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Ein intensives Bild - »Die Entdeckung der Currywurst« - Ein Comic von Isabell Kreitz nach dem Roman von Uwe Timm

Die Entdeckung der CurrywurstEin intensives Bild
»Die Entdeckung der Currywurst«
Ein Comic von Isabell Kreitz nach dem Roman von Uwe Timm

Ein namenloser Erzähler lebt in München und kehrt regelmäßig in seine Heimatstadt Hamburg zurück. Sein wichtigster Anlaufpunkt ist seit seiner Kindheit die Currywurstbude von Lena Brückner am Großneumarkt, denn dieser Imbiss ist etwas Besonderes. Lena Brückner erzählte entgegen anders lautender Behauptungen über die Jahre hinweg, dass sie die Currywurst kurz nach Ende des 2. Weltkriegs 1945 in Hamburg erfunden hätte.

Die Entdeckung der CurrywurstDer Erzähler nimmt sich schließlich vor, Lena Brückner direkt danach zu befragen. Leider muss er feststellen, dass die Currywurstbude bei seinem gegenwärtigen Besuch nicht mehr existiert. Er kann in Erfahrung bringen, dass Lena Brückner in einem Altenheim lebt. Sie erkennt ihn sofort wieder und erzählt ihm die Ereignisse, die zur Entwicklung der Wurst führten.

Ende April 1945 sind die Briten noch nicht in Hamburg eingerückt. Der junge Bremer war in Norwegen stationiert und wird jetzt zu einer Panzerjagdeinheit abkommandiert. Er nutzt den Kurzstopp in Hamburg, um in eines der letzten noch unzerstörten Kinos zu gehen. Dort lernt er die 15 Jahre ältere Lena Brückner kennen, die von ihrem Mann verlassen worden ist. Die Kinoveranstaltung wird von einem Luftangriff unterbrochen und die beiden eilen in einen Bunker. Lena bietet ihm an, mit zu Ihm nach Hause zu kommen und Bremer willigt ein. Die beiden kommen sich schließlich näher und sie verbringen die Nacht gemeinsam.

Bremer entschließt sich, nicht zu seiner Einheit zu gehen. Er versteckt sich in Lenas Wohnung, bis die Briten Hamburg eingenommen haben. Sie müssen ziemlich vorsichtig sein, denn der Blockwart kontrolliert die Wohnungen des Miethauses und die SS ist auf der Suche nach Deserteuren.

Lena arbeitet für die Lebensmittelausgabe und während einer Schicht tritt die Nachricht ein, dass Hamburg kampflos übergeben wurde. Sie beschließt Bremer nichts davon zu erzählen, so kann sie noch einige gemeinsame Zeit mit ihm verbringen.

Die Anspannung bei Bremer nimmt von Tag zu Tag zu. Er steigert sich dabei in Fantasien, dass Großbritannien endlich begriffen hat, dass Russland der wahre Feind sei und dass die Briten mit den deutschen Truppen zusammen gen Osten marschieren. Die Anspannung bewirkt, dass Bremer seinen Geschmackssinn verliert.

Mittlerweile sind die Gräueltaten in den deutschen Konzentrationslagern bekannt geworden. Lena traut ihren Augen nicht, als sie Fotos aus den Lagern sieht. Zurück in der Wohnung eskaliert die Situation mit Bremer. Sie erzählt ihm, was in den Lagern passiert ist und gesteht ihm, dass der Krieg bereits seit einiger Zeit vorbei ist. Lena verlässt die Wohnung, und als sie zurückkehrt ist Bremer verschwunden.

Lena verliert ihre Arbeit bei der Lebensmittelaugabe. Sie hat die Idee, einen Stand zu eröffnen und dort Bratwürste zu verkaufen. Auf dem Schwarzmarkt sucht sie sich die erforderlichen Dinge zusammen. Es entsteht eine Kauf- und Tauschkaskade, bei der Lena eine Kiste Curry bekommt. Sie probiert ihn und kommt auf die Idee, eine Currysauce auf die zerschnittene Bratwurst zu machen. Die Currywurst ist geboren.

Lena eröffnet ihren Imbiss und die Currywurst wird der Verkaufsschlager. Eine Freundin nimmt die Idee mit nach Berlin und der Siegeszug der Wurst beginnt.

Lena bemerkt nicht, dass Bremer eines Tages am Stand steht. Als er die Wurst isst, ist sein Geschmacksinn wieder zurück. Unbemerkt schleicht er sich davon.

Der Erzähler verlässt die alternde Lena und kommt einige Monate später nach Hamburg zurück, um sie noch weiter über die Ereignisse zu befragen. Im Altenheim erfährt er, dass Lena gestorben ist.

Die Entdeckung der CurrywurstFazit
Isabel Kreitz zeichnet in ihrer Adaption der Geschichte von Uwe Timm ein intensives Bild über das zerstörte Hamburg in den letzten Kriegstagen im April 1945. Die Briten stehen vor den Toren der Stadt und drohen die Stadt einzunehmen. Die Situation ist angespannt, denn selbst jetzt glauben noch einige fest an den Endsieg, während andere auf den Einmarsch und damit das Ende des Krieges warten.

Bremer ist Seemann und ist auf verschiedenen Schiffen gefahren. Zuletzt war er in Oslo an Land stationiert und ist nun auf dem Weg zu seiner neuen Einheit. Es wird leider nicht ganz klar, warum Bremer sich zur Fahnenflucht entscheidet. Hat er sich in Lena verliebt? Dann würde es keinen Grund geben, ihm die Wahrheit über das Ende des Krieges zu verschweigen. Sie hätten auch in Friedenszeiten noch weiter Zeit miteinander verbringen können. Es spricht wenig dafür, dass Bremer fahnenflüchtig wird, weil er die Sinnlosigkeit des Krieges erkennt. Er hatte vor, sich zu seiner neuen Einheit zu begeben, um die Kämpfe fortzusetzen.

Nach der Einnahme Hamburgs durch die Briten herrscht Ruhe in der Stadt. Lena belügt ihn, als Bremer vermutet, dass die Ruhe wegen möglicher Waffenstillstandsverhandlungen eingetreten ist. Er verbringt daher weitere Tage in dem Glauben in der Wohnung, das dritte Reich bestehe weiter. Die Anspannung bei Bremer steigert sich ins unermessliche. Er hat große Angst, dass er entdeckt wird und als Fahnenflüchtiger hingerichtet wird. Er malt sich in immer wilder werdenden Fantasien aus, wie britische und russische Truppen zusammen die durch Russland besetzten Städte zurückerobern. Schließlich müssten seiner Auffassung nun auch die Briten begriffen haben, dass Russland der wahre Feind ist.

Hier zeigt sich der egoistische Charakter von Lena. Sie vermutet, dass der junge Bremer in seine Heimatstadt Braunschweig gehen würde, wisse er, dass der Krieg vorbei ist. Sie verwehrt ihm ein Radio oder eine Zeitung, damit sie die Illusion weiter aufrechterhalten kann. Sie möchte die gemeinsame Zeit mit Bremer solange wie möglich hinausziehen.

Der Verlust des Geschmacksinns Bremers ist eine gute Metapher für die Abhängigkeit von Lena. Sie hält ihn wie ein Spielzeug in ihrer Wohnung. Vielleicht entsteht sogar eine Abhängigkeit, die sich erst sichtbar löst, als er seinen Geschmack durch den Genuss der Currywurst wiederfindet. Seine frisch erlangte Freiheit will er nicht gefährden, indem er sich Lena wieder aussetzt und schleicht sich heimlich davon.

Die Charaktere, die den Widersinn dieser Zeit zeichnen, prägen weite Teile der Geschichte. Das Wohnhaus Lenas wird von einem Blockwart kontrolliert. Er ist dem System treu ergeben und überprüft, ob alles seine Richtigkeit und Ordnung hat. Dazu geht er in die Wohnungen und kontrolliert die Zimmer. Bremer kann sich nur mühsam verstecken und erhöht damit auch die Angst Bremers entdeckt zu werden. Selbst als der Tod Adolf Hitlers bekannt wird, bezeichnet der Blockwart diejenigen als Feiglinge, die nicht weiterkämpfen wollen. Eine luxuriöse Haltung, wenn man selbst nicht kämpfen muss und sicher in seiner Wohnung sitzt.

Es gibt hingegen Menschen, die ihren Widerstand gegen das System, wenn auch still, ausdrücken. Eine Gruppe von SA-Männern versucht auf einer Versammlung die Anwesenden zum Kampf gegen den Feind zu mobilisieren. Der Koch der Lebensmittelstelle mischt eine Substanz ins Essen, so dass sie sich kräftig übergeben müssen.

Der Leiter der Lebensmittelstelle gibt sich nach der Übernahme der Stelle durch das britische Militär besonders gefügig. Er kann es gar nicht erwarten, für die neuen Herren so schnell und so gut wie möglich zu arbeiten. Es ist offensichtlich, dass er auch vor der Einnahme Hamburgs sehr gewissenhaft für die Herrschenden gearbeitet hat. Ein typischer Wendehals.

Lena besorgt sich die erforderlichen Dinge für den Imbiss auf dem Schwarzmarkt. Das deutsche Finanzsystem war mit Ende des Krieges zum Erliegen gekommen und die Reichsmark war nichts mehr wert. Daher haben die Menschen die notwendigen Dinge getauscht und es entstand ein großer Schwarzmarkt. Jeder hat das angeboten, was er konnte und so kommt es in der vorliegenden Geschichte zu einem wahren Tauschmarathon, bis Lena ihre Sachen endlich zusammen hat. An den Curry gelangt sie dabei eher zufällig. Lena soll für einen Kunden einen Mantel herstellen, der dann aber die versprochene Ware nicht liefen kann. Stattdessen erhält sie den Curry.

Die Geschichte wird mit einer klaren Panelaufteilung erzählt. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind an vielen Stellen klar gehalten. In wichtigen Szenen sind die Hintergründe und Schatten großflächig mit dunklen Strichen dargestellt. Es ist eine gute Entscheidung, den Zeichnungen keine Kolorierung zu verpassen. Die Szenen wirken so ziemlich bedrohlich. Man fühlt sich gut in diese Zeit hineinversetzt und man ist unweigerlich an Schwarz-weiß-Filmaufnahmen dieser Zeit erinnert.

Bremer ist in den meisten Szenen in seiner Marineuniform zu sehen. In der Szene, in der die SA-Männer in der Versammlung sprechen, sind deren Uniformen und Hakenkreuzarmbinden zu sehen. Ansonsten setzt Isabel Kreitz die Embleme des dritten Reiches wohl dosiert ein. Der Leser bekommt keine deutschen Soldaten zu sehen. Das tut der Geschichte unheimlich gut. Die Insignien der Nazis haben leider nicht selten zur Folge, dass die Aufmerksamkeit des Lesers auf eben diese gerichtet wird. So werden die interessanten Charaktere und deren Dynamiken in den Blickpunkt gestellt.

In der Rahmenhandlung berichtet ein namenloser Erzähler. Er macht sich auf die Suche nach Lena, um sich die Currywurstgeschichte erzählen zu lassen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, ein derart intensives Porträt über das Leben Lenas zu erhalten. Er kehrt zum Ende der Geschichte zu Lena zurück, um zu erfahren, ob Lena Bremer irgendwann noch einmal wieder gesehen hat. Leider ist sie zu diesem Zeitpunkt bereits tot, was der Geschichte ein tragisches Ende bereitet. Bis zum Ende erfährt der Leser dem Namen des Erzählers nicht. Damit fokussiert sich das Augenmerk vollends auf Lena und ihre Lebensgeschichte.

Eine Comicadaption kann nie so detailtief sein, wie ein Buch. Die Handlung muss dem Erzählfluss eines Comics angepasst und ggf. auch umgruppiert werden, zumal der Comic mit 45 Seiten einen relativ begrenzten Umfang hat. Allzu ausufernde Handlungsstränge müssen verkürzt oder auch weggelassen werden. Visuell ausdrucksstarke Szenen müssen eventuell vertieft werden.

Die Erzählung Lenas ist in Rückblenden in die Rahmenhandlung eingebaut. So können Zeitsprünge oder Nebenhandlungen sinnvoll in den Gesamterzählfluss eingearbeitet werden und die Handlung arbeitet stringent auf das Ende hin.

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