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HORROR EXPERT 16 – Todeshalle

Horror ExpertTodeshalle

Erber und Luther – zwei Namen, die aus der Geschichte der phantastischen Literatur in Deutschland nicht wegzudenken sind und noch heute Anlass zur Kontroverse bieten. Die Reihe »Horror expert« war Vorreiter auf dem Taschenbuchmarkt und machte den interessierten Leser mit einem Genre bekannt, das hierzulande erst in den Anfängen steckte.

Das lohnt einen näheren Blick auf eine ziemlich in Vergessenheit geratene Reihe.

TodeshalleTodeshalle
von Mary Reisner
Horror expert Nr. 16
Übersetzt von Ernst Heyda
1972
Luther Verlag
Was passiert?
Ägypten, vermutlich zwischen den Weltkriegen. (Oder kurz danach.) Susan Nicholson (18) gehört zur britischen Kolonie in Kairo und ist auf der Suche nach einem Ehemann, möglichst reich, wenn es nach ihrer Mutter geht. Sie lernt den Ex-Soldaten Marius Heath Hazard kennen, der einen ziemlich schlechten Ruf genießt. Die Heath' leben schon seit über 100 Jahren im Nahen Osten. Marius hat viele finstere Affären hinter sich und ist unzuverlässig. Außerdem ist er pleite. Er hängt ständig mit seiner Cousine Marigold Heath ab, die gerade erst Witwe geworden ist. Ihr Mann ist von einer Klippe gestürzt. Eine Tragödie.

Natürlich verliebt sich Susan in den schneidigen Ex-Soldaten, der sich für sie ändern will. Also nimmt er einen Job in einer Bank an und verlobt sich mit Susan. Die britische Elite geht tanzen und hängt zusammen ab. Captain King macht Marigold den Hof und kann Marius nicht ausstehen, der die Abneigung erwidert. Es gibt Gerüchte, dass sich Cousin und Cousine näherstehen, als sie sollten. Susan findet einen Freund im Militärarzt Captain Webley, der seinem Kriegskumpel Marius gelegentlich ins Gewissen redet, wenn der mit Clubtänzerinnen "trinkt", statt bei seiner Verlobten zu sein. Susan erlebt ein paar seltsame Unfälle, als sie mit Marigold zusammen ist; einmal fährt Marius sie beinahe über den Haufen.

Dann stirbt Marigolds Vater und hinterlässt auch Marius eine ordentliche Stange Geld. Kurz darauf findet man Marigold tot auf – scheinbar hat sie sich erschossen. Oder doch nicht? Captain King behauptet, er habe sich mit ihr früher am Abend verlobt. Sie habe Angst vor dem unberechenbaren Marius gehabt und hätte niemals Selbstmord begangen. Zudem hat sie zweimal abgedrückt, eine Kugel ist im Boden gelandet. Gab es etwas einen Kampf, oder hat sie beim ersten Schuß der Mut verlassen?

Bei der offiziellen Untersuchung vor dem britischen Richter wird Marius ohnmächtig. Er verbirgt eine Schusswunde. Angeblich ein Unfall. Natürlich glaubt ihm keiner, er wird wegen Mordes an seiner Cousine vor Gericht gestellt. Im Laufe des Verfahrens kommt heraus, dass er angeblich erschüttert vom Tod seiner geliebten Cousine Selbstmord begehen wollte. Sein ägyptischer Diener ging dazwischen, dabei wurde er angeschossen. Marius wird freigesprochen.

Aber jetzt will er Susan nicht mehr heiraten. Webley bringt sie zu ihm in den düsteren Heath-Besitz. Marius erzählt ihr die Wahrheit; schließlich kann man ihn wegen Marigolds Tod nicht wieder vor Gericht stellen. Marigold war geisteskrank wie alle Heath. Seit frühester Jugend war sie hinter Marius her, der sich ihrer Gefühle erwehrte und dann wieder nicht. Weil er Susan heiraten wollte, hat Marigold an jenem Abend auf ihn geschossen und sich dann umgebracht. Die Diener haben ihm geholfen und alles damit nur schlimmer gemacht. Vor Gericht haben alle gelogen. Marigold hatte schon einmal versucht, Marius umzubringen, weil er sie abwies. Außerdem hat sie ihren Ehemann von der Klippe geschubst. Marius löst nach dem Geständnis die Verlobung mit Susan. Er wird nie heiraten, denn er will keine Kinder bekommen. Die würden nur den Hang zur Geistesgestörtheit erben. Geknickt geht Susan zu dem draußen wartenden Webley. Auf dem Hof hören sie einen Schuss. Marius hat sich umgebracht.

Worum geht es?
Und wieder präsentiert der Horror expert einen amerikanischen Gothic. Da wir dieses Thema bereits des Öfteren hatten und es langweilig wird, kommen wir direkt zur Bewertung. Dieses Murder-Mystery hat in einer Reihe mit Gruselromanen nicht das Geringste verloren. Setzen. Sechs. Thema verfehlt. Falls man als Fan die Reihe damals nicht bereits aufgegeben hatte, wäre das ein guter Zeitpunkt zum Absprung gewesen. Für das Geld hätte man sich 3 Hefte und 1 Bier kaufen können. Was hat sich Luther nur dabei gedacht? In dem Roman gibt es nichts, dass die Bezeichnung "Grusel" verdienen würde. Genausogut hätte man Agatha Christes "Mord auf dem Nil" als Horror expert 16 veröffentlichen können. Spielt ja auch in Ägypten unter Briten.

Im Grunde wäre der Artikel jetzt zu Ende. Glücklicherweise gibt es ein paar Obskuritäten zu berichten. Im Impressum von Luther steht, dass dieser Roman von Belmont Books hier erstmals in deutscher Sprache erscheint. Das ist ein Irrtum. Tatsächlich erschien der Roman in einer anderen Übersetzung unter dem Titel "Jene Nacht auf den Felsen" in der Taschenbuchreihe "Romantic-Thriller" von Heyne mit der Nummer 1837, und zwar bereits 1970. Neu aufgelegt 1986 als Nr. 2212. Ob Inkompetenz oder Gleichgültigkeit, nicht zum erstenmal veröffentlichte Luther bereits bei anderen Verlagen vorliegendes Material in neuer Übersetzung. Wieder ist es ein Buch von Belmont.

Jene Nacht auf den FelsenWie schon häufig angemerkt, ist die Bandbreite der Gothics breit. Nicht immer mussten es düstere Herrenhäuser und Erbschleicher sein. "Death Hall" gehört zu der Art dramatische Liebesgeschichte an exotischem Schauplatz, nur mal ohne Happy End. Oder viel Liebe. Den Lektoren bei Heyne war das Ende wohl zu düster. Das – zugegebenermaßen hirnrissige – Ende der Geschichte mit Marius' Selbstmord war ihnen nach der geplatzten Liebesgeschichte anscheinend zu viel. Also wurde es den Leser(innen) kurzerhand unterschlagen. Bei Heyne endet der Roman einfach ein paar Sätze vorher mit der geplatzten Verlobung. Man sieht, nicht nur die FSK gab Anlass zur Selbstzensur.

Einen großen Unterschied macht das eigentlich nicht. Der Roman bemüht sich, eine finstere Geschichte über eine verbotene und krankhafte Liebe zwischen Cousin und Cousine zu erzählen, lässt dabei aber zu viel ungesagt und nur angedeutet, um wirklich funktionieren zu können. Zwar wird immer dargestellt, wie nahe sich Marius und Marigold sind, aber dass die Gute derart "gestört" ist, erlebt der Leser nicht mit und bekommt es nur als Auflösung aus dem Hut gezogen. Die Figur Susan ist stinklangweilig und bleibt so blass wie ihre englische Haut, die Handlung plätschert vor sich hin und wird durch Marigolds Tod auch nicht spannender. Den Prozess hat man anderswo auch schon dramatischer gelesen. Das ganze Geschwafel über das "schlechte Blut" der Familie Heath am Ende wirkt bestenfalls anachronistisch; denkt man sich den Snobismus und das Gesellschaftsgetue der Engländer in Kairo weg, der die Figuren zu ihrem Rollenverhalten zwingt, bleibt eigentlich keine plausible Geschichte übrig. Vielleicht wird dieser Eindruck auch von der vagen Datierung hervorgerufen; siedelt man die Story in den 30ern statt in den 50ern an, macht sie etwas mehr Sinn. Ob die Handlungszeit im Original genauer festgelegt war, wer weiß?  

Die Übersetzungen sind recht unterschiedlich. Die von Heyne liest sich flüssiger. Und ist manchmal netter im Ausdruck. Bei Heyne heißt es über Captain Hazard:

"merkt man ihm den Orientalen an."

(Was auch immer das bedeuten soll.) Bei Luther heißt es an der Stelle:

"er handelt noch immer wie ein Levantiner".

Was als Beleidigung dann immer noch besser funktioniert. Dafür ist die Heyne-Übersetzung schwach, wenn es um technische Dinge geht. Seitenweise geht es da um Waffen, und das meiste davon ist falsch. Da liest man solche Aussagen wie:

"Aus einem Automatik-Revolver wird eine Patronenhülse drei Meter weit ausgeworfen."

Was bitte ist ein Automatik-Revolver? Allerdings scheint auch die Autorin – über die nichts in Erfahrung zu bringen war, außer dass noch zwei weitere Romane von ihr in Deutschland erschienen, ebenfalls bei Heyne und bei Luther - nicht unbedingt viel von der Materie zu verstehen, ist doch dauernd die Rede davon, einen Webley-Revolver zu entsichern. Was schwierig wäre, verfügten solche Revolver über keine Sicherungen. Aber wie bereits gesagt, wer weiß, was im Original stand. Und bei einem Gothic ist so etwas nicht wirklich wichtig. Da kommt es auf andere Dinge an.

Bei Heyne war der Roman trotz dieser Mängel, die dort garantiert nicht so wahrgenommen wurden, bei den "Romantic-Thriller" ganz gut aufgehoben. Er war zwar nicht wirklich spektakulär, und die unmittelbare Konkurrenz war qualitätsmäßig heftig.

Jene Nacht auf den FelsenKurz zuvor erschien "Die siebente Jungfrau" von Victoria Holt, ebenfalls ein eher untypischer Gothic aber ein hervorragend erzählter Roman, die nächste Nummer war "Das Dorf der Verfluchten" von Virginia Coffman, ein ziemlich traditioneller aber unterhaltsamer Gothic wie die meisten Coffmans. So gesehen reihte sich "Jene Nacht auf den Felsen" nahtlos in die verlässlich solide Heyne-Reihe ein. Hätte Luther doch nur mehr von solcher Kompetenz gehabt.

Das Titelbild:
Herbert Papalas tanzendes Gespenst hat natürlich nichts mit dem Inhalt zu tun.

Das Original
Death Hall
von Mary Reisner
Belmont Books, 1968

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Kommentare  

#1 Heiko Langhans 2018-03-26 06:47
Tja.
Interessant ist die Heynesche Selbstzensur (und Kürzungspraxis): Der Verlag galt bislang eigentlich in dieser Hinsicht als weniger belastet. Wie sich mehr und mehr erweist - zu Unrecht.
#2 Erlkönig 2018-03-26 20:58
Trotz dieses "Rohrkrepierers" bin ich damals nicht aus der Serie ausgestiegen und habe brav weiter gekauft. Leider. :-)

Ansonsten wieder mal ein interessanter Artikel von dir.
#3 Thomas Mühlbauer 2018-03-26 22:40
Dieser Trend zum Etikettenschwindel wurde kurze Zeit später bei Ullstein fortgesetzt. Der überwiegende Teil dieser auf dem Umschlag als "Horror-Roman" deklarierten Taschenbücher enthielt "nur" Gaslicht-Literatur; eine Enttäuschung für jene Leser/Käufer, die zurecht anderen Lesestoff hätten erwarten dürfen.
#4 Laurin 2018-03-28 11:56
Es kommt da auch wohl (in diesem Fall) ein wenig darauf an, wer da wo was einkauft, wenn der Verlag keine eigenen Autoren für das Produkt einsetzen möchte. Hat der betreffende Einkäufer also ein Händchen in dieser Sache (dem entsprechenden Genre) oder schaut er eher danach, was die Rechte gerade kosten um eben die Kosten möglichst unten zu halten. Und dann ist da eben noch der Verlag selbst, der hier auch gerne "Gaslicht-Literatur" als Horror deklariert, weil es sich scheinbar als solches gut verkaufen lässt. Und da kommt dann der Käufer ins Spiel und wie hoch, bzw. wie tief hier dessen Ansprüche damals lagen.
Und was die "Heynsche Selbstzensur" bzw. Kürzungspraxis angeht, da fällt mir direkt immer wieder als Paradebeispiel der Roman DIE INSEL von Richard Laymon ein, wo man recht schnell am Ende des Roman dazu überging, in den folgenden Auflagen Änderungen durchzuziehen, weil damals eine gewisse Leserin wegen der für sie zu harten Passagen einen gewissen öffentlichen Wind verursachte. Aber auch das bekam man erst viel später durch das stöbern nach Informationen im Internet mit.
#5 Thomas Mühlbauer 2018-03-28 12:47
Die "Horror-Romane" bei Ullstein wurden von Walter Spiegl herausgegeben, der im "Ullstein Kriminalmagazin" acht tadellose Gruselanthologien zumindest redaktionell betreut hat. Er hätte den Unterschied zwischen "Horror" und "Gothic/Gaslicht" schon erkennen sollen.

Nebenher muss man natürlich auch so fair sein und erwähnen, dass zahllose Gaslichter ganz hervorragendes Lesefutter bieten. Was daran liegt, dass dieser Stoff zumeist auch als Krimi recht gut funktioniert.
#6 Andreas Decker 2018-03-29 12:37
Ullstein kann man letztlich nicht nachvollziehen.

Denn die Auswahl zeigt schon, dass man sich auf Schloss-Gothics wie vom Vielschreiber Ross und Satan-Gothics wie von Brennan und Hall konzentriert hat. Also es sollte schon irgendwie gruselig sein.

Andererseits zeigt die Reihe eine harsche Tontaubheit, LeFanu neben Simon Majors zu veröffentlichen, dessen "Der Druidenstein" heute fast immer nur Hohn und Spott erntet als einer der schlechtesten Horrorromane der Zeit. So in der Kategorie von "Dracula und die Jungfrauen" von Aubin, der als das "Plan 9 from Outer Space" des 70iger Horrortaschenbuchs gilt.
#7 Heiko Langhans 2018-03-29 18:43
Simon Majors - das war Gardner Fox. Hm. Ich kann nicht widersprechen ...

Immerhin bleiben mir die beiden Bücher von Jack Williamson (Geschöpfe der Finsternis) und L. Ron Hubbard (Versklavte Seelen) als interessant in Erinnerung - letzteren habe ich zugegeben mit einer gewissen perversen Faszination gelesen, weil er eben so schlecht war, dass er schon wieder als gut rüberkam. Gegen Battlefield Earth aber immer noch ein Klassiker.

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