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Kartographierung der Phantastik-Literatur - Ein (langzeit?) Mitmach-Projekt in Artikelform

Kartographierung der PhantastikKartographierung der
Phantastik-Literatur

Ein (langzeit?) Mitmach-Projekt in Artikelform

Angeregt durch den jüngsten Artikel zu »Fantasy oder nicht Fantasy«, soll hier der Versuch einer tatsächlichen ›Kartographierung‹ der Phantastikliteratur unternommen werden. Es geht hierbei in keinster Weise darum, alles in eine Schublade stecken zu müssen oder wollen, sondern einfach um eine Abklärung bestimmter Begriffe (auch um das Finden jener Begriffe).

Es wird hier ein einfaches System zur Differenzierung und Kategorisierung vorgeschlagen, das (außer, dass es selbst an sich zur Debatte steht und als zur Debatte gestellt zu betrachten ist) auch nennenswertes Mitmachen der Zauberspiegel-Besucher erfordert.

Man stelle sich eine Sphäre vor, also eine Kugel.
Diese Kugel wird nun wie folgt unterteilt.

1) Schichten:
Die Kugel hat vier Schichten, genauer gesagt hat sie einen Kern und darum drei Schichten.
Der Einfachheit halber nehme man für den Kern und jede der drei Schichten den gleichen Durchmesser an. Es hat also der Kern ein Viertel des Gesamtdurchmessers der Kugel, und jede der drei Schichten um diesen Kern hat eine Stärke von ebenfalls einem Viertel des Gesamtdurchmessers.

(Diese „Schalen“ sind in Wirklichkeit natürlich absolut fließend ineinander übergehend, aber zum Zwecke eines anfänglichen Klassifizierungssystems wird diese hypothetische schichtartige Teilung vorgeschlagen.)
Die Schichten


Der Kern (oder die nullte Schicht, S0) repräsentiert in diesem Konstrukt die Realität - in unserem Sinne das Unphantastische an Literatur. Diesem Kern wird sich dieser Artikel nicht widmen, da es ja um die Phantastik gehen soll.

Der erste Parameter ist also die „Exzentrizität“, die Entfernung vom Mittelpunkt der Kugel, also von der Realität. Wie fernab unserer Welt, unserer Zeit, unseres Alltags, unserer Möglichkeiten ist die Lektüre?

Der Kern ist umgeben von der ersten Schicht (S1).
S1Diese Schicht beherbergt was ich die Para-Realität nennen will, also all das, was außerhalb der Realität liegt, aber an diese grenzt.

Hierin findet sich all jenes, wo die Phantastik in die Realität einzubrechen beginnt, aber immer noch Realität mehr als zwei Drittel ausmacht. Wo das Phantastische - schlussendlich „hilflos“ - den Gesetzen der Realität unterworfen ist.

Darum herum liegt die zweite Schicht (S2).
S2Hierin lebt die Exo-Realität.

In jener Schale ringen Realität und Phantastik gleichberechtigt miteinander. Keiner der beiden Kontrahenten kommt jemals über zwei Drittel, oder fällt jemals unter ein Drittel.

Die äußerste, dritte Schicht (S3) ist Lebensraum der Anti-Realität.
S3In dieser Schicht herrscht die Phantastik über die Realität, ident wie in der ersten Schale, bloß mit umgekehrten Vorzeichen. Die Realität ist kaum noch erkennbar, ist schlussendlich „machtlos“ gegen das Phantastische, sie wurde weit unter ein Drittel zurück gedrängt.

2)     Längengrade
Blick auf den Nordpol und die 9 Längen Genau wie unsere Erde Längengrade hat (0° durch Greenwich und 180° sowohl nach Osten als auch Westen) hat nun auch diese Sphäre „Längengrade“. Der Einfachheit halber gehen wir aber nicht so weit, 360 einzelne Grade zu betrachten. Wir teilen die gesamten 360° in drei „gleichlange“ Drittel.

Diese Drittel sind Horror, Fantasy und Science-Fiction.

Um aber zumindest etwas genauer differenzieren zu können, unterteilen wir jedes dieser Genre-Drittel in sich nochmal dreifach. Haben somit neun „Längengrade“ - eigentlich ja neun Zonen entlang eben dieser Längengrade.

Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass diese Längengrade nicht bloß für die Oberfläche unserer Kugel von Bedeutung sind, sondern bis in den Kern vordringen, unsere Kugel also auf allen Schalen quasi in neun „Orangenspalten“ unterteilen.

Sehen wir uns mal unsere Längengrade genauer an. Ich setze einfach mal den „nullten“ Längengrad (also unser Greenwich) unter der Bezeichnung L0 als „mittig“ im Horror an, also überall, wo keine Fantasy- oder Sciencefiction-Elemente aufscheinen.

Östlich davon, auf L+1 hätten wir Horror, der die ersten Fantasy-Symptome zeigen mag, aber nur als Geschmacksnote, nie dominant.

Wir bewegen uns weiter nach „Osten“:

Auf L+2 hätten wir die „westlichste“ der drei Fantasy-Zonen. Nämlich Fantasy mit Horror-Geschmacksnote.
Mit L+3 folgt der „reine“ Fantasy-Breitengrad, frei von Horror und Sciencefiction.
L+4 wäre Fantasy mit Sciencefiction-Beigeschmack.

Hier nun folgt die „Datumsgrenze“.

L-4 wäre folglich Sciencefiction mit Fantasy-Noten.
L-3 wäre die reine, pure Sciencefiction.
L-2 ist Sciencefiction mit Horror-Elementen.
L-1 ist Horror mit Sciencefiction-Elementen.
Und wir hätten die Weltumrundung abgeschlossen.

3) Breitengrade
Blick auf eine "Orangenspalte" eines Längengrades Unsere echte Erde hat natürlich auch Breitengrade. Den Nuller als Äquator und von dort aus gehend 90° nach Norden uns Süden.

Für unsere Kugel reicht es, für eine anfängliche Definition bloß drei „Breiten“ zu unterscheiden:

  • Die Äquatoriale Breitenzone (30° beiderseits des Äquators breit, also insgesamt 60° breit). In dieser Breite siedeln wir das „Neutrale“ an, das „Unvoreingenommene“, das „Nüchterne“, das „Rationalistische“, das neutrale oder offene Ende.
  • Die Nördliche (über der äquatorialen rauf bis zum Nordpol). Dort ist das „Positive“, das „Optimistische“, das „Idealistische“, das „Lichte“, das positiv „Utopische“, das "Happy End" daheim.
  • Folglich das Südliche (unter dem Äquator bis zum Südpol). Heimat des „Negativen“, des „Pessimistischen“, des „Düsteren“, des „Zynischen“, der „Distopie“ und des "Unhappy End"..

Auch hier der Hinweis, dass diese Breitengrade sich bis zum Kern unserer Kugel hinabreichend verstehen, und somit alle Schalen durchschneiden!

Unsere Hohlkugel der Phantastik (den Kern Realität innen lassen wir ja weg) unterteilt sich somit in 3 Schichten, in 9 mögliche Längengrade, sowie in 3 mögliche Breitengrade.

Zusammen ergibt das bereits - obwohl wir es hier so simpel wie möglich unterteilt haben - nicht weniger als 81(!) spezifisch definierbare und identifizierbare Regionen oder „Unterbereiche“ der Phantastik.

Und jetzt geht es darum, diese zu Benennen, sich zwecks Referenz auf Beispiele für diese zu einigen, möglichst berühmte phantastische Literatur hier gemeinschaftlich einzuordnen.

Das vorgeschlagene System beruht auf der Annahme, dass ein perfektes Gleichgewicht zwischen verschiedenen Bereichen nicht möglich ist. Es gibt zum Beispiel keinen Längengrad für 50%-50% Fantasy und Sciencefiction. Weil "Naja, ist halt so 'ne Mischung" keine Kategorisierung ist. Es mag 49,999 zu 50,001 sein, und eben Sciencefition mit Fantasy-Elementen, oder Fantasy mit Sciencefiction-Elementen. Weiters erlaubt das System keine 3-Genre-Mischung - und das ist nur logisch folgend aus der Annahme zuvor. Selbst wenn das dominierende der drei Elemente feststeht, kann es auch bei den beiden sekundären Elementen kein perfektes Gleichgewicht geben. Und das drittplatzierte Element ist meist ohnehin bloßer Beigeschmack, quasi Nebengeräusch.

 

Kommentare  

#16 Wolfgang Trubshaw 2010-10-02 20:59
@ Pisanelli:

Ich meine das ganze in keinster Art und Weise als "literaturwissenschaftliche" Einteilung, die den Ansprüchen einer Germanistin genügen könnte. Es ist ein blindlings geometrisch "drauf und drein" projezierter Drahtgitter-Raster, der das Navigieren im Raum der Phantastik erleichtert und erst 100%-bewusst ermöglicht.

Und: Gibts da 'ne Lösung?
Gegenfrage: Gibt's da überhaupt was?
Ich weiß noch genau, wie der Mike im Vorfeld von Maddrax (und wohl mehr als ein Jahr lang davor schon) im Bastei-Forum dieses neue Projekt Maddrax zu bewerben begonnen hat. Groß von "Genre-Mischung" geredet hat. Davon, dass MX Sciencefiction, Fantasy und Horror sein würde.

Und ich weiß auch noch, dass ich mich damals sehr gewundert habe, was das denn bitte sein soll, und wie die das denn bewerkstelligen wollten. Aber ich dachte (noch jung und unverbittert und MM-gläubig): Naja, wenn der Mike das so sagt, dann wird das auch so werden...

Pustekuchen! Es war SciFi mit Fantasy-Elementen. Das Bisschen Horror war in Quotenheften abgehandelt. (Weil nein, bloß weil ein postkataklysmisches Erdendasein kein Zuckerschlecken ist, wird eine Sache noch lange nicht Horror.)

Stell dir vor, Grima Schlangezunge wäre ein Vampir. Oder Chewie ein Werwolf. Macht das plötzlich Herr der Ringe oder Star Wars zu Horror? Nein, tut es nicht. Und wenn der Horror wie bei Maddrax nur Nebeneffekt oder Beiwerk ist, dann ist er nicht wichtig genug, ihn als Kriterium für eine Orientierung heran zu ziehen.
#17 Pisanelli 2010-10-02 21:08
Ah, das wird den Mike aber gar nicht freuen, denn damit stichst Du mitten in die Wunde :-*
ICH selber habe schon immer die Theorie aufgestellt, dass MX nix mit Horror zu tun hat (oder wenn, dann miniminiminimal). Ich habe das ausufernd in meiner Kolumne dargestellt, warum ich das so sehe. Irgendwie beruhigst Du mich.
Ich sehe das nämlich so wie Du.
Also, dann wäre MX S2, L-4, südliche Breite (düster).
Habe ich das jetzt richtig gemacht? ;-)
#18 Wolfgang Trubshaw 2010-10-02 21:26
Ich möchte - nicht spezifisch an dich, Pisanelli, und nur der Vollständigkeit halber - klipp und klar darauf hinweisen, dass was im Artikel steht auch zur Debatte steht.

Insofern geht es nicht darum, Pisanelli, etwas "richtig zu machen". ;-)

Maddrax kenn ich jetzt nicht sooo gut, aber selbst die Zyklen, in denen ich mitgelesen habe, waren ein Sammelsurium an diversesten Versatzstücken, teils Persiflagen, teils Hommagen. Eine Art wanderndes Kuriositätenkabinett.
Sowas in seiner Gesamtheit als Serie einzuordnen macht wohl wenig Sinn.

Aber beim L-4 wär ich bei dir, bei S2 ebenso. Bei den Breitengraden speziell kommt es eben sehr aufs Heft darauf an. Habe da schon von Nord- zu Südpol-Expeditionen (im Sinne der vorgeschlagenen Breitengrade) alles bei gehabt. Mehrheitlich ist es aber wohl tatsächlich soweit südlich des Äquators, dass es wohl schon in der südlichen Breite liegt.

Theoretisch bräuchte es ja keine Begriffe für S2|L-4|Südlich.
Aber Namen sind halt ne tolle Sache und griffiger als abstrakte Zahlenangaben. :-)

Wenn man mal ein paar Dinge zur Probe in das System "platziert" hat, kommt vieles intuitiver.
Hier mal einige Beispiele für die "Allgemeinheit", bei welchen ich mir selbst etwas schwer tue, sie in der einen oder anderen "Dimension" genau erkennen zu können:

Lovecraft's Mythos-Geschichten um Cthulhu & Co.
Endes Die Unendliche Geschichte
Frankenstein
#19 Laurin 2010-10-02 22:21
Danke für das Lob Mainstream (#9 Kommentar), ich sehe das Buch von Ketchum hat dir genauso gefallen wie mir ;-) .
Ich bin dadurch aber auch noch mal auf das Zitat gekommen im Artikel von Douglas E. Winter, das Ketchum ja wiederholte:
"Horror ist eine Emotion, kein Genre."
Und ich geb es mal zu, wenn ich eine fette schwarze Spinne seh, ist das für mich absoluter Horror! :sigh:
Vielleicht sollte man das durch die Bezeichnung "Grusel" ändern, denn da erwarte ich eher z.B. Vampire oder Werwölfe, während ein guter Psycho-Triller (und da würde ich GIRL NEXT DOOR/EVIL eher einortnen) durchaus Horror für den betreffenden Leser/Leserin sein kann. Eben wie man es empfindet und da trifft das Zitat von Winter ja ins Schwarze.
Ich hoffe mal ich hab es ansonsten etwas verstanden und da würde ich z.B. Frankenstein eher in -1 einortnen und Die Unendliche Geschichte schon
bei +3 im Beriech Fantasy.
Und ja, bei MX habe ich bisher auch noch keinen wirklichen Horror bzw. Grusel entdeckt, aber solange lese ich da ja auch noch nicht mit, würde da aber stark in Richtung SF mit Fantasy-Einschlag gehen wollen, also -4.
#20 karl 2010-10-03 13:05
zitiere Wolfgang Trubshaw:
Hier mal einige Beispiele für die "Allgemeinheit", bei welchen ich mir selbst etwas schwer tue, sie in der einen oder anderen "Dimension" genau erkennen zu können:

Lovecraft's Mythos-Geschichten um Cthulhu & Co.
Endes Die Unendliche Geschichte
Frankenstein

Cthulu: S2 L-1 B Südlich
Die Unendliche Geschichte: S2 L+3 B Nördlich
Frankenstein: S1 L-1 B Südlich

Star Trek: S2 L-3 B Äquator
Star Wars: S3 L-4 B Nördlich
Harry Potter: S2 L+2 B Nördlich

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