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Der Luftpirat und Matthias - Band 9 Die geheimnisvolle Insel des Kapitän Mors

Der Luftpirat und MatthiasBand 9 –
Die geheimnisvolle Insel des Kapitän Mors

Was Innovation und abstruse Ideen betraf, reichte vor dem 1. Weltkrieg keine Serie an  »Der Luftpirat« heran, nach Einschätzung vieler Experten die erste Science-Fiction-Reihe der Welt überhaupt. Erschienen sind um 1910 genau 165 Abenteuer, die in einem Format herauskamen, das zwischen dem heutigen A5 und A4 angesiedelt war. Ich unternehme nun eine Lesereise und berichte über die Abenteuer des Luftpiraten. Folgt mir auf diesem Weg ...


Die geheimnisvolle Insel des Kapitän MorsBand 9 – Die geheimnisvolle Insel des Kapitän Mors 
Schauplatz:
Erde. Sidney, Australien. Inselgruppe der Neuen Hebriden, Südpazifik

Vorbemerkung:
Endlich ist es soweit, und wir können einem Leser-Vorschlag folgen und größere Cover für diese Lesereise bereitstellen. Das sind natürlich keine Vorlagen für den Plakatdruck, aber immerhin sind nun Details viel besser erkennbar. Die über 100 Jahre alten extrem seltenen Originale (von manchen existiert vermutlich nur noch ein einziges Exemplar auf der Welt!) sind nicht im besten Zustand – Dank an Ralph Ehrig, der den Nachdruck herausgibt und extra für unsere Lesereise die Originalcover noch mal digital aufbereitet hat! Auch die früheren Folgen 1-8 sind ab heute mit den größeren Covern ausgestattet.

Was bisher geschah
Europa, um 1905. Kapitän Mors war einst ein genialer Ingenieur, der im Kaukasus lebte. Auf seine großartigen Erfindungen wurde bald ein Ring von hochkrimineller politischer Abenteurer aufmerksam, die versuchten, ihn in seine Ziele einzuspannen. Als Mors merkt, das er benutzt wird, versucht er auszusteigen. Die Verschwörer ermorden seine Familie und stellen es so hin, dass er für schuldig gehalten wird. Im Geheimen baut der Ingenieur mit anderen Verfemten und ihm treuen Gehilfen ein gigantisches Kriegs-Luftschiff aus Metall, rüstet es mit hypermodernen selbsterfundenen Superwaffen aus und räumt zunächst unter seinen Feinden auf, die er in den Wirren der russischen Aufstände 1905 in Odessa in einer Art Privatkrieg grausam hinrichtet.

Danach zieht er als Robin Hood der Lüfte durch die Welt und überfällt Schiffstransporte, Gold- und Diamantenminen, um das Geld den Armen zu schenken. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Reichtums nutzt der tollkühne Ingenieur aber für sein Lieblingsprojekt – die Planung und den Bau eines Raumschiffes, um eines Tages ins Weltall vorstoßen zu können...

Inhalt:
1905.  Der Luftpirat spannt mal wieder in einer exotischen Kneipe seiner Wahl aus. Diesmal ist seine Wahl auf Sidney gefallen. Dort belauscht er ein Gespräch zwischen zwei finsteren

Typen, das selbst diesen hartgesottenen Outlaw schaudern lässt: Zwei altgediente Sklavenhändler planen ihren neuen Einsatz, es geht darum , Eingeborene einer Insel auf den Neuen Hebriden einzufangen, als „Arbeits-Kanaken“ zu verhökern, und deren schöne Frauen, wie nicht sehr subtil angedeutet wird, als Sexsklavinnen zu behalten. Ein besonderes Auge haben beide auf die schöne Tochter des Häuptlings.

Das muss der Luftpirat natürlich verhindern! Und so macht er sich auf zur Inselgruppe. Tatsächlich werden die Schiffe der Sklavenhändler nicht sehr freundlich empfangen. Das Luftschiff patrouilliert drohend herum – und als die fiesen Schurken dem Befehl, die Gewässer sofort zu verlassen, nicht folgen, sondern sich wehren und auf das Luftschiff mit ihren Flinten und Pistolen ballern, ballert der Luftpirat lässig zurück – mit seiner Super-Elektro-Waffe. Einer der Anführer wird dabei in Einzelteile in der Größe und Konsistenz von Hühnerfrikassee zerstäubt. Das löst Panik aus und die Verbrecher verschwinden.

Beim Überfliegen hat Kapitän Mors eine sagenhafte Entdeckung gemacht: Das Felseneiland Maiwo eignet sich ideal als fester Wohnort, als Refugium für den Luftpiraten und Hafen für das Luftschiff.

Denn es ist hohl wie ein alter Zahn – dieser Ex-Vulkan ist ein ideales Versteck.

Höflich fragt er beim Häuptling an, ob er diese Insel pachten kann – der ist so glücklich über die Errettung seines Volkes, dass er ihm auch die ganze Inselgruppe schenken würde. Was Mors aber lehnt edel ab. Der Häuptling ist glücklich, einen so mächtigen Beschützer weiter in der Nähe zu wissen.

So beginnt der Ausbau von Mors' zentralem Forschungs- und Arbeits- und Wohnkomplex.

Auch Wachtürme, Werkstätten und hochmoderne Funkanlagen werden errichtet.

Ja mehr noch – hier könnte man sogar eine Werft bauen für das große Jahrtausendprojekt, das dem Kapitän schon lange im Kopf herumspukt... Jedenfalls beginnt Mors schon mal mit den Entwürfen:

„Da flammten die feurigen Augen, da arbeitete sein rastloser Geist. Und es schien, als wollte der sonderbare Mann, nachdem er die Herrschaft über den Luftozean errungen, noch weiter vordringen, als wollte er zuletzt auf einem von ihm ersonnenen Fahrzeug in das Weltall hinausfliegen“.

Wichtiger Hinweis – während wir also noch Old-fashion-Abenteuer auf der Erde erleben, bastelt unser Kapitän in Gedanken schon am ersten Raumschiff in der Geschichte des Heftromans.

Doch die Idylle und der Bauboom werden bald gestört. Die überlebenden Sklavenhändler haben (natürlich als ehrbare Bürger getarnt) einige Nationen überredet, mit Kriegsschiffen zurückzukehren und dem Wirken des Piraten ein Ende zu bereiten. Die kleine, aber schwerbewaffnete Flotte rückt an und stellt dem Luftpiraten das Ultimatum, innerhalb von zwei Stunden das Eiland zu räumen. Als Mors sich weigert, kommt es zu ersten Scharmützeln. Den Angreifern gelingt es, einige Wachhäuser durch Granatbeschuß zu zerstören. Doch ein einziger Schuss aus einer Kanone des Luftschiffs richtet verheerende Schäden an einem Kreuzer an. Es gibt Tote und Verletzte. Den Militärs wird klar, dass sie den Gegner völlig unterschätzt haben und ziehen eiligst ab. Doch Mors' kaltblütiger mobiler Eingreiftruppe gelingt es während der heillosen Flucht noch, sich an herabgelassenen Seilen des zweiten Sklavenhändlers zu bemächtigen, der gefangen und vom Lufpiraten hingerichtet wird.

Mors ist zufrieden. Doch er weiß – irgendwann werden besser vorbereitete Truppen zurückkehren – und dann kommt es zur Entscheidungsschlacht...     

KommentarNa geht doch – ein alter Vorkriegs-Heftroman in Bestform, eine flüssig erzählte Mischung aus Military-SF anno 1908 und Jules Verne.

Denn natürlich ist dies Heft die erwartete Konsequenz aus früheren Anlehnungen an „20000 Meilen unter den Meeren“. Klar braucht dieser moderne Nemo der Lüfte (der sich ja auch bei Verne schon im Zweiteiler Robur der Sieger / Der Herr der Welt ankündigt, wo es auch um eine Art Luftpiraten  auf einem seltsamen Luftfahrzeug geht) ein Refugium. Und ähnlich wie in Vernes „Geheimnisvoller Insel“ bekommt er eins. Ein wichtiges Heft ist dies auch insofern, als dass diese Insel in vielen späteren Heften eine zentrale Rolle spielen wird. Unzählige Abenteuer nehmen hier ihren Anfang und enden dort. Dem Autor ist es auf elegante Weise gelungen, das neue Heim des Kapitäns einzuführen, die Entdeckung gut zu motivieren und um diesen wichtigen Baustein der ganzen Serie eine sehr spannende Geschichte zu wickeln. Endlich wieder ein Heft, das das Gesamtkonzept im Auge hat - auch mit Blick auf später geplante Weltraumabenteuer, die hier angedeutet werden.

Bei der Lektüre und Recherche ist mir eine sonderbare Idee gekommen, was die Historie dieser Hefte angeht. Immer wieder kehren wir in den frühen Nummern zu Ereignissen um 1904/05 zurück: Russische Aufstände, russisch-japanischer Krieg...Auch hier wieder – im Heft wird angedeutet, dass sich große Nationen bald die Neuen Hebriden unter den Nagel reißen werden. Das geschieht dann auch 1906, England und Frankreich teilen die Inselgruppe unter sich auf. Also wieder spielt die Handlung 1905...

Warum eigentlich? Klar, man könnte annehmen, dass man hier um eine einheitliche Handlung bemüht ist – das passt aber nicht zu sonstigen vielen Abweichungen. Im Grunde ist die Serie schlecht abgestimmt. Marianne Ehrig wies auf solche kleinen, aber wichtigen Details hin, etwa dass der Luftpirat mal eine seidene, mal eine samtene Maske trägt, die Höchstgeschwindigkeiten des Luftschiffs ganz unterschiedlich angegeben werden etc.  

Könnte es also sein, dass die Serie bereits 1906 oder gar Ende 1905 erschien?

Nein. Das ist aus Gründen, die an anderer Stelle erläutert wurden, sehr unwahrscheinlich. 1907 (meine These) oder 1908 (andere Schätzungen) ist und bleibt realistisch.

[A propos: Ich weiß, nicht ob jemand schon mal folgende Zäsur zur Berechnungsgrundlage genommen hat: Max Lehmanns Heftroman-Verlag, die „Druck- und Verlags-Gesellschaft mbH. Berlin“ wechselte 1909 den Titel und nannte sich fortan „Verlag moderner Lektüre“. Der Namenswechsel vollzieht sich im Luftpiraten von Heft 87 zu 88. Das bedeutet, dass diese beiden Hefte unbedingt im Jahr 1909 erschienen sein müssen. Gehen wir von einer wöchentlichen Erscheinungsweise aus, kommen wir wieder auf Ende 1907/ Anf. 1908.]

Aber mitunter liest sich das Ganze so, als seien die Texte schon älter, um 1905/6 verfasst und die Manuskripte dann 2 Jahre später leicht bearbeitet zum Druck freigegeben worden. Sollte die Serie evtl. schon früher starten, wurde dann aber immer wieder verschoben? Lagen gar schon Weltraumabenteuer vor – so dass in alte Heften immer wieder Anspielungen auf diese Hefte auftauchen? Denn es ist doch sonderbar, dass es über 30 Hefte braucht, um mit dieser Handlungslinie zu beginnen – und doch immer wieder auf spätere Weltraumepisoden angespielt wird. Das ist alles sehr geheimnisvoll und nie zu klären – aber eben auch so schön an dieser dunklen Geschichte der Serie, dass sie mit ihren Rätseln immer wieder zum Spekulieren herausfordert.

Erwähnenswert ist noch, dass es zwar auch hier eine kleine typische Damen-Rettungs-Geschichte gibt, die Tochter der Häuptlings entgeht dem Schicksal der Sklaverei und schwärmt natürlich für den Käptn, aber das wird nur skizzenhaft angedeutet und nervt nicht. 

Der lustigste Satz:
Ist nur auf den ersten Blick lustig.
Zunächst scheint es, als habe unser Autor hier sein technisches Wissen nur halb verdaut.
Mors hat natürlich die neuesten Errungenschaften der Technik auf seiner Insel installiert, den Vorläufer heutiger Handy-Systeme, der um 1900 als „drahtlose Telegrafie“ bezeichnet wurde.

„Nicht umsonst hatte er diese hohen Eisengerüste aufstellen lassen, sie waren für drahtlose Telegraphie bestimmt. Es waren waren sogenannte Funkenstationen, mit denen man auf große Entfernungen sogenannte Funkentelegramme auffangen konnte.“

Muss  es nicht Funkstationen und Funktelegramme heißen? Nein! Ähnlich wie sich andere technische Begriffe später verkürzten (Automobil zu Auto, Kinomatograph zu Kino,  Omnibus zu Bus etc.) wurden aus den Funkenstationen erst später Funkstationen. Aus der 1903 gegründeten Gesellschaft für drahtlose Telegrafie wurde wenige Jahre später eine legendäre Firma – die dann nicht etwa Telefunk hieß, sondern auch noch Telefunken. Die Luftpiraten-Autoren schreiben oft ziemlich viel abenteuerliches und halbgares Zeug, aber der hier hat an dieser Stelle nichts falsch gemacht.

Das Cover:
Spricht mich diesmal nicht so an. Zwar ist viel los, aber hier verzettelt sich der Zeichner mit seinen Motiven. Das Cover stellt den Moment dar, als Mors den anrückenden Truppen stolz seine Piratenfahne zeigt. Das ist im Text wirklich schön und pathetisch gestaltet, auf dem Bild sieht die Fahne samt Stange dann doch ein bisschen aus wie vom Woolworth-Wühltisch. Sie ist Käpten Mors eigentlich nicht würdig

Übersicht:

  • Band 10 - Der unheimliche Ingenieur (13.10.)

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Kommentare  

#1 Toni 2015-09-15 20:27
Wieder mal ein sehr schöner Ausflug in die Anfänge des 20. Jahrhunderts :-)

Schöne Erklärung das mit den Funken. Man lernt nie aus.

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