tot sei und die Firma zum Verkauf angeboten sei. Mehr war nicht herauszubekommen.“
Quinn gab Silk einen kurzen Bericht und befahl ihm, in die Palmer Avenue zu kommen.
„Was machen wir nun?“ fragte Butch.
„Warten“, sagte Quinn. „Wir werden den Mann im braunen Ledermantel verfolgen, und Silk wird sich Mrs. Fisher an die Fersen heften, falls sie auftaucht.“
Zwanzig Minuten später kam Silk und erhielt von Quinn eine detaillierte Beschreibung von Mrs. Fisher.
Es schneite immer stärker. Der Wind war schwächer geworden, doch die Schneeflocken fielen so dicht, daß man nur wenige Meter sehen konnte.
Butch stellte immer wieder die Scheibenwischer ein. Der Schnee war naß und schwer. Sie ließen das Haus nicht aus den Augen. Beide waren an Warten gewöhnt.
Sie hingen ihren Gedanken nach. Wie viele Stunden in meinem Leben habe ich wohl schon mit Warten verbracht? dachte Butch. Er lehnte sich zurück und wandte den Kopf. Von ihrem Standort aus hatten sie einen guten Blick auf das Apartmenthaus.
Der Verkehr war schwächer geworden. Es war kurz nach achtzehn Uhr. Um diese Zeit erstickte Chicago normalerweise im Verkehr. Doch der heftige Schneefall hatte die meisten Autofahrer davon abgehalten, ihre eigenen Autos zu benützen. Innerhalb einer halben Stunde waren mehr als zehn Zentimeter Schnee gefallen.
„Gott sei Dank, daß wir Schneeketten angebracht haben“, sagte Butch. Quinn nickte.
„Ich glaube, da kommt unser Mann“, sagte Butch und öffnete das Seitenfenster, um besser sehen zu können.
Ein Mann in einem braunen Ledermantel verließ das Haus. Butch holte das Fernglas hervor und setzte es an die Augen. Die Beschreibung, die er vom Portier erhalten hatte, traf auf den Mann zu. Sein Gesicht war bleich, und das schwarze Haar war militärisch kurz geschnitten. Der Mann blieb kurz auf der Straße stehen, schlug den Mantelkragen hoch und vergrub die Hände in den Taschen.
Er blieb mehr als eine Minute stehen und sah sich dabei aufmerksam um. Schließlich überquerte er die Straße und ging an Butch vorbei. Er blieb wieder stehen und blickte sich nochmals um. Dann ging er den Bürgersteig nach Norden weiter. Er ging langsam und bedächtig. Das Schneetreiben war noch heftiger geworden. Nach wenigen Sekunden war die Gestalt des Mannes nur noch ein schemenhafter Schatten.
Quinn öffnete die Wagentür und stieg aus. Er folgte dem Mann, der nach zwanzig Schritten vor einem alten dunkelblauen Ford stehenblieb, die Tür aufsperrte und eine Bürste herausholte, mit der er den Schnee von den Wagenfenstern kehrte. Quinn ging an ihm vorüber, überquerte die Straße und kehrte zu Butch zurück. Er setzte sich in den Wagen und schlug die Tür zu.
„Fahr los, Butch“, sagte der Anwalt. „Unser Mann fährt einen dunkelblauen Ford. Wir stellen uns vor ihm in eine Parklücke und folgen ihm, wenn er losfährt.“
Butch nickte und startete. Er fuhr langsam, passierte den Ford und parkte den Wagen. Der Mann im Ledermantel war noch immer dabei, die Scheiben des Wagens zu putzen.
Quinn griff nach dem Mikrophon und setzte sich mit Silk in Verbindung.
„Wir haben unseren Mann“, sagte er. „Wir werden ihn verfolgen. Du wartest, bis Mrs. Fisher auftaucht.“
„Verstanden“, sagte Silk. „Hoffentlich kommt sie bald.“
Quinn hängte das Mikrophon in die Halterung und blickte in den Rückspiegel. Der Mann im Ledermantel stieg eben in den Ford und stellte die Scheibenwischer an. Er fuhr los, und der Wagen scherte nach links aus.
„Der Bursche hat keine Schneeketten“, sagte Butch zufrieden. „Die Verfolgung sollte eigentlich keine besonderen Schwierigkeiten machen.“
Quinn nickte. Der dunkelblaue Ford quälte sich langsam an ihnen vorbei. Butch wartete einige Sekunden und nahm dann die Verfolgung auf. Sie fuhren die Palmer Avenue nach Westen. Der Schnee fiel wie ein dichter weißer Vorhang. Butch konnte nur wenige Meter weit sehen.
Er kniff die Augen zusammen und schob sich dichter an den Ford heran. In der Grand Avenue mußte vor wenigen Minuten ein Schneepflug gefahren sein, denn die Straße war fast schneefrei. Ein Jaguar zwängte sich zwischen sie, doch Butch hatte nichts dagegen. Er konnte noch immer den Ford sehen.
„Verdammtes Wetter!“ sagte Butch. „Noch nicht mal Dezember, und es schneit wie verrückt.“
Quinn gab keine Antwort. Er dachte an Mrs. Fisher. Er war aus ihr nicht klug geworden, doch sein Gefühl sagte ihm, daß etwas mit ihr nicht stimmte.
Der Ford bog in die Des Plaines River Road ein und fuhr nach Norden. Beim Autobahnverteiler Rosemont, wo drei Autobahnen zusammentrafen und ein Chaos von Über- und Unterführungen bildeten, bog der Ford in den Northwest Tollway ein. Nach wenigen Minuten Fahrt nahm er die erste Ausfahrt. Butch hielt großen Abstand. Sie bogen in die Lee Street ein, eine schmale Straße mit niedrigen Häusern. Früher war diese Gegend recht angesehen gewesen. Die Wohnungen waren teuer und gefragt. Jetzt hatte sich aber alles geändert. Die unmittelbare Nähe des O'Hare Flughafens hatte die Bewohner vertrieben und das Viertel veröden lassen. Sie überquerten die Dempster Street, und schließlich blieb der Ford stehen.
„Scheußliche Gegend“, brummte Butch und fuhr an dem Ford vorbei. Er hatte keine Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden. „Sollen wir ihn verfolgen, wenn er aussteigt?“
„Ja“, sagte Quinn. Er wandte den Kopf, doch er konnte nicht viel erkennen. Die Scheiben waren mit Schnee bedeckt. „Ich steige aus.“
Quinn öffnete die Wagentür und trat auf den Bürgersteig. Die Straße war fast völlig leer. Er blieb neben dem Wagen stehen und blickte zum Ford. Eben wurde die Tür geöffnet, und der Mann im Ledermantel stieg aus. Er schloß die Wagentür ab und wollte die Straße überqueren, als ein Chevrolet anfuhr. Der Wagen wurde immer schneller. Der Mann im Ledermantel trat einen Schritt zurück. Da war der Chevrolet auf seiner Höhe. Das rechte Seitenfenster stand offen. Der Lauf einer Maschinenpistole wurde herausgeschoben und begann, Feuer zu speien. Ein roter Strahl schoß aus der Mündung, und das ohrenbetäubende Hacken des Dauerfeuers war zu hören. Die Garbe traf den Mann im Ledermantel in die Brust, glitt höher und zerfetzte sein Gesicht und seinen Hals. Er riß die Arme hoch und brach zusammen.
Quinn reagierte sofort. Er riß den Mantel auf und holte seine Pistole hervor. Er duckte sich hinter dem Buick, entsicherte die Waffe und schoß. Er hatte auf das linke Vorderrad des Chevrolets gezielt und gut getroffen. Der Wagen fing an zu bocken, drehte sich halb um die eigene Achse und schlitterte auf die andere Straßenseite hinüber. Quinn schoß nochmals. Diesmal verfehlte er aber den rechten Vorderreifen. Er schoß wieder und traf erneut. Der Chevrolet stieß gegen die Bürgersteigkante, legte sich schräg und krachte gegen einen parkenden VW-Bus.
Butch öffnete die Wagentür und ließ sich auf die Straße fallen. Auch er hielt die Pistole entsichert in der Hand. Er sprang auf und rannte über die Straße. Da hackte wieder die Maschinenpistole los. Butch ließ sich fallen, drehte sich um, sprang keuchend auf und hechtete hinter einen Wagen.
Für Sekunden blieb alles ruhig. Quinn versuchte, die Männer im Chevrolet zu erkennen, doch die Scheibe war hochgedreht worden. Er konnte nichts erkennen. Rasch sah er sich um. Auf der anderen Straßenseite standen einige niedrige Häuser. Dazwischen lag eine Baustelle.
Der Fahrer des Chevrolets öffnete die Tür und kroch aus dem Wagen. Sein Komplice mit der Maschinenpistole folgte ihm.
Quinn hob den Kopf. Er konnte nicht viel erkennen. Der Schnee fiel sehr dicht, was ein Vorteil für die Gangster war. Er warf rasch einen Blick auf den Mann im Ledermantel, der auf dem Rücken lag und sich nicht mehr bewegte. Die beiden Gangster zögerten.
Butch kroch auf den Bürgersteig und suchte hinter den parkenden Autos Schutz. Immer wieder hob er den Kopf, die Pistole schußbereit in der Hand.
Die beiden Gangster unterhielten sich leise. Sie standen dicht nebeneinander. Endlich waren sie zu einem Entschluß gekommen. Sie rannten auf die Baustelle zu.
Butch richtete sich auf und schoß. Im dichten Schneetreiben konnte er die Gestalten kaum erkennen. Er schoß wieder, doch keiner der Schüsse traf.
Der Gangster mit der Maschinenpistole blieb kurz stehen, hob die Waffe und zog durch. Die Kugeln rissen die Seitenwand des VW auf, und Butch duckte sich wieder.
Quinn sprang auf und spurtete los. Wie ein Hundertmeterläufer überquerte er die Straße und setzte den Gangstern nach.
„Komm mit, Butch!“ brüllte der Anwalt und rannte weiter.
Die Gangster hatten das zum Teil abgerissene Haus erreicht und verschwanden hinter einem Trümmerhaufen, der dicht mit Schnee bedeckt war.
Die Fußspuren der Gangster zeichneten sich deutlich im Schnee ab. Quinn rannte geduckt weiter. Nach wenigen Schritten wurde es aber so dunkel, daß er die Spuren nicht mehr erkennen konnte. Er preßte sich gegen die Hauswand und schlich weiter. Butch folgte ihm.
„Wir müssen vorsichtig sein“, keuchte Butch. „Die können uns wie Kaninchen abschießen.“
Quinn brummte und lief weiter. Da ratterte wieder die Maschinenpistole los, und sie warfen sich zu Boden. Die Kugeln schlugen nur wenige Zentimeter von Quinns Kopf entfernt ein. Er drehte sich auf die Seite und rutschte zurück.
Vor ihnen lag das halbverfallene Haus, ein dunkler Schatten, an dessen Wänden der Schnee teilweise haften geblieben war.
„Es hat keinen Sinn weiterzugehen“, sagte Quinn und zog sich weiter zurück, „Wir sehen nichts, doch die Kerle können uns gut erkennen.“
Butch nickte. Sie duckten sich hinter einem Bulldozer und warteten. Dann war das Heulen der Polizeisirenen zu hören. Zwei Streifenwagen blieben stehen, und einige Polizisten sprangen heraus.
„Gib der Polizei Bescheid, Butch“, sagte Quinn. „Ich bleibe hier.“
Butch rannte geduckt zur Straße zurück.
Quinn ließ das Haus nicht aus den Augen, doch es blieb still. Er befürchtete, daß das Haus noch einen zweiten Ausgang hatte, der zur Prospect Road führte. Wenn das zutraf, dann waren die beiden Gangster wahrscheinlich schon verschwunden.
Nach einer Minute kehrte Butch mit zwei Polizisten zurück, die neben Quinn Stellung bezogen.
„Inspektor Cummings wurde verständigt“, sagte Butch. „Ich glaube, daß wir nicht viel Glück haben werden. Die Gangster sind sicher schon verschwunden. Das Haus hat einen zweiten Ausgang.“
Quinn preßte grimmig die Lippen zusammen.
„Das habe ich befürchtet.“
„Der Streifenwagen wurde in die Prospect Road beordert“, sagte einer der Polizisten.
Quinn stand auf.
„Ich gehe zu dem Toten zurück“, sagte er und steckte die Pistole ein, nachdem er nachgeladen hatte.
Quinn ging langsam. Die Hände hatte er tief in den Manteltaschen vergraben. Zwei Streifenwagen sperrten die Lee Street ab, und einige Polizisten drängten die Schaulustigen zurück. Quinn blieb neben dem Toten stehen. Dessen Gesicht war eine formlose Masse. Schaudernd wandte sich der Anwalt ab.
Ein Einsatzwagen der Polizei und einige Männer in kugelsicheren Anzügen trafen ein. Starke Suchscheinwerfer richteten sich auf die Ruine, tasteten jeden Meter ab. Die Männer in den kugelsicheren Anzügen trugen entsicherte Maschinenpistolen in den Händen.
Ein uniformierter Leutnant hielt ein Megaphon in den Händen. Er forderte die Gangster auf, aus der Ruine zu kommen. Doch alles blieb ruhig.
Quinn stand noch immer neben dem Toten. Er war sicher, daß die Gangster entkommen waren.
Die Polizisten hatten die Ruine erreicht und begannen, sie zu durchsuchen.
Quinn hob den Blick. Ein Streifenwagen raste heran und bremste ab, Inspektor Cummings sprang heraus.
„Tag, Harry“, sagte Quinn. Der Inspektor nickte. Er sah den Toten kurz an. Dann blickte er zu Quinn.
„Wer ist der Tote?“
Quinn hob die Schultern.
„Keine Ahnung, Harry“, sagte er. „Ein Bekannter von Mrs. Fisher.“
Cummings runzelte die Brauen.
„Ein Bekannter von Mrs. Fisher?“
„Ja“, sagte Quinn. „Butch und ich besuchten Mrs. Fisher. Vom Portier erfuhren wir, daß sie Besuch hat. Es war ein Mann in einem Ledermantel. Wir verfolgten ihn bis hierher. Aus einem Chevrolet wurde mit einer Maschinenpistole auf ihn geschossen - das Ergebnis siehst du. Wie der Mann heißt, kann ich dir nicht sagen. Einen Augenblick, Harry. Ich setzte mich mal rasch mit Silk in Verbindung.“
Cummings folgte ihm. Quinn öffnete den Buick und setzte sich. Er stellte die Verbindung mit Silk her.
„Ist Mrs. Fisher aus dem Haus gekommen, Silk?“
„Nein. Bis jetzt noch nicht.“
„Gut“, sagte Quinn. „Gehe ins Haus und warte, bis die Polizei kommt, Sollte in der Zwischenzeit Mrs. Fisher auftauchen, dann halte sie fest.“
„Verstanden“, sagte Silk.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Cummings.
„Das ist doch wohl klar“, sagte der Anwalt und stieg aus. „Mrs. Fisher kennt den Toten. Er war bei ihr zu Besuch. Sie muß also wissen, wer er ist, und es dürfte doch recht interessant sein zu erfahren, was sie mit einem Mann zu tun hat, der auf offener Straße erschossen wird. Ich würde dir empfehlen, ein paar Leute bei ihr vorbeizuschicken.“
Cummings nickte, Er ging zu einem Streifenwagen, angelte sich das Mikrofon und sprach hinein. Das Spurensicherungsteam traf ein. Der Schnee fiel mit unverminderter Heftigkeit. Der Tote war mit einer dicken Schneeschicht überzogen. Dadurch wurde der Anblick noch gespenstischer. Blitzlichter flammten auf.
Der uniformierte Leutnant unterhielt sich mit Cummings, der heftig nickte. Quinn schlenderte näher.
„Die beiden Gangster sind ausgeflogen“, sagte Cummings, und Quinn nickte.
„Wir fanden die Maschinenpistole, aber sonst keine Spur von den beiden.“
Quinn seufzte.
„Meine Ahnung hat mich nicht getrogen“, sagte er. „Der Selbstmord von Fisher stinkt zum Himmel. Da ist irgendetwas faul.“
„Vielleicht kann uns diese Mrs. Fisher weiterhelfen“, meinte Cummings.
„Das hoffe ich auch“, sagte Quinn.
Sie sahen zu, als der Polizeifotograf immer neue Bilder schoß.
Dann traf der Polizeiarzt ein. Es war Tom Venn, der erst seit kurzer Zeit bei der Polizei war. Er war ein junges Bürschchen, von dessen Gesicht man nicht viel erkennen konnte, da es von einem wild wuchernden Bart eingehüllt wurde. Auf der spitzen Nase saß eine Nickelbrille, die beschlagen war. Venn kniete nieder und sah sich den Toten kurz an. Dann richtete er sich auf.
„Die Todesursache dürfte wohl klar sein“, sagte er zu Cummings. Dieser nickte.
„Brauchen Sie den Toten noch, Venn?“
Der Arzt schüttelte den Kopf.
„Den Obduktionsbefund bekommen Sie von mir in zwei Tagen. Oder ist es dringend?“
„Nein“, sagte der Inspektor. „Das reicht.“
Einer der Männer des Spurensicherungsteams kniete nieder, öffnete den Ledermantel des Toten und durchsuchte die Taschen. Er fand einen Schlüsselbund, eine Schachtel Zigaretten, ein Gasfeuerzeug, eine Handvoll Kleingeld und eine Brieftasche, die von den Kugeln halbzerfetzt und blutbesudelt war. Sie enthielt einige Geldscheine und eine Karte. Auf der Karte stand Lee Street 52/18.
„Vielleicht hat er dort gewohnt“, sagte Quinn. „Außerdem könnt ihr seinen Wagen untersuchen.“
Der Polizeibeamte öffnete den Wagen und machte sich mit einem Kollegen an die Untersuchung.
Butch schlenderte langsam näher.
„Verdammter Mist“, sagte er, „daß die beiden Kerle verschwunden sind.“
„Könnt ihr mir wenigstens eine Beschreibung der beiden Gangster geben?“ fragte Cummings.
„Tut mir leid“, sagte Quinn. „Ich konnte nichts erkennen. Sie trugen dunkle Mäntel und Hüte. Mehr kann ich nicht sagen. Hast du mehr erkennen können, Butch?“
Der blonde Hüne schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein.“
„Eine große Hilfe seid ihr ja nicht gerade“, seufzte Cummings. „Vielleicht finden wir aber in ihrem Wagen einige Anhaltspunkte.“
„Das wage ich zu bezweifeln“, meinte Butch. „Das waren Profis. Der Wagen ist wahrscheinlich gestohlen.“
Quinn hörte das Summen des Funkgeräts und ging zum Buick zurück.
„Ja?“ sagte er.
„Pech auf der ganzen Linie“, meldete sich Silk.
„Was meinst du damit?“ fragte Quinn und runzelte die Stirn.
„Unser Vögelchen ist ausgeflogen“, sagte Silk.
„Aber wie ist das möglich, Silk?“
Silk brummte.
„Ganz einfach. Mrs. Fisher stülpte sich eine schwarze Perücke auf den Kopf, schlüpfte in eine weiße Jacke und schwarze Hosen, nahm ein Köfferchen und stieg in ein Taxi. Da ich sie ja nicht persönlich kannte, konnte sie leicht an mir vorbeikommen. Ich erwartete ja eine Blondine im Nerzmantel.“
„Verdammt“, sagte der Anwalt.
„Der Portier sagte mir, daß sie oft die schwarze Perücke trägt. Er fand nichts besonderes dabei. Mir fiel sie auf, aber ich konnte ja nicht ahnen, daß es Mrs. Fisher war.“
„Das ist mein Fehler“, sagte Quinn zerknirscht. „Butch oder ich hätte bei dir bleiben sollen. Dann wäre das nicht passiert.“
„Na ja, hinterher ist man immer gescheiter“, sagte Silk. „Wir haben aber noch eine kleine Chance zu erfahren, wohin sie gefahren ist. Sie fuhr mit einem Taxi der Hearst Company. Ich werde mich mal mit denen in Verbindung setzen.“
„Gut“, sagte Quinn. „Tu das.“
Er unterbrach die Verbindung. Cummings und Butch hatten ihm zugehört.
„Glaubst du noch immer, daß Fisher Selbstmord begangen hat, Harry?“
Cummings schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte er. „Das ist ein verdammt seltsamer Fall. Ich werde eine Fahndung nach Mrs. Fisher einleiten lassen.“
Butch wischte sich den Schnee aus den Haaren.
„Da haben wir offenbar in ein Wespennest gestochen.“
„Das kann man wohl sagen“, meinte Quinn. „Dieser Mord muß allerdings nicht unbedingt etwas mit Mrs. Fisher zu tun haben, obwohl ich es annehme. Wir statten ihr einen Besuch ab, der Mann im Ledermantel verläßt sie und wird erschossen. Solche Zufälle gibt es nicht.“
Butch nickte.
„Und während der Mann erschossen wird, verschwindet Mrs. Fisher.“
„Die Fahndung nach Mrs. Fisher ist eingeleitet“, sagte Cummings. „Sehen wir uns mal die Wohnung des Toten an.“
„Warte im Wagen, Butch“, sagte der Anwalt. „Vielleicht meldet sich Silk.“
Mit Cummings und Quinn gingen einige Beamte des Spurensicherungsteams. Nummer 52 war ein baufälliges dreistöckiges Haus. Wie nicht anders zu erwarten, knarrte die Tür, und es stank unbeschreiblich. Wohnung 18 lag im zweiten Stockwerk. Es war eine einfache braungestrichene Tür, von der der Lack an unzähligen Stellen abblätterte und die kein Namensschild hatte.
Einer der Beamten hatte den Schlüsselbund mitgenommen, der beim Toten gefunden worden war. Nach kurzem Suchen hatte er den passenden Schlüssel gefunden und schloß auf. Die Wohnung machte einen unbewohnten Eindruck. Die Diele war winzig. Sie enthielt nur eine schäbige Kleiderablage und ein kleines Tischchen, auf dem ein schmutziges Telefon stand. Die Küche war kaum drei Quadratmeter groß. Ein winziges Zimmer diente als Schlafzimmer. Das Bett war unbenützt. Das Wohnzimmer war spartanisch eingerichtet. Fernseher, eine Couch und zwei Stühle mit abgewetzten Lederbezügen, ein niedriger Tisch und ein einfacher Schrank. Neben dem Fernseher standen ein Koffer und eine Reisetasche.
Die Beamten machten sich an die Untersuchung der Räume. Einer öffnete den Koffer und holte zwei Anzüge, Unterwäsche, Socken und Taschentücher heraus. Er untersuchte die Taschen, fand aber keine Papiere. In der Reisetasche lagen nur einige Taschentücher und Schmutzwäsche.
Quinn sah sich die Anzüge an. Sie waren neu und in einem Chicagoer Warenhaus gekauft worden.
Nach wenigen Minuten hatten die Beamten die Durchsuchung beendet. Nichts war gefunden worden.
„Keinen Ausweis, nichts haben wir gefunden“, knurrte Cummings. „Die Untersuchung des Wagens hat auch nichts ergeben. Wir haben keine Ahnung, wer der Tote ist.“
„Vielleicht hilft uns der Wagen weiter“, meinte Quinn.
„Hoffentlich“, sagte Cummings.
Zwei Stunden später trafen sie sich in Cummings Büro. Cummings lächelte, als Quinn und Butch eintraten.
„Hast  du Neuigkeiten?“ fragte Quinn und setzte sich.
„Ja“, sagte der Inspektor. „Wir wissen jetzt, wer der Tote im Ledermantel ist.“
Quinn und Butch sahen den Inspektor interessiert an.
„Ein alter Kunde von uns“, fuhr Cummings fort. „Philip LeVrier. Neunundzwanzig Jahre alt. Wegen Raubüberfall verurteilt, vor drei Wochen wegen guter Führung entlassen. Wir bekamen die Unterlagen vom FBI. LeVrier stammt aus Detroit. Dort verübte er auch den Raubüberfall.“
„Wenigstens etwas“, sagte Quinn. „Wir haben auch eine Neuigkeit. Silk gelang es, den Taxifahrer ausfindig zu machen, der Mrs. Fisher gefahren hat. Er hat sie in die Stearns Road gebracht, zur Firma ihres Mannes. Silk ist hingefahren. Er wird hier anrufen.“
Cummings nickte.
„Ich bezweifle, daß sich Mrs. Fisher noch dort aufhalten wird.“
„Das kann man nicht sagen“, stellte Quinn fest. „Möglicherweise hat sie überhaupt nichts mit dem Mord an LeVrier zu tun.“
„Das glaubst du wohl selbst nicht!“ knurrte Cummings. „Ich verwette meinen Kopf, daß sie mit LeVriers Tod etwas zu tun hat. Und der Selbstmord ihres Mannes erscheint mir jetzt auch in einem neuen Licht.“
„Hast du Unterlagen über LeVrier?“
„Nein“, sagte der Inspektor und stand auf. „Ich forderte sie an. Hoffentlich kommen sie bald. Er mietete vor drei Tagen die Wohnung in der Lee Street, und soweit wir feststellen konnten, besuchte er sofort Mrs. Fisher. Er wurde einige Male gesehen, wie er mit ihr das Haus in der Palmer Avenue betrat. Er blieb immer über Nacht bei ihr. Ich habe nach Detroit telegrafiert. Vielleicht können uns die Kollegen dort weiterhelfen.“ Cummings ging unruhig im Zimmer auf und ab. „Die Untersuchung von Le Vriers Wagen ergab überhaupt nichts. Den Wagen hat er vor zwei Tagen in Chicago gemietet.“
„Es wäre vielleicht auch ganz gut, über Mrs. Fisher Erkundigungen einzuziehen“, bemerkte Butch.
„Das habe ich auch veranlaßt“, brummte Cummings und setzte sich wieder. „Im Augenblick ist Slater mit einigen Beamten dabei, ihre Wohnung zu durchsuchen.“
„Was hat sie mit einem Mann wie LeVrier zu schaffen?“ fragte Quinn nachdenklich.
„Da gibt es unzählige Möglichkeiten“, sagte Cummings. „Sie kann ihn von früher her kennen, oder sie hat ihn jetzt erst kennengelernt und sich in ihn verknallt. Ich glaube zwar...“
Das Telefon läutete, und Cummings hob den Hörer ab.

* * *

Silk parkte den schwarzen Chevrolet Malibu vor Fishers Werkstatt. Die Stearns Road war eine schmale Straße. Eine Firma lag neben der anderen. Hier wohnte kaum jemand. Nachts war die Straße völlig verlassen. Silk blieb mehr als eine Minute sitzen. Es schneite noch immer in dichten Flocken. Die Werkstatt war dunkel.
Er stellte den Mantelkragen auf und zog Lederhandschuhe an. Dann stieg er aus und stapfte mißmutig durch den knöchelhohen Schnee zur Autoreparaturwerkstatt. Das Gebäude war einstöckig, und das Areal war mit einem zwei Meter hohen Gitterzaun umgeben. Die Straßenlampen schaukelten im Wind. Es war völlig ruhig. Die Schneeflocken wirbelten wie Moskitoschwärme umher.
Silk erreichte das Tor. Er blieb stehen und drehte sich um. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen, kein Auto kam vorbei. Auf dem Platz vor der Werkstatt standen einige Wagen, die mit einer dichten Schneeschicht überzogen waren. Silk drückte das Tor auf und ging langsam weiter. Die Straßenbeleuchtung gab genügend Licht. Als er die halbe Strecke zur Werkstatt zurückgelegt hatte, blieb er wieder stehen und drehte sich um. Noch immer war alles ruhig.
Flüchtig musterte er die Wagen. Es waren fünf Personenwagen und ein Zehntonner. Der Kühler des Lastwagens war nur mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Silk konnte deutlich die Abdrücke der Reifen im Schnee erkennen. Vor weniger als einer halben Stunde mußte hier jemand mit dem Lastwagen gefahren sein.
Nach zwanzig Schritten erreichte er die Tür, die zu den Büroräumen führte. Er drückte die Klinke nieder, und die Tür schwang auf. Seine Finger tasteten nach dem Lichtschalter. Er knipste das Licht an. Der Vorraum war einfach eingerichtet - ein kleiner Tisch mit drei Stühlen, eine Bodenvase, in der einige Kunstblumen steckten, und eine Kleiderablage.
„Hallo“, sagte Silk laut und trat ein. Auf dem Tisch stand ein schwarzes Köfferchen. Silk runzelte die Stirn und blieb vor dem Tisch stehen. So einen Koffer hatte Mrs. Fisher bei sich, als sie ihr Haus verlassen hatte. Silk stieß die Tür zu den Büros auf und knipste das Licht an, doch die Räume waren leer. Er kehrte in den Vorraum zurück und blieb nachdenklich stehen. Dann setzte er sich, legte den Koffer auf seine Knie und klappte die beiden Verschlüsse auf. Der Koffer war bis auf einen Schnellhefter leer.
Er stellte das Köfferchen auf den Boden und schlug den Schnellhefter auf. Fein säuberlich war ein notariell beglaubigter Verkaufsvertrag eingeheftet, der mit dem heutigen Tag datiert war und in dem Mrs. Fisher die Firma ihres Mannes für fünfunddreißigtausend Dollar an einen Mr. Tom Drake verkaufte. Sonst befand sich nichts im Schnellhefter. Silk legte den Kaufvertrag auf den Tisch und stand auf.
Er beschloß in der Werkstätte nachzusehen. Im Büro und im Vorraum ließ er das Licht brennen. Er trat ins Freie. Das Schneetreiben war schwächer geworden. Er wandte sich nach links, ging an den eingeschneiten Wagen vorbei und bemerkte den Lkw. Er blickte zur Werkstatt. Sie war dunkel. Dann sah er den Lkw an, und plötzlich stutzte er. Er blieb stehen und erstarrte. Hinter dem rechten Hinterrad lag eine Gestalt, die mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Silk öffnete den Mantel, holte eine Taschenlampe heraus, knipste sie an und ging rasch auf die Gestalt zu. Er bückte sich und ließ den Schein der Taschenlampe darüber wandern.
Der Anblick war nichts für schwache Nerven. Die Tote war eine Frau. Sie trug eine weiße Jacke, schwarze Hosen und schwarze Stiefel. Ihr Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Das schwere Rad mußte den Kopf der Frau überrollt haben. Silk überwand seinen Ekel und näherte sich dem zerborstenen Schädel. Er erkannte die schwarze Perücke, die zur Seite gerutscht war.
„Mrs. Fisher“, sagte er und stand auf. Rasch lief er ins Büro zurück und telefonierte mit Cummings.
Fünf Minuten später traf ein Streifenwagen ein. Zwei Polizisten sprangen heraus und postierten sich vor dem Eingangstor. Silk stellte sich neben die Beamten und wartete. Zehn Minuten später trafen Cummings, Butch und Quinn ein.
Silk führte sie zur Toten. Dann zeigte er ihnen den Kaufvertrag.
„Sieht ganz so aus, als hätte der Lkw sie überfahren“, sagte Cummings. „Das kann ein Unfall gewesen sein, aber auch Mord.“
Zwanzig Minuten später wußten sie mehr.
Sie hatten im Büro Platz genommen. Albert Drowson, der Leiter des Spurensicherungsteams, saß auf einem Schreibtisch und blickte Cummings an.
„Was hast du herausbekommen, Al?“ fragte der Inspektor.
„Einiges“, sagte Drowson und lächelte leicht. Er war ein kleiner Mann und seit mehr als zwanzig Jahren bei der Polizei. Seine Stimme klang leise und war sanft. „Wir hatten Glück. Wäre die Tote erst morgen entdeckt worden, hätten wir nicht viel feststellen können. Der Schnee hätte alles verdeckt. Aber so konnten wir doch noch einige Spuren sichern. Es sieht ganz so aus, als wäre es Mord gewesen und kein Unfall. Der oder die Täter machten einen entscheidenden Fehler.“
Alle blickten Drowson gespannt an.
„Die rechten Hinterräder fuhren zweimal über den Körper der Frau”, sagte Drowson und steckte sich eine Zigarre an. „Nach den Fußspuren, die wir fanden, wird es sich wahrscheinlich folgendermaßen abgespielt haben. Die Frau, sie wird wahrscheinlich betäubt gewesen sein, wurde hinter die Räder des Lasters gelegt. Der Fahrer überfuhr sie, aber anstatt den Wagen stehenzulassen, fuhr er zurück und nochmals über die Tote. Das schließt meiner Meinung nach einen Unfall aus. Es war kaltblütiger Mord.“
„Hm“, sagte Cummings. „Gibt es keinen Zweifel, daß nur die Hinterräder die Tote überfahren haben?“
„Keinen Zweifel“, sagte Drowson. „An den Vorderreifen fanden wir keine Spuren. Das war ein Fehler des Mörders. Die Fußspuren weisen darauf hin, daß es mindestens zwei Leute gewesen sein müssen. Der Schnee, erschwert natürlich die Spurensicherung, aber eines konnten wir feststellen. Einer der Mörder hat außergewöhnlich kleine Füße. Es ist nicht auszuschließen, daß es eine Frau gewesen ist.“
Einige Augenblicke schwiegen alle. Dann schlug Cummings wütend die Hände zusammen.
„Fassen wir einmal alles zusammen. Vor drei Wochen begeht Fisher Selbstmord. Seine Frau ist mit einem vorbestraften Mann zusammen, der, nachdem er sie verlassen hat, auf offener Straße erschossen wird. Mrs. Fisher fährt in das Geschäft ihres Mannes und wird ermordet. Wie paßt das alles zusammen?“
„Keine Ahnung“, meinte Silk. „Wir müssen versuchen, die Zusammenhänge herauszufinden.“
„Das ist klar“, knurrte Cummings ungehalten.
„Wo sind die fünfunddreißigtausend Dollar?“ fragte Quinn. „Laut Vertrag mußten sie bar bezahlt werden.“
„Du meinst, daß sich das Geld im Koffer befunden hat?“ fragte Cummings.
„Ich meine gar nichts“, antwortete Quinn. „Aber wir sollten uns mit dem Käufer der Firma in Verbindung setzen. Dann wissen wir sicher mehr.“
Butch griff nach einem Telefonbuch und suchte die Nummer von Tom Drake. Nach kurzem Suchen hatte er sie gefunden. Unter dem Namen waren sechs Nummern verzeichnet, die alle zu Autowerkstätten gehörten.
„Dann wollen wir mal“, sagte der Inspektor und wählte die Nummer. Nach dem dritten Läuten wurde der Hörer abgehoben, und eine Mädchenstimme meldete sich. „Guten Abend“, sagte Cummings freundlich. „Ist Mr. Tom Drake zu Hause?“
„Ja“, sagte die Mädchenstimme. „Wer spricht?“
„Polizei“, sagte Cummings. Das Mädchen atmete rascher.
„Einen Augenblick“, sagte sie.
Es dauerte kaum zehn Sekunden, und eine tiefe Männerstimme bellte „Hallo!“ in den Hörer.
„Mr. Drake?“ fragte Cummings, und der Mann schnaubte. „Mein Name ist Cummings. Inspektor Cummings.“
„Was kann ich für Sie tun, Inspektor?“
„Ich benötige einige Auskünfte von Ihnen, Mr. Drake. Sie haben heute von Mrs. Fisher die Autowerkstätte Ihres verstorbenen Mannes gekauft. Das stimmt doch?“
„Ja“, sagte Drake brummend. „Ist damit etwas nicht in Ordnung?“
„Damit ist alles in Ordnung. Der Kaufvertrag wurde heute unterzeichnet. Wo, und wer war dabei anwesend?“
„Sagen Sie mal, Inspektor, was sollen diese Fragen?“ Die Stimme Drakes war mißtrauisch geworden. „Ich habe ja gar keine Garantie, daß Sie tatsächlich ein Polizist sind. Was hat das alles...“
„Einen Augenblick mal“, sagte Cummings. „Mrs. Fisher ist tot, Mr. Drake. Ein Lkw fuhr über ihren Kopf. Und wir fanden einen kleinen Koffer mit dem Kaufvertrag. Ich wollte Ihnen nur Unannehmlichkeiten ersparen. Wenn Sie es aber wünschen, schicke ich Ihnen einen Streifenwagen vorbei...“
„Hm“, knurrte Drake. „Eigentlich ist es ja auch egal, ob Sie wirklich ein Polizist sind. Ich habe nichts zu verbergen. Mrs. Fisher ist tot, aber...“
„Ja, sie ist tot“, meinte Cummings. „Um auf meine Frage zurückzukommen - wo fand die Unterzeichnung des Vertrages statt, und wer war dabei anwesend?“
„Wir trafen uns um zehn Uhr bei einem Notar in der Cicero Avenue“, sagte Drake. „Mein Anwalt hatte den Vertrag vorbereitet. Mrs. Fisher war da. Sie hatte einen Mann bei sich, dessen Namen ich vergessen habe. Und dann war noch ich da.“
„Wie sah der Mann aus, der bei Mrs. Fisher war?“
„Er hatte kurzes Haar und sah bleich aus.“
„Sagt Ihnen der Name Philip LeVrier etwas, Mr. Drake?“
„Ja“, sagte er. „So hieß der Mann, der mit Mrs. Fisher gekommen war.“
„Gut, Mr. Drake. Brachten Sie die fünfunddreißigtausend Dollar mit?“
„Ja“, sagte Drake. „Das war ja eine Bedingung des Kaufvertrages. Mrs. Fisher wollte das Geld unbedingt in bar haben. Sie steckte es in ein Köfferchen und verschwand mit diesem LeVrier.“
„Sind fünfunddreißigtausend Dollar nicht zu wenig für die Werkstätte?“
„Wie man es nimmt“, brummte Drake. „Das ist eine lausige Gegend. Sie versuchte seit vierzehn Tagen zu verkaufen, fand aber keinen Käufer. Sie wollte hunderttausend haben, aber dazu konnte ich nur lachen. Wir einigten uns schließlich auf fünfunddreißigtausend.“
„Sie lernten also Mrs. Fisher durch eine Zeitungsanzeige kennen.“
„Genau“, sagte Drake. „Ich rief sie vor vierzehn Tagen an, sah mir die Werkstätte an und machte ihr ein Angebot, das sie aber nicht annahm. Sie inserierte weiter, fand aber keinen Käufer. Gestern rief sie mich an und verlangte fünfzigtausend. Das akzeptierte ich nicht. Sie kam dann zu mir, und wir verblieben bei den fünfunddreißigtausend, unter der Bedingung, daß ich bar zahle. Das ist eigentlich alles, was ich Ihnen sagen kann, Inspektor.“
„Danke, Mr. Drake“, sagte Cummings. „Sollte ich noch Fragen haben, dann rufe ich Sie morgen an. Sie haben mir sehr geholfen.“
„Nichts zu danken, Inspektor“, sagte Drake und legte auf.
„Ihr habt mitgehört?“ fragte Cummings.
Quinn nickte.
„Wo sind die fünfunddreißigtausend Dollar?“ fragte er.
„Slater müßte jeden Augenblick eintreffen. Er hat sich Mrs. Fishers Wohnung vorgenommen. Vielleicht hat er etwas gefunden.“
„Hoffentlich sind schon die Unterlagen vom FBI über Philip LeVrier eingetroffen“, sagte Silk. „Vielleicht helfen uns die weiter.“
„Hoffentlich“, meinte Cummings. „Er wurde vor drei Wochen aus dem Gefängnis entlassen, und vor drei Wochen starb Fisher.“
„Ich finde es gewagt, da eine Verbindung herzustellen“, meinte Butch.
„Gewagt nicht”, meinte Quinn, „aber voreilig.“
Bevor Cummings antworten konnte, trat Slater mißmutig ins Zimmer.
„Abend“, sagte der junge Beamte, schlüpfte aus seinem Mantel und warf ihn über einen Stuhl. Dann steckte er sich eine Zigarette an und setzte sich.
„Nach Ihrer Miene zu schließen, Slater, war die Untersuchung von Mrs. Fishers Wohnung wenig erfolgreich?“
„Sie sagen es, Sir“, sagte Slater und stieß den Rauch aus. „Wir fanden einige Kleider, Zeitschriften, Bücher und Haushaltsgeräte, aber keinen Brief, kein Notizbuch, keine Dokumente, kein Geld und keinen Schmuck. Nichts. Einfach nichts.“
„Na ja“, erwiderte Cummings. „Die Fishers hatten ja auch eine Wohnung in Wien. Vielleicht haben sie dort alle persönlichen Dokumente aufbewahrt. Wir werden Interpol einschalten. Sind wenigstens schon die Unterlagen über diesen LeVrier eingetroffen?“
Slater nickte, zog aus der Manteltasche einen Briefumschlag hervor und reichte ihn Cummings, der ihn öffnete und die Papiere herausnahm. Er blätterte die Papiere flüchtig durch.
„Viel hilft uns das ja auch nicht weiter“, sagte Cummings und reichte Quinn die Unterlagen. „LeVrier wuchs in einem relativ guten Milieu auf. Er kam nie mit dem Gesetz in Konflikt. Erst als er den Raubüberfall verübte, wurde er erwischt. Er überfiel einen Bankboten, schnappte das Geld und floh mit einem gestohlenen Wagen. Dabei hatte er verdammtes Pech. Er rammte einen entgegenkommenden Wagen und verletzte sich dabei so schwer, daß er nicht mehr fliehen konnte. In seiner Begleitung war eine Frau, die mit  dem Geld verschwinden konnte. Es waren zweiundzwanzigtausend Dollar. Alles wies darauf hin, daß es LeVriers Frau gewesen war, doch er bestritt es. Seine Frau blieb verschwunden. Das geschah vor drei Jahren. LeVrier wurde am siebten November entlassen.“
„Zwei Tage vor Fishers Tod“, sagte Silk.
„Ich lasse mich erschlagen“, sagte Butch, „wenn da nicht eine Verbindung besteht. Le Vrier wird entlassen, zwei Tage später ist Fisher tot, er wird zusammen mit Mrs. Fisher gesehen, wird heute erschossen und sie ermordet. Und das Geld ist verschwunden.“
„Und wenn es tatsächlich eine Verbindung gibt, hilft es uns auch nicht viel weiter“, meinte Silk. „Was ist das Motiv?“
„Das können die fünfunddreißigtausend Dollar sein“, sagte Butch. Silk schnaubte verächtlich.
„Wegen lumpiger fünfunddreißigtausend Dollar würde niemand drei Menschen ermorden.“
„Quatsch“, sagte Butch. „Es sind schon Leute wegen fünf Dollar ermordet worden.“
„Da hast du recht, Butch“, stimmte Silk zu. „Aber dieser Fall ist viel zu kompliziert, zu undurchsichtig, als daß ich daran glauben könnte, daß alles wegen fünfunddreißigtausend Dollar inszeniert wurde.“
Quinn hatte sich an der Unterhaltung nicht beteiligt. Er studierte die Akte Philip LeVriers. Ein unbestimmter Verdacht kam ihm. Er lehnte sich zurück, schloß kurz die Augen und konzentrierte sich. Dann sah er den Bericht nochmals durch. Schließlich schüttelte er den Kopf. Der Verdacht schien ihm absurd. Doch der Gedanke ließ sich nicht vertreiben.
„Fordere mal bei der Detroiter Polizei die Unterlagen zu dem Raubüberfall an“, sagte Quinn. „Und vor allem alles, was über LeVriers Frau bekannt ist.“
Cummings kniff die Augen zusammen und starrte den Anwalt an. Dann grinste er.
„Du hast einen Verdacht, Anthony. Heraus damit!“
Quinn lächelte.
„Dieser Verdacht ist so verrückt, daß ich ihn lieber nicht aussprechen will.“
„So verrückt scheint mir dieser Verdacht gar nicht zu sein“, meinte Silk, der sich flüchtig die Unterlagen angesehen hatte. „Du meinst, daß Mrs. Fisher und Mrs. LeVrier ein und dieselbe Person sind?“
Quinn nickte.
„Ja, das hoffe ich. Es würde zumindest einiges erklären.“
„Na, ich weiß nicht“, sagte Cummings zweifelnd. „Das kommt mir doch etwas weit hergeholt vor.“
„Die Beschreibung von LeVriers Frau deckt sich ziemlich genau mit der von Mrs. Fisher. Beide sind blond, schlank, gut aussehend und im gleichen Alter.“
Cummings lachte.
„Das sind Millionen von Amerikanerinnen.“
„Halten wir uns an die Fakten“, sagte Quinn. „LeVriers Frau verschwand spurlos. Sie wurde bis zum heutigen Tag nicht mehr gesehen. Nehmen wir jetzt einmal an, sie sei Mrs. Fisher gewesen. Sie heiratete Fisher, um aus den Staaten wegzukommen. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, sie für Mrs. LeVrier zu halten. Am siebten November wird LeVrier entlassen, am neunten stirbt Fisher, und wir wissen, daß LeVrier zumindest die letzten drei Tage mit Mrs. Fisher zusammen war.“
„Ich streite ja nicht ab, daß es möglich ist, Anthony“, sagte Cummings. „Nur kommt mir das alles ziemlich unwahrscheinlich vor.“
Quinn zuckte die Schultern.
„Warten wir ab“, sagte er. „Auf jeden Fall schließe ich mich Silks Meinung an. Ich glaube, da steckt wesentlich mehr dahinter als nur die fünfunddreißigtausend Dollar, die verschwunden sind.“
„Meine Worte“, sagte Silk und beugte sich vor. „Ich glaube, daß wir hier in Chicago nicht weiterkommen werden. Der Schlüssel zu diesem Fall liegt in Wien.“
„Da kannst du recht haben“, meinte Quinn.

* * *

Kurz nach neun Uhr betrat Quinn Cummings' Büro. Der Inspektor stand lächelnd auf und schüttelte Quinns Hand. Cummings hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er hatte nur wenige Stunden geschlafen. Quinn dagegen machte einen ausgeruhten Eindruck. Er setzte sich Cummings gegenüber und schlug die Beine übereinander. Dann lehnte er sich bequem zurück.
„Hast du schon die Unterlagen von Mrs. LeVrier bekommen, Harry?“ Der Inspektor nickte.
Quinn beugte sich interessiert vor. „Mach es nicht so spannend, Harry.“
Cummings nahm ein Blatt Papier zur Hand, überflog es kurz und starrte Quinn mit zusammengekniffenen Augen an.
„Du hast manchmal den sechsten Sinn, Anthony“, sagte er und blickte wieder auf das Blatt Papier. „Mrs. LeVrier hieß mit dem Mädchennamen Rita Donovan.“
Quinn stieß einen leisen Pfiff aus. „So hieß auch Mrs. Fisher vor ihrer Hochzeit.“
„Ich weiß”, sagte Cummings und legte das Blatt auf den Tisch. „Rita Donovan wurde vor acht Jahren wegen Ladendiebstahl verhaftet. Sie bekam eine geringfügige Strafe - doch ihre Fingerabdrücke haben wir. Alles paßt wuderbar zusammen. Rita Donovan wurde am 5. 2. 1944 geboren, und zwar in Detroit.“
Quinn holte die Unterlagen hervor, die er von Bolzmann, dem österreichischen Versicherungsmann, bekommen hatte. Er glättete sie und blätterte sie rasch durch.
„Stimmt genau“, sagte er zufrieden. „Diese Daten stimmen auch mit denen von Mrs. Fisher überein. Ich hatte also recht mit der Vermutung, daß Mrs. LeVrier und Mrs. Fisher ein und dieselbe Person sind.“
Cummings Gesicht war eine unbewegliche Maske.
„Das sollte man eigentlich annehmen. Nur etwas paßt nicht.“
„Und zwar?“
„Die Fingerabdrücke der Toten stimmen, nicht mit denen von Rita Donovan alias LeVrier überein.“
„Sag das noch mal, Harry!“
„Es ist so, wie ich sagte“, stellte Cummings wütend fest. „Es gibt keinen Zweifel. Die Tote hat ganz andere Fingerabdrücke als Rita Donovan. Das steht hundertprozentig fest.“
Quinn schloß die Augen. Seine Gedanken überschlugen sich.
„Jetzt kenne ich mich überhaupt nicht mehr aus“, sagte der Anwalt und blickte Cummings unverwandt an.
„Mir geht es nicht besser“, sagte der Inspektor grimmig. „Aber das dürfte dir nur ein schwacher Trost sein.“
Quinn nickte.
„Allerdings“, sagte er nachdenklich. „Habt ihr Fingerabdrücke in Mrs. Fishers Wohnung finden können?“
„Eben nicht“, sagte Cummings ungehalten. „Die ganze Wohnung war peinlich sauber mit einem Tuch abgewischt worden. Wir fanden keinen einzigen Fingerabdruck. Das ist der seltsamste Fall, den wir je zu bearbeiten hatten.“
„Du hast recht“, sagte Quinn. „Wir wissen nicht, wer die Tote ist, aber wir können mit Sicherheit ausschließen, daß es die Rita Donovan ist, die LeVrier geheiratet hat.“
„Das stimmt“, sagte der Inspektor.
„Aber wir können auch nicht sicher sein, daß die Tote tatsächlich Mrs. Fisher ist. Es besteht die Möglichkeit, daß es eine ganz andere Frau ist, die nur vorgeschoben wurde, um uns glauben zu machen, daß die Tote Mrs. Fisher sei.“
„Das ist durchaus möglich“, sagte Cummings. Sein Gesicht war mißmutig verzogen. „Ich Trottel mußte Polizist werden, obwohl ich es als Postbote so angenehm und problemlos hätte haben können...“
Quinn lachte.
„Die Vorstellung, dich Briefe austragen zu sehen, ist zu komisch, Harry.“
„Ich weiß“, erwiderte Cummings, dessen gute Laune zurückkehrte. „Aber verdammt noch mal, wer ist nun die Tote wirklich?“
„Sind ihre Fingerabdrücke nirgends bekannt?“
Cummings schüttelte den Kopf.
„Nirgends. Wir gaben sie an das FBI weiter, und das Resultat war negativ. Nach den Unterlagen, über die wir verfügen, müßten Mrs. LeVrier und Mrs. Fisher ein und dieselbe Person sein. Möglichkeit Nummer eins: Mrs. Fisher bekam durch einen Zufall die Papiere von Rita Donovan in die Hände und gab sich für sie aus. Dann könnte die Tote tatsächlich Mrs. Fisher sein. Möglichkeit Nummer zwei: Mrs LeVrier und Mrs. Fisher sind ein und dieselbe Person. Dann kann die Tote unmöglich die echte Mrs. Fisher sein. Alles ein wenig kompliziert, was?“
„Ein wenig, ist gut gesagt“, stellte Quinn grimmig est. „Wir tappen wie Idioten im dunkeln. Um es ehrlich zu sagen, ich kann mir keinen Reim auf die Ereignisse machen. Wir haben kein Motiv, es sei denn, wir nehmen an, die fünfunddreißigtausend Dollar seien das Motiv, was ich aber einfach nicht glauben kann.“
„Ich auch nicht“, sagte Cummings.
Quinn kniff die Augen zusammen. Dann klopfte er leicht mit der rechten Hand auf die Tischplatte.
„Ich sehe dir an der Nasenspitze an, daß dir etwas eingefallen ist. Heraus mit der Sprache!“
„Je länger ich nachdenke, desto sicherer bin ich, daß uns die Tote als Mrs. Fisher untergeschoben werden sollte“, sagte der Anwalt.
„Und worauf stützt du diese Vermutung?“
„Ganz einfach“, sagte Quinn. „Es war reiner Zufall, daß wir auf Philip LeVriers Spur kamen. Und das ist etwas, was der Täter unmöglich voraussehen konnte. Nehmen wir an, ich wäre nicht mit der Aufklärung des Todes von Fisher beauftragt worden. Was wäre dann geschehen?“
„Ich verstehe“, sagte Cummings und nickte. „Wir hätten den toten LeVrier gefunden, und später wäre Mrs. Fisher entdeckt worden. Kein Mensch wäre auf den Gedanken gekommen, beide Fälle miteinander in Verbindung zu bringen.“
„Genau“, sagte Quinn, „Ihr hättet den Tod LeVriers als einen Unterweltsmord abgetan, und der Tod Mrs. Fishers wäre als Unfall oder als Raubmord abgetan worden.“
„Das ist ja alles schön und gut“, sagte Cummings und stand auf. „Aber weiterhelfen kann es uns im Augenblick auch nicht.“
„Das würde ich nicht sagen“, meinte Quinn. „Wenn es so ist, dann bin ich sicher, daß Mrs. Fisher noch lebt und da frage ich mich, warum sie ein Interesse daran haben sollte, daß sie für tot gehalten wird.“
Cummings ging einige Male im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er stehen.
„Es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Es ist mir gerade eingefallen. Wer sagt uns, daß die Mrs. Fisher, mit der du gesprochen hast, auch tatsächlich die echte Mrs. Fisher war?“
Quinn schlug die Hände zusammen.
„Das ist natürlich noch eine Möglichkeit. Unter Umständen war die echte Mrs. Fisher schon lange tot, und irgendeine andere Frau übernahm ihre Rolle. Das sollte aber zu überprüfen sein.“
„Wird aber nicht einfach sein“, meinte Cummings. „Mrs. Fisher war erst seit kurzer Zeit in Chikago. Sie hatte kaum Bekannte hier. Der Portier ist erst seit vierzehn Tagen in ihrem Haus. Es wäre durchaus möglich, daß irgendeine andere Frau ihre Rolle gespielt hat.“
Quinn knirschte grimmig mit den Zähnen. Dann schüttelte er wütend den Kopf.
„Wir haben nur Vermutungen und keine Beweise. Ein Fall, der uns noch graue Haare machen wird.“
„Du sagst es“, meinte Cummings, dessen Laune wieder auf dem Nullpunkt angelangt war. „Und wir haben nichts, wo wir einhaken können.“
„Scheußlich ist auch, daß dieser Fall nach Wien spielt“, sagte Quinn. „Vielleicht sollte...“ Er runzelte die Stirn. Er überlegte kurz, dann lächelte er. „Ich werde Butch nach Wien schicken!“
„Das ist keine schlechte Idee“, sagte Cummings. „Aber die österreichische Versicherung wird das kaum bezahlen.“
„Das ist möglich“, sagte Quinn. „Butch wollte ohnehin dieses Jahr seinen Winterurlaub in Europa verbringen. Er wollte zwar in die Schweiz, aber Österreich wird ihm auch gefallen.“
„Ob Butch damit einverstanden ist?“
„Es wird ihm nichts anderes übrigbleiben“, stellte Quinn fest. „Er soll sich mal in Wien umsehen, und wir werden in Chicago versuchen, diesem rätselhaften Fall auf den Grund zu gehen.“

* * *

Quinn hatte sich mit Bolzmann in Verbindung gesetzt, ihn über die neueste Entwicklung unterrichtet und ihm mitgeteilt, daß Butch nach Wien fliegen würde. Bolzmann sagte Quinn jede nur mögliche Unterstützung zu.
Quinn hatte seine Mitarbeiter in seinem Arbeitszimmer versammelt. Sie gingen nochmals die Fakten durch.
„Was soll ich in Wien tun?“ fragte Butch.
„Du beobachtest erst einmal Fishers Firma“, sagte der Anwalt, „und vor allem durchsuchst du sein Haus. Vielleicht findest du irgendwelche Unterlagen, die uns weiterhelfen. Ich kann dir keine Direktiven geben. Du mußt auf eigene Faust handeln. Vielleicht ist es ganz gut, wenn du dich mit einem lokalen Privatdetektiv in Verbindung setzt. Dein Deutsch ist doch nicht besonders gut.“
Butch nickte. Er war zwar einige Zeit in Deutschland stationiert gewesen und hatte dabei etwas Deutsch gelernt, aber gerade genug, um einfache Gespräche zu führen. In Wien war er einmal vor drei Jahren gewesen, als er eine Europarundfahrt unternommen hatte.
„Bolzmann hat uns jede Unterstützung zugesagt“, fuhr Quinn fort. „Er wird für dich ein Hotelzimmer bestellen und einen Leihwagen bereitstellen lassen. Du sollst ihn direkt vom Flughafen anrufen.“
Butch nickte wieder. Für ihn war alles ein wenig plötzlich gekommen.
„Und was machen wir weiter?“ erkundigte sich Silk.
„Vorerst nehmen wir uns einmal LeVriers Zellengenossen vor. Wir müssen herausfinden, was LeVrier seit seiner Entlassung getan hat. Du hast doch gute Verbindungen zur Unterwelt, Silk. Versuche, etwas zu erfahren. Und ich werde mich darum kümmern, was Mrs. Fisher seit dem Tod ihres Mannes getan hat.“
Butch packte seine Koffer, und Carol fuhr ihn zum Flughafen. Leider gab es keinen Direktflug nach Wien. Butch mußte nach New York und von dort nach Frankfurt fliegen. Dort hatte er dann Anschluß nach Wien.

* * *

Silk hatte einige Telefongespräche mit seinen Kontaktleuten geführt, sich dann in den schwarzen Chevrolet Malibu gesetzt und sich auf den Weg zum Staatsgefängnis in Flint gemacht. Er verließ Chicago und nahm den Highway Nr. 31, der rund um den Michigansee führte. Er kam rasch vorwärts. Die Straße war schneefrei. In Grand Rapids hielt er vor einem Drugstore an, aß rasch ein paar Hamburgers und trank ein Bier. Dann fuhr er weiter. Die Staatsstraße Nr. 21 war wenig befahren. Kurz nach Ionia begann es leicht zu schneien. Fünf Meilen später war er im schönsten Schneesturm und konnte nur langsam fahren.
Fünf Uhr war vorüber, als er endlich Flint erreichte. Das Gefängnis lag am Stadtrand. Es war ein häßliches Gebäude, von einer hohen Steinmauer umgeben.
Inspektor Cummings hatte sich mit dem Leiter des Gefängnisses in Verbindung gesetzt und die Zusage erhalten, daß sich Silk mit einigen Gefangenen unterhalten durfte.
Ein bewaffneter Wärter führte ihn durch lange Gänge zum Büro des Gefängnisdirektors.
Das Büro war spartanisch eingerichtet. Die Wände zierte nur ein Bild Präsident Nixons. Vor einigen hohen Aktenschränken und hinter einem wuchtigen Schreibtisch, saß ein kleiner Mann mit Glatze und dicker Brille, der langsam aufstand und vor Silk stehenblieb.
„Mein Name ist Norton Kirby“, stellte sich Silk vor.
„Greg Mullen“, sagte der Direktor knapp und verbeugte sich. „Nehmen Sie bitte Platz.“ Er deutete auf eine armselige Sitzgarnitur in der Ecke des Raumes. Silk dankte und setzte sich.
„Es geht um Philip LeVrier“, sagte Mullen und griff nach einer Karteikarte. „Inspektor Cummings verständigte mich. Was kann ich für Sie tun?“
„Wie hat sich LeVrier hier aufgeführt, Mr. Mullen?“
„Ich wollte, alle Häftlinge führten sich so vorbildlich auf, Mr. Kirby. Er wurde wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Er ließ sich in den drei Jahren, die er bei uns verbrachte, nicht das geringste zuschulden kommen.“
„Hm“, meinte Silk. „Hatte er eine Einzelzelle?“
„Nein“, sagte Mullen. Er griff nach der Karteikarte. „Das erste Jahr war er mit Ray Adams zusammen, danach bis zu seiner Entlassung mit Carl Benton.“
„Darf ich mit den beiden sprechen, Mr. Mullen?“
„Ray Adams wurde vor zwei Jahren entlassen“, sagte Mullen. „Mit Carl Benton können Sie gern sprechen.“
„Erzählen Sie mir bitte etwas über Adams und Benton, Mr. Mullen.“
Mullen nickte. Das hatte er erwartet und sich die Karteikarten von Adams und Benton herausgeholt. Er nahm sich zuerst Adams Karte vor.
„Adams war ein aufsässiger Kerl, der ziemlich lautstarke Reden hielt. Er war wegen Autodiebstahls zu achtzehn Monaten verurteilt worden, die er auch absaß. Er muß jetzt achtundzwanzig Jahre alt sein. Benton ist fünfunddreißig. Er wurde wegen Banküberfalls zu vier Jahren verurteilt. Ein tragischer Fall, dieser Benton. Kein Verbrecher im üblichen Sinn. Er verübte den Banküberfall aus Verzweiflung. Seine Frau war schwerkrank, und er konnte das Geld für die Operation nicht aufbringen. Er steckte bis zum Hals in Schulden, und da kam er auf die verrückte Idee, eine Bank zu überfallen. Er stellte es so stümperhaft an, daß er auf der Flucht gefaßt wurde. Dabei schoß er einen Polizisten nieder. Andernfalls hätte er wahrscheinlich eine mildere Strafe bekommen. Benton ist ein ruhiger Mann. Seine Frau starb kurz nach seiner Verurteilung. Er macht uns keine Schwierigkeiten.“
„Darf ich mal kurz die Karteikarten sehen?“
Mullen reichte sie ihm. Ray Adams sah recht gut aus. Sein Gesicht war schmal, das Haar war schwarz, und die Augen waren dunkel. Benton sah verbittert aus. Sein Haar war stark gelichtet, und ein müder Zug lag um seine Lippen.
„Haben Sie noch etwas von Ray Adams gehört, Mr. Mullen?“
„Er schrieb einige Briefe an LeVrier. Der letzte kam vor mehr als einem Jahr. Nach unseren Unterlagen waren es belanglose Briefe. Aber das kann man nur schwer beurteilen, da die Brüder ja immer wieder einen Code vereinbaren - einige Sätze, die für uns harmlos sind, aber für den Betreffenden eine bestimmte Bedeutung haben.“
„Das ist mir klar“, sagte Silk. „Bekam LeVrier oft Besuch?“
Mullen schüttelte den Kopf.
„Kaum“, sagte er. „Nur seine Mutter war einige Male hier. Sonst niemand.“
„LeVrier war verheiratet“, sagte Silk. „Meldete sich seine Frau irgendwann einmal?“
„Nie“, sagte Mullen.
Silk notierte sich Ray Adams' Daten und die Detroiter Adresse.
„Ich würde jetzt gern mit Carl Benton sprechen.“
„Gern, Mr. Kirby.“
Mullen stand auf, und Silk folgte seinem Beispiel.
„Ist es möglich, daß ich mich mit ihm allein unterhalte?“
Mullen zögerte einen Augenblick. Dann nickte er. Er griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer.
„Führen Sie Carl Benton in die Besucherzelle.“ Er legte den Hörer auf. „Bitte folgen Sie mir, Mr. Kirby.“
Sie gingen endlos lange Korridore entlang. Dann betraten sie einen Aufzug und fuhren ein Stockwerk höher. Wieder ging es einen Gang entlang.
Sie betraten einen großen Raum, der in der Mitte durch ein Gitter in zwei Hälften geteilt wurde.
„Nehmen Sie bitte Platz, Mr. Kirby“, sagte Mullen. Benton wird jeden Augenblick erscheinen.“
Silk nickte, und der Direktor verließ den Raum. Silk lehnte sich zurück. Er war schon oft in Gefängnissen gewessen, hatte sich dabei aber immer unbehaglich gefühlt. Die Atmosphäre schlug ihm auf den Magen.
Endlich wurde die Tür auf der anderen Seite des Raumes geöffnet, und ein Mann in Sträflingskleidung trat, gefolgt von einem Wärter, ein. Der Wärter verließ den Raum, und die Tür wurde zugesperrt.
Silk stand auf.
„Mr. Benton?“ fragte er.
Der Mann nickte. Er blieb abwartend stehen und blinzelte Silk kurzsichtig zu.
„Mein Name ist Norton Kirby. Ich bin Privatdetektiv.“
„Was wollen Sie von mir?“ fragte Benton und blieb feindselig stehen. Wie ein Tier in der Falle, dachte Silk. Benton sah noch verbitterter aus als auf dem Foto, das Silk von ihm gesehen hatte. Sein Haar war noch stärker gelichtet, und die Linien um den Mund waren noch tiefer.
„Setzen Sie sich, bitte“, sagte Silk. Mißmutig schlenderte Benton näher.
„Wollen Sie eine Zigarette, Mr. Benton?“
Benton schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein, ich rauche nicht.“
Er blieb vor Silk stehen. Das Gitter trennte sie.
„Was wollen Sie von mir?“ fragte Benton nochmals.
„Es geht um LeVrier“, sagte Silk.
„Um LeVrier? Er ist vor drei Wochen entlassen worden.“
„Ich weiß, Mr. Benton. Wie verstanden Sie sich mit ihm?“
Benton zuckte die Schultern.
„Ganz gut“, sagte er. „Besser jedenfalls als mit dem Kerl, den ich jetzt in der Zelle habe.“
„Freundeten Sie sich mit LeVrier an, Mr. Benton?“
„Sie stellen komische Fragen, Mister”, brummte er. „Seien Sie mal mit einem Mann zwei Jahre zusammen. Da freundet man sich meistens an.“
„Ich muß Ihnen eine bedauerliche Mitteilung machen“, sagte Silk sanft. „LeVrier ist tot.“
Bentons Lippen zuckten. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, preßte die Lippen zusammen und setzte sich. Er kniff die Augen zusammen.
„Er ist tot?“ fragte er fast unhörbar.
Silk nickte.
„Er wurde gestern erschossen, als er aus seinem Wagen stieg. Es waren zwei Männer. Einer hatte eine Maschinenpistole.“
Bentons Kiefer arbeiteten.
„Schade um ihn“, sagte er. „Er war ein netter Kerl. Wenn nicht dieses verfluchte Weib gewesen wäre, hätte er nie ein Gefängnis von innen gesehen. Aber sie brachte ihn dazu, daß er Raubüberfälle verübte, diese geldgierige Hure. Und er hing noch immer an ihr, obwohl sie ihm alles eingebrockt hatte. Frauen sind an allem schuld. Sind Sie verheiratet, Mister?“
„Nein“, sagte Silk. Sein Herz zog sich zusammen. Er erinnerte sich noch genau an die Zeit, als er den Mörder seiner Frau gejagt hatte.
„Seien Sie froh“, sagte Benton. „Frauen bringen nur Unglück. Entweder sie bringen einen dazu, daß man Dinge tut, die man sonst nie getan hätte, oder... Lassen wir das.“ Er schloß die Augen, und es schien Silk, als wären seine Gedanken ganz weit fort, als hätten sie seinen Körper verlassen. Das Schweigen hielt einige Minuten an. Plötzlich richtete sich Benton auf.
„Fragen Sie“, sagte er. „Sie wollen mir doch Fragen stellen, nicht wahr? Deshalb sind Sie doch hergekommen.“
„Stimmt“, sagte Silk. „Ich möchte alles wissen, was Ihnen LeVrier erzählt hat.“
Benton lachte bitter auf.
„Wir waren zwei Jahre zusammen in einer Zelle. Da erzählt man sich verdammt viel. Ich kenne seine ganze Lebensgeschichte. Es ging alles gut bei ihm, bis er diese Rita Donovan kennenlernte. Er schwärmte noch immer davon, wie hübsch, wie sexy, wie süß sie gewesen war. Dabei war sie nichts anderes als ein mieses Flittchen. Aber das wollte Philip nicht wahrhaben. Für ihn war sie eine Göttin, ein Traum. Sie arbeitete in einer Schnellimbißstube als Serviererin. Er ging ein paarmal mit ihr aus und verknallte sich in sie. Er hatte einen ganz guten Posten und heiratete sie. Sie gab die Arbeit auf und wollte immer mehr. Sie nörgelte ständig an ihm herum. Nichts war gut genug für sie. Sie wollte eine größere Wohnung, Schmuck und ein neues Auto. Philip war ihr hörig. Sie schlug Einbrüche vor. Er war dagegen, doch er ließ sich vor ihr überreden. Sie brachen in ein paar Geschäfte ein, aber das brachte nicht viel ein. Dann sprach sie von Raubüberfällen. Jetzt ist es ja egal. Philip ist tot. Sie verübten einige, die aber nicht besonders viel einbrachten. Dann überfiel er einen Bankboten und stieß mit einem entgegenkommenden Wagen zusammen. Dabei wurde er so schwer verletzt, daß er nicht fliehen konnte. Seine Frau schnappte den Koffer mit dem Geld und machte sich aus dem Staub.“
„Hörte LeVrier später noch einmal etwas von seiner Frau?“
Benton verzog das Gesicht.
„Von ihr selbst nicht, aber von Ray Adams, mit dem er ein Jahr zusammen in einer Zelle war. Adams schrieb ihm ein paar Briefe, verschlüsselt natürlich. Daraus ging hervor, daß es Adams gelungen war, Philips Frau zu finden. Es ginge ihr gut und sie wartete sehnsüchtig auf seine Entlassung. Ich glaubte davon kein Wort. Aber Philip, dieser arme Narr, redete sich ein, daß es stimmte, was ihm Adams schrieb. Doch mehr als achtzehn Monate erhielt er keine weitere Nachricht von Adams, und er wurde immer verzweifelter. Wenn Sie mich fragen, dann sage ich Ihnen, daß Adams mit Philips Frau verschwunden ist.“
„Das wäre möglich“, sagte Silk. „Aber wie gelang es Adams, die Frau zu finden?“
„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Mister. Ich fragte Philip ein paarmal danach, doch auf diese Frage gab er mir keine Antwort.“
„Können Sie sich vorstellen, wer ein Interesse an Philips Tod hatte?“
„Keine Ahnung“, sagte Benton nachdenklich. „Höchstens seine Frau, wenn sie tatsächlich mit Adams zusammen war.“
„Was wollte LeVrier nach seiner Entlassung tun?“
„Zuerst wollte er zu seiner Mutter nach Detroit. Und dann wollte er natürlich Rita finden.“
„Wußte er, wo er sie finden konnte?“
Benton schüttelte den Kopf.
„Nein, das wußte er nicht. Aber er war zuversichtlich, daß er sie bald finden würde. Worauf sich seine Zuversicht gründete, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Er sprach nicht darüber. Wenn ich ihn fragte, grinste er nur überlegen.“
„Danke, Mr. Benton. Sie haben mir sehr geholfen“, sagte Silk.
„Nichts zu danken“, meinte Benton und stand auf. „Erwischen Sie die Kerle, die ihn erschossen haben. Philip war ein guter Kerl. Nur dieses verfluchte Weib war an seinem Untergang schuld.“
Nachdenklich verließ Silk das Gefängnis. Es schneite leicht, als er in den Wagen stieg. Er blieb einige Sekunden lang ruhig sitzen und überlegte.
Viel weiter hatte ihn sein Besuch ja nicht gebracht. Aber immerhin hatte er einen Anhaltspunkt: Ray Adams. Dieser Mann mußte gefunden werden. Er konnte ihm sicher weiterhelfen.
Er startete und fuhr langsam an. Es dauerte eine Viertelstunde, bis er Flint durchquert hatte und den Zubringer zum Highway Nr. 23 erreichte, der direkt nach Detroit führte.
Die Scheinwerfer fraßen sich durch die Nacht. Im Auto war es warm, und Silk hing seinen Gedanken nach. Immer wieder mußte er an seine tote Frau denken, und an die unzähligen Meinungen, die Männer über Frauen hatten. Er hatte seine Frau über alles geliebt und hätte alles dafür gegeben, um sie zum Leben zu erwecken.
Noch fünfzig Meilen nach Detroit. Silk trat das Gaspedal durch, und der Wagen raste über die schneebedeckte Autobahn.
Endlich tauchten die ersten Vororte auf. Silk war schon oft in Detroit gewesen, mochte die Stadt aber nicht besonders. Der Großteil der Bevölkerung hatte irgendetwas mit der Automobilindustrie zu tun. Er erreichte die Michigan Avenue und fuhr sie entlang, bis er die Woodward Avenue erreichte, die die gesamte Innenstadt durchschnitt. Er warf einen Blick auf das in moderner Architektur ausgeführte Civic Center am Detroit River. Als er eine Telefonzelle erblickte, blieb er stehen, stieg aus und rief Quinn an. Carol meldete sich.
„Was Neues?“ fragte er.
„Nein“, sagte Carol. „Anthony ist noch immer unterwegs. Hast du etwas herausbekommen?“
„Ich bin in Detroit“, sagte Silk. Dann berichtete er alles, was er von Benton erfahren hatte. Abschließend sagte er: „Setz dich mit Cummings in Verbindung, Carol. Er soll alles über diesen Ray Adams herausfinden. Ich gehe jetzt zu LeVriers Mutter, und dann nehme ich mir die Adresse von Ray Adams vor. Ich melde mich später wieder.“
Er verließ die Telefonzelle, fuhr weiter und bog in die Gratiot Avenue ein. LeVriers Mutter wohnte in der Lobster Street. Nach zehn Minuten hatte er sie erreicht und suchte fünf Minuten, bis er endlich einen Parkplatz gefunden hatte. Er stellte den Mantelkragen auf. Es hatte zu schneien aufgehört. Dafür wehte ein eisiger Sturm durch die Straßen.
Vor dem Haus Nummer 336 blieb er stehen. Es machte einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck. Eine uralte Mietskaserne. Er zuckte die Schultern und trat ein. Vor der Liste der Mieter im Hausflur blieb er stehen, doch er fand den gesuchten Namen nicht. Er suchte den Hauswart, doch auf sein Läuten meldete sich niemand. Er probierte es bei zwei anderen Türen, doch niemand öffnete. Bei der dritten hatte er Glück. Eine junge Frau öffnete und sah ihn mißtrauisch an.
„Was wollen Sie?“ fragte sie unfreundlich.
„Ich suche Mrs. LeVrier“, sagte Silk und setzte sein freundlichstes Lächeln auf, was die junge Frau überhaupt nicht beeindruckte.
„Die können Sie auf dem Friedhof besuchen“, sagte sie und wollte die Tür zuziehen.
„Einen Augenblick bitte“, sagte Silk. „Die Frau ist tot?“
„Ja, sie starb vor vierzehn Tagen. Herzschlag.“
„Und was ist mit ihrer Wohnung?“
„Die wurde weitervermietet. Ihr Sohn war da. Er ließ ihre Sachen abholen. Wer sind Sie eigentlich?“
„Privatdetektiv“, sagte Silk und holte seinen Ausweis hervor. Die Frau betrachtete ihn aufmerksam und wurde um eine Spur freundlicher.
„Ihr Sohn war ja im Gefängnis“, sagte sie. „Kaum ist er wieder draußen, stirbt seine Mutter.“
„War ihr Sohn bis zu ihrem Tod da?“
Sie runzelte die Stirn.
„Ich glaube schon“, sagte sie. „Aber so genau kann ich mich nicht erinnern. Ich kümmere mich nicht um die Nachbarn.“ Dann schloß sie einfach die Tür.
Silk hörte sich im Haus weiter um, doch er erfuhr nichts Neues.
Jetzt blieb ihm nur noch die Adresse, die er von Ray Adams hatte. Cimberal Street 478. Das lag in Hamtramck, einem Stadtteil, der hauptsächlich von polnischen Einwanderern bewohnt wurde. Eine nicht sehr einladende Gegend. Er überquerte den Detroit River, auf dem Eisbrocken schwammen, und fuhr durch den Highland Park.
Er mußte längere Zeit suchen, bis er die Cimberal Street gefunden hatte. Sie unterschied sich in nichts von den anderen Straßenzügen des Viertels. Alte, schäbige Häuser und die übliche Ansammlung von Drugstores, billige Kneipen und wenig einladende Geschäfte, die alle geschlossen waren.
Seufzend stieg er aus. In der Zwischenzeit war es acht Uhr geworden, und sein Magen rührte sich. Er überlegte kurz, ob er essen gehen sollte, verwarf aber den Gedanken. Zuerst wollte er nach Ray Adams sehen.
Eine Horde von Jugendlichen veranstaltete eine Schneeballschlacht. Passanten, die vorbeigingen, bekamen einige Schneebälle ab. Eine alte Frau schimpfte wütend, doch die Jugendlichen lachten nur und warfen weiter mit den Schneebällen nach ihr. Silk duckte sich. Haarscharf an seinem Kopf zischte ein Schneeball vorbei. Silk hatte keine Lust, sich mit den Jugendlichen anzulegen. Er lachte und verschwand im Haus Nummer 478.
Das Tor stand halboffen, und Schnee war in die Hauseinfahrt geweht worden. Er ging an den Briefkästen vorbei und stieg einige Stufen hoch. Adams sollte in Nummer 33 wohnen. Das Haus hatte keinen Lift. Er blieb kurz stehen und sah sich um. Eine nackte Birne erhellte den Gang. Hinter einer Tür war ein heftiger Streit im Gange. Langsam ging Silk weiter. Endlich fand er die Nummer 33: eine einfache braune Holztür mit einer Glasoberlichte, aus der mattes Licht fiel. Adams stand auf einer Karte, die mit Reißzwecken an der Tür befestigt war.
Silk preßte das rechte Ohr gegen die Türfüllung. Er hörte Musik. Er suchte nach einer Klingel, fand aber keine. Einen Augenblick überlegte er. Dann öffnete er seine seidene Krawatte, und steckte sie in die Innentasche seines Mantels. Das Hemd ließ er offen. Außerdem fuhr er sich ein paarmal durchs Haar. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte zwei kleine Gummibällchen hervor, die er sich in den Mund steckte und unter die Backenknochen drückte. Er wußte, daß er jetzt wie ein ausgekochter Spitzbube aussah, wenig vertrauenerweckend und diesen Eindruck wollte er auch erwecken.
Er hob die Hand und klopfte energisch gegen die Türfüllung. Es blieb ruhig. Er klopfte nochmals. Diesmal noch härter und ungeduldiger. Endlich hörte er Schritte näher kommen.
Er klopfte wieder.
„Ist ja schon gut“, sagte eine ordinäre Mädchenstimme, die im tiefsten Südstaatendialekt sprach. „Ich komme.“ Die Schritte verstummten. „Wer ist da?“
„Ein Freund von Ray“, sagte Silk. Die Tür wurde geöffnet, und ein hochgewachsenes Mädchen stand vor ihm, das seinen Beruf nicht verleugnen konnte. Ihr Haar war schulterlang und pechschwarz. Sie hatte soviel Schminke im Gesicht, daß eine andere Frau einen Monat damit ausgekommen wäre. Sie konnte nicht viel älter als fünfundzwanzig Jahre sein, obwohl sie älter wirkte. Die tiefen, bitteren Linien ihres Gesichts konnte auch die Schminke nicht verdecken. Sie trug einen weißen Morgenrock, auf dem Lippenstiftspuren zu sehen waren. Der Rock war mit einer dünnen Schnur zusammengebunden und klaffte über der Brust weit auf. Sie trug nichts darunter, und eine Brustwarze lugte hervor. Sie sah seinen Blick, machte aber keine Anstalten, den Rock zu schließen.
„Dich kenne ich nicht“, sagte sie. „Mein Bruder wohnt nicht mehr hier. Zieh Leine.“
Silk starrte sie finster an.
„Weil du ein Freund von Ray bist, mache ich dir einen Sonderpreis. Fünf Dollar, und du darfst mal. Interessiert?“ Ungeniert öffnete sie das Oberteil ihres Morgenrocks, und üppige straffe Brüste kamen zum Vorschein.
„Vielleicht“, sagte Silk vorsichtig.
„Komm 'rein“, sagte sie.
Er trat ein. Die Diele war zugleich auch die Küche. Es sah alles schlampig aus. Auf einem Herd stand schmutziges Geschirr, und ein billiger Stoffmantel lag über einem Stuhl.
„Eigentlich wollte ich ja nur wissen, wo ich Ray erreichen kann.“
Sie griff nach einer Zigarettenpackung, holte eine heraus und zündete sie an. Dann inhalierte sie tief.
„Ich bin zwar seine Schwester“, sagte sie, „aber ich habe keine Ahnung, wo er steckt. Sah ihn das letztemal vor einem Jahr. Von woher kennst du Ray?“
„Von woher wohl“, sagte Silk. „Wir saßen miteinander in Flint.“
Das Mädchen nickte. „Komm.“ Sie öffnete eine Tür und ging vor. Der Raum war einfach eingerichtet. Er wurde von einem breiten Bett beherrscht, das zerwühlt war. Auf dem Tisch stand ein Radio.
„'raus mit dem Fünfer!“ sagte sie. „Ich mache es sowieso verdammt billig, aber bei dem Sauwetter ist kein Geschäft zu machen.“
Sie setzte sich auf das Bett und öffnete die Schnur, die den Morgenrock zusammenhielt. Sie war völlig nackt darunter.
„Komm schon, Süßer“, sagte sie.
„Baby“, sagte Silk. „Ich will wissen, wo ich deinen Bruder erreichen kann. Du kannst mir doch nicht weismachen, daß du nicht weißt, wo er ist. Er hat mir gesagt, ich soll hier vorbeikommen, da würde ich erfahren, wo er zu erreichen ist.“
„Das sagte er zu dir“, sagte das Mädchen. Sie legte sich aufs Bett und fuhr mit einer Hand langsam über ihren nackten Bauch.
„Ja, das sagte er“, stellte Silk fest.
Das Mädchen umklammerte das Polster und bewegte sich aufreizend dabei. Sie lachte und drehte sich auf den Bauch, und eine Hand verschwand unter dem Polster. Plötzlich war Silk mißtrauisch. Er stand mehr als fünf Schritte vom Bett entfernt und setzte sich in Bewegung. Doch er hatte zu spät reagiert. Das Mädchen richtete einen Browning auf ihn.
„Keine Bewegung“, sagte sie und setzte sich auf. Silk erstarrte.
„Du bist niemals mit meinem Bruder im Knast gewesen“, stellte sie fest. „Wer bist du?“
„Rede keinen Unsinn“, sagte Silk. „Leg die Pistole fort. Ich war mit ihm in Flint. Ich habe ein großes Ding vor, und da wollte ich...“
„Quatsch!“ sagte sie. „Nimm schön die Hände hoch, dreh dich um und stell dich mit dem Gesicht gegen die Wand! Dann legst du hübsch brav die Hände dagegen.“
Silk folgte zähneknirschend. Das Mädchen stand auf und griff nach dem Telefon.
„Ich lasse dich nicht aus den Augen, Süßer“, sagte sie. „Das sage ich nur, damit du auf keine dummen Gedanken kommst.“
Silk hörte, daß sie die Wählscheibe drehte. Es dauerte einige Zeit, bis sich jemand meldete.
„Hier ist Lynn“, sagte sie. „Ich habe da einen seltsamen Vogel hier, der behauptet, er sei ein Freund von Ray. Aber ich habe meine Zweifel.“
Silk spitzte die Ohren, um zu hören, was ihr Gesprächspartner sagte, doch er verstand kein Wort. Das Mädchen hörte einige Zeit zu, sagte dann: „In Ordnung“, und legte auf.
„Es wird nicht lange dauern, Süßer“, sagte sie. „Nur ein paar Minuten, und du wirst abgeholt. Es wird sich ja herausstellen, wer du wirklich bist.“
Silk suchte nach einem Ausweg, doch er fand keinen. Er wandte den Kopf zur Seite, doch das Mädchen ging kein Risiko ein. Sie stand mehr als zehn Schritte von ihm entfernt, und die entsicherte Pistole zielte auf ihn.
„Hör mal zu, Mädchen“, sagte Silk. „Ich kann beweisen, daß ich mit Ray in Flint war, das...“
„Das mag schon stimmen, Süßer“, sagte sie. „Aber du bist ganz sicher kein Freund von ihm. Sonst hättest du wissen müssen, daß... Ach was, warum soll ich dir das sagen? Fünf Minuten noch, dann sind sie da.“
Silk überlegte. Wahrscheinlich würden zwei hartgesottene Gangster auftauchen, und dann hatte er kaum eine Chance zu entkommen. Er mußte das Mädchen ausschalten. Aber wie?
Seine Gedanken überschlugen sich. Wieder warf er ihr einen Blick zu. Ihr Morgenrock stand noch immer weit offen. Dann blickte er die Wand an. Er stand dicht neben einem Bücherbord. Nur drei Handbreit entfernt stand eine kitschige Porzellanfigur, die einen Buddha darstellte, der wohlgefällig dahockte. Silk wandte wieder den Kopf.
„Kannst du nicht den Morgenrock zumachen?“ fragte er.
„Macht es dich vielleicht nervös?“
„Ja“, sagte Silk.
„Du brauchst ja nicht herzusehen“, sagte sie.
Silk bewegte die rechte Hand etwas. Er hob einen Fuß, um sie abzulenken, und stampfte auf.
„Bleib ruhig stehen“, sagte sie scharf.
Seine Hand war wieder ein Stück weitergeglitten. Nur mehr zwei Handbreit trennten ihn von der Statue. Die Zeit verrann viel zu schnell. Jeden Augenblick konnten ihre Helfer auftauchen, und dann hatte er kaum mehr eine Chance, sich aus dieser scheußlichen Lage zu befreien. Silk überlegte wieder. Er mußte die Statue erwischen, sich niederfallen lassen und...
Sein Mantel stand offen. Er konnte schnell seine Pistole herausreißen. Er ließ die rechte Hand weiterwandern.
Ich muß sie ablenken, dachte Silk.
„Verdammt noch mal!“ keuchte er.
„Was ist los?“ fragte sie mißtrauisch.
„Ich habe einen Krampf im linken Bein“, sagte er. Er musterte sie aus den Augenwinkeln, bewegte leicht das linke Bein und merkte, daß sie es beobachtete.
Auf diesen Augenblick hatte er gewartet. Alles geschah innerhalb einer Sekunde. Seine rechte Hand packte die Buddhastatue. Er sprang einen Schritt zur Seite, drehte sich um, und aus der Drehung schleuderte er die Statue mit voller Kraft. Das Mädchen schoß, doch die Kugel zischte dicht neben Silks Schulter in die Wand. Die Statue flog auf das Mädchen zu. Sie versuchte auszuweichen und schoß nochmals. Doch die Kugel fuhr wirkungslos in die Decke. Da traf sie die Statue an der rechten Schulter.
Sie stieß einen Schrei aus. Silk hatte die Pistole aus der Halfter gerissen und hechtete quer durch den Raum. Bevor sie wieder abdrücken konnte, war er bei ihr, hob die rechte Hand und schlug mit voller Wucht zu. Er schlug den Pistolenknauf über ihr rechtes Handgelenk und legte alle Kraft in den Schlag. Der Browning fiel zu Boden. Bevor sie einen Schrei ausstoßen konnte, stieß seine linke Handkante vor und traf sie am Hals.
Ihre Augen weiteten sich. Dann brach sie zusammen. Silk hob sie hoch und warf sie auf das Bett. Sie lag auf dem Bauch und war bewußtlos. Er nahm die Schnur, mit der sie den Morgenrock zusammengebunden hatte, griff nach ihren Händen und band sie rasch zusammen. Er überlegte, ob er fliehen sollte, doch dann verwarf er den Gedanken. Er war auf Lynns Freunde gespannt, die jeden Augenblick auftauchen mußten und eine gewaltige Überraschung erleben würden.
Er blickte das Mädchen an und zerrte sie von Bett herunter. Er legte sie auf den Boden, und zwar so, daß sie von der Tür aus nicht gesehen werden konnte. Möglicherweise waren aber die Schüsse gehört und Lynns Freunde dadurch gewarnt worden. Silk suchte sich einen günstigen Standpunkt aus. Er fand ihn dicht hinter der Tür. Er konnte erst gesehen werden, wenn die Kerle ins Zimmer getreten waren. Er duckte sich, schlüpfte aus dem Mantel, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, und wartete mit der entsicherten Pistole.
Er mußte nicht lange warten. Die Eingangstür wurde geöffnet, und Schritte kamen näher. Es mußten mindestens zwei Männer sein.
Silk spannte die Muskeln an und hob die Pistole. Die Schritte kamen näher.
„Lynn?“ sagte eine tiefe Stimme.
Silk antwortete nicht. Er richtete sich ein wenig auf. Die Tür stand halboffen.
„Verdammt noch mal, Lynn, was ist los?“
Da war der erste Mann im Zimmer. Er starrte das Bett an und trat zwei Schritte näher. Dann blieb er überrascht stehen. Er wandte den Kopf und sah Silk. Seine Augen weiteten sich, als er die Pistole erblickte.
„Morris, eine Falle!“ brüllte er und duckte sich. Er griff in die Manteltasche und wollte eine Pistole hervorholen.
Da schoß Silk. Er traf den Mann in der rechten Schulter, und dieser heulte auf. Silk sprang auf und schlug den Pistolenlauf über das Nasenbein des Gangsters. Der ging in die Knie und schlug mit dem Kopf gegen die Bettkante. Silk sprang zur Tür, ging in die Knie und schoß sofort. Er hatte gut getroffen. Der zweite Mann ließ die Pistole fallen und griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Bauch.
Silk hob die auf den Boden gefallene Waffe auf, stieg über den sich am Boden wälzenden Gangster und sperrte die Eingangstür ab. Dann kehrte er ins Zimmer zurück. Lynn war noch immer ohnmächtig, und der Gangster, dem er in die Schulter geschossen hatte, begann, sich zu bewegen. Er hob den Kopf. Sein Gesicht sah wenig hübsch aus. Die Nase war gebrochen, und Mund und Kinn waren blutverschmiert.
„Keine Bewegung“, sagte Silk. „Sonst bekommst du eine Kugel in den Bauch. Leg dich auf den Rücken und strecke die Arme und Beine aus!“
„Du Schweinehund!“ keuchte der Mann, legte sich auf den Rücken und streckte die Gliedmaßen von sich.
Silk griff nach dem Telefon. Er wählte die Nummer der Polizei und verlangte Leutnant Stubbs, den er von früher kannte. In kurzen Worten schilderte er den Vorfall.
Es dauerte kaum fünf Minuten, bis an der Tür geklopft wurde.
„Wer ist da?“ fragte Silk.
„Polizei“, hörte er eine kräftige Stimme.
Der Gangster in der Diele war bewußtlos. Langsam verließ Silk das Zimmer, behielt aber den auf dem Rücken liegenden Gangster im Auge. Er stieß die Tür zur Diele weit auf, sprang über den bewußtlosen Gangster und öffnete die Eingangstür. Zwei hünenhafte Polizisten mit gezogenen Pistolen traten ein.
Silk hob automatisch die Hände. Er hatte keine Lust, von einem übereifrigen Cop über den Haufen geschossen zu werden. Einer der Polizisten blieb neben Silk stehen und nahm ihm die Pistole ab. Der andere ging ins Wohnzimmer.
„Verdammte Sauerei“, sagte er grimmig.
In diesem Augenblick wachte Lynn aus der Ohnmacht auf. Sie stöhnte laut auf und hob den Kopf.
„Liegenbleiben!“ sagte der Cop und hob seine Pistole. Lynn ließ den Kopf sinken und wimmerte vor sich hin. Zwei Minuten später traf Leutnant Stubbs ein. Er war ein schlanker Mann, Ende vierzig und trug einen Ledermantel und eine Seehundmütze, die gut zu seinem gewaltigen Schnauzbart paßte.
„Nehmen Sie die Hände herunter, Kirby“, sagte er. „Geben Sie ihm die Pistole zurück“, sagte er zu dem Polizisten. Dieser händigte Silk widerstrebend die Waffe aus.
Der Leutnant blieb neben dem bewußtlosen Gangster in der Diele stehen und bückte sich. Er drehte ihm das Gesicht zur Seite und hob es etwas hoch. Dann grunzte er. Er ging weiter und starrte den anderen Mann an.
„Sieh mal einer an“, sagte Stubbs, und seine Laune hob sich um einige Grade. „Da treffen wir uns ja wieder, Leven. Auf diesen Augenblick habe ich schon lange gewartet.“
„Scheren Sie sich zum Teufel!“ knurrte Leven wütend. Sein Gesicht war bleich.
„Da ist noch ein Mädchen“, sagte der Cop und deutete hinter das Bett.
Stubbs kam näher und sah Lynn an, die noch immer wimmerte.
„Da sind Sie ja in eine feine Gesellschaft geraten, Kirby“, wandte sich Stubbs an Silk, „Lauter ehrenwerte Leute.“
Kirby grinste schwach. Langsam löste sich die Spannung der vergangenen Minuten.
Ein Polizeifotograf schoß Fotos. Dann tauchte ein Arzt auf.
„Kennen Sie den anderen Mann auch?“ fragte Silk.
Stubbs nickte.
„Das ist Morris Ankrum, und dieser Kerl da ist Boris Leven. Auf die beiden habe ich schon lange ein Auge. Wir konnten ihnen nur nie etwas nachweisen.“
Der Arzt hatte die beiden untersucht. Sie wurden auf Bahren gehoben und abtransportiert. Dann kümmerte sich der Arzt um Lynn. Ein Polizist löste die Fesseln, und Lynn schrie vor Schmerzen auf. Ihr rechtes Handgelenk war dick angeschwollen.
„Sieht ganz so aus, als wäre es gebrochen“, sagte der Arzt, ein älterer Mann mit randloser Brille. „Wir müssen sie ins Hospital mitnehmen.“
„Tun Sie das, Doc“, sagte Stubbs, der seinen Blick nicht von dem nackten Körper des Mädchens reißen mochte. „Und macht ihr endlich den Morgenrock zu.“
„Das wird Sie teuer zu stehen kommen!“ schrie Lynn Silk an. „Das schwöre ich Ihnen!“ Ihr Gesicht war eine verzerrte Fratze, als sie von zwei Polizisten aus dem Zimmer geführt wurde. Sie hatte sich wieder erholt und biß und kratzte die Beamten.
„Und nun zu Ihnen, Kirby“, sagte Stubbs, setzte sich aufs Bett und holte eine Pfeife hervor, die er langsam stopfte. „Erzählen Sie.“
Und Silk erzählte.
Stubbs unterbrach ihn nicht. Er hörte schweigend zu, sog nur genüßlich an seiner Pfeife und nickte gelegentlich.
„Eine ziemlich wilde Geschichte, die Sie mir da erzählen, Kirby“, sagte er schließlich. „Sie suchen diesen Ray Adams. Sicher weiß seine Schwester, wo er ist, aber ich bin ziemlich sicher, daß sie es uns nicht verraten wird. Und Ankrum und Leven... Die werden wie ein Grab schweigen.“ Er seufzte. „Vielleicht fällt das Mädchen um. Wir werden ihr eine Menge Dinge anhängen, die ihr mindestens zwanzig Jahre einbringen. Vielleicht wird sie schwach, wenn wir ihr versprechen, daß wir die eine oder andere Anklage unter den Tisch fallen lassen. Aber um ehrlich zu sein, Kirby, viel Hoffnung brauchen Sie sich nicht zu machen. Ich kenne diese Typen. Sie sind mit allen Wassern gewaschen. Und sie weiß ganz genau, daß ein guter Anwalt viel helfen kann. Sie wird vielleicht zwei Jahre bekommen und nach einem Jahr wegen guter Führung entlassen, und das weiß sie auch. Und eines ist klar. Alle drei werden sofort nach einem Anwalt heulen und kein Wort sagen.“ Stubbs seufzte wieder. „Früher war es einfacher. Da brauchte man solche Kerle nur etwas fester anzupacken. Aber das dürfen wir jetzt nicht mehr.“

* * *

Butch hatte während des Fluges von New York nach Frankfurt die meiste Zeit geschlafen. In Frankfurt mußte er zwanzig Minuten auf die Maschine nach Wien warten. Kurz vor Mittag landete das Flugzeug auf dem Flughafen Wien-Schwechat. Bald hatte er die Zollkontrolle hinter sich gebracht und bekam sein Gepäck ausgehändigt. Er wechselte einiges Geld um, betrat eine Telefonzelle und rief Bolzmann an, der für ihm im Vienna-Intercontinental ein Zimmer hatte reservieren lassen und außerdem einen Leihwagen gemietet hatte.
Fünf Minuten später hatte er einen weißen Porsche und war zu seinem Hotel unterwegs. Er fuhr durch Schwechat und erreichte schließlich Wien. Es war Sonntag, und es herrschte nur wenig Verkehr. Er fuhr am Zentralfriedhof vorbei und die Simmeringer Hauptstraße entlang. Er hatte sich genau den Weg zum Hotel erklären lassen und fand es, ohne sich einmal zu verfahren.
Er parkte den Porsche in der Hotelgarage, bekam sein Zimmer und bestellte etwas zu essen. Er öffnete seine Koffer und packte seine Kleider aus. Als er damit fertig war, blieb er kurz vor dem Fenster stehen und blickte hinaus. Er sah die Geleise der Stadtbahn und den Wienfluß, der ziemlich viel Wasser führte. Butch kleidete sich aus, stellte sich unter die Dusche, rasierte sich und schlüpfte in frische Kleidung. Dann setzte er sich aufs Bett und breitete den Stadtplan von Wien aus.
Fishers Firma lag in der Breitenfurter Straße. Sein Haus stand in der Gogolgasse in Hietzing. Zuerst wollte er sich die Firma ansehen.
Er rief wieder Bolzmann an.
„Haben Sie in der Zwischenzeit irgend etwas herausgefunden, Mr. Bolzmann?“ erkundigte er sich.
„Nichts, Mr. O'Leary“, sagte Bolzmann. „Heute ist Sonntag, da kann ich nicht viel unternehmen. Wir werden bis morgen warten müssen.“
„Ich sehe mir mal die Firma an“, sagte Butch. „Und dann werde ich mir das Haus vornehmen.“
„Seien Sie dabei aber vorsichtig“, sagte Bolzmann.
„Das werde ich“, sagte Butch grinsend. „Ich melde mich später bei Ihnen.“
Er legte den Hörer auf, schlüpfte in seinen Mantel und holte den Wagen aus der Garage. Er fühlte sich etwas unbehaglich, da er keine Waffe bei sich hatte.
Er kam nur langsam vorwärts. Immer wieder verfuhr er sich, und im-mer wieder erkundigte er sich bei Passanten in seinem schlechten Deutsch nach dem Weg zur Breitenfurter Straße.
Es war kurz nach fünfzehn Uhr, als er endlich die Breitenfurter Straße erreichte. Die Straße war mehrere Kilometer lang. Kurz vor Liesing sah er Fishers Firma. Er fuhr daran vorbei, stellte den Wagen ab und stieg aus.
Es war bitter kalt. Er stellte den Kragen seines Mantels auf und vergrub die Hände in den Taschen. Ein eisiger Wind fuhr ihm ins Gesicht.
Der Himmel war grau, und es sah so aus, als würde es jeden Augenblick zu schneien beginnen. Gemächlich ging er weiter. Er überquerte die Straße und sah sich genau um.
Schräg gegenüber von Fishers Firma lag ein wenig vertrauenerweckendes Gasthaus. Er ging am Areal der Firma vorbei, das von einem hohen Zaun umgeben war. Er konnte nichts erkennen. Langsam ging er um den Häuserblock herum. Er suchte nach einer Möglichkeit, über den Zaun zu gelangen, und fand schließlich eine   in der Seitengasse. Butch schlenderte zurück, denn vor Einbruch der Dunkelheit wollte er nicht über den Zaun klettern.
Er betrat das Wirtshaus. Die Luft war abgestanden. Es war heiß in der Gaststube, und es roch nach verschüttetem Bier und Wein. Er fand einen leeren Tisch neben einem der Fenster, zog seinen Mantel aus und setzte sich so, daß er auf die Straße blicken konnte. Von seinem Platz konnte er deutlich das eiserne Tor sehen.
Ein Kellner in einem schmierigen schwarzen Anzug blieb vor ihm stehen.
„Was soll's sein, der Herr?“
„Ein Bier“, sagte Butch. Der Kellner nickte und brachte ihm zwei Minuten später ein großes Glas Bier.
Mehr als eine halbe Stunde starrte Butch das Tor an. Nichts geschah.
Dann blieb ein Mercedes davor stehen, und zwei Männer stiegen aus. Einer sperrte das Tor auf. Sie verschwanden und zogen das Tor zu.
Butch bestellte noch ein Bier. Es wurde langsam dunkel. Nach einer Viertelstunde kamen die Männer wieder heraus, stiegen in den Mercedes und fuhren los. Butch notierte sich die Wagennummer.
Er wartete, bis es ganz dunkel geworden war und die Straßenbeleuchtung aufflammte. Dann zahlte er und verließ das Wirtshaus. Es war noch kälter geworden. Er zog seine pelzgefütterten Handschuhe an, überquerte die Straße und betrat die schmale Seitengasse.
Butch ging ganz langsam. Immer wieder warf er einen Blick zurück. Kein Mensch war zu sehen. Er erreichte die Stelle, wo der Zaun in eine Steinmauer überging, die etwa zwei Meter hoch war. Er blieb stehen und sah sich nochmals um. Dann griff er mit beiden Händen nach dem Mauerdach und zog sich mit einem Klimmzug hoch.
Er blickte über die Mauer. Das Areal war ziemlich groß. Hier mußten mindestens fünfzig Wagen stehen. Noch einmal blickte er um sich. Seine Füße fanden in den Mauerfugen Halt, und er hatte keine Schwierigkeiten, sich über die Mauer zu schwingen. Er ging in die Knie und drückte sich gegen die Mauer. Es war ziemlich dunkel, und er konnte keine Einzelheiten erkennen. Langsam ging er die Mauer entlang. In der Mitte des Areals stand ein Gebäude, das mindestens hundert Meter lang war. Er ging zwischen den zum Verkauf ausgestellten Wagen hindurch, bis er das Haus erreichte. Dort blieb er stehen und blickte sich wieder um. Alles war ruhig.
Er probierte es an der Eingangstür, doch sie war, wie er es erwartet hatte, verschlossen. Er ging an der Hausfront entlang und bog nach links ab, ging weiter bis zur Hinterfront und blieb überrascht stehen. Hier standen mindestens zwanzig Autowracks. Neugierig ging er weiter. Die Autos sahen fürchterlich aus. Sie mußten alle in Frontalzusammenstöße verwickelt gewesen sein. Und es waren nur teure Wagen, vor allem Sportwagen. Aber er bemerkte auch zwei Cadillacs.
Er untersuchte einige der Wracks. Dann schüttelte er nachdenklich den Kopf. Die Autos waren so stark beschädigt, daß eine Reparatur völlig sinnlos gewesen wäre.
Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er zuckte zusammen, preßte sich gegen die Hauswand und schlich langsam weiter. Vorsichtig streckte er den Kopf um die Ecke. Das eiserne Tor stand offen. Drei Wagen fuhren in den Hof und wurden nebeneinandergestellt. Drei Männer stiegen aus, die sich laut unterhielten. Butch verstand kaum ein Wort. Er zog den Kopf zurück und wartete.
Immer wieder spähte er um die Ecke. Die Männer unterhielten sich noch immer. Plötzlich war lautes Hupen zu hören. Zwei der Männer setzten sich in Bewegung und öffneten das eiserne Tor. Ein großer Autotransporter, auf dem sechs Autowracks standen, fuhr in den Hof. Der Transporter hielt, und zwei Männer sprangen aus der Kabine. Das eiserne Tor wurde geschlossen. 
Irgend jemand schaltete das Licht ein, und der Hof wurde in gleißendes Licht getaucht. Butch drückte sich enger gegen die Wand. Die Wracks trugen alle österreichische Kennzeichen. Soweit er es erkennen konnte, waren es Wiener Nummern.
Die Männer unterhielten sich weiter. Dann stieg der Fahrer in den Transporter und startete das schwere Fahrzeug. Langsam fuhr er an. Butch wußte, daß der Wagen hinter das Haus fahren würde, dorthin, wo die anderen Wracks standen. Butch hatte keine Zeit zu verlieren. Die Scheinwerfer kamen näher, und er rannte los. Hinter dem Haus war es dunkel. Er rannte so rasch er konnte, erreichte die Mauer und schwang sich hinüber. Keine Sekunde zu früh, denn eben bog der Transporter um die Ecke. Butch sprang auf die Seitenstraße und ging langsam zur Breitenfurter Straße.
Was hat das zu bedeuten? fragte er sich. Er ging die Breitenfurter Straße entlang, sah eine Telefonzelle und betrat sie. Er warf einen Schilling ein und rief Bolzmann an.
„Ich stattete Fishers Firma einen Besuch ab, Mr. Bolzmann“, sagte Butch. „Da kommt mir einiges seltsam vor. Eben kam ein Transporter mit sechs Autowracks an.“
„Ein Transporter?“ fragte Bolzmann überrascht. „Das ist allerdings seltsam.“
„Es kommt aber noch besser“, sagte Butch. „Hinter der Werkstätte stehen mindestens zwanzig andere Autowracks. Alles teure Wagen.“
„Hm“, sagte Bolzmann. „Das ist allerdings interessant.“
„Können Sie sich vorstellen, was das zu bedeuten hat?“
„Ich fürchte, ja“, sagte Bolzmann. „Ich habe zumindest einen Verdacht.“
„Und der ist?“
Bolzmann seufzte.
„Ich schätze, daß Sie in ein Wespennest gestochen haben, Mr. O'Leary.“
„Können Sie mir das näher erklären, Mr. Bolzmann?“
„Das ist ein wenig kompliziert“, sagte Bolzmann. „Außerdem ist es nur eine Vermutung. Ich werde es Ihnen morgen erklären.“
„Ich sehe mir jetzt Fishers Haus an“, sagte Butch. „Ich rufe Sie später wieder an.“
„Tun Sie das, Mr. O'Leary“, sagte Bolzmann. „Ich werde mich in der Zwischenzeit mit Dr. Helnwein vom Sicherheitsbüro in Verbindung setzen. Er ist ein Spezialist für Versicherungsbetrug.“
„Sie wollen die Polizei einschalten?“ fragte Butch.
„Ja“, sagte Bolzmann.
„Hoffentlich wird dadurch nicht alles verdorben“, sagte Butch mißtrauisch.
„Keine Angst“, sagte Bolzmann. „Dr. Helnwein ist ein anerkannter Fachmann. Er übereilt nichts.“
„Das müssen Sie besser wissen als ich“, sagte Butch. „Bis später.“
Er legte auf, verließ die Zelle und stieg in seinen Wagen. Er holte den Stadtplan heraus und suchte nach der günstigsten Verbindung zur Gogolgasse.
Dann fuhr er langsam los. Der Verkehr war stärker geworden, doch er kam überraschend schnell vorwärts.
Er erreichte die Lainzer Straße nach einer Viertelstunde und bog in die Veitingergasse ein. Hier blieb er stehen und sah sich wieder den Stadtplan an. Dann fuhr er weiter. Nach kurzem Suchen fand er die Gogolgasse. Er fuhr an Fishers Villa vorbei und parkte den Wagen in hundert Meter Entfernung.
Es war eine ruhige Gegend. Selten fuhr Auto vorbei. Fußgänger waren kaum zu sehen. Butch blieb zehn Minuten im Wagen sitzen. Dann stieg er aus.
Die Villa stand in einem kleinen Garten, in dem einige Silbertannen wuchsen. Der Garten war von einer hohen Mauer umgeben. Das Eingangstor war aus Holz. Die Tannen versperrten den Blick zum Haus. Butch blieb zögernd stehen.
Ein älteres Paar kam vorbei, das ihm aber keine Beachtung schenkte. Butch überlegte, ob er über die Mauer klettern sollte, verwarf aber diesen Gedanken. Es war noch zu früh dazu. Er würde es in einigen Stunden noch einmal versuchen.

* * *

Silk war nach Chicago zurückgefahren. Es war so gekommen, wie Leutnant Stubbs vermutet hatte. Boris Leven und Lynn Adams hatten jede Aussage verweigert und einen Anwalt verlangt. Morris Ankrum war noch immer bewußtlos. Lynn hatte das rechte Handgelenk in Gips. Sie hatte Silk nur finster angestarrt, aber auf keine Frage eine Antwort gegeben.
Es war nach vier Uhr früh, als Silk im Quinnschen Bungalow eintraf. Quinn und seine Frau schliefen schon, und Silk ging in sein Zimmer.
Um zehn Uhr stand er auf, fand Quinn in dessen Arbeitszimmer und setzte sich zu ihm.
„Erzähle alles genau“, bat Quinn. Silk erzählte.
„Viel hilft uns das auch nicht weiter“, sagte der Anwalt, als Silk geendet hatte. „Wir müssen unbedingt Ray Adams finden. Nur er kann uns weiterhelfen.“
„Hast du etwas herausbekommen, Anthony?“
Quinn schüttelte den Kopf.
„Nichts“, sagte er. „Es gelang mir nicht herauszufinden, wo sich Mrs. Fisher in den letzten Tagen aufgehalten hat. Wir sind in einer Sackgasse. Ich werde mal Harry anrufen, vielleicht weiß er inzwischen mehr.“
Obwohl es Sonntag war, erreichte er Inspektor Cummings in seiner Dienststelle.
„Wir haben die Fahndung nach Ray Adams eingeleitet“, sagte Cummings nach den üblichen Begrüßungsfloskeln. „Bis jetzt ohne Erfolg. Seit seiner Entlassung hat er sich nichts zuschulden kommen lassen. Er wurde wegen Autodiebstahls verurteilt. Er arbeitete mit zwei anderen Burschen zusammen, die mehr als ein halbes Jahr Autos stahlen und nach Mexiko verkauften.“
Quinn kniff die Augen zusammen. Dann fuhr er sich nachdenklich mit der Zunge über die Lippen.
„Dieser Fisher hatte doch in Wien und Chicago Autoreparaturwerkstätten und handelte mit Gebrauchtwagen. Was ist, wenn...“
„Gar kein dummer Gedanke“, sagte Cummings. „Du meinst, daß Fisher mit gestohlenen Autos gehandelt hat?“
„Möglich wäre es“, sagte Quinn. „Auf jeden Fall müssen wir diesem Verdacht nachgehen.“
„Da hast du recht“, sagte Cummings.
Quinn legte den Hörer auf und sah Silk an.
„Vor etwa zwei Jahren wurde Ray Adams aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte von LeVrier den Auftrag erhalten, sich mit dessen Frau in Verbindung zu setzen. Und wie es aussieht, ist ihm das auch gelungen. Vor zwei Jahren heiratete Rita Donovan Harold Fisher.“
„Wir wissen aber noch immer nicht, ob es sich tatsächlich um die echte Rita Donovan gehandelt hat.“
„Das stimmt“, sagte Quinn, „aber ich bin ziemlich sicher, daß es sich um ein und dieselbe Person handelt. Spinnen wir diesen Gedanken weiter. Rita Donovan war mit LeVrier verheiratet. Gemeinsam verübten sie einige Raubüberfälle. Er wurde geschnappt, sie konnte mit den zweiundzwanzigtausend Dollar verschwinden. Sie wartete ein Jahr, lernte Harold Fisher kennen und heiratete ihn, ohne die Scheidung von LeVrier eingereicht zu haben. Das konnte sie ja auch nicht, da sie ja von der Polizei gesucht wurde. Sie war nun Mrs. Fisher. Aber zu diesem Zeitpunkt tauchte Ray Adams auf. Sie fuhr mit ihrem neuen Mann nach Wien und blieb die meiste Zeit dort. Jetzt erhebt sich die Frage - welche Vereinbarung traf sie mit Ray Adams?“
„Du meinst, daß er sie erpreßt hat?“ Quinn zuckte die Schultern.
„Ich meine gar nichts. Alles, was ich gesagt habe, ist durch nichts bewiesen. Es sind nur Gedankenspielereien. Vielleicht erpreßte Adams Mrs. Fisher. Es wäre aber auch möglich, daß sie sich zusammentaten.“
„Hm“, sagte Silk und rieb sich das Kinn. „Wenn deine Vermutung stimmt, dann hält sich dieser Adams wahrscheinlich in Wien auf.“
Quinn nickte.
„Das ist anzunehmen“, sagte er. Er schloß die Augen und dachte intensiv nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Es hat keinen Sinn, weitere Mutmaßungen anzustellen. Wir wissen zu wenig. Wenn Mrs. Fisher aber tatsächlich mit Adams zusammengearbeitet hat - auf welchem Gebiet haben sie sich betätigt?“
„Gestohlene Autos, würde ich sagen“, meinte Silk. „Da bietet sich Wien geradezu an. Ich las mal in einer Fachzeitschrift darüber einen Artikel.“
„Ich auch“, sagte Quinn und kniff die Augen zusammen. „Der beste Markt für gestohlene Autos ist die Türkei. Es wäre sehr einfach, in Österreich und Deutschland Autos zu stehlen und sie in die Türkei zu bringen. Dort kann man den dreifachen Preis erzielen. Fisher hatte eine Werkstatt. Es dürfte ziemlich einfach gewesen sein, dort Fahrgestell- und Motornummer zu ändern und neue Papiere zu beschaffen.“
„Aber im Augenblick sind das alles  nur Vermutungen“, meinte Silk.
Quinn seufzte.
„Ich werde mal versuchen, Butch in Wien zu erreichen.“
Es dauerte kaum eine Viertelstunde, und er hatte mit Bolzmann Verbindung bekommen. Er bat ihn, Butch mitzuteilen, daß er sich mit Chicago in Verbindung setzen sollte.

* * *

Butch war in sein Hotel zurückgekehrt und hatte dort die Nachricht gefunden, daß er Quinn anrufen sollte. Er ging auf sein Zimmer und meldete das Gespräch an. Dann trank er einen Bourbon mit viel Eis und legte sich aufs Bett.
Butch wurde aus seinen Gedanken gerissen, als das Telefon läutete. Er hob den Hörer ab. Sekunden später hörte er Quinns Stimme.
„Hallo, Butch“, sagte der Anwalt.
„Hallo, Boß“, sagte Butch. „Was ist los?“
Quinn berichtete in kurzen Worten von Silks Abenteuer und teilte Butch mit, daß Inspektor Cummings an das Wiener Sicherheitsbüro Foto und Fingerabdrücke von Ray Adams weitergeleitet hatte.
Nun war Butch an der Reihe. Quinn hörte gespannt zu.
„Das ist alles recht interessant“, sagte der Anwalt schließlich. „Bolzmann kann tatsächlich recht haben. Es könnte sich um Versicherungsbetrug handeln.“
„Aber wieso?“ fragte Butch.
„Denk mal scharf nach“, sagte Quinn. „Die Lösung liegt auf der Hand.“
„Ich werde nachdenken“, sagte Butch beleidigt.
„Tu das“, meinte Quinn fröhlich. „Und sieh dich mal in Fishers Villa um.“
„Das hatte ich sowieso vor“, meinte Butch. „Sollte sich etwas Neues ergeben, rufe ich dich wieder an. Bis später.“
Butch legte den Hörer auf. Eine halbe Minute später läutete wieder das Telefon. Bolzmann war am Apparat.
„Ich habe mit Dr. Helnwein vom Sicherheitsbüro gesprochen“, sagte er. „Er möchte sich gern mit Ihnen unterhalten, Mr. O'Leary. Wenn möglich, noch heute. Paßt Ihnen das?“
„Ja“, sagte Butch. Er wollte erst viel später Fishers Villa einen Besuch abstatten und hatte in der Zwischenzeit nichts zu tun.
„Gut“, sagte Bolzmann. „Ich hole Sie in einer halben Stunde ab.“
„Ich habe Hunger“, sagte Butch. „Ich gehe in der Zwischenzeit ins Hotelrestaurant.“

* * *

Butch hatte sein Wiener Schnitzel erst zur Hälfte gegessen, als Bolzmann auftauchte. Er begrüßte Butch herzlich, setzte sich zu ihm an den Tisch und bestellte ein Bier.
„Lassen Sie sich ruhig Zeit mit dem Essen“, sagte Bolzmann. „Wir treffen Dr. Helnwein erst in einer Stunde.“
Butch nickte, steckte ein Stück Schnitzel in den Mund und kaute behaglich. Das Essen schmeckte ihm ausgezeichnet.
„Wieso kommen Sie darauf, daß wir es mit Versicherungsbetrug zu tun haben, Mr. Bolzmann?”
Bolzmann lehnte sich zurück.
„Das ist naheliegend“, sagte er. „Ich nehme an, daß die Wracks, die Sie gesehen haben, aus Deutschland stammen. Wir hatten schon öfter solche Fälle. Die Sache ist recht einfach. Man hat ein Wrack, hat den dazu passenden Typenschein und meldet das Wrack an. Kein Mensch ahnt, daß ein Wrack angemeldet wurde. Man schließt eine Kaskoversicherung ab und wartet einige Zeit. Schließlich meldet man, daß man einen Zusammenstoß hatte und der Wagen Totalschaden erlitten hat. Dazu braucht man natürlich einen zweiten Mann, der behauptet, bei dem Unfall der Schuldige zu sein. Die Versicherung muß zahlen.“
Butch hörte interessiert zu.
„Man kann auch angeben“, sagte Bolzmann, „der Wagen sei gestohlen worden. Solche Tricks werden immer wieder versucht. Das sind aber nur Einzelfälle. In unserem Fall sieht es so aus, als würde das in großem Maßstab betrieben. Bis jetzt ist es nur eine Vermutung, aber bis morgen werden wir mehr wissen.“
Butch aß weiter. Er verarbeitete das eben Gehörte.
„Und wenn wir jetzt annehmen, daß diese Betrügereien schon längere Zeit inszeniert werden, dann ist eine ganz schöne Menge Geld zusammengekommen. Wie Sie sagten, stehen in Fishers Firma nur Wracks von teuren Wagen. Man kann ruhig sagen, daß für jedes Wrack von den Versicherungen mindestens fünftausend Dollar gezahlt werden. Und Sie haben zwanzig Wracks gesehen. Da kommt eine hübsche Summe zusammen.“
„Aber das sind ja alles nur Vermutungen“, sagte Butch. „Sie können völlig falsch sein.“
„Das können wir allerdings nicht ausschließen“, meinte Bolzmann, „aber wir werden uns Gewißheit verschaffen.“
Butch hatte das Schnitzel vertilgt. Er nahm einen Schluck Bier und tupfte sich die Lippen ab.
„Wir können gehen“, sagte er.
Bolzmann nickte.
Butch fuhr hinter Bolzmann her. Sie fuhren rund um den Ring. Hinter der Börse, kurz vor dem Ringturm, bogen sie nach links ab und erreichten die Berggasse. Nach kurzem Suchen fanden sie Parkplätze und stiegen aus. Gemeinsam gingen sie die Berggasse entlang, bis die das Sicherheitsbüro erreichten.
Dr. Helnwein hatte sein Büro im ersten Stock. Sie gingen einen langen Korridor entlang. Schließlich blieb Bolzmann stehen. Er klopfte gegen die Türfüllung und drückte die Klinke nieder. Sie traten ein, und hinter einem wuchtigen Schreibtisch stand ein mittelgroßer Mann auf.
Er kam auf sie zu und lächelte dabei. Er trug einen gut geschnittenen Anzug mit einer modischen Krawatte und war ungefähr fünfzig. Sein Gesicht war einnehmend. Er trug einen Knebelbart. Eigentlich sah er eher wie ein Gelehrter aus.
Dr. Helnwein schüttelte Bolzmanns Hand. Dann wandte er sich Butch zu.
„Sie sind Mr. O'Leary“, stellte er fest. Seine Stimme klang sanft. Sein Englisch war nahezu akzentfrei.
Butch nickte.
„Bitte, setzten Sie sich“, sagte Helnwein und deutete auf einige einfache Stühle, die um einen runden Tisch standen, der mit Fachzeitschriften beladen war.
Butch und Bolzmann setzten sich. Helnwein nahm einige Papiere von seinem Schreibtisch und setzte sich ebenfalls.
„Das erhielt ich vor einer halben Stunde“, sagte er und reichte Butch ein Funkbild. Es zeigte einen gutaussehenden jungen Mann mit schwarzem Haar und dunklen Augen. „Das ist Ray Adams. Er soll sich in Wien aufhalten. Wie ich vom Meldeamt erfuhr, ist kein Ray Adams in Österreich gemeldet. Aber das hat nichts zu sagen. Er kann ja unter falschem Namen gemeldet sein. Profis bereitet es keine Schwierigkeiten, sich falsche Papiere zu besorgen.“
Butch nickte.
„Mr. Bolzmann hat Sie doch über den Fall informiert?“
Helnwein nickte.
„Flüchtig“, sagte er. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen ausführlichen Bericht geben könnten, damit ich mir ein besseres Bild machen kann.“
Butch begann zu erzählen. Er berichtete von Fishers Selbstmord und schließlich von Silks Erlebnis in Detroit.
Helnwein hatte aufmerksam zugehört.
„Ein reichlich komplizierter Fall“, sagte er schließlich. „Ich vermute, daß wir einer Bande auf die Schliche gekommen sind, die auf großangelegte Versicherungsbetrügereien spezialisiert ist.“
Helnwein lächelte und griff nach einem Blatt Papier.
„Sie haben sich die Nummer des Mercedes aufgeschrieben. Geben Sie sie mir.“
Butch nannte sie. Helnwein stand auf, hob den Telefonhörer ab, wählte und gab die Wagennummer weiter durch. Er mußte einige Minuten warten. Dann fing er an zu schreiben. Schließlich bedankte er sich, legte den Hörer auf, blickte den Zettel an, stopfte seine Pfeife und zündete sie an. Er lächelte.
„Es ist ganz interessant“, sagte er. „Der Mercedes gehört Ray Donovan.“
„Ray Donovan?“ fragte Butch überrascht.
Helnwein nickte.
„Mrs. Fisher hießt doch mit dem Mädchennamen Donovan, nicht wahr?“
„Stimmt“, sagte Butch. „Möglicherweise ist dieser Ray Donovan in Wirklichkeit Ray Adams.“
„Das vermute ich auch“, sagte Helnwein nachdenklich. „Möglicherweise gab er sich als Verwandter, vielleicht sogar als Bruder von Mrs. Fisher aus.“
„Das wäre durchaus möglich“, stimmte Helnwein zu. „Ich werde veranlassen, daß dieser Donovan überwacht wird. Seine Adresse haben wir ja. Ungargasse 123. Jetzt werde ich mal beim Meldeamt nachfragen, seit wann Donovan gemeldet ist.“
Er wählte wieder eine Nummer und wartete einige Minuten, bis er die gewünschte Auskunft bekam.
„Ray Donovan ist seit mehr als einem Jahr unter dieser Adresse gemeldet. Aber er ist außerdem noch unter einer anderen Adresse gemeldet.“ Helnwein machte eine kurze Pause, und Butch und Bolzmann sahen ihn gespannt an. „Er ist auch in der Gogolgasse gemeldet.“
„Dort wohnt Fisher“, sagte Butch.
„Genau“, meinte Helnwein lächelnd.
„Was werden Sie jetzt unternehmen?“ erkundigte sich Butch.
„Wir werden Fishers Firma beobachten“, sagte Helnwein, „und versuchen, uns auf die Spur von Ray Donovan zu setzen. Und morgen werden wir Fishers Firma einen Besuch abstatten. Ganz offiziell. Wir werden die Angestellten vom Tod Mrs. Fishers unterrichten und uns dabei ein wenig umsehen. Und einige Leute werden morgen ein brennendes Interesse haben, einige Gebrauchtwagen zu kaufen. Wir werden sehr behutsam vorgehen. Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Noch haben wir keine Beweise, um zuschlagen zu können. Aber die werden wir uns beschaffen.“
„Darf ich morgen mit Ihnen kommen?“ fragte Butch.
Helnwein zögerte einen Augenblick. Dann nickte er.
„Sie dürfen mitkommen“, sagte er. „Ich möchte um neun Uhr bei Fishers Firma auftauchen. Treffen wir uns um diese Zeit vor der Firma.“
„Einverstanden“, sagte Butch und stand auf.

* * *

Butch hatte sich von Bolzmann verabschiedet. Es war erst kurz nach zwanzig Uhr und vor dreiundzwanzig Uhr wollte er Fishers Villa keinen Besuch abstatten.
Er ging eine halbe Stunde spazieren. Der Wind war unangenehm kühl. Am Franz-Josefs-Kai ging er in eine Diskothek, setzte sich an die Bar, bestellte einen Bourbon und trank ihn langsam. Das Lokal konnte erst vor kurzer Zeit geöffnet worden sein. Er lud das Barmädchen zu einem Drink ein. Sie sprach leidlich Englisch, und er unterhielt sich eine Weile mit ihr.
Das Lokal füllte sich immer mehr. Butch erschien es, als würde die Zeit unendlich langsam vergehen.
Nach einer Weile setzte sich ein hübsches Mädchen neben ihn an die Bar, bestellte einen Scotch und sah sich um. Sie holte aus ihrer Handtasche eine Packung Marlboro und steckte eine Zigarette zwischen die vollen Lippen. Dann sah sie Butch hilfesuchend an. Er gab ihr lächelnd Feuer.
„Danke“, sagte das Mädchen.
„Nichts zu danken“, sagte Butch auf deutsch.
„Sie sind Amerikaner, nicht wahr?“ fragte sie.
Butch nickte. Es war ein hübsches Mädchen. Das rotbraune Haar war kurz und die Augen waren braun - Augen, die einem bis ins Innerste blicken konnten. Sie lächelte, und er fand ihr Lächeln faszinierend. Das ganze Gesicht fing zu leben an. Sie war eigentlich nicht sein Typ, da er mehr für vollbusige Blondinen schwärmte. Aber irgendwie fühlte er sich zu ihr hingezogen. Sie war schlank, hatte kleine Brüste, die sich unter einem weißen Pulli deutlich abzeichneten, und trug schwarze Hosen.
„Mein Englisch ist nicht besonders“, sagte sie und lächelte wieder.
„Es ist besser als mein Deutsch“, sagte Butch.
„Sind Sie geschäftlich in Wien?“
„Ja“, sagte Butch. „Ich werde einige Tage hierbleiben. Tanzen wir?“
Sie nickte, und er führte sie auf die Tanzfläche.
„Meine Freunde nennen mich Butch“, sagte er.
„Butch?“ fragte sie überrascht. „Das ist ein seltsamer Name.“
„Da haben Sie recht“, sagte er und zog sie enger an sich. „Recht wenig schmeichelhaft, dieser Spitzname.“
„Wieso?“ fragte sie neugierig.
„Kommt von Butcher“, sagte er.
„Das bedeutet Metzger“, sagte sie und lachte. „Sie sehen aber gar nicht wie ein Metzger aus.“
„Danke“, sagte Butch lachend. „Und wie heißen Sie?“
„Monika“, sagte sie. „Monika Gyimothy.“
„Das ist aber ein seltsamer Name“, sagte er.
„Ungarisch“, sagte sie. „Mein Vater stammt aus Ungarn.“
„Kommen Sie oft hierher?“
„Ja“, sagte Monika. „Ich wohne nur zwei Häuserblocks weiter. Ist ja recht nett hier, finden Sie nicht auch?“
„Ja“, sagte Butch. Die Nähe des Mädchens regte ihn an, und er war nahe daran, auf seinen Besuch in Fishers Villa zu verzichten. Er tanzte noch einige Zeit mit dem Mädchen.
Sie gingen zur Bar zurück.
„Hören Sie eigentlich gern Jazz?“ fragte Monika.
„Gelegentlich ganz gern“, sagte Butch vorsichtig.
„In dem Haus, wo ich wohne, ist ein Jazzlokal“, sagte sie. „Ich wollte dort noch kurz hineinsehen. Kommen Sie mit?“
„Gern“, sagte Butch. „Aber ich habe nicht mehr lange Zeit.“
„Eine Stunde?
„In Ordnung“, sagte Butch und zahlte.
Sie verließen die Diskothek und traten auf die Straße. Monika hängte sich bei ihm ein. Sie gingen den Franz-Josefs-Kai bis zur Ruprechtskirche entlang.
„Da sind wir“, sagte Monika fröhlich. „Da ist das Jazzland.“
Sie stiegen die Stufen hinunter. Laute Musik drang ihnen entgegen. Monika begrüßte den Manager des Lokals herzlich. Er war ein mittelgroßer Mann, der einen schwarzen Vollbart und einen gewaltigen Bierbauch vor sich hertrug.
„Hast du noch einen Platz für uns, Axel?“ fragte Monika.
Der Bärtige nickte.
Sie betraten das Kellerlokal. Es war ziemlich gut besucht. Neben der Eingangstür bekamen sie einen Platz. Butch bestellte zwei Gläser Rotwein und hörte einige Minuten schweigend der Band zu.
„Die spielen gar nicht schlecht“, sagte er.
„Ist eine österreichische Gruppe“, meinte Monika. „Wahrscheinlich die beste, die wir haben. Die Barrelhouse Band.“
Butch prostete Monika zu und trank einen Schluck. Der Wein schmeckte nicht besonders. Die Band heizte die Stimmung ordentlich an. Butch fühlte sich wie zu Hause in einem der unzähligen Jazzlokale, die es in Chicago gab. Aus dem Augenwinkel sah er das Mädchen neben sich. Sie gefiel ihm immer besser. Ihre Natürlichkeit nahm ihn ein. Er legte einen Arm um ihre Schultern, und sie sah ihn lächelnd an.
„Gefällt es Ihnen?“ fragte sie.
„Ja“, meinte Butch. Doch seine Gedanken irrten immer wieder ab. Er hörte zu, dachte dabei aber nach. Schließlich sah er auf die Uhr. Er war nach zehn. Ich muß bald gehen, dachte er bedauernd.
„Ich muß bald gehen“, sagte Butch. „Ich habe noch eine Verabredung. Kann ich Sie morgen treffen?“
„Schade, daß Sie schon gehen müssen“, sagte Monika bedauernd. „Aber ich bleibe auch nicht mehr lange. Ich bin eine einfache Verkäuferin und muß zeitig aufstehen. Rufen Sie mich morgen an?“
Butch nickte, und sie schrieb ihren Namen und die Telefonnummer der Parfümerie auf, in der sie arbeitete.
Um halb elf zahlte Butch und ging.
„Bis morgen“, sagte er. Er nahm seinen Mantel und stieg die Stufen empor.
Es hatte zu schneien begonnen. Er mußte nicht lange gehen, bis er seinen Porsche erreichte. Er stieg ein, startete und holte den Stadtplan hervor. Fünf Minuten später war er unterwegs. Als er die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, blieb er vor einer Telefonzelle stehen, stieg aus und rief Fishers Villa an. Er ließ es zehnmal läuten, doch niemand hob ab.
Fünf Minuten nach elf Uhr erreichte er die Gogolgasse. Er blieb zehn Minuten im Wagen sitzen und beobachtete das Haus. Dann stieg er aus und ging näher an das Haus heran. Es schneite stark, und der Wind war zu einem Sturm angewachsen, der die Straßenbeleuchtung hin und her riß. Er blieb vor dem Eingangstor stehen und drückte auf die Klingel. Nichts rührte sich. Er läutete nochmals, doch alles blieb ruhig. Ein Auto fuhr an ihm vorbei, und er preßte sich dichter in den Schatten.
Er überlegte, ob er das Tor öffnen oder über die Mauer klettern sollte. Er sah sich das Schloß an. Es war leicht zu öffnen. Er holte seine kleine Tasche hervor, in der er sein Einbruchswerkzeug verstaut hatte. Nach zehn Sekunden hatte er das Tor geöffnet.
Butch drückte die Tür auf und blieb einen Augenblick stehen. Dann schloß er die Tür hinter sich. Es dauerte einige Zeit, bis sich seine Augen an das diffuse Licht gewöhnt hatten. Vom Tor aus führte ein Weg zwischen den hohen Silbertannen auf das Haus zu. Er beobachtete die Villa aufmerksam. Sie war einstöckig, und alle Fenster waren dunkel. Langsam ging er vorwärts. Die Tannen bewegten sich wild im Wind, und der Schnee peitschte in sein Gesicht. Er mußte einige Stufen hochsteigen, um die Eingangstür zu erreichen.
Er untersuchte das Schloß und spielte fast drei Minuten daran herum, bis er es endlich geöffnet hatte. Wieder ging er kein Risiko ein und schloß die Tür hinter sich. In der Diele war es stockfinster. Butch preßte sich gegen die Tür, hielt den Atem an und lauschte. Kein Laut war zu hören.
Aus der Rocktasche holte er eine Bleistiftlampe und knipste sie an. Mit einem Tuch wischte er sich die Schuhsohlen trocken. Er wollte keine deutlich sichtbaren Spuren hinterlassen. Dann ging er weiter. Der dünne Strahl der Taschenlampe huschte durch die Diele und fiel auf einige Türen, die er der Reihe nach öffnete. Die erste führte in den Keller, die zweite in eine Toilette, die dritte in die Küche.
Er schob die vierte Tür auf und trat ein. Ein mindestens zehn Meter langer Raum lag vor ihm. Die rechte Längsseite wurde von einem eingebauten Bücherregal eingenommen. Auf einem kleinen Tischchen stand ein Telefon. Er sah sich weiter um. Gegenüber dem Bücherregal stand eine Bar mit eingebautem Fernsehapparat und einer Stereoanlage. Zögernd ging er weiter. Am Ende des Raums, zwischen den Regalen, hing ein dunkelgrüner Vorhang. Er zog ihn zur Seite. Dahinter lag eine Tür, die abgesperrt war. Vor der Tür stand ein Sack. Butch beugte sich vor und öffnete den Sack. Er war mit Hundekuchen gefüllt. Gab es hier vielleicht einen Hund? Doch er hatte nichts gehört.
Butch zuckte zusammen, als er eine Tür zuschlagen hörte. Er löschte die Bleistiftlampe, zog blitzschnell den Vorhang vor und drückte sich gegen die Tür.
Schritte kamen näher. Die Schiebetür wurde aufgezogen und mit einem Ruck zugeschlagen. Die Schritte kamen immer näher. Licht wurde angedreht, und Sekunden später war Musik zu hören.
Verdammt noch mal, dachte Butch. Ich bin in einer unangenehmen Lage. Und ich habe nicht einmal eine Waffe. Er atmete ganz leise und bewegte sich nicht. Ich kann nur hoffen, daß niemand den Vorhang zur Seite sieht.
Er hörte, daß ein Streichholz angerissen wurde und roch den Tabakrauch. Laden wurden geöffnet und geschlossen, und eine brummende Stimme war zu hören. Die Musik wurde lauter. Eine Männerstimme summte den Text mit.
Was soll ich tun? fragte sich Butch und preßte die Lippen zusammen. Es blieb ihm keine andere Wahl. Er mußte abwarten.
Länger als eine Viertelstunde stand er nun schon gegen die Tür gepreßt und wagte kaum zu atmen. Der Mann im Zimmer mußte eine Zeitung lesen, denn trotz der lauten Musik hörte Butch deutlich das Rascheln des Papiers.
Er zuckte zusammen, als das Telefon läutete. Dann waren wieder Schritte zu hören. Nach dem dritten Leuten wurde der Hörer abgehoben, und die Männerstimme sagte: „Hallo?“
„Ja, ich warte“, sagte er dann. Die Musik wurde abgedreht und es wurde unnatürlich still im Raum. Dann hörte Butch ein ungeduldiges Klopfen. Der Mann klopfte mit einem Gegenstand gegen die Tischplatte.
„Ja, ich bin es“, sagte der Mann schließlich. „Was ist los?“
Der Mann sagte eine halbe Minute nichts.
„Nein“, sagte er schließlich. „Es bleibt alles so, wie wir es ausgemacht haben. Nein, es kommt nicht in Frage, daß du jetzt nach Wien kommst. Du bleibst in Chicago, bis ich dich anrufe.“
Wieder eine Pause.
„Ich habe dir gesagt, daß ich nicht will, daß du herkommst“, sagte der Unbekannte, und seine Stimme klang ungehalten. „Ich habe keine Lust, im letzten Augenblick alles zu vermasseln.“
Er sprach Englisch, und Butch verstand jedes Wort.
„Zum Teufel mit Quinn“, sagte der Mann plötzlich. „Er ist so ahnungslos wie die anderen. Du brauchst keine Angst zu haben. Alles läuft prächtig. In ein paar Tagen ist alles erledigt. Wir treffen uns in München in drei Tagen. Rufe mich nicht mehr an. Sollte sich irgendetwas Neues ergeben, dann rufe ich dich an. Geh nicht aus der Wohnung. Es ist zu gefährlich.“
Wieder schwieg der Mann.
„Unsinn“, sagte er schließlich. „Ich sage dir, daß alles prächtig läuft. Du bleibst, wo du bist. Spiel nicht im letzten Moment verrückt. Wir haben ohnehin schon oft genug umdisponieren müssen, und ich habe jetzt wirklich keine Lust, noch einmal alles neu aufzubauen.“ Er schwieg wieder. „Also gut, ich rufe dich morgen an. Geh nicht aus dem Haus. Ich fahre jetzt in meine Wohnung. Bis morgen.“
Der Unbekannte legte den Hörer auf und brummte ungehalten. Dann fluchte er leise vor sich hin. Butch hörte das Geklirr von Gläsern. Dann wurde Flüssigkeit in ein Glas gegossen. Der Unbekannte knurrte wieder, trank, knallte das Glas auf eine Tischplatte, trank wieder und verließ den Raum. Fünf Minuten später kam er noch einmal zurück. Wahrscheinlich stellt er das Glas zurück, dachte Butch. Dann entfernten sich die Schritte. Das Licht wurde abgedreht und die Schiebetür zugezogen.
Butch wartete eine Minute. Dann schlüpfte er unter dem Vorhang hervor und trat an ein Fenster. Undeutlich konnte er im Garten eine Gestalt erkennen, die auf das Gartentor zuging. Sekunden später war die Gestalt verschwunden. Butch öffnete das Fenster und sprang hinaus. Geduckt lief er auf das Gartentor zu.
Er hörte, daß ein Wagen gestartet wurde. Butch zog sich mit einem Klimmzug hoch und sah einen schwarzen Mercedes abfahren. Er konnte die Nummer erkennen. Es gab keinen Zweifel - es war der Mercedes, der auf den Namen Ray Donovan angemeldet war. Der Wagen verschwand im dichten Schneetreiben, und Butch kehrte ins Haus zurück.
Er war noch immer vorsichtig. Er drehte nicht das Licht an, sondern leuchtete nur mit seiner Bleistiftlampe den Raum ab. Er zog alle Laden auf, fand aber nur belangloses Zeug. Schließlich öffnete er den Schrank unter dem Plattenspieler. Hier fand er eine Dokumentenmappe, die er öffnete.
Er sah Rita Donovans Geburtsurkunde, ihre Heiratsurkunde und dann ihr Testament.
Er las es durch und grinste grimmig. Sie vermachte alles ihrem Bruder: Ray Donovan. Das Testament war mit der Hand geschrieben, mit dem 20. November dieses Jahres datiert und von zwei Zeugen unterschrieben.
Butch hatte genug gefunden. Er legte die Dokumentenmappe zurück und schloß den Schrank.
Er verließ das Haus, schloß ab und öffnete das Gartentor. Kein Mensch war bei diesem scheußlichen Wetter unterwegs. Er stieg in seinen Wagen, fuhr in sein Hotel zurück und meldete sofort ein Gespräch mit Quinn an.
Zehn Minuten später hatte er Silk am Apparat.
„Hallo, alter Gauner“, sagte Butch fröhlich. „Ich habe eine heiße Spur.“
„Hoffentlich ist sie nicht lauwarm“, sagte Silk sarkastisch.
„Sie ist brandheiß“, sagte Butch. „Spitze deine ungewaschenen Ohren und nimm einen Kugelschreiber und ein Blatt Papier zur Hand.“
„Habe ich schon vor mir“, sagte Silk. „Schieß los.“
„Ich war in Fishers Villa“, sagte Butch. „Da tauchte ein Kerl auf, wahrscheinlich Ray Adams. Er bekam einen Anruf aus Chicago. Ich habe keine Ahnung, mit wem er gesprochen hatte, aber das solltet ihr herausbekommen können. Man kann schließlich nicht direkt von Chicago nach Wien telefonieren.“
„Ach du meine Güte“, seufzte Silk, „du verbreitest heute wieder mal umwerfende Erkenntnisse.“
„Ihr braucht nur herauszufinden, wer die Wiener Nummer 82 58 00 angerufen hat. Das sollte keine Schwierigkeit sein.“
Butch informierte Silk über sein Gespräch mit Dr. Helnwein und über das Gespräch, das er in Fishers Villa mit angehört hatte. Dann verabschiedete er sich von Silk, legte den Hörer auf und ging ins Badezimmer. Zehn Minuten später schlummerte er friedlich.

* * *

„Wie in alten Zeiten“, meinte Silk grinsend, als er Quinn half, Kleidung und Ausrüstung anzulegen, die aus dem bekannten Anwalt die in der Unterwelt gefürchtete Schwarze Fledermaus machte.
Quinn lächelte, als er in das schwarze Trikot schlüpfte und die Spezialschuhe anzog, deren Kreppsohlen jeden Schritt unhörbar machten.
Er hatte sich entschlossen, nach langer Zeit wieder einmal als Schwarze Fledermaus aufzutreten. Silk hatte sich nach Butchs Anruf sofort mit Inspektor Cummings in Verbindung gesetzt. Bald hatte Cummings zurückgerufen und die Telefonnummer durchgegeben, von der nach Wien angerufen worden war. Die Nummer gehörte einem Mike McGee, der in der Irving Park Road wohnte. Silk hatte das Haus unauffällig beobachtet. Es war ein altes zehnstöckiges Haus, und McGees Wohnung lag auf der Straßenseite. Die Jalousien waren heruntergezogen, und Silk hatte nichts erkennen können.
Quinn hatte sich mit Cummings getroffen und die nächsten Schritte abgesprochen. Dabei war dem Anwalt die Idee gekommen, wie in alten Zeiten seine Maske anzulegen und spät in der Nacht McGees Wohnung einen Besuch abzustatten. Cummings war damit einverstanden gewesen.
Silk reichte Quinn die beiden Schulterhalfter. Jede war mit einer sechsschüssigen Smith & Wesson bestückt. Die Bewaffnung wurde durch einen Browning vervollständigt, der seinen Platz in einer Wadenhalfter am linken Bein hatte. Das Etui mit den Spezialwerkzeugen und das Minifunkgerät vervollständigten die Ausrüstung. Abschließend legte Silk seinem Chef das schwarze Cape um die Schultern. Der Umhang mit dem gezackten Rand gab dem Gangsterjäger bei ausgebreiteten Armen das Aussehen einer riesigen Fledermaus. Dann stülpte sich Quinn die enganliegende Gesichtsmaske über, die nur die Augen und die Mundpartie freiließ. Zum Schluß zog er schwarze Handschuhe an.
Silk klemmte sich hinter das Steuer des Malibus. Mit einem elektronischen Impuls löste er am Armaturenbrett eine Hydraulik aus, die die Steintreppe des künstlichen Hügels in die Höhe drückte. Sekunden später lenkte Silk den Wagen auf die Wolff Road und fuhr nach Norden.
Mitternacht war vorüber, und es war kaum Verkehr auf den Straßen. Sie kamen rasch vorwärts.
Sie fuhren die Harlem Avenue entlang, am Oak Park vorbei und bogen bei Norridge in die Irving Park Road ein. Silk fuhr langsam. Unweit von McGees Haus stellte er den Wagen ab. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen.
Quinn wartete eine Minute, stieg aus und verschmolz mit den Schatten der Häuser. Er war kaum zu erkennen. Geduckt huschte er weiter, bis er die Feuerleiter erreicht hatte, deren unterster Teil hochgeklappt war. Quinn duckte sich und sprang hoch. Seine Finger erreichten eine Stange, und mit einem Klimmzug zog er sich höher. Er streckte die rechte Hand aus und erreichte die erste Sprosse der eisernen Leiter. Dann griff die zweite Hand zu.
Er wandte den Kopf. Noch immer war kein Mensch zu sehen. Seine Füße fanden Halt, und er blieb eine halbe Minute ruhig stehen. Dann überblickte er die Hausfassade. Alle Fenster waren dunkel. Vorsichtig stieg er weiter - geräuschlos wie eine Katze. Ohne Schwierigkeiten gelangte er in den fünften Stock.
Jetzt lag der schwierigste Teil seines Unternehmens vor ihm. McGees Fenster waren ziemlich weit von der Feuerleiter entfernt. Ein schmaler Sims führte um das Haus herum, der kaum seinen Füßen Platz bot. Quinn preßte sich gegen die Wand und glitt langsam weiter. Er mußte vorsichtig gehen, da der Sims mit Schnee bedeckt war. Eine unvorsichtige Bewegung, und er würde auf die Straße stürzen.
Er schob sich an einem geschlossenen Fenster vorbei. Dann an einem zweiten. Endlich erreichten seine tastenden Finger das Balkongitter, daß zu McGees Wohnung führte. Er schwang sich hinüber, blieb stehen und lauschte. Ein Wagen fuhr unten auf der Straße vorbei. Sonst war alles ruhig. Er drückte sich gegen die Glasflügeltür und preßte den Kopf dagegen. Nichts rührte sich.
Er öffnete das Etui und nahm einige seiner Spezialwerkzeuge heraus. Er untersuchte kurz das Schloß, suchte das passende Werkzeug und hoffte, daß innen kein Schlüssel steckte. Er hatte Glück. Geräuschlos sprang das Schloß auf. Er lauschte wieder. Dann öffnete er vorsichtig die Tür und huschte in den dunklen Raum.
Vor Jahren war auf ihn ein Attentat verübt worden. Durch eine geheimgehaltene Augenoperation hatte er sein Augenlicht wiedergewonnen. Und nicht nur das - er war jetzt auch nachtsichtig. Er konnte bei Dunkelheit fast so gut sehen wie am Tag.
Er blickte sich in dem Wohnzimmer um. Die Möbel waren geschmackvoll, man sah ihnen aber an, daß sie billig gewesen waren. Den Boden bedeckte ein dünner Spannteppich. Lautlos huschte Quinn weiter. Er öffnete vorsichtig eine Tür. Sie führte in die Diele. Dann trat er zur anderen Tür, preßte seine Kopf dagegen und lächelte grimmig. Seine geschärften Sinne hörten das regelmäßige Atmen eines Menschen.
Seine Hand tastete nach der Klinke. Er drückte sie nieder. Die Tür schwang geräuschlos auf, und er blickte in den Raum. Es war ein Schlafzimmer. Er trat nicht ein, sondern durchsuchte die restlichen Räume der Wohnung. Er hatte keine Lust, ein Risiko einzugehen und vielleicht überrascht zu werden. Doch die anderen Räume waren leer.
Er betrat das Schlafzimmer und schloß die Tür. Dabei sah er sich genau um. Das Bett lag der Tür gegenüber. Es war ziemlich breit, und undeutlich konnte er unter der Decke die Konturen einer Frau erkennen.
Quinn zog lautlos einen Stuhl heran, setzte sich neben eine hohe Stehlampe und stellte den linken Fuß knapp neben den Druckschalter. Er nahm eine Pistole in die rechte Hand und klatschte in die Hände. Die Schlafende bewegte sich leicht. Er klatschte wieder, diesmal stärker, und das Mädchen fuhr entsetzt hoch. Sie trug ein dünnes Nachthemd, und ihr hoher Busen wogte auf und ab. Quinn lachte leise, und sie zuckte zusammen.
„Ist da jemand?“ sagte sie mit bebender Stimme.
„Ja“, sagte Quinn. „Keine Bewegung! Ich habe eine Pistole auf Sie gerichtet.“
Ihre Hand tastete über das Polster zum Nachtkästchen.
„Ich sagte, daß Sie sich nicht bewegen sollen!“ sagte Quinn scharf. „Strecken Sie die Hand nicht weiter aus! Das könnte sonst ihr Tod sein.“
„Wer sind Sie?“ fragte sie entsetzt.
Als Antwort drückte Quinn den Fuß auf den Schalter, und der Lichtschein fiel auf ihn. Das Mädchen stieß einen Schrei des Entsetzens aus und preßte sich die Hand auf die Lippen.
Sie sah recht gut aus, obwohl ihr Gesicht abgeschminkt war. Ihr schulterlanges Haar war tizianrot.
„Man nennt mich die Schwarze Fledermaus“, sagte Quinn.
In ihren Augen spiegelte sich nacktes Entsetzen. Sein Ruf als Gangsterjäger verbreitete immer noch Schrecken.
„Was wollen Sie von mir?“ fragte sie. Ihre Stimme zitterte.
Quinn grinste.
„Wie soll ich Sie anreden? Als Mrs. Fisher oder als Mrs. LeVrier?“
Sie zuckte zusammen, und ihr Mund öffnete sich.
„Keinen Laut!“ sagte Quinn und hob die Waffe.
Ihre Lippen preßten sich zusammen.
„Nun, heraus mit der Sprache!“ sagte er. „Bleiben wir bei Mrs. Fisher, wenn es Ihnen paßt.“
„Sie irren sich“, sagte sie. „Mein Name ist Susan Hayden.“
„Lassen Sie diesen Unsinn!“ sagte Quinn. „Ihre roten Haare können mich nicht täuschen. Sie werden sich sicher fragen, wie ich Sie gefunden habe?“
Sie gab keine Antwort. Sie starrte Quinn nur ängstlich an. Der gefürchtete Gangsterjäger hatte sich genau überlegt, was er sagen würde.
„Sagt Ihnen der Name Ray Adams etwas?“ fragte er bohrend. „Und der Name Ray Donovan?“
„Nie gehört“, sagte sie gepreßt. „Sie phantasieren.“
Quinn lächelte.
„Sie telefonierten heute mit ihm. Sie riefen die Wiener Nummer 82 58 00 an. Ich weiß mehr von Ihnen, als Sie glauben.“
Quinn machte eine kurze Pause und hob die Pistole.
„Ray Adams wurde geschnappt“, sagte er brutal. „Und er sang so hübsch wie ein Vögelchen, Mrs. Fisher.“
„Unsinn“, sagte sie. „Das ist alles völliger Unsinn...“
„Weshalb mußte Ihr Mann sterben, Mrs. Fisher? Weshalb?“
Sie antwortete nicht, sondern biß nur nervös auf ihre Lippen.
Für Quinn gab es keinen Zweifel. Es war Mrs. Fisher, oder zumindest die Frau, die sich ihm als Mrs. Fisher ausgegeben hatte.
„Verschwinden Sie!“ sagte sie schließlich. „Sonst schreie ich um Hilfe.“
„Das werden Sie nicht tun, Mrs. Fisher. Ray Adams schiebt alle Schuld auf Sie. Sie hatten die Idee mit den Versicherungsbetrügereien. Sie stifteten ihn zu allem an.“
„Das ist gelogen“, zischte sie wütend. „Er hat...“ Sie preßte die Lippen zusammen. „Aus mir bekommen Sie nichts heraus.“
„Das werden wir sehen“, sagte Quinn und stand auf. Er blieb neben ihr stehen. „Aus dem Bett mit Ihnen!“
Zögernd stand sie auf.
„Drehen Sie sich um“, sagte Quinn. Sie gehorchte widerwillig. Der Anwalt holte ein Paar Handschellen hervor, und Sekunden später waren ihre Hände gefesselt. Er holte ein zweites Paar Handschellen hervor und ließ sie um ihr linkes Fußgelenk schnappen. Den anderen Teil befestigte er an der Heizung.
Er ging ins Wohnzimmer, fand das Telefon und wählte Cummings' Nummer. Der Inspektor meldete sich verschlafen.
„In McGees Wohnung habe ich eine Frau gefunden“, sagte Quinn. „Ich habe sie gefesselt. Ich bin sicher, daß es Mrs. Fisher ist. Sie hat das Haar gefärbt. Laß sie abholen, Harry. Ich komme in einer Stunde bei dir im Präsidium vorbei.“
Quinn legte den Hörer auf. Er sah noch einmal nach Mrs. Fisher.
„In fünf Minuten ist die Polizei da, Mrs. Fisher“, sagte er. „Ihr Spiel ist aus.“
Sie gab keine Antwort. Sie ließ den Kopf hängen und fing zu schluchzen an.
„Lassen Sie mich frei!“ bettelte sie und sah Quinn mit tränenden Augen an.
Quinn gab ihr keine Antwort. Er verließ das Schlafzimmer, durchquerte das Wohnzimmer, schwang sich über den Balkon, erreichte den schmalen Sims und verschmolz mit der Dunkelheit. Drei Minuten später hatte er die Straße erreicht undschlüpfte zu Silk in den Wagen. Eine Minute später kamen zwei Streifenwagen vorgefahren.
„Wir können losfahren“, sagte Quinn. „Sie holen Mrs. Fisher ab.“
„Mrs. Fisher?“ fragte Silk überrascht. Er startete und fuhr los.
„Ja, Mrs. Fisher. Sie versteckte sich in der Wohnung. Jetzt hängt alles von Butch ab. Wenn er diesen Ray Adams erwischt, wissen wir mehr.“

* * *

In diesem Augenblick verließ Butch das Hotel und fuhr in die Breitenfurter Straße. Er hatte vergeblich auf einen Anruf von Quinn gewartet. Er kam nur langsam voran. Der Verkehr war zu dicht. Er erreichte mit fünf Minuten Verspätung Fishers Firma. Helnwein wartete bereits auf ihn.
„Etwas Neues?“ fragte Helnwein. Doch Butch schüttelte den Kopf.
„Hat sich bei Ihnen etwas ergeben?“ fragte Butch.
„Ja, einiges“, sagte Helnwein. „Ich sprach noch gestern mit allen leitenden Direktoren der Wiener Versicherungen. Wir hatten schon geraume Zeit den Verdacht, daß die Firma Fishers mit unsauberen Methoden zweifelhafte Geschäfte macht. Auf Grund Ihrer Hinweise, Mr. O'Leary, legten wir eine Liste der Angestellten an, die bei Fisher beschäftigt sind, und fanden plötzlich die Lösung. Sie war verblüffend einfach.“ Er lächelte. „Alle Mitarbeiter von Fisher haben mehr als je drei verschiedene Wagen bei verschiedenen Versicherungen haftpflicht- und kaskoversichert. Jeder hatte bei mindestens einer Versicherung einen Kaskoschaden gemeldet und eine Reihe von Schäden bereits ersetzt bekommen. Damit hat sich der Verdacht bestätigt, daß es sich hier um einen großangelegten Fall von Versicherungsbetrug handelt.“
„Und was werden Sie jetzt unternehmen?“
„Ich habe Haftbefehle für alle Angestellten“, sagte Helnwein. „Wir warten jetzt noch einige Minuten. Um halb zehn Uhr verhaften wir alle. Ein halbes Dutzend Kriminalbeamte sind schon in der Firma. Alle interessieren sich brennen für Gebrauchtwagen. Fünf Minuten vor halb zehn Uhr wird das gesamte Areal von einigen Beamten umstellt, damit niemand fliehen kann.“
„War Ray Donovan auch bei Fisher angestellt?“
„Ja“, sagte Helnwein und ging langsam auf das Tor zu Fishers Firma zu. Butch folgte ihm. „Zwei Beamte beschatteten ihn. Er ist bereits in der Firma, und wie es aussieht, dürfte es sich bei Ray Donovan tatsächlich um Ray Adams handeln. Im Augenblick wird seine Wohnung durchsucht. Dort müssen sich ja genügend Fingerabdrücke finden.“
Sie betraten den Hof, gingen zum Gebäude und traten ein. Ein mißmutiger Angestellter blickte auf und erhob sich unwillig.
„Ich möchte mit Herrn Donovan sprechen“, sagte Helnwein. Es war fünf Minuten vor halb zehn Uhr.
„Und wen darf ich melden?“ fragte der Mann.
„Polizei“, sagte Helnwein.
Der Angestellte zuckte zusammen.
„Polizei?“ fragte er überrascht.
„Ja“, sagte Helnwein und holte sei¬nen Ausweis heraus. „Es geht um Mrs. Fisher. Ein bedauerlicher Unglücksfall.“
„Ah, Mrs. Fisher“, sagte der Mann. Man spürte seine Erleichterung. „Ich bringe Sie zu Herrn Donovan. Bitte, folgen Sie mir.“
Sie gingen einen breiten Gang entlang. Vor einer Tür blieb der Mann stehen, klopfe kurz an und öffnete die Tür. Ein hochgewachsener Mann stand auf. Sein Haar war schwarz, und die Augen waren dunkel. Er sah recht gut aus, wenn man für südländische Typen schwärmte.
„Guten Tag“, sagte Helnwein. „Polizei.“
Donovan zuckte zusammen. Er wollte etwas sagen.
Da schaltete sich der Angestellte ein.
„Es geht um Mrs. Fisher.“
„Um Mrs. Fisher?“ fragte Donovan verwundert. Er spielte seine Rolle recht gut. „Lassen Sie uns allein, Holzer.“
Der Angestellte verließ das Zimmer und schloß die Tür.
„Nehmen Sie bitte Platz, meine Herren“, sagte Donovan. Sein Deutsch war mäßig, fast unverständlich.
„Sie sind Amerikaner, nicht wahr?“ fragte Helnwein und blieb stehen.
Donovan nickte. über der Tür hing eine Uhr. Es war genau halb zehn Uhr.
„Ihr Name ist Ray Donovan?“ fragte Helnwein auf Englisch. Donovan nickte.
„Sie sagten etwas von Mrs. Fisher“, sagte Donovan und deutete wieder auf eine Sitzgarnitur in der Ecke des Zimmers.
„Sind Sie ganz sicher, daß Sie Ray Donovan heißen?“
„Was soll diese Frage?“ fragte Donovan mißtrauisch.
„Ich glaube eher, daß Sie Ray Adams sind!“
Donovan alias Adams reagierte blitzschnell. Er rannte zur Tür und riß im Laufen eine Pistole heraus. Doch er hatte Butch nicht überraschen können, der mit so etwas gerechnet hatte. Butch hatte sich wie zufällig auf einen Stuhl gestützt. Den riß er jetzt hoch und schleuderte ihn mit voller Kraft nach Adams.
Der Stuhl traf Adams in den Rücken. Er kam ins Taumeln, und da war schon Butch über ihm. Ein Handkantenschlag gegen die Hand, die die Pistole hielt - und die Waffe fiel zu Boden. Gleichzeitig versetzte Butch dem anderen einen Schlag in den Nacken. Adams ging in die Knie, und Butch schlug nochmals zu. Ohne einen Laut von sich zu geben, brach Adams zusammen.
„Gut gemacht“, sagte Helnwein.
Butch hob den Bewußtlosen hoch und bettete ihn auf die Couch. Die Tür wurde geöffnet, und ein hochgewachsener Mann trat ein.
„Die Aktion ist planmäßig verlaufen, Herr Doktor. Alle Angestellten sind verhaftet.“
„Gut, Neumann“, sagte Helnwein.
„Noch etwas“, sagte Neumann. „Wir bekamen einen Anruf vom Präsidium. Eben kam aus Chicago die Meldung, daß es gelungen ist, Mrs. Fisher festzunehmen.“
„Das ist eine gute Nachricht“, sagte Helnwein zufrieden. „Legen Sie dem Kerl Handschellen an, Neumann.“
Helnweins Männer hatten acht Leute verhaftet, die pausenlos verhört wurden. Vier von ihnen waren mehrfach vorbestraft. Es dauerte nicht lange, und einige legten Geständnisse ab. Nur Ray Donovan, der in Wirklichkeit Ray Adams war, schwieg wie ein Grab. Er beantwortete keine Frage.
Butch und Bolzmann saßen in Helnweins Zimmer.
„Wir wissen jetzt mehr“, sagte Helnwein. „Alles hat vor einem Jahr angefangen. Da tauchte Ray Adams auf und gab sich als Bruder von Rita Fisher aus, und Fisher nahm ihn in seine Firma auf. Bald hatte Adams Fishers Vertrauen errungen. Adams ekelte einige Leute aus der Firma und nahm dafür andere auf, die mit ihm zusammenarbeiteten. Anfangs stahlen sie Autos, verkauften sie offiziell an Fishers Firma und kassierten so im Lauf eines halben Jahres eine hübsche Summe. Sie müssen mehr als zweihundert Autos gestohlen haben. Das Geschäft lief ganz gut. Adams gründete ohne Wissen von Fisher eine eigene Firma, eine Leihwagenfirma, die er über einen Strohmann anmeldete. Er spezialisierte sich auf die Abwicklung von Schadensfällen. Hatte jemand einen Unfall, konnte er sich an ihn wenden, bekam einen Leihwagen, und Adams erledigte den Papierkrieg mit der Versicherung. Dabei kam er auf die Idee, in großem Maßstab mit Wracks zu arbeiten. Er meldete die Wracks an und kassierte das Geld von den Versicherungen. Und das war nicht wenig. Aber damit hatte er noch nicht genug. Er mietete bei anderen Leihwagenfirmen Autos, die in die Türkei gebracht und dort zu recht ansehnlichen Beträgen verkauft wurden. Er verkaufte auch fünf seiner eigenen Leihwagen in die Türkei und kassierte von den Versicherungen auch noch das Geld dafür.“
„Wußte Fisher von den Machenschaften Adams'?“ fragte Butch.
„Nein, er wußte nichts davon“, sagte Helnwein. „Ich nehme aber an, daß er irgendwann daraufgekommen ist und deshalb sterben mußte. Das fand aber alles in Chicago statt. Darüber wissen die Angestellten nicht Bescheid, und Adams schweigt. Er sagt kein Wort.“
„Da können wir nur hoffen, daß sich Mrs. Fisher gesprächiger erweist.“

* * *

Mrs. Fisher wurde seit fünf Stunden von Cummings und Quinn ver-hört. Sie wand sich wie ein Fisch auf dem Trockenen und gab nur ausweichende Antworten.
Slater trat ins Zimmer und reichte Cummings ein Fernschreiben der Wiener Polizei, in dem gemeldet wurde, wie die Bande gearbeitet hatte. Cummings studierte das Fernschreiben genau. Dann reichte er es Quinn.
Cummings starrte Mrs. Fisher an. Sie wich seinem Blick aus. Es gab nur noch eins. Sie mußten sie bluffen, sonst würde sie nie etwas sagen.
„Es sieht schlecht für Sie aus, Mrs. Fisher“, sagte Cummings schließlich. „Wie meinen Sie das?“
Sie hatte verweinte Augen. Ihr Gesicht wirkte müde, und ihre Augen blickten stumpf. Sie trug ein elegantes grünes Kostüm und hatte die Hände nervös im Schoß gefaltet.
„Von der Anklage wegen Bigamie spreche ich gar nicht“, sagte Cummings. „Ray Adams behauptet, daß Sie allein für die Morde an Fisher und LeVrier verantwortlich seien. Er schiebt alle Schuld auf Sie. Er behauptet, zu dieser Zeit gar nicht in Chicago gewesen zu sein. Angeblich hat er Zeugen dafür, daß er die ganze Zeit in Wien gewesen ist. Das bedeutet für Sie, daß Sie lebenslänglich bekommen. Adams wird ein paar Jahre absitzen. Mehr als Versicherungsbetrug wird man ihm nicht nachweisen können. Wegen guter Führung wird er voraussichtlich in drei Jahren schon wieder frei sein. Sie werden bis an Ihr Lebensende im Gefängnis sitzen, während es sich Adams gut gehen läßt.“
Mrs. Fisher beugte sich vor und verkrampfte die Hände im Schoß. Ihre Lippen bebten.
„Dieses Schwein!“ sagte sie kaum hörbar und ballte die Hände zu Fäusten. „Er war nicht in Chicago... Daß ich nicht lache! Er war hier. Er inszenierte alles. Ich habe damit nichts zu tun. Alles ging von ihm aus. Das könnte ihm so passen, mir alles in die Schuhe zu schieben. Er heuerte die zwei Männer an, die Harold ermordet haben.“
Quinn und Cummings wechselten einen zufriedenen Blick.
Mrs. Fisher bekam vor Erregung rote Wangen.
„Kann ich eine Zigarette haben?“ fragte sie.
Cummings gab ihr eine, und sie rauchte hastig.
„Er ist an allem schuld“, sagte sie laut. „Er tauchte plötzlich auf. Ich war kaum zwei Wochen mit Fisher verheiratet. Ich wollte ein neues Leben anfangen, wollte fort aus den Staaten. Da tauchte Ray Adams auf und erpreßte mich. Er wollte Fisher von meiner Vergangenheit erzählen und ihm auch sagen, daß ich schon verheiratet war. Mir blieb keine andere Wahl. Ich mußte zahlen. Dann übersiedelten wir nach Wien, und ich hatte einige Zeit Ruhe vor Adams. Vor einem Jahr war er plötzlich in Wien. Er wollte wieder Geld, und ich gab es ihm. Er gab sich als mein Bruder aus, ließ sich Papiere fälschen und zwang mich, meinen Mann zu bitten, ihn in die Firma aufzunehmen. Ich wußte, daß er Autos stahl und sie in der Firma meines Mannes verkaufte, aber ich konnte nichts dagegen unternehmen. Ich war ihm ausgeliefert.“
Sie schloß die Augen und zog hastig an der Zigarette.
„Er wurde immer unverschämter. Er zwang mich dazu, seine Geliebte zu werden. Aber er war nicht nur in Wien aktiv. Er zog auch hier und in Detroit einen Ring auf, der Autos stahl und sie weiterverkaufte. Mein Mann hatte genug von Wien. Er wollte nach Chicago zurück, fand aber keinen Käufer für seine Firma in Wien. Das paßte Adams natürlich überhaupt nicht. Ich fuhr mit meinem Mann nach Chicago, und Adams folgte uns. Er besuchte mich in der Wohnung und mein Mann überraschte uns, als wir im Schlafzimmer waren. Er drehte sich einfach um und ging. Adams verschwand. Am Abend kam mein Mann zurück, und es kam zu einer Auseinandersetzung. Er war dahintergekommen, daß Adams illegale Geschäfte betrieb, und er wußte natürlich auch, daß er nicht mein Bruder war. Er liebte mich noch immer und wußte nicht, ob er zur Polizei gehen sollte. Da rief ich Adams an und erzählte ihm alles.
Er sagte, daß ich sofort ausziehen und zu ihm kommen sollte. Er wohnte in McGrees Wohnung, wo Sie mich auch festgenommen haben. Ich ging zu ihm. Ohne mein Wissen heuerte er zwei professionelle Killer an, die meinen Mann töteten und alles so arrangierten, daß es aussah, als wäre es Selbstmord gewesen. Ich wollte nicht mehr mitmachen, doch er drohte mir, daß er mich anzeigen würde. Mir blieb keine Wahl. Ich versuchte, die Firma in Chicago zu verkaufen, was mir dann auch gelang.“
„Und wie war das mit LeVrier?“ fragte Quinn.
„Ich habe keine Ahnung, wie er mich gefunden hat“, sagte sie. „Er tauchte plötzlich auf, und ich fiel fast vor Schreck in Ohnmacht. Er kannte Adams aus dem Gefängnis. Adams sagte mir, ich sollte LeVrier einlullen. Das tat ich dann auch. Ich blieb drei Tage mit ihm zusammen. Dann tauchten Sie auf, Mr. Quinn, und ich starb fast vor Angst. Ich wollte nur fort. LeVrier war bei mir, als Sie kamen. Sobald er gegangen war, verschwand ich auch. Ich nahm einen Koffer, wischte alle Fingerabdrücke fort und zog in McGrees Wohnung. Am Abend kam Adams und sagte mir, daß er LeVrier getötet habe. Außerdem habe er ein Mädchen, das mir ähnlich sah, getötet, und jeder würde nun glauben, daß ich tot sei. Er zwang mich, ein Testament zu schreiben, in dem ich alles ihm vermachte.“
Sie drückte die Zigarette aus und steckte sich eine neue an.
„So war es“, sagte sie tonlos. „Ich habe mit dem Ganzen nichts zu tun.“ Quinn stand auf.
„Das ist eine recht interessante Geschichte, die Sie uns da auftischen, Mrs. Fisher. Leider stimmt sie in einigen Punkten nicht. Sie wollen uns wohl für dumm verkaufen? Sie stecken in der Geschichte genauso drin wie Adams.“

* * *

Ray Adams saß mit stoischem Gesichtsausdruck vor Helnwein.
„Sie brauchen sich gar nicht zu bemühen“, sagte Adams trotzig. „Ich beantworte Ihre Fragen nicht.“
„Ich will Ihnen keine Fragen stellen, Mr. Adams“, sagte Helnwein sanft. „Ich will Ihnen nur etwas zu lesen geben. Ein Fernschreiben der Chicagoer Polizei, das ich vor wenigen Minuten erhalten habe.“ Er reichte das Fernschreiben Adams, der es mißtrauisch anstarrte. „Lesen Sie es.“
„Geständnis von Mrs. Fisher“, las Adams. Er überflog die ersten Zeilen. Sein Gesicht blieb unbeweglich, doch je mehr er las, desto wütender wurde er. Er schnaubte, ein paarmal. Dann warf er das Fernschreiben auf Helnweins Schreibtisch.
„Nun, was sagen Sie dazu, Mr. Adams?“ fragte Helnwein und sog an seiner Pfeife.
„Was soll ich dazu schon sagen“, brummte Adams. „Das ist völliger Quatsch.“
„Ihnen ist doch hoffentlich klar, was diese Aussage von Mrs. Fisher für Sie zu bedeuten hat, Mr. Adams?“ Adams nickte grimmig. In seinem Gesicht arbeitete es. Man sah ihm deutlich an, daß er um einen Entschluß rang.
„Es war alles ganz anders“, sagte er schließlich. „Von Benton, mit dem ich über ein Jahr in einer Zelle saß, hatte ich alles über DeVriers Frau erfahren. Es dauerte fast drei Wochen, bis ich sie aufgespürt hatte. Sie war mit Fisher verheiratet. Ich richtete ihr Grüße von LeVrier aus, von dem sie nichts mehr wissen wollte. Sie ist ein verdammt raffiniertes Luder. Sie schlug mir vor, daß ich mich als ihr Bruder ausgeben sollte, was ich auch tat. Ihr Mann übertrug mir die Leitung der Firma in Chicago. Sie hatte die Idee mit den Autodiebstählen. Später übersiedelte ich nach Wien. Ich war ihr hörig. Sie war das reinste Gift für mich. Ich war verrückt nach ihr, und sie wußte es und nützte es weidlich aus. Ihren Mann hat sie nie geliebt. Sie ist ein geldgieriges, verdorbenes Luder. Alles ging gut, bis uns ihr Mann einmal überraschte. Sie geriet in Panik. Sie hatte Angst, daß er zur Polizei gehen würde, und heuerte zwei Killer aus Los Angeles an, die Fisher töteten. Danach glaubten wir, Ruhe zu haben. Doch das war ein Irrtum. Ich war in Detroit. Dort sah mich LeVrier und folgte mir nach Chicago. Er setzte sich mit Rita in Verbindung. Er hatte Erkundigungen über sie eingeholt und wollte mich ausschalten. Da beschloß ich, LeVrier zu töten. Alles war geplant - da tauchte dieser verfluchte Quinn auf. Ich hatte keine Ahnung davon, daß er bei Rita gewesen war. Sie versuchte, mich zu erreichen, aber es gelang ihr nicht, da ich ja schon gemeinsam mit einem Freund auf LeVrier wartete. Er tauchte schließlich auf, und mein Freund er-schoß ihn. Wir konnten flüchten. Ich traf mit Rita zusammen, die mir vom Auftauchen Quinns erzählte. Sie schlug vor, ihren Tod vorzutäuschen. Ich kannte eine Prostituierte, die Rita ähnlich sah, lud sie ein und fuhr mit ihr zu Fishers Firma in Chicago, wo mich Rita bereits erwartete. Wir schlugen das Mädchen nieder, stülpten ihr Ritas schwarze Perücke über den Kopf und fuhren mit einem Lkw über das Mädchen. Wir hofften, daß die Polizei glauben würde, daß Rita tot sei. Ich flog nach Wien, und Rita blieb in Chicago. Wir wollten uns in ein paar Tagen in München treffen.“
„Hm“, sagte Helnwein. „Das ist Ihre Version. Sie deckt sich nur in wenigen Punkten mit der von Rita Fisher.“
Adams lachte bitter auf.
„Sie will mir alle Schuld in die Schuhe schieben, aber es wird ihr nicht gelingen. Ich kann einiges beweisen.“
„Wer waren die beiden Killer, die Fisher töteten?“
„Ken Clark“, sagte Adams. Dann zögerte er. „Und mein Bruder Nick. Beide leben in Los Angeles.“
„Da ist noch etwas“, sagte Butch. „Als Norton Kirby Ihrer Schwester einen Besuch abstattete, tauchten zwei Gangster auf. Morris Ankrum und Boris Leven.“
„Davon weiß ich nichts“, sagte Adams. „Aber ich sagte meiner Schwester, daß sie die beiden verständigen sollte, wenn jemand auftauchen und nach mir fragen sollte. Ich nahm an, daß sich LeVrier bei ihr melden würde.“
„Jetzt dürfte ja alles klar sein“, sagte Helnwein zufrieden.
Ray Adams hatte das Protokoll unterschrieben. Butch und Bolzmann saßen noch in Helnweins Zimmer.
„Hätten Sie nicht Quinn eingeschaltet, Herr Bolzmann“, sagte Helnwein nachdenklich, „wären wir vermutlich dieser Bande von Versicherungsschwindlern nicht, auf die Spur gekommen.“
Bolzmann nickte. Dann wandte er sich an Butch. „Nachdem sich herausgestellt hat, daß Fisher ermordet wurde, werden wir die zweihunderttausend Dollar an seinen Sohn auszahlen.“
„Wenigstens etwas Positives in diesem Fall“, sagte Butch.

 E N D E

© by Kurt Luif 1974 & 2017

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