Professor Zamorra 1249 - Der Chronist des Grauens
Professor Zamorra - Der Orden der Tausend
(Amulette-Zyklus, von Adrian Doyle)
1249 Der Chronist des Grauens
ätsch, reingelegt! was ihr eben gelesen habt, war das Intro zum Prof. Zamorra Band 298 "Im Haus der schlimmen Träume", ebenfalls von Manfred "Robert Lamont" Weinland. was dieser Roman aus 1985 mit dem Amulette-Zyklus zu tun hat? nix! und genau das hat er mit unserer aktuellen Geschichte gemein - auch der ist kein Bestandteil des Amulette-Zyklus, obschon der Autor selbst ihn als solchen auf seiner Seite auflistet. da ich ihn nun aber schon mal gelesen habe, und er mir wirklich sehr gut gefallen hat, mag ich ihn trotzdem gerne hier besprechen.
nun ja, vielleicht bin ich jetzt ungerecht, denn auf ein paar Seiten wird sehr wohl der Eichenbaum mitsamt dem Baumhaus thematisiert, der in der Geschichte mit dem Nachfahren des Ordenspriors Kelan de St. Cyriac, dem Jungen Thierry Bouchard, eine Rolle spielt. sowohl Zamorra als auch Nicole hatten das Gebilde bereits mehrfach vergeblich untersucht. jetzt berichtet der Mönch Gyungo Tensöng, dass er in seinen Träumen nicht nur durch ein menschenleeres Schloss irrt, sondern dass er im Garten auf dicht gedrängt nebeneinander stehenden Statuen stößt. wir LeserInnen wissen, dass es sich hier um die Armee der Silberritter des Ordens der Tausend handelt, doch der Mönch nimmt sie nicht silbern sondern steinern wahr. neu dabei ist, dass diese Statuen in seinem Traum dem Baum gewichen sind. der Mönch hat dabei ein schlechtes Gefühl und empfiehlt, den Baum zu vernichten. Zamorra und Nicole entscheiden dagegen, da sie noch immer denken, das könnte ein Schlupfloch für Thierry sein, um wieder zurückzukommen. das Geplänkel zwischen den Schlossbewohnern wird durch die Ankunft eines Fahrzeugs unterbrochen...
eigentlich beginnt die Geschichte ja damit, dass zwei Agenten der Section Spéciale, Emeric Rifaud, Deckname Onyx, und Moira Cobert in ein Spukhaus in den Dünen von Deauville eindringen, das sie sofort angreift, und die beiden haben der Attacke aber auch schon rein gar nichts entgegenzusetzen. während Emeric verschwindet, kann Moira fliehen und sich in den Wagen retten, wo sie kollabiert. wenige Tage zuvor zieht die Familie Lando in das als Ferienvilla mietbare Haus in den Dünen ein. Mutter Odette ist ganz begeistert, war das Haus doch bis in die späten 60er Jahre die Heimstatt ihres Idols, des Schauergeschichten-Schriftstellers Eugène Eribon. Vater Oddon und Pubertier Isabelle stehen dieser Verehrung eher ratlos gegenüber. Odette dilettiert selbst als Autorin, und in der von Eribons Geist durchwirkten Atmosphäre des Hauses setzt sie sich an den Schreibtisch und schreibt bis zur Erschöpfung ganze Seiten voll. durch einen grausigen Zwischenfall mit einer Maus, die sich selbst verzehrt, stößt die Familie auf ein Manuskript, das offenbar nie als Buch veröffentlicht wurde. Odette erkennt, dass es sich hier um dieselbe Geschichte handelt, die sie andertags zu Papier gebracht hat. und sie entdeckt auch, dass die Geschichte von ihr selbst und ihrer Familie handelt... und gar nicht gut ausgeht. sie fügt sich in ihr Schicksal, und der Abend endet für die gesamte Familie in einem Gemetzel.
an der Stelle kommen wir an die Szene, die ich oben beschrieben habe. das Dienstauto, in das sich Moira retten konnte, ist ein hochtechnologisiertes, u.a. selbstfahrendes Spezialfahrzeug der Section, und "das Biest", wie unsere Franzosen es liebevoll nennen, hat Moira vor das Schloss Montagne gebracht. die bewusstlose Frau ist von Wunden übersäht, die wie Tätowierungen aussehen, und als man sie ins Château bringen will, geht sie in magischen Flammen auf - die M-Abwehr hat reagiert. die Umbettung gelingt im zweiten Anlauf, jetzt erkennen die Schlossbewohner, dass Moira scheinbar über und über mit Buchstaben tätowiert ist, wobei sich die Buchstaben aber bewegen. Nicole holt Moira mithilfe ihres Dhyarra ins Bewusstsein zurück, dabei verschwinden auch die Buchstaben. die Agentin berichtet nicht nur vom Einsatz und Verschwinden Ems, der jetzt Leiter der Section ist, und mit dem Moira in einer Liaison ist. gemeinsam macht man sich auf den Weg nach Deauville, unterwegs enthüllt die Agentin, dass Eribon noch lebt, und zwar in einer geschlossenen Anstalt. er hat eines Tages ein Fernsehteam in eine Falle gelockt und alle ermordet. im Gegenzug erklärt die immer schwächer werdende Nicole, dass es ihr nur aufgrund ihres Wunschkristalls gelingt, Moira in ihrem unversehrten Zustand zu halten. am Haus in den Dünen angekommen, ist auch die Section Spéciale mit einer ganzen Reihe von Agenten eingetroffen, allesamt aber bereits außer Gefecht gesetzt. Zamorra betritt das verfluchte Haus.
Wechsel nach Caen, in eine geschlossene Anstalt, in der es mit Eugène Eribon zu Ende geht. er ist darüber nicht gram, denn was sollte der Tod ihm noch anhaben können, was das Leben ihm nicht schon zugefügt hatte, er hatte genug davon, das Böse zu nähren. und dann erfahren wir seine Geschichte, und gehen dazu zurück ins Jahr 1968. der Autor schreibt eines Abends wie besessen noch einmal Wort für Wort das Manuskript seines neuen Romans, "Friedhof der Lebenden", allerdings alles rückwärts. sein zu Rate gezogener Freund und Arzt Lagrange empfiehlt ihm einerseits mit dem Whiskysaufen aufzuhören, und andererseits seinen Kollegen, den Psychiater Boieldieu aufzusuchen. Eribon hält sich für vom Bösen besessen, erst jetzt wird ihm bewusst, dass es auch schon früher makabre Parallelen zwischen seinen Geschichten und echten Morden gab, von denen er in Zeitungen gelesen hatte. und auch der Friedhof der Lebenden dreht sich um aktuelle Geschehnisse, sein eigener Freund, Charles Lagrange, spielt darin eine traurige Rolle. tatsächlich erliegt der Arzt vermeintlich einem Herzversagen, und wird lebendig begraben. in seiner Verzweiflung begibt sich Eribon tatsächlich bei Dr. Boieldieu in Behandlung, wird aber nach einiger Zeit wieder entlassen, da bei ihm einfach keine Krankheit diagnostiziert werden kann, und seine Fixierung, er werde vom Bösen gelenkt, nicht nachvollziehbar ist.
so kommt es nach der Entlassung zur Begegnung mit dem Fernsehteam, der Autor will der Öffentlichkeit berichten, wie er vom Bösen getrieben wird. und tatsächlich manifestiert sich eine kauernde, nackte und dampfende Gestalt im Wohnzimmer des Hauses. die Fernsehleute sind not amused, halten das alles für Klamauk, und wollen wieder abfahren, nicht ohne dem écrivain zu drohen, man werde schon einen entsprechenden Beitrag über ihn bringen. und nun dreht der Autor durch, keinesfalls kann er erlauben, dass er in der Öffentlichkeit bloßgestellt wird. er zaubert eine Pistole hervor und erledigt das ganze Team. so landet er diesmal für immer in der Klapse.
zurück in der Gegenwart. Moira hat Nicole den Kristall abgenommen und ist Zamorra ins Fluchhaus gefolgt. da Moira nicht mehr von Nicole beschützt wird, ist sie wieder vom Bösen in Beschlag genommen worden, und ihr Körper abermals von Glyphen übersäht. sie attackiert Zamorra, zuerst sausen die Buchstaben wir Pfeile auf den Meister des Übersinnlichen, doch sie verglühen im Schutzschild des Amuletts. dann versucht sie es mit dem Kristall, doch wie zu erwarten ist sie nicht stark genug für dieses Artefakt. nun tauchen auch alle anderen Verschwunden wieder auf und gehen ebenfalls auf Zamorra los, doch mithilfe seines Amuletts kann er alle vom Bann befreien, wobei die bereits Verstorbenen wie Moira und unsere dreiköpfige Familie tot bleiben und andere wie Onyx weiterleben. es stellt sich heraus, dass das Haus selbst von den Ideen des Autors Eribon quasi vergiftet wurde, und Zamorra sieht keinen anderen Ausweg, als es mithilfe des Amuletts in Schutt und Asche zu legen.
zwei Epiloge - in einem stirbt Eribon, und an seinem Grab hat sein Lieblingspfleger die Erscheinung, dass ihn die Leiche des Autors angrinst, und ihm die Buchstaben, mit der seine eigene Haut übersäht ist, überträgt. und im zweiten übermittelt die Section die Filmaufnahmen des Fernsehteams, auf der nun deutlich erkennbar wird, dass die Gestalt niemand anderer ist als - Zamorra...
die Eingangsszene ist schon ein ordentlicher Reißer, Horror pur, großartig geschrieben. die zweite Szenerie, als die junge Familie Lando das Haus als Urlaubsdomizil in Beschlag nimmt, bleibt ebenfalls nicht lange harmlos. und hier zeigt der Autor einmal mehr, dass er beides kann: Gore, wenn sich zB eine Maus selbst verzehrt und dabei vor Schmerzen jämmerlich wimmert, und unausgesprochenes weil unbeschriebenes Grauen: "Der Abend endete in einem Gemetzel." es wird noch ein paar mal blutig, wenn zB der Fernsehjournalistin "der halbe Mund weggeschossen" wird.
die Idee mit dem lebendig begrabenen Arzt wiederum, der sich mit bloßen Händen aus dem Grab wühlen kann, nur um dann vor Erschöpfung tatsächlich zu sterben, ist eine ganz wunderbar grausame und anrührende.
ist es plausibel, dass eine Person, die sich als besessen bezeichnet und die öffentliche Ruhe stört, keine weitere Betreuung erfährt? in psychiatrischer Behandlung wurde keine Krankheit festgestellt, aber sind Wahnvorstellungen nicht Teil eines Krankheitsbildes? ich habe da echt zuwenig Einblick.
wie sich das Ebenbild von Zammy im Haus manifestiert, erinnert mich an die berühmte Szene, als der Terminator in einer glühenden Kugel in der Vergangenheit auftaucht.
in weiterer Folge lässt Herr Weinland den Protagonisten über sich selbst denken: "Eribon ließ sich zwar bisweilen von tatsächlichen Verbrechen inspirieren, das ging aber nie soweit, dass er die Mordwerkzeuge oder Tathintergründe eins zu eins für seine Werke übernahm. Von Beginn seiner Karriere an hatte er Wert darauf gelegt, dass ihm niemand einen Mangel an eigener Fantasie unterstellen konnte, denn daran mangelts es ihm wahrhaftig nicht. Das Entwerfen komplexer Charaktere und Handlungen war ihm nie schwer gefallen. Von einer oft banalen und unspektakulär wirkenden Grundidee ausgehend, zauberte sein Verstand in kürzester Zeit Hintergründe und Verwicklungen, die ihn selbst überraschten und tagtäglich dazu motivierten, schon deshalb weiterzuschreiben, um während des Prozesses selbst zu erfahren, wie seine Figuren sich in verzwickten Situationen verhalten und sich auf oft aussichtslos scheinenden Situationen befreiten. Das Gleiche galt für die Bluttaten. Auch hier war er oft über die latent in ihm schlummernde Lust an Gewaltorgien entsetzt. Zugleich wusste er, dass seine Leser genau solche ausufernden Exzesse von ihm erwarteten." beschreibt der Autor hier sich selbst? ein Körnchen Selbsteinschätzung wird da wohl drinnen stecken, insbesondere was die letzten Aussagen zur Blutlust betrifft...
ein tolles Teil, Herr Weinland schreibt "Sätze, die gelesen werden wollen", und ich lese sie sehr gerne. 5 von 6 Gruselromanforum-Punkten!
der Illustrator Dirk Berger hat 2025 den Kurd-Laßwitz-Preis in der Sparte "Beste Graphik zur SF einer deutschsprachigen Ausgabe" gewonnen, für das Titelbild der „phantastisch!“ Ausgabe 94, erschienen 2024. auf der Seite des Künstlers Light and Storm gibt es mehr zu entdecken. die Szene auf unserem Tibi kommt so oder so ähnlich auch im Roman vor, dennoch gefällt es mir vom Stil her leider so gar nicht.



